soziales_kapital
Maria Anastasiadis
. “
Soziale Unternehmen: Akteur_innen Sozialer Innovation. Eine Spurensuche
.” soziales_kapital, no. 26
(2022). Rubrik „ema“. Graz. Printversion:
https://soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/view/743/1377
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Soziale Unternehmen:
Akteur_innen Sozialer Innovation
Eine Spurensuche
Maria Anastasiadis
Soziale Innovation
26. Ausgabe Juni 2022
Zusammenfassung
Dieser Beitrag geht der Frage nach, was Soziale Unternehmen zur Sozialen Innovation beitragen können. Dazu
werden zunächst die Begrie Soziale Innovation und Soziale Unternehmen geklärt und Verbindungslinien
zwischen den beiden Konzepten auf theoretischer Ebene gesucht. Diese werden anschließend auf Basis von
Forschungsarbeiten zur Entwicklung von Sozialen Unternehmen in Österreich konkretisiert und mit Beispielen
aus der Sozialen Arbeit illustriert. In den Forschungsergebnissen lassen sich vielfältige Spuren Sozialer
Innovation erkennen, die sich insbesondere auf die Entwicklung bedarfsorientierter Lösungen beziehen.
Erkennbar wird zudem, dass kontextuelle Faktoren förderlich oder hemmend auf diese Innovationsleistungen
wirken.
Schlagworte:
Soziale Unternehmen, Soziale Innovation, Soziale Arbeit, österreichische Entwicklungsdynamik,
innovationsfördernde und -hemmende Faktoren
Abstract
This article explores the contribution of social enterprises to social innovation. Starting with a clarication
of the terms social innovation and social enterprises, linkages between the two concepts are sought on a
theoretical basis. Afterwards, these connections are concretized on the basis of research on the development
of social enterprises in Austria. Thereby, examples from social work are illustrated. In the development
processes, various traces of social innovation can be identied, which relate in particular to the development
of needs-oriented solutions. It also becomes apparent that contextual factors have a promoting or inhibiting
eect on these innovative achievements.
Keywords:
social enterprises, social innovation, social work, development in Austria, factors promoting and
inhibiting innovation
1
Einleitung
Soziale Innovation und Soziale Unternehmen, beide Konzeptionen weisen lange Traditionslinien auf, erfuhren
allerdings erst in den 1990er Jahren und nahezu zeitgleich erhöhte Aufmerksamkeit in wissenschaftlichen und
politischen Diskursen. So reichen die Spuren von Sozialen Unternehmen bis ins 19. Jahrhundert zurück (vgl.
Pennerstorfer/Schneider/Badelt 2013: 55), jene von Sozialer Innovation sogar bis ins 18. Jahrhundert (vgl.
Drucker 1957: 22). Ihre Entwicklungen vollzogen sich zumeist im Schatten technologischer und ökonomischer
Modernisierungen und sie beziehen sich auf am Gemeinwohl orientierten Erneuerungen. Es sind v.a. die in
den 1980er Jahren mit dem Übergang von der Industrie- zur Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft
einhergegangenen gesamtgesellschaftlichen Veränderungen, die dazu führten, dass das ursprünglich auf
industrielle bzw. naturwissenschaftliche Entwicklungen reduzierte Innovationsparadigma sukzessive um die
soziale gesellschaftliche Innovationsdimension erweitert wurde (vgl. Howaldt/Schwarz 2010: 8). Da soziale
Innovationen Entwicklungsräumen bedürfen, rückten zeitgleich Soziale Unternehmen vermehrt in das
Licht wissenschaftlicher und politischer Diskurse. Sie werden als ein geeigneter Ort für Soziale Innovation
angesehen (vgl. Mulgan 2007: 27) und als Honungsträger für die Lösung gesellschaftlicher Probleme
identiziert (vgl. Rifkin 2003: 201).
Vor diesen Hintergründen gilt es zu fragen, was Soziale Unternehmen zur Sozialen Innovation beitragen
und welche Faktoren darauf Einuss nehmen. Dazu werden in einem ersten Schritt Verbindungslinien
zwischen Sozialer Innovation und Sozialen Unternehmen auf konzeptueller Ebene gesucht. Ausgehend
von einschlägigen Denitionen von Sozialer Innovation werden Merkmale einer solchen geltert. Diese
werden mit theoretisch hergeleiteten Charakteristiken von Sozialen Unternehmen in Verbindung gesetzt.
