soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 25 (2021) / Rubrik „Junge Wissenschaft“ / Standort Graz
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/view/722/1342.pdf


Sophie Lukacs:

Passgenaue Personalauswahl in der Flexiblen Hilfe

Eine explorative Studie zur Bestimmung von Kriterien im Rahmen der Personalauswahl


1. Einleitung

Personalmanagement wird, wenn Soziale Arbeit als Erbringerin einer Dienstleistung betrachtet wird, immer wichtiger. Schon Schwarz/Beck (1997) beschreiben, dass sich Soziale Arbeit fortwährend auf Menschen bezieht und sowohl deren Lebenswelten als auch deren Lebensqualität verbessern soll. Dies kann dann geschehen, wenn der*die Klient*in aktiv mitarbeitet. Personen, die in der sozialen Arbeit tätig sind, sollten also die Fähigkeit besitzen auf Menschen zuzugehen und auf ihre Adressat*innen positiv, im Sinne der Integration, einzuwirken, um deren Selbstbewältigungskräfte anzuregen. Ein zentrales Spezifikum bei dieser Arbeit ist, dass der Beginn und das Ende einer Intervention, der Ressourcenaufwand sowie der Erfolg oder Misserfolg schwer messbar und einschätzbar sind. Umso wichtiger ist daher die Person des*der Mitarbeiter*in selbst. Dieser Ansicht sind auch Schwarz/Beck (1997), sie sehen die Mitarbeiter*innen als zentralen Faktor für Erfolg und Qualität in der Arbeit an.

„[I]ndividuellen Eigenschaften, Qualitäten und Kompetenzen [kommt, Anm. d. Verf.] eine zentrale Rolle für die Aufgabenerfüllung zu. Die Person/Persönlichkeit mit ihren Stärken, Erfahrungen, Eigenschaften und Fähigkeiten wird zum ‚Dreh- und Angelpunkt‘, der über Qualität und Erfolg in den beruflichen Interaktionen mit den Hilfebedürftigen und den KollegInnen entscheidet.“ (Schwarz/Beck 1997: 99f.)

Hier wird deutlich, dass die Person, die Soziale Arbeit als Dienstleistung erbringt, in den Mittelpunkt rückt und die Annahme, dass gutes Personalmanagement auch in der Sozialen Arbeit in den Vordergrund gerückt werden muss, bekräftigt. Dadurch, dass die*der Mitarbeiter*in für Qualität und Erfolg der geleisteten Unterstützung entscheidend ist, steigen auch die Leistungsanforderungen an die in der Sozialen Arbeit Beschäftigten.

„Zunehmende Leistungserwartungen sowohl in den Unternehmen, Betrieben und Verwaltungen als auch auf Seiten der Kunden führen dazu, dass die Bedeutung der Ressource ‚Mensch‘ und die Anforderungen an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Organisation weiter steigen werden.“ (Böhm/Poppelreuter 2009: 24)

In der eigenen Praxis im Aufgabenfeld der Flexiblen Hilfe in der Kinder- und Jugendhilfe konnte persönlich erlebt und beobachtet werden, wie hoch die Erwartungen an die Mitarbeiter*innen sind. Deshalb ging ich in meiner Masterarbeit Passgenaue Personalauswahl in der Flexiblen Hilfe. Eine explorative Studie zur Bestimmung von Kriterien im Rahmen der Personalauswahl (2020) der Frage nach, wie passgenau Personal für die Flexible Hilfe ausgewählt wird und welche Kriterien für die Auswahl des Personals entscheidend sind. Im Zuge der Befragung von sechs Personalverantwortlichen in Trägerorganisationen der Kinder- und Jugendhilfe konnte ein enger Zusammenhang zwischen den Kriterien, die für die Auswahl des Personals entscheidend sind, und dem Konzept der Sozialraumorientierung nach Wolfgang Hinte (2006) festgestellt werden.


