soziales_kapital
wissenschaftliches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit
Nr. 25 (2021) / Rubrik „Rezensionen“ / Standort St. Pölten
Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/view/735/1360.pdf


Falter, Matthias (2019): Die Grenzen der Demokratie. Politische Auseinandersetzung um Rechtsextremismus im österreichischen Nationalrat. Baden: Nomos.


289 Seiten / EUR 60,70


Der Politikwissenschaftler Matthias Falter setzt sich in Die Grenzen der Demokratie, der publizierten Fassung seiner Dissertation, mit demokratischer Kultur in Bezug auf Rechtsextremismus im österreichischen Nationalrat auseinander. Von der Überlegung ausgehend, dass der parlamentarische und politische Umgang mit dem Thema den Zustand der demokratischen Kultur einer Gesellschaft prägt und spiegelt, untersucht er parlamentarische Debatten und den Umgang des Parlaments mit extrem rechten Wortmeldungen und Ideologien von 1999 bis 2003. Diese ordnet er anhand von Frames oder Rahmungen ein. Frames dienen dabei der Problemdefinition, zeigen aber ebenso Auslassungen auf.

Falter stellt seiner Untersuchung eine Darstellung zu politischer Theorie, Demokratie und Parlamentarismus voran. Das Parlament versteht er dabei als einen Ort, der Gesellschaft repräsentiert und an welchem politische Kämpfe ausgetragen werden: „Das Parlament als institutionalisierter Raum ist die sichtbarste Arena öffentlicher, politischer Auseinandersetzung in demokratischen Gesellschaften“ (S. 89). Um den politisch-kulturellen Kontext zu erfassen, ist die Auseinandersetzung mit der österreichischen nationalsozialistischen Vergangenheit wichtig. Dazu hält der Autor fest: „Wenn über den Nationalsozialismus gesprochen wurde, war die Selbstdarstellung als ‚Opfer‘ das zentrale geschichtspolitische Erklärungsmodell der Zweiten Republik und ihrer politischen Eliten[…].“ (S. 93)

Rechtsextremismus begreift er als den Begriff, welcher sich zur Benennung extrem rechter Ideologien durchgesetzt hat. Falter beschreibt, wo in der Politik und in der Bevölkerung Rechtsextremismus verortet wird und welche Reaktionen dieser medial und behördlich auslöst. Er unterstreicht, dass rechtsextreme Diskurse zu sozialer Ungleichheit führen. Ein wichtiges ideologisches Prinzip des Rechtsextremismus ist dabei die „Überhöhung nationaler ethischer und/oder kultureller Gemeinschaft“ (S. 15). Falter stellt fest, dass die politischen Reaktionen auf rechtsextreme Äußerungen durchaus ambivalent ausfallen. Während einerseits an einem grundlegenden Konsens hinsichtlich der Verhinderung von Rechtsextremismus und Antisemitismus festgehalten wird, werden rechtsextreme Positionen in der Politik auch legitimiert.

Falter stellt klar, dass die Verortung von Rechtsextremismus im politischen Diskurs am „Rand der Gesellschaft“ zwar eine aktive Abgrenzung darstellt, zugleich jedoch auch eine Externalisierung stattfindet. Denn Fakt ist: Rechtsextreme Positionen finden sich auch in der sogenannten Mitte der österreichischen Gesellschaft. Wobei sich diese Mitte auch durch die Legitimierung extrem rechter Positionen im Nationalrat verschiebt und keine festgeschriebene, sondern vielmehr eine diskursive Position darstellt. Die Auseinandersetzung der Politik mit rechtsextremen Positionen hat dementsprechend auf die gesellschaftliche Sensibilität dem gegenüber Auswirkungen. Der Nationalrat gilt hier insbesondere als Ort, an dem Positionen legitimiert werden und die Grenzen des Demokratischen ausgehandelt werden. Anhand der Analyse der Reden im Nationalrat hat Falter vier Frames herausgearbeitet.