In einem zweiten Schritt werden diese Schnittstellen mit Blick auf Soziale Unternehmen in Österreich
konkretisiert. Dazu werden auf Basis von Forschungsarbeiten Entwicklungslinien sowie die Vielfalt Sozialen
Unternehmertums in Österreich grob skizziert und anhand von Beispielen aus Feldern der Sozialen Arbeit
illustriert. Dabei zeigen sich zum einen vielfältige Spuren Sozialer Innovation, zum anderen wird deutlich,
dass die Entwicklungen kontextueller Prägung sind. Welche Faktoren Soziale Innovationen insbesondere im
sozialen Dienstleistungsbereich beeinussen, wird im letzten Teil des Beitrages thematisiert.
2
Soziale Innovation und Soziale Unternehmen – Verbindungslinien
Die Diskurse zu Sozialer Innovation sind eng mit jenen zu Sozialen Unternehmen verbunden. Zu beiden
Konzeptionen liegt mittlerweile eine Vielzahl nationaler und internationaler Publikationen aus verschiedenen
Disziplinen wie z.B. den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften oder der Politikwissenschaft vor. Dennoch
bleiben die Konzepte nicht zuletzt aufgrund unterschiedlicher Blickrichtungen und Fokussierungen dius.
Es würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen, in die Tiefe der Diskurslandschaften einzutauchen. Daher
wird eine pointierte auf Grundlagen reduzierte Selektion getroen, um die Verbindungslinien von Sozialer
Innovation und Sozialen Unternehmen zu umreißen.
2.1
Soziale Innovation
Howaldt und Schwarz (2010: 8) zufolge ist Soziale Innovation kein spezisch denierter Fachbegri mit
eigenem Gegenstandsbereich, sondern eine „deskriptive Metapher“ die im Zusammenhang mit sozialem
und technologischem Wandel steht. Lurtz und Rüede (2012: 18–22) identizieren in einer umfassenden
Literaturanalyse sieben verschiedene Gegenstandsbereiche, auf die sich Soziale Innovationen beziehen: 1)
am Gemeinwohl orientierte Innovationen; 2) Innovationen, die soziale Praktiken und/oder gesellschaftliche
Strukturen ändern; 3) Innovationen im Rahmen der Stadt- und Gemeindeentwicklung; 4) Innovationen
zur Neuorganisation von Arbeitsprozessen; 5) die kulturelle Auadung technologischer Innovationen; 6)
Innovationen im Rahmen der Sozialen Arbeit; 7) Innovationen im Kontext von Social Media. In Anbetracht
der Vielfalt bezeichnen die Autoren Soziale Innovation als ein Dachkonstrukt, wobei die Gefahr besteht, dass
dieses durch die heterogene Bedeutungszuschreibung an Aussagekraft verliert. Um die Vielfalt zu sortieren,
wurde eine Dierenzierung in zwei grundlegende Konzeptualisierungen vorgenommen, unter denen die
unterschiedlichen Zugänge subsummiert werden können. Demzufolge wird zwischen einer normativen und
einer soziologischen Perspektive dierenziert (vgl. Schröer 2021: 8; Lurtz/Rüede 2012: 29).
In der normativen Lesart wird Soziale Innovation eng mit sozialer Gerechtigkeit und sozialer Inklusion in
Beziehung gesetzt. Es stehen die positiven Beiträge zum sozialen Wandel im Zentrum (vgl. Rehfeld/Terstriep
2014: 4), wie beispielsweise die Überwindung von Armut und das Wohlergehen der Menschen. Demgemäß
sind Soziale Innovationen auch etwas Normatives bzw. sozial Erwünschtes. Es ist v.a. das unzureichende
Funktionieren von Staat und Markt, das durch Soziale Innovation kompensiert werden soll, um die viel
zitierten grand societal challenges (von der alternden Gesellschaft bis zum Klimawandel) zu bewältigen (vgl.
Hochgerner/Lefenda/Pöchhacker-Tröscher 2011: 20). Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass dieses
Verständnis von politischer Seite als Methode und Lösung propagiert wird (vgl. Hofbauer 2016: 15). So
knüpft beispielsweise die Denition der OECD an dieses Verständnis an:
„Social innovation is [...] about satisfying new needs not provided for by the market
[…]. The key distinction is that social innovation deals with improving the welfare of
individuals and communities through employment, consumption and/or participation,
its expressed purpose being to provide solutions for individual and community
problems.“ (OECD 2011: 21)
Die soziologische Perspektive deniert in Bezugnahme auf neuere Sozialtheorien des Practical Turn (vgl.
Schatzki/Knorr-Cetina/von Savigny 2001) Soziale Innovation als Veränderung sozialer Praktiken und
gesellschaftlicher Strukturen. Beispielhaft für das soziologische Verständnis von Sozialer Innovation ist die
Denition von Howaldt und Schwarz (2010: 54):
„Eine soziale Innovation ist eine von bestimmten Akteuren bzw. Akteurskonstellationen
ausgehende intentionale, zielgerichtete Neukombination bzw. Neukonguration
sozialer Praktiken in bestimmten Handlungsfeldern bzw. sozialen Kontexten, mit dem
Ziel, Probleme oder Bedürfnisse besser zu lösen bzw. zu befriedigen, als dies auf der
Grundlage etablierter Praktiken möglich ist.“
Im Weiteren betonen die Autoren, dass es sich nur dann um eine soziale Innovation handelt, wenn sie sozial
akzeptiert wird und breit in die Gesellschaft bzw. in betreende Teilbereiche hineinwirkt, kontextabhängig
transformiert und sich als neue soziale Praxis routinisiert (vgl. ebd.). Gillwald (2000: 15) erweitert diese Sicht,
indem sie betont, dass es Ziel Sozialer Innovationen ist, gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen
und bessere als die vorherigen Lösungen zu entwickeln. Sie lassen sich weniger über absolute Neuartigkeit
als vielmehr über ihre Auswirkungen denieren. Diese können sich in unterschiedlichen Nutzendimensionen
ereignen (z.B. ökonomische, soziale, ökologische, kulturelle oder politische). Da jede Nutzendimension
eigenen Rationalitäten folgt und dementsprechend unterschiedliche Interessen und Zwecke mit Sozialer
Innovation verfolgt werden, können sie nicht per se als gut und wünschenswert für alle gelten. Ihr Nutzen
und ihre Wirkungen können je nach Standpunkt dierieren (vgl. Howaldt/Schwarz 2010: 61). So kann
beispielsweise eine sozialpolitische Entwicklung nachteilig auf ökonomische Belange wirken. Mitzudenken
ist allenfalls, dass die Wirkungen auch ungeplante Nebenwirkungen implizieren (vgl. Gillwald 2000: 21).
Während der normative Blick Soziale Innovation über das Was bzw. über das Ziel deniert, geht die
soziologische Perspektive zusätzlich auf das Wie resp. den Prozess ein, indem die Akteur_innen stärker in
den Mittelpunkt gerückt werden. Soziale Innovation wird nicht nur als kreative Antwort auf gesellschaftliche
Herausforderungen gesehen, sondern bringt auch neue Formen sozialer Beziehungen hervor (vgl. Schröer
2021: 8). Das wird insbesondere von Mulgan (2012: 35) hervorgehoben. Seine Denition liegt jener der
Europäischen Kommission zugrunde, in der das normative mit dem sozialwissenschaftlichen Verständnis
verbunden ist:
„Social innovation can be dened as the development and implementation of new
ideas (products, services and models) to meet social needs and create new social
relationships or collaborations. It represents new responses to pressing social
demands, which aect the process of social interactions. It is aimed at improving
human well-being. Social innovations are innovations that are social in both their
ends and their means.“ (European Commission 2013: 7)
Den Denitionen gemäß zeichnet sich Soziale Innovation durch die Merkmalsdimensionen Zielgerichtetheit,
Prozesshaftigkeit und Wirkungen aus. Mit Blick auf das Ziel gilt es, neue Wege zur Bewältigung gesellschaftlicher
Herausforderungen zu entwickeln, wobei sich diese auf unterschiedliche Nutzendimensionen und dierente
Ebenen (Mikro-, Meso- und Makroebene) beziehen können. Insofern sind Soziale Innovationen Elemente
des Sozialen Wandels (vgl. Howaldt/Schwarz 2010: 63).
Hinsichtlich des Prozesses steht die Wahrnehmung gesellschaftlicher Probleme, die bisher weder vom
Markt noch vom Staat gelöst werden konnten, am Beginn. Es ist ein bedürfnisorientiertes Handeln, an dem
unterschiedliche Akteur_innen beteiligt sind, wodurch auch neue Formen sozialer Beziehungen entstehen
wie beispielsweise Netzwerke oder Kooperationen. Dahingehend ist Partizipation ein wesentliches Element
Sozialer Innovation. Soziale Innovationen ereignen sich in der Regel in Organisationen (ökonomischen,
gemeinwohlorientierten oder öentlichen) aber auch in sozialen und zivilgesellschaftlichen Milieus (vgl. ebd.:
56). Diese sind eingebunden in den gesellschaftlichen Kontext, der innovationsförderlich aber auch -hinderlich
sein kann (vgl. Schröer 2021: 10–12). Der Prozess selbst impliziert die Entwicklung und Implementierung
einer neuen sozialen Idee sowie deren Verbreitung (vgl. Howaldt/Schwarz 2010: 64). Zentral ist, dass die
Veränderungen von betroenen Personen, sozialen Gruppen und Organisationen angenommen und genutzt
werden. Nur dann können sie als Soziale Innovation bezeichnet werden (vgl. ebd.: 66). Im Verlauf ist mit
Widerständen zu rechnen, da durch die Einführung von etwas Neuem Altes an Bedeutung verliert (vgl.
Schröer 2021: 7). Schumpeter (1912 zit.n. ebd.) spricht in diesem Zusammenhang von der „schöpferischen
Kraft der Zerstörung“. Die Verbreitungschancen sind gemäß Howaldt und Schwarz (2010: 67) i.d.R. in
Nischen am größten – also dort, wo bisherige Problemlösungen versagen. Beispielhaft zu nennen sind
nachhaltiger Konsum oder sozial verantwortliches Wirtschaften. Hinsichtlich der Wirkungen konstatieren
Kesselring und Leitner (2008: 21), dass Soziale Innovationen nicht an ökonomischen Erfolgskriterien
gemessen werden sollen, sondern an ihren Wirkungen, wobei diese durchwegs ambivalent wahrgenommen
werden. Die Bewertungsmaßstäbe variieren je nach Interessenslage und es können, wie bereits erwähnt,
auch nicht intendierte Nebenwirkungen mit Sozialen Innovationen verbunden sein.
2.2
Soziale Unternehmen
Zu Sozialen Unternehmen liegen ebenso wie zur Sozialen Innovation zahlreiche Konzepte vor, die
unterschiedlichen Traditionslinien folgen. Im Wesentlichen existieren in der internationalen Fachdiskussion
drei als klassisch einzustufende theoretische Ansätze: der amerikanische Non-Prot-Approach (siehe dazu
z.B. Salamon/Anheier 1997), der lateineuropäische Social-Economy-Approach (siehe dazu z.B. Borzaga/
Defourny 2001) und der die beiden anderen umschließende globale Third-Sector-Approach (siehe dazu
z.B. Evers/Laville 2004). Die drei Zugänge unterscheiden sich primär durch ihre spezische ökonomische
Blickrichtung. So legt der Non-Prot-Approach den Fokus auf Organisationen, die nicht gewinnorientiert
sind. Damit wird eine Vielzahl an Organisationen ausgeklammert, die über den Verkauf von Produkten
und Dienstleistungen am Markt Gewinne erzielen, diese aber in das Unternehmen für die Erreichung
ihrer sozialen Zielstellung rückinvestieren oder zu Teilen an ihre Mitglieder ausschütten. Genau auf diese
bezieht sich der Social-Economy-Approach. Der Third-Sector-Approach verbindet beide Konzepte und
önet einen umfassenden Blick auf das Segment zwischen Markt, Staat und informeller Ökonomie (vgl.
Birkhölzer 2004: 12). Es handelt sich dabei um Organisationen, die nicht unter öentlicher Trägerschaft
agieren und auf nicht-gewinnorientierter oder nicht-gewinnmaximierender Basis gemeinwohlorientierte
Dienstleistungen und Produkte unterschiedlichster Art für eine Vielzahl von Personengruppen anbieten
(vgl. Anastasiadis 2019: 191). Dazu zählen auch zahlreiche Organisationen der Sozialen Arbeit (vgl. ebd.).
Diese klassischen Ansätze werden durch zwei weitere Diskursstränge ankiert: Einerseits die Betonung
der Solidarität durch die Solidarity Economy (siehe dazu z.B. Altvater/Sekler 2006). Andererseits die
Hervorhebung des individualisierten Unternehmertums im Konzept des Social Entrepreneurs bzw. des
Social Business (siehe dazu z.B. Dees 2001). Während letztere sich auf sozial agierende Unternehmen, die
sich aus der For-prot-Tradition entwickelten, fokussiert, konzentrieren sich die Forschungen zur Solidarity
Economy auf Organisationen, die im informellen Bereich jenseits der Logik des Marktes entstehen und als
selbstorganisierte Kollektive unter Nutzung ökonomischer Mittel zur Lösung sozialer Probleme beitragen
(vgl. Anastasiadis 2019: 209–212).
Wie diese Zusammenschau zeigt, ist das Feld Sozialer Unternehmen zu facettenreich, um von einer
einzigen Denition erfasst zu werden, die einstimmig akzeptiert werden würde. Vor diesen Hintergründen
hat sich in den letzten Jahren eine alternative Forschungsstrategie etabliert, deren Hauptprinzip darin
besteht, sich dezidiert der Vielfalt Sozialer Unternehmen anzunehmen und die verschiedenen Typen zu
charakterisieren. So wurden beispielsweise im Projekt The International Comparative Social Enterprises
Models (ICSEM) Traditionstypen und Entwicklungsmodelle Sozialer Unternehmen identiziert (vgl. Defourny/
Nyssens/Adam 2021: 9–13). Im dritten Teil dieses Beitrages wird auf die im Rahmen dieses Projektes
entwickelten österreichspezischen Typen und Modelle Bezug genommen.
Auch wenn sich Soziale Unternehmen als äußerst heterogen erweisen, lassen sich dennoch
verbindende Gemeinsamkeiten identizieren: Sie verfolgen zumeist primär soziale Ziele, im Sinne von
gesellschaftlich relevanten Zielen; sie agieren ökonomisch auf zumeist nicht-gewinnmaximierender Basis
und sie tragen das nanzielle Risiko als eigenständige Organisationen selbst. Darüber hinaus weisen sie
eine an Partizipation orientierte Unternehmensstruktur auf, an der unterschiedliche Akteur_innengruppen
beteiligt sind (z.B. Mitglieder und Stakeholder) (vgl. Defourny/Nyssens 2012: 77). Die Schwerpunktsetzung
von sozialen, ökonomischen und partizipativen Interessen variiert jedoch je nach Typ bzw. Modell.
Bei dieser knappen Charakterisierung von Sozialen Unternehmen lassen sich bereits tendenziell
Verbindungslinien zur Sozialen Innovation erkennen. Diese können insbesondere auf der Ebene der Ziele
und des Prozesses festgemacht werden. Es ist vor allem ihre strategische Positionierung zwischen Staat,
Markt und informeller Ökonomie, die auch als Intermediarität bezeichnet wird (vgl. Evers/Olk 1996: 16),
die es Sozialen Unternehmen ermöglicht, gesellschaftliche Bedürfnisse zu erkennen und im Austausch mit
politischen und wirtschaftlichen Verantwortlichen sowie Initiativen der Bürger_innen darauf abgestimmte
Angebote zu entwickeln und anzubieten (vgl. Anastasiadis 2019: 204). Diese Intermediarität stellt
Organisationen aber auch vor erhebliche Herausforderungen, denn gesellschaftliche, wirtschaftliche und
politische Veränderungen bestimmen ihr Wirken entscheidend mit (vgl. ebd.). Wie im nächsten Abschnitt
des Beitrages noch eingehender gezeigt wird, reagieren Soziale Unternehmen auf gesellschaftliche
Bedürfnisse, die weder vom Staat noch vom Markt wahrgenommen bzw. gelöst werden. Sie sind bestrebt,
mit ihren Angeboten und Dienstleistungen einen sozialen Mehrwert zu generieren. Dabei sind ihre Aktivitäten
eingebettet in wandelbare organisationale Strukturen, in der unterschiedliche Akteur_innen partizipieren.
Diese organisationalen Strukturen sind wiederum an den gesellschaftlichen Kontext rückgebunden und
werden durch diesen mitgeprägt, umgekehrt können die Unternehmen durch die Verbreitung ihrer Sozialen
Innovationen auf diesen einwirken. Um diese Verbindungsstücke zwischen Sozialen Unternehmen und
Sozialer Innovation zu konkretisieren sowie die Relevanz des Kontextes zu spezizieren, werden im Folgenden
die österreichischen Entwicklungslinien Sozialer Unternehmen nachgezeichnet und mit Beispielen aus der
Sozialen Arbeit illustriert.
3
Entwicklungslinien von Sozialen Unternehmen in Österreich – Beispiele
Sozialer Innovation
Die folgenden Ausführungen bilden zentrale, auf Österreich bezogene Erkenntnisse zweier internationaler
Forschungsprojekte ab: The International Comparative Social Enterprise Models (ICSEM) und Social
Enterprises and their Ecosystems in Europe. Eine ausführlichere Darstellung und Diskussion ndet sich in
Anastasiadis und Lang (2016), European Commission (2018) und Anastasiadis (2019: 241–272). Methodisch
liegt beiden Projekten eine systematische Literaturanalyse zugrunde (siehe dazu z.B. Traneld/Denyer/
Smart 2003), die im Zeitraum 2015 bis 2018 durchgeführt wurde. Sie stützte sich auf einen interdisziplinären
Literaturkanon, in dem Publikationen aus dem Feld des Dritten Sektors (NPO-Forschung, Social Enterprise
Forschung sowie Forschungen zur Sozialwirtschaft und zu Sozialen Diensten), Publikationen zur Geschichte
der Sozialen Arbeit und politikwissenschaftliche Veröentlichungen, die wohlfahrtsstaatliche Entwicklungen
nachzeichnen, einbezogen wurden. Es wurde auf Zeitschriftenartikel, Monographien, Beiträge in
Sammelwerken und Studien sowie auf politische Strategiepapiere und Dokumente zurückgegrien, wobei
auch graue Literatur verwendet wurde. Dementsprechend war das Kriterium peer reviewed nicht zwingend.
Die Recherche erfolgte über diverse Datenbanken und Bibliothekskataloge sowie mittels der
Schneeballtechnik. Die Quellen wurden in Citavi 4 kategorisiert. Im Projekt Social Enterprises and their
Ecosystems in Europe waren zudem Expert_innen im Rahmen eines Stakeholder-Ansatzes involviert. Diese
ca. 20 Personen aus Wissenschaft, Politik und Praxis wurden in einem ersten Schritt mit einem oenen
Fragebogenformat zu aktuellen Entwicklungen befragt. In einem zweiten Schritt wurden im Zuge einer
Gruppendiskussion Herausforderungen und Perspektiven für Soziale Unternehmen in Österreich eruiert. Die
Erhebungen wurden im Jahr 2017 durchgeführt. Aufgrund der schmalen und auch wenig systematisierten
Forschungs- und Publikationslage zu Sozialen Unternehmen in Österreich konnten insbesondere die
historischen Entwicklungslinien nur fragmentarisch nachgezeichnet werden. Hinsichtlich der aktuellen
Entwicklungen beziehen sich die Erkenntnisse auf den Zeitraum bis 2018 und sind somit in Hinblick auf ihre
Aktualität limitiert. Dennoch lassen sich auf Basis der Forschung grundlegende Entwicklungstendenzen und
Spuren Sozialer Innovation abbilden. Es zeigte sich, dass Soziale Unternehmen, wie in vielen europäischen
Ländern, auch in Österreich eine lange, bis ins 19. Jahrhundert zurückreichende Geschichte haben. Ihre
Entwicklung ist eng mit der des Wohlfahrtsstaates und der von Sozialen Bewegungen verbunden. Sie
vollzog sich grob in vier Phasen, in denen sich vier Typen von Sozialen Unternehmen herausbildeten:
Genossenschaften, traditionelle Non-Prot-Organisationen (NPO), Unternehmen der Alternativen bzw.
Sozialen Ökonomie und Social Businesses (vgl. European Commission 2018: 21).
3.1
Vor-wohlfahrtsstaatliche Initiativen (Ende des 19. Jahrhunderts bis 1945)
Die längste Tradition weisen klassische Wohlfahrtsverbände, Genossenschaften und Interessens-
vereinigungen auf. Ihre Ursprünge fallen in die Zeit sozialer Notlagen, die im
Wesentlichen aus der Industrialisierung und zwei Weltkriegen resultierten. Soziale Bewegungen reagierten
auf diese (z.B. Jugend-, Frauen-, Arbeiter_innen-, Siedler_innenbewegung) und forderten u.a. soziale Rechte
und Sicherungssysteme ein (vgl. Roth 2011: 1361), woraus sich in der Folge erste wohlfahrtsstaatliche
Strukturen in einer konservativen Passung herausbildeten (vgl. Tálos 2005: 15). Die aus der bürgerlichen,
kirchlichen und gewerkschaftlichen Selbsthilfe entstandenen Bewegungen formalisierten sich zusehends
zu Organisationen, die pionierhaft auf soziale Probleme reagierten und dementsprechende Leistungen
in der Bildungsarbeit, in der sogenannten Verwahrlosenerziehung, in der Gemeinwesenarbeit oder im
Siedlungswesen anboten (vgl. Melinz 2004: 37). Beispielhaft zu erwähnen ist die Gründung der Kinderfreunde
1908, eine aus der Arbeiter_innenbewegung heraus erwachsene Organisation (vgl. Müller 1988: 172), durch
welche die Jugendarbeit wichtige Anregungen erfuhr (vgl. Scheipl 2010: 429). In dieser ersten Phase zeichnet
sich bereits das für Österreich typische enge Zusammenspiel von staatlichen Entwicklungen und Sozialen
Unternehmen ab. So reagierte der Staat einerseits auf Forderungen durch die Sozialgesetzgebungen,
andererseits implementierte er Soziale Innovationen in seine Strukturen. Dies galt v.a. für den kommunalen
Bereich der Jugendwohlfahrt, der Armenfürsorge und der Altenarbeit (vgl. Melinz 2004: 35).
3.2
Organisationaler Isomorphismus im Staatszentrierten Korporatismus (ca. 1945
bis 1970/80)
Die Entwicklungen stagnierten zu Zeiten des Nationalsozialismus, wurden aber nach dem Zweiten Weltkrieg,
begünstigt durch den wirtschaftlichen Aufschwung, in expansiver Form vorangetrieben. In dieser zweiten Phase
begründete und verfestigte sich das konservativ-korporatistische Wohlfahrtsstaatssystem mit umfassenden
Sicherungsleistungen, deren Grundsteine bis ca. Mitte der 1990er Jahre weitgehend unverändert blieben
(vgl. Tálos 2005: 30). In dieser Zeit nahmen die Genossenschaften wie z.B. Konsum und Raieisen ihre
Aktivitäten wieder auf und entwickelten sich sukzessive von ihrer ursprünglich sozialen Zielstellung weg zu
reinen Wirtschaftsunternehmen (vgl. Lang/Novy 2014: 1749). Zudem entstanden in der Traditionslinie der
Wohlfahrtsverbände größere NPOs wie Jugend am Werk 1945, die Volkshilfe 1947 oder die Lebenshilfe 1967.
Sie reagierten zunächst auf die Nachkriegsnotlagen, erweiterten ihr Dienstleistungsspektrum aber im Laufe
der Jahrzehnte entscheidend. Dies kann als ein Indiz für die Wahrnehmung spezischer sozialer Bedarfe
gelesen werden, auf die insbesondere freie Träger in ihrer intermediären Position mit Sozialen Innovationen
antworteten (vgl. Anastasiadis 2019: 253f.). Mit dem Ausbau des Wohlfahrtsstaates reduzierte sich ihre
Funktion allerdings vermehrt auf das Anbieten von weitgehend staatlich nanzierten Wohlfahrtsleistungen
(vgl. Melinz 2004: 39), wodurch sich eine Abhängigkeit vom öentlichen Sektor verfestigte und sich die
Räume für Innovation verengten (vgl. Neumayr/Schneider/Meyer/Haider 2007: 1). Insgesamt zeigt sich in
dieser Phase, dass sich Soziale Unternehmen im Sinne des „organisationalen Isomorphismus“ (DiMaggio/
Powell 1983: 147) tendenziell ihren Umwelten anglichen. Genossenschaften bewegten sich in den For-
prot-Bereich hinein, die Wohlfahrtsverbände hingegen passten sich zunehmend staatlichen Strukturen an.
Zudem ist davon auszugehen, dass durch das gut entwickelte Wohlfahrts- und Sozialversicherungssystem
sowie eine weitgehend gut funktionierende Dienstleistungslandschaft wenig Bedarf nach kritisch-reexiven
Bottom-up-Entwicklungen bestand (vgl. European Commission 2018: 17).
3.3
Neue Soziale Bewegungen und Wohlfahrtspluralismus (ca. 1970/80 bis
1990/2000)
In den späten 1970er und frühen 1980er Jahren setzte eine kritische Wende ein. Diese dritte Phase
war wesentlich geprägt durch das Engagement der so genannten Neuen Sozialen Bewegungen. Diese
Bewegungsoensive kann als Ausdruck der Unzufriedenheit mit dem überwiegend staatlich gesteuerten
System bewertet werden. Gleichzeitig grien die Bewegungen neue gesellschaftliche Themen auf, die auf
neue soziale Problemlagen verwiesen, wie z.B. steigende Arbeitslosigkeit oder Umweltrisiken (vgl. Wagner
2009: 12). Es kam zur Gründung von kleineren, aus der Selbsthilfe entsprungenen Organisationen, die mit
alternativen Formen sozialer und wirtschaftlicher Praktiken experimentierten. So entstanden zahlreiche
neue kleinere Soziale Unternehmen in Nischen, die von den traditionellen NPOs nicht bedient wurden und
hybride Formen der Finanzierung nutzten. Gubitzer (1989: 18) verwendete für die Vielfalt dieser Projekte
den Sammelbegri Alternative Ökonomie. Diese Initiativen blieben nicht unerkannt und wurden im Sinne
des Wohlfahrtspluralismus (vgl. Evers/Olk 1996) sozialpolitisch genutzt. Es wurden partnerschaftlich
politische Reformen eingeleitet und Projekte subventioniert, insbesondere solche mit konikteindämmender
Wirkung (vgl. Melinz 2004: 40). So wurden beispielsweise in den 1980er Jahren im Bereich der aktiven
Arbeitsmarktpolitik neue Wege beschritten (vgl. Pantucek 2005: 798). In enger Kooperation von Politik und
neu gegründeten sozialökonomischen Betrieben wurde nach europäischem Vorbild ein zweiter Arbeitsmarkt
geönet (vgl. Zauner 2006: 204) – eine Soziale Innovation, die sich bald institutionalisierte.
3.4
Neuordnung der Verantwortungsaufteilung im Welfare-Market (ca. ab 2000)
Die in den 1980er Jahren einsetzenden gesellschaftlichen Veränderungen spitzten sich in Österreich
Mitte der 1990er Jahre zu. Angesichts demograscher Wandlungsprozesse sowie einer anhaltend hohen
Arbeitslosigkeit und anderer sozialer Probleme stellte sich die Frage der Finanzierbarkeit des weitgehend auf
Versicherungsleistungen beruhenden österreichischen Wohlfahrtsstaates. Dahingehend setzte spätestens
mit dem Amtsantritt der ÖVP-FPÖ Regierung 2000 eine neoliberale-konservative Wende ein (vgl. Tálos 2005:
59). Deren Kennzeichen sind u.a. staatliche Rückzugstendenzen, die sich z.B. in der Privatisierung sozialer
Dienstleistungen unter marktähnlichen Bedingungen zeigen (vgl. Diebäcker/Ranftler/Strahner/Wolfgruber
2009: 3). Diese Ökonomisierungstendenzen bedingen ein restriktiveres Umfeld v.a. für jene Sozialen
Unternehmen, die in der Nähe des Staates soziale Dienstleistungen erbringen (vgl. Seithe 2012: 122). Die
Entwicklungen dieser vierten Phase stellen Soziale Unternehmen vor neue Herausforderungen. Auf der einen
Seite steigen die gesellschaftlichen Bedarfe und die damit verbundenen Bewältigungsherausforderungen.
Flexible und passgenaue Unterstützungsstrukturen für immer breiter werdende Anspruchsgruppen
werden benötigt (vgl. Anastasiadis 2019: 263–265). Gleichzeitig zieht sich der Staat zusehends aus dieser
Problembewältigung zurück und verlagert die Verantwortung in die organisationale private Sphäre, wie
es beispielsweise im Regierungsprogramm von 2000 nachzulesen ist (vgl. Bundeskanzleramt 2000: 14).
Diese Verantwortungsübertragung wird begleitet von einer ideellen Aufwertung Sozialer Unternehmen, die
durch neuartige nationale und internationale Unterstützungsstrukturen ankiert wird. Martinelli (2006 zit.n.
Schröer 2021: 363) identiziert dies als eine politische Strategie zur Stärkung einer solidaritätsbasierten
Ökonomie. Beispielhaft erwähnt seien hier Programme des Europäischen Sozialfonds (ESF) oder des
European Investment Fund (EIF) sowie nationale arbeitsmarktpolitische Förderstrukturen wie beispielsweise
die Beschäftigungsinitiative 50+ oder Business Start-up Programme des Austria Wirtschaftsservice (aws)
und das Unternehmensgründerprogramm (UGP) des Arbeitsmarktservice (AMS) (vgl. European Commission
2018: 54–84). Hinzukommen einige private Finanzierungsplattformen, die Soziale Innovationen unterstützen.
Sinnstifter, Erste Stiftung, Essl Stiftung oder die Crowdfunding-Plattform respect.net sind hier zu nennen
(vgl. ebd.). Des Weiteren entwickelte sich aus dieser Situation heraus eine Vielzahl an Netzwerken, die die
Interessen unterschiedlicher Sozialer Unternehmen vertreten (z.B. arbeit plus, Sozialwirtschaft Österreich,
Impact HUB Vienna, Dabei Austria) und mit Labels, Events sowie Preisen die Sichtbarkeit ihres sozialen
Mehrwertes erhöhen (z.B. Sozial Marie, Trigos, Social business day, Gütesiegel für Soziale Unternehmen)
(vgl. ebd.).
Insgesamt ist im Umfeld von Sozialen Unternehmen seit der Jahrtausendwende eine erhöhte
Dynamik erkennbar, die auch das Feld selbst in Bewegung versetzt. So begannen traditionelle NPOs,
ähnlich wie jene in der Phase des Wohlfahrtspluralismus entstandenen Formen der Alternativen Ökonomie,
hybride Finanzierungsformen zu entwickeln, um unabhängiger von restriktiver werdenden staatlichen
Finanzierungen agieren zu können. Im Verlauf entwickelten die größeren freien Wohlfahrtsträger zunehmend
holdingartige Organisationsstrukturen (vgl. Melinz 2004: 39) und weiteten ihre Geschäftsfelder in Richtung
Einkommensgenerierung aus. Ein Beispiel dafür ist das Magdas Hotel der Caritas. Des Weiteren etablieren
sich seit ca. 2010 Social Businesses in Österreich, eine Entwicklung, die dem internationalen Trend folgt
und davon zeugt, dass sich auch wirtschaftliche Akteur_innen verstärkt um soziale Anliegen kümmern
und zur Sozialen Innovation Beiträge leisten – wenngleich unter eher ökonomischen Gesichtspunkten (vgl.
Social Business Club Styria 2021: 14–20). Auch im Bereich der Genossenschaften ist eine Entwicklung
zu gemeinwohlorientierten Genossenschaften beobachtbar. Obwohl diese neuen Genossenschaften von
ihrer Größe und absoluten Zahl her klein sind, zeichnen sie sich durch ausgeprägte soziale Ziele und
innovative unternehmerische Ansätze aus, wie z.B. in den Segmenten gemeinschaftliches Wohnen oder
technologiebasierte Bildung (vgl. European Commission 2018: 19). Insgesamt zeigt sich in der letzten
Periode die Tendenz, dass sich das Verantwortungsgefüge