2. Kriterien in der Personalauswahl

Anhand der Befragung wurden Kriterien herausgearbeitet, die in Muss- und Soll-Anforderungen unterteilt wurden. Dabei wurde Bezug auf die in der Literatur häufig verwendeten Begriffe Qualifikation und Kompetenz genommen. Die interviewten Personen definierten neben Qualifikation und Kompetenz auch Fähigkeiten und Fertigkeiten, über die die Professionellen im Feld verfügen müssen. Die folgende Grafik zeigt die erarbeiteten Kriterien:

Abbildung 1
Abbildung 1: Kriterien in der Personalauswahl (eigene Darstellung).


Die Fähigkeit zur Kommunikation sowie Beziehungskompetenz, die es für Erziehung, Beratung und soziale Therapie benötigt, steht für die Interviewpartner*innen an erster Stelle. Beide Kompetenzen sind für die Interviewpartner*innen eng miteinander verknüpft. Durch Sprache lassen sich Beziehungen differenziert aufbauen. Was jedoch nicht heißt, dass Beziehungen allein durch Sprache entstehen können. Eine Interviewpartner*in umschreibt Beziehungskompetenz als eine generelle Grundhaltung Menschen gegenüber. Sie vergleicht diese Grundhaltung mit ‚Herzenswärme‘, welche sie auf Nachfrage als ein grundsätzlich wohlwollendes Aufeinander-Zugehen definiert:

„Also man muss diese ganzen Menschen, mit denen wir arbeiten, wirklich mögen und man muss diese Leute einfach mögen. Man muss eine prinzipielle, ja das ist vielleicht eine Kompetenz, man muss eine prinzipielle Herzenswärme für diese Menschen spüren.“ (Lukacs 2020: 79)

Betont wird auch, dass die Kompetenz zur Kommunikation nicht nur die Kommunikation mit Klient*innen betrifft:

„Da geht’s einfach drum, dass man davon ausgeht, die sind alleine unterwegs, die arbeiten mit dem Familiensystem, ähm die müssen ihre Fallgeschichten bearbeiten, müssen vernetzen können, müssen mit Sozialarbeiterinnen reden können, sprich die brauchen eine ganz eine hohe kommunikative Kompetenz“. (Lukacs 2020: 79f.)

Die meisten Interviewpartner*innen verstehen unter der kommunikativen Kompetenz auch die Fähigkeit, mehrere Sprachen sprechen zu können.

Die folgenden Überlegungen decken sich mit der ‚professionellen pädagogischen Handlungskompetenz‘ nach Wolfgang Nieke, einem bedeutenden Erziehungswissenschaftler im deutschsprachigen Raum. Er geht davon aus, dass kommunikative Kompetenz ein hohes Vermögen an grammatischem und lexikalischem Sprachverständnis bedeutet: „Kompetenz für Kommunikation meint in einem engeren Sinne Sprachkompetenz, d.h. grammatisches und lexikalisches Vermögen zu Sprachverständnis und zum Umgang mit der Sprache.“ (Nieke 2012: 17)

Nieke (2012: 15) sieht in der Sprachkompetenz einen Zusammenhang zum sozialen Handeln. Er meint, eine Handlungskompetenz kann nur dann entstehen, wenn Personen auch sozial Handeln können. Wichtig dabei ist, dass Nieke hierfür nicht nur das Handeln in direkten Interaktionen meint, sondern auch die Fähigkeit zur schriftlichen Kommunikation (vgl. Nieke 2012: 15). Auch ein*e Interviewpartner*in hebt die Fähigkeit, gut Schreiben zu können, hervor. Dabei nimmt er*sie vor allem Bezug auf die Dokumentation, die in diesem Bereich sehr spezifisch und gut formuliert sein muss, weil diese auch die Grundlage bei Überprüfungen ist.

Im Zusammenhang mit der kommunikativen und sozialen Kompetenz steht für Nieke auch die Wahrnehmungskompetenz. Darunter versteht er die „[…] weiter zu entwickelnde Sensibilität für die Handlungssituation als soziale Interaktion, in der verschiedene Menschen in einer Gruppe miteinander handeln.“ (Nieke 2012: 17) Ohne Wahrnehmungskompetenz ist die Interaktions- und Kommunikationskompetenz nicht verstehbar. Es geht um die Fähigkeit, sich in andere Personen hineinversetzen zu können, Empathie zu zeigen und Rollen übernehmen zu können. Diese Fähigkeiten sind laut Nieke bei Personen, die im sozialen Feld tätig sind, Teil ihrer Persönlichkeit und sollten nicht mehr erlernt werden müssen, sondern eher erweitert (vgl. Nieke 2012: 17). Die von Nieke beschriebene Wahrnehmungskompetenz wird von den Interviewpartner*innen als Haltung benannt. Haltung wird im Zusammenhang mit dem Fachkonzept der Sozialraumorientierung immer wieder benützt, um hervor zu heben, dass es um den Willen der Klient*innen geht und das Auftreten der Mitarbeiter*innen der Flexiblen Hilfe sich darin äußert, dass sie die Klient*innen als Expert*innen ihrer Lebenswelt sehen.

Als zentrale Kriterien für die Arbeit im Bereich der Flexiblen Hilfe wurden von den Interviewpartner*innen die individuelle Selbstverantwortung sowie Selbstorganisation genannt. Schwarz und Beck (1997: 97) geben zu bedenken, dass es für die Umsetzung dieser Fähigkeiten eine Organisation braucht, die zum selbstständigen Denken und Handeln anregt. Denn nur so können Mitarbeiter*innen der Flexiblen Hilfe auch ihre Klient*innen dazu bringen, selbständig und selbstorganisiert aktiv zu werden, um ihre Probleme zu lösen. Dieser Aspekt wird auch durch ein*e Interviewpartner*in bestärkt, der*die meint, dass die Selbstorganisation der Zeiteinteilung zentral ist:

„Die Bereitschaft und Fähigkeit, selbständig zu arbeiten und sich zu organisieren. Weil, ja, klassischen Dienstplan gibt’s keinen. Klassisch volle Verlässlichkeit, also jemand der mich ständig anruft und Termine absagt, das ist halt auch nicht.“ (Lukacs 2020: 82)

Die Bewerber*innen müssen die Fähigkeit mitbringen, sich selbst zu organisieren und dabei verlässlich, ohne ständige Rücksprache mit der Teamleitung zu handeln. Diese Aussage lässt sich mit der Definition von Selbstverantwortung nach Sprenger, als Bereitschaft engführen, „[…] auch dort Zuständigkeit wahrzunehmen, wo sie nicht vorher in einer klar abgegrenzten Aufgabenverantwortung normiert ist“ (Sprenger 2013: 90). Gerade in der Flexiblen Hilfe sind Ziele vorgegeben, wie diese jedoch erreicht werden sollen, muss teilweise von den Mitarbeiter*innen der Flexiblen Hilfe im jeweiligen Moment entschieden werden.

Sprenger (2013: 93f.) betont, dass selbstverantwortliches Handeln einer*s Mitarbeiters*in von Führungskräften nicht reglementiert werden kann. Dieses Verhalten wählt die Person selbst und will es auch umsetzen. Sprenger ist außerdem der Meinung, dass von selbstverantwortlichen Mitarbeiter*innen nur dann Selbstverantwortung erwartet werden kann, wenn die Führungskräfte ihr eigenes Menschenbild hinterfragen. Das heißt, Führungskräfte müssen selbstverantwortliche Menschen in ihrer Organisation wollen. Dabei können sie sich folgende Frage stellen: Wollen sie Menschen in ihrer Organisation anstellen, die von sich aus eigenständig handeln und dabei das Wohlergehen der Organisation im Blick haben? Wenn dem so ist, müssen Führungskräfte auch Strukturen schaffen, in denen dieses Verhalten möglich ist. Es gilt, Menschen das Gefühl zu vermitteln, dass man ihnen etwas zutraut, denn nur so können Potenziale verwirklicht und Verantwortung für sich selbst und das eigene Handeln übernommen werden.

Spannend dabei ist der Aspekt, dass man in der Arbeit der Flexiblen Hilfe anstrebt, von der Familie nicht mehr gebraucht zu werden. Die Familien sollen in ihre Eigenverantwortung geführt werden. Um dies gut vermitteln zu können, gilt es auch, eigenverantwortliches Handeln in der Organisation zu leben. Sprenger meint hierzu, dass es Sinn macht, sich als Führungskraft immer zu fragen: Was wäre, wenn ich nicht da wäre? Würden die Mitarbeiter*innen dann in die Selbstverantwortung kommen? Es gilt sowohl auf Ebene der Führungskraft als auch in der Arbeit als Flexible Hilfe, Entbehrlichkeit anzustreben, um Selbstverantwortung zu fördern (vgl. Sprenger 2013: 93f.). „Selbstverantwortung meint daher im Kern ein autonomes und freiwilliges Handeln; ein Wählen, ein initiatives und engagiertes Handeln; ein Wollen, ein kreatives und schöpferisches Handeln; ein Antworten.“ (Sprenger 2013: 91)

Ein hohes Maß an Selbstverantwortung und Selbstorganisation ist ein wesentliches Kriterium, das von fast allen Interviewpartner*innen genannt wird. Damit einher geht die Flexibilität. Dieses Kriterium ist naheliegend, da es bereits in der Berufsbezeichnung vorhanden ist. Flexibilität wird vom Großteil der Interviewpartner*innen auf die flexible Arbeitszeitgestaltung bezogen. Dabei wird betont, dass zum einen die meiste Arbeit in den Nachmittag fällt, zum anderen gibt es keine klaren Arbeitszeiten, weshalb auch einmal länger als geplant gearbeitet werden muss. Ein weiterer Aspekt der Flexibilität ist die Bereitschaft, flexibel über das erlernte Berufsfeld hinaus zu arbeiten. Nur eine Interviewpartner*in beschreibt Flexibilität als Anpassungsfähigkeit. Eine andere interviewte Person umschreibt die Flexibilität bzw. Anpassungsfähigkeit, die es in der Arbeit der Flexiblen Hilfe braucht, als Kreativität.

Zusätzlich müssen Mitarbeiter*innen in der Flexiblen Hilfe entsprechend den Wünschen der Arbeitgeber*innen die Offenheit haben, sich kritisch mit dem Fachkonzept der Sozialraumorientierung auseinanderzusetzen und sich dahingehend weiterzubilden. Dieser Aspekt kann als Lernbereitschaft gefasst werden. Diese Offenheit bzw. Lernbereitschaft setzt voraus, dass die Reflexionsfähigkeit im Mittelpunkt des Arbeitens steht und das eigene Handeln kritisch hinterfragt wird, um aus Fehlern zu lernen. Nieke versteht unter Reflexionskompetenz „[…] die Fähigkeit zu komplexem und kritischem Denken und die Fähigkeit zur Selbstreflexion […]“ (Nieke 2012: 18). Neben dem Infragestellen des eigenen akademischen Wissens, umfasst Selbstreflexion für Nieke auch die Fähigkeit, Alltagswissen durch Analyse und Nachdenken zu reflektieren (vgl. Nieke 2012: 19).

Fürst/Hinte (2017) weisen in ihrer Beschreibung von Sozialraumorientierung und dem Prinzip, sich am Willen der Klient*innen zu orientieren, darauf hin, dass Soziale Arbeit sich unter anderem durch eine hohe Reflexionskompetenz ausweist. Diese wird in der sozialräumlichen Arbeit immer wieder auf die Probe gestellt, da man sich fragen muss, ob man immer noch am Willen der Klient*innen arbeitet oder eher an den eigenen Werten und Vorstellungen. Denn nur durch Professionist*innen, die das eigene Handeln immer wieder reflektieren, so meinen die Autoren, können Klient*innen dazu befähigt werden selbstbestimmt zu handeln.

Für die Interviewten stellen neben den Muss-Anforderungen auch die Soll-Anforderungen Kriterien für eine passgenaue Personalauswahl dar. Dabei handelt es sich um unterschiedliche Fähigkeiten und Erfahrungen der Mitarbeiter*innen, die sich positiv auf die zu erbringende Dienstleistung und das gesamte Team auswirken können. Dadurch entsteht die von vielen Interviewpartner*innen gewünschte Teamvielfalt, welche sowohl durch Multiprofessionalität als auch durch die persönlichen Erfahrungen dazu beiträgt, dass den Familien passgenau Mitarbeiter*innen zugeteilt werden. Zusätzlich wird Rücksicht auf die Berufserfahrung und persönliche Erfahrung der Mitarbeiter*innen genommen.

Um eine gute Teamvielfalt zu haben, sollte im Vorhinein festgestellt werden, wer in der Teamkonstellation gerade gebraucht wird. Von Bedeutung sind die Erfahrungen und Grundqualifikationen sowie die Geschlechterzusammensetzung eines bestehenden Teams. Eine interviewte Person übt Kritik daran, dass Menschen mit langer Berufserfahrung im Rahmen der Leistungsvergabe nicht finanzierbar sind. Die eigene Rolle in einem Team wird von den Personalverantwortlichen hinterfragt, weil Teamfähigkeit vor allem im Rahmen des Vier-Augen-Prinzips wichtig ist. Das Konzept der Sozialraumorientierung wird von den Personalverantwortlichen sowohl in Hinblick auf die Muss- als auch auf die Soll-Anforderungen mitbedacht und nimmt einen hohen Stellenwert ein.


3. Passgenauigkeit in der Personalauswahl

Die dargestellten Ergebnisse über Muss- und Soll-Anforderungen zeigen, dass Personalauswahl immer mit dem Anspruch auf Passgenauigkeit vonstattengeht, so auch in der Personalauswahl der Flexiblen Hilfe. Die Besonderheit des Arbeitsfeldes ist die benötigte Vielfalt, um die Diversität der Familien abzubilden.

Die genannten Muss- und Soll-Anforderungen ergeben einen Kriterienkatalog, der zur passgenauen Auswahl für Mitarbeiter*innen in der Flexiblen Hilfe herangezogen werden kann. In der Masterarbeit wurden diese Anforderungen den fünf Prinzipien von Wolfgang Hinte1 gegenübergestellt und Maßnahmen für den Prozess der Personalauswahl generiert. Die generierten Kriterien lassen sich den fünf Prinzipien der Sozialraumorientierung wie folgt zuordnen:

Abbildung 2
Abbildung 2: Erkenntnisse verknüpft mit den fünf Prinzipien nach Hinte (eigene Darstellung).


So wie die Prinzipien der Sozialraumorientierung nur miteinander und nicht getrennt voneinander betrachtet werden können, sind die entwickelten Kriterien insgesamt relevant, um passgenaue Hilfe leisten zu können. Die interviewten Personen betonen, dass es keine*n idealtypische*n Mitarbeiter*in in der Flexiblen Hilfe geben kann. Der entworfene Kriterienkatalog kann Personalverantwortliche zukünftig beim Bewerbungsgespräch unterstützen.

„Der Interviewer soll also die Kompetenzen feststellen, um möglichst genau vorherzusagen, wie sich der Bewerber einmal später im Beruf verhalten wird.“ (Bauer/Aigner 2008: 117) Denn bei der Konstruktion einer passgenauen Hilfe für eine Familie fallen neben den sozialräumlichen auch die personellen Ressourcen ins Gewicht. Um am Willen und dem Interesse der leistungsberechtigten Menschen arbeiten zu können, bedarf es Offenheit, Haltung und einer kommunikativen Kompetenz. Diese Kriterien können in einem strukturierten Bewerbungsgespräch mit situativen Fragen bzw. dem situativen Dreieck eingeschätzt werden. Eine interviewte Person gibt zu bedenken, dass man spezifisch nach der erwünschten Haltung im Rahmen der Sozialraumorientierung fragen könne. Durch diese Frage würde deutlich, ob sich der*die Bewerber*in mit der Ausschreibung und dem Konzept an sich beschäftigt hat.

Lernbereitschaft wird von allen Interviewten als Voraussetzung für die aktivierende Arbeit, dem zweiten Prinzip in der Sozialraumorientierung, gesehen. Die Notwendigkeit der Lernbereitschaft ergibt sich aus der Vielfältigkeit der betreuten Familien. Alle Familien sind sehr unterschiedlich. Folglich müssen Mitarbeiter*innen in der Flexiblen Hilfe die Fähigkeit haben, sich immer wieder neu einstellen zu können, und sie müssen die Lernbereitschaft besitzen, von Expert*innen der eigenen Lebenswelten dazu zu lernen. Dazu gehört die Bereitschaft, die Klient*innen die Gesprächssettings mitgestalten zu lassen. Fachkräfte sind nicht die Expert*innen der Lebenswelten der Familien, sondern die ‚Gäste der Betroffenen‘. Mitarbeiter*innen der Flexiblen Hilfe sollen durch ihr Verhalten den Betroffenen die Stärke und Sicherheit als Gastgeber*in überlassen und somit auch deren Würde erhalten (vgl. Früchtel/Budde/Cyprian 2013: 28f.). Auf diese Weise können Mitarbeiter*innen der Flexiblen Hilfe aktivierend arbeiten. Dieser Meinung sind auch die Interviewpartner*innen, die besonders die Lernbereitschaft in Hinblick auf die Umsetzung des Fachkonzepts sowie fortwährende Weiterbildung fordern. Ebenfalls ist die Weiterbildung der Mitarbeiter*innen als Qualitätsmerkmal der Organisationen zu sehen.

Ein weiteres Kriterium, das zum zweiten Prinzip der Sozialraumorientierung passt, ist die Flexibilität. Die Flexibilität bezieht sich stark auf die Flexibilität der Arbeitszeiten, die zur Aktivierung der zu unterstützenden Person beiträgt. Durch flexible Arbeitszeiten sind Mitarbeiter*innen in der Lage, die Unterstützung dann passgenau anzubieten, wenn es den alltäglichen Bedürfnissen der Familien entspricht. Damit trägt diese Form der Flexibilität entscheidend zur Aktivierung der zu unterstützenden Person bei. Des Weiteren wird von einer interviewten Person betont, dass Flexibilität auch mit sich bringt, über das erlernte Berufsfeld hinweg zu arbeiten, also die eigene Berufsvorstellung und das damit verbundene Tätigkeitsbild als Ressource zu sehen und sich nicht darauf zu versteifen. Dieser Aspekt lässt die Mitarbeiter*innen der Flexiblen Hilfe aktivierend mit den eigenen Vorstellungen und somit auch mit den Klient*innen arbeiten.

Daran schließt sich als Kriterium die Reflexionsfähigkeit an, die ebenso zum zweiten Prinzip der aktivierenden Arbeit passt. Solange man das eigene Tun und Handeln professionell reflektieren kann, weiß man zum einen, was einen selbst aktiviert, und zum anderen kann man die gesetzten Maßnahmen auf ihren Erfolg hin hinterfragen. Die Bereitschaft, zu reflektieren und eigene Fehler einzugestehen, wird in den geführten Interviews betont. Daraus ergibt sich, dass man in Bewerbungsgesprächen herausfinden sollte, wie eine Person über die eigene Arbeit und die Leistungen der Betreuten denkt und welchen Umgang sie mit allfällig gemachten Fehlern hat. Hierfür kann man sich zum Beispiel Ereignisse aus dem vergangenen Berufsalltag beschreiben lassen und fragen, wie Bewerber*innen heute damit umgehen würden.

Das vierte und das fünfte Prinzip nach Hinte (2006: 9) besagen, dass es für gelingende Einzelfallhilfe einerseits die Vernetzung, andererseits die Zusammenführung unterschiedlicher sozialer Dienste braucht. Das sind Tätigkeiten, die über die direkte Interaktion mit den Familien hinaus angelegt sind. Die Mitarbeiter*innen der Flexiblen Hilfe brauchen sowohl die Fähigkeit der Selbstorganisation und Selbstverantwortung als auch ein hohes Maß an Kommunikations- und Beziehungskompetenz. Denn jede*r Mitarbeiter*in im Sozialraum ist bei der Fallübernahme selbst dafür verantwortlich, sich mit den unterschiedlichen Akteur*innen des Falles zu vernetzen. Die Vernetzung erfolgt innerhalb der privaten Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, den Arbeitsgemeinschaften und mit allen weiteren Akteur*innen der sozialen Dienste, die mit der Familie zu tun haben. Das können Schulen, Kindergärten, Familienentlastungsdienste, Therapeut*innen, Vereine etc. sein. Oft erleben wir in der Praxis, dass Familien von verschiedenen sozialen Diensten betreut werden, die voneinander wenig wissen. Je besser ein fallübergreifender Austausch stattfindet, desto besser können Ressourcen genutzt werden.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass es im Rahmen der Personalauswahl für die Flexiblen Hilfe ratsam ist, sich die fünf Prinzipien nach Hinte (2006: 9) noch einmal konkret zu vergegenwärtigen, um einerseits die Stärken der bestehenden Mitarbeiter*innen und andererseits die Bedarfe in einem differenzierten Anforderungsprofil herauszuarbeiten. Im Bewerbungsgespräch sollen die zuvor festgelegten Kriterien abgefragt werden. Ist die passende Person gefunden, gilt es, den Personaleinstieg strukturiert vorzubereiten, damit der*die neue Mitarbeiter*in die Möglichkeit hat, die zuvor angekündigten Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.


4. Ausblick

Die Personalauswahl in der Flexiblen Hilfe ist dann passgenau, wenn der Prozess der Personalauswahl die Feststellung der benötigten Kompetenzen gewährleistet. Die Passgenauigkeit der Hilfe unterscheidet sich von der Passgenauigkeit der Mitarbeiter*innen für die Leistungserbringung. Dabei wird die Passgenauigkeit vor allem weg von der individuellen Passgenauigkeit der*s Mitarbeiter*in gedacht und hin zur Passgenauigkeit ins Team, das eventuell selbst nur durch eine hohe Vielfalt passgenau sein kann. Diese Teamvielfalt wurde von mir in Bezug zum Fachkonzept der Sozialraumorientierung gesetzt, welches sich vor allem am Willen der Klient*innen orientiert.

Ein Kriterienkatalog, verknüpft mit den fünf Prinzipien der Sozialraumorientierung, erlaubt die Systematisierung von Anforderungen an die Personen, die in der Flexiblen Hilfe tätig sind. Das ist nicht nur sinnvoll, es trägt auch zur Qualität bei. Denn die große Vielfalt an Anforderungen an die Persönlichkeit, das fachliche Wissen, das Methodenrepertoire und die gute Selbst- und Arbeitsorganisation tragen zur Qualität bei. Offen ist, wie genau die privaten Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe die geforderten Kriterien im Rahmen des Auswahlprozesses erfragen. Diesen Aspekt in einer weiteren Forschung zu untersuchen, wäre besonders interessant.

Auch wenn von keiner idealtypischen Mitarbeiter*in in der Flexiblen Hilfe ausgegangen werden kann, ist es sinnvoll, eine detaillierte Aufgaben- und Erwartungsbeschreibung zu erstellen, die detailliertere Angaben umfasst als nur die Forderung, sich in der Flexiblen Hilfe vor allem am Willen und den Zielen der Klient*innen zu orientieren. Ein Kompetenzmodell ermöglicht nach Leinweber (2008: 152), dass sich die Strategie eines Unternehmens langfristig besser umsetzen lässt. Durch einen klaren Zugang und die Verfolgung eines Kompetenzmodelles gelingt es, die Organisation gut für zukünftige Herausforderungen fit zu machen, da ein Kompetenzmodell die Verhaltensweisen von Mitarbeiter*innen beeinflussen kann (vgl. Leinweber 2008: 152). Neben dem Kriterienkatalog stellt das Kompetenzmodell die Grundlage für eine passgenaue Personalauswahl dar, die in der Personal- und Organisationsentwicklung weitergeführt werden soll. Wünschenswert wäre, dass der Aspekt der Personal- sowie Organisationsentwicklung in Zukunft im Rahmen der Flexiblen Hilfe noch an Bedeutung gewinnt.


Verweis
1 Das Fachkonzept der Sozialraumorientierung folgt fünf Prinzipien, die nach Hinte sind: „1. Ausgangspunkt jeglicher Arbeit sind der Wille / die Interessen der leistungsberechtigten Menschen (in Abgrenzung zu Wünschen oder naiv definierten Bedarfen). 2. Aktivierende Arbeit hat grundsätzlich Vorrang vor betreuender Tätigkeit. 3. Bei der Gestaltung einer Hilfe spielen personale und sozialräumliche Ressourcen eine wesentliche Rolle. 4. Aktivitäten sind immer zielgruppen- und bereichsübergreifend angelegt. 5. Vernetzung und Integration der verschiedenen sozialen Dienste sind Grundlage für funktionierende Einzelhilfen.“ (Hinte 2006: 9)


Literatur

Bauer, Christian/Aigner, Ulrike (2008): Der Weg zum richtigen Mitarbeiter: Personalplanung, Suche, Auswahl und Integration; praxisorientierter Leitfaden mit arbeitsrechtlicher Begleitung. Wien: Linde.

Böhm, Wolfgang/Poppelreuter, Stefan (2009): Bewerberauswahl und Einstellungsgespräch: Leitfaden für die Praxis aus psychologischer und arbeitsrechtlicher Sicht. Bearb. und erw. Aufl. Berlin: Erich Schmidt.

Fürst, Roland/ Hinte, Wolfgang (2017): Sozialraumorientierung: Ein Studienbuch zu fachlichen, institutionellen und finanziellen Aspekten. Wien: Facultas.

Früchtel, Frank/Budde, Wolfgang/Cyprian, Gudrun (2013): Sozialer Raum und Soziale Arbeit. Fieldbook: Methoden und Techniken. Wiesbaden: Springer VS.

Hinte, Wolfgang (2006): Geschichte, Quellen und Prinzipien des Fachkonzepts „Sozialraumorientierung“ (Einleitung). In: Budde, Wolfgang/Früchtel, Frank/Hinte, Wolfgang (Hg.): Sozialraumorientierung. Wege zu einer veränderten Praxis. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 7–24.

Leinweber, Stefan (2008): Etappe 3: Kompetenzmanagement. In: Meifert, Matthias T. (Hg.): Strategische Personalentwicklung. Ein Programm in acht Etappen. Berlin/Heidelberg: Springer, S. 145–179.

Lukacs, Sophie (2020): Passgenaue Personalauswahl in der Flexiblen Hilfe. Eine explorative Studie zur Bestimmung von Kriterien im Rahmen der Personalauswahl. Unveröffentlichte Masterarbeit. FH Joanneum, Graz.

Nieke, Wolfgang (2012): Kompetenz und Kultur. Beiträge zur Orientierung in der Moderne. Wiesbaden: Springer VS.

Schwarz, Gotthart/Beck, Reinhilde (1997): Personalmanagement. Alling: Sandmann.

Sprenger, Reinhard K. (2013): An der Freiheit des anderen kommt keiner vorbei. Das Beste von Reinhard K. Sprenger. Frankfurt/Main: Campus.


Über die Autorin


Sophie Lukacs, BA MA
sophie.lukacs@yahoo.de

Bachelorstudium der Europäischen Ethnologie an der Karl-Franzens-Universität Graz und Masterstudium für Soziale Arbeit an der FH JOANNEUM Graz. Berufserfahrung als diplomierte Sozialpädagogin in unterschiedlichen Feldern der ambulanten als auch stationären Kinder- und Jugendhilfe und derzeit als Schulsozialarbeiterin in einer Mittel- und einer Volksschule in Graz tätig.