(1) Den geschichtspolitischen Frame, also Debatten zum Thema Rechtsextremismus, die mit dem geschichtlichen Hintergrund und der NS-Vergangenheit Österreichs stark verbunden sind. In diesem Teil von Falters Arbeit werden geschichtspolitische Bezüge in Argumenten zu Rechtsextremismus aus dem Nationalrat analysiert. (2) Den ordnungslogischen Frame. Hier drehen sich die Debatten häufig um die Frage, inwiefern Rechtsextremismus eine Gefahr für die Demokratie darstellt. Das Extreme wird so am Rand der Gesellschaft verortet und als Gefahr für die öffentliche Ordnung gesehen. Anhand dieses Frames beschreibt Falter, wie eine Grenzziehung zwischen politischer Mitte und Extreme gezogen wird, um so eine ordnungslogische Rahmung zu schaffen. Mit dem (3) identitätspolitischen Frame zeigt Falter, dass die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus auch eine identitätspolitische Dimension hat: „Zentrale Motive dieses argumentativen Rahmens sind […] Selbstverständnis, Wohl und Einheit des politischen bzw. nationalen Kollektivs und des Staates“ (S. 215f. Beim (4) demokratiepolitischen Frame schließlich geht es darum, wie in parlamentarischen Debatten ein demokratiepolitischer Konsens gesucht wird – auch indem Rechtsextremismus als Gegenteil von Demokratie gesehen und somit dem „Anderen“ zugeordnet wird. Demokratie ist dabei der Grundkonsens, der so auch von allen Parteien in ihren Ausgestaltungen beansprucht wird.

Die Grenzen der Demokratie gibt Einblicke in die Debatten des österreichischen Nationalrats und den Umgang der Politiker*innen und Bürger*innen mit Rechtsextremismus. Falter kommt zu dem Schluss, dass die Grenze des Sagbaren sich sukzessive erweitert, indem die politische Mitte verschoben wird. Extrem rechte Positionen in dieser gesellschaftlichen Mitte werden wenig thematisiert, viel mehr dominiert entsprechend der ordnungslogischen Rahmung die Position: alles was nicht strafbar ist, ist legitim. Rechtsextremismus wird dabei häufig mit der nationalsozialistischen Vergangenheit Österreichs gleichgesetzt. Als rechtsextrem werden in dieser politischen Kultur somit nur Positionen bezeichnet, die beispielsweise gegen das Verbotsgesetz verstoßen. Andere Formen geraten dabei aus dem Blick. Das führt in weiterer Folge dazu, dass eine Auseinandersetzung mit modernem Rechtsextremismus häufig nicht stattfindet.

Falters Arbeit zeigt auf, dass extrem rechte Positionen im Nationalrat eine hohe Komplexität aufweisen. Zum einen werden immer wieder rechtsextreme und auch antisemitische Positionen vertreten und dahingehende Standpunkte geäußert, zum anderen gibt es oft keine nachhaltige Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus an sich. Diese fehlende Auseinandersetzung wirkt sich auf das politische Zusammenleben in der Zukunft aus. In diesem Zusammenhang ist auch der Umgang mit der Geschichte Österreichs und der nationalsozialistischen Vergangenheit zu sehen.

Sich mit der Thematisierung von Rechtsextremismus in der Politik zu beschäftigen, hilft aus meiner Sicht, (politische) Reaktionen auf aktuelle rechtsextreme Positionen besser verstehen zu können und dahinterliegende Muster sowie Strukturen zu erkennen. Dies sehe ich vor allem für die Soziale Arbeit als wertvolles Wissen an. Für eine Profession, die sich sowohl wissenschaftlich als auch in der praktischen Arbeit mit rechtsextremen Positionen und deren Auswirkungen auseinandersetzen muss, ist es aus meiner Sicht essentiell, zu verstehen, wie Themen politisch verhandelt werden. Die Auseinandersetzung österreichischer Sozialarbeit mit rechtsextremen Phänomenen wird im Fachdiskurs nach wie vor kaum besprochen. Grundlagenwerke wie dieses können vertiefendes Verständnis für die politische Aushandlung rechtsextremer Phänomene schaffen. Zwischen gesellschaftlicher Verpflichtung, professionellen Grundlagen und Klient*innenorientierung braucht es sowohl Wissen wie auch eine klare Haltung, um Handlungsfähigkeit herzustellen und einen positiven Beitrag zur Entwicklung demokratischer Kultur zu leisten.



Julia Kopf / juliakopf96@gmail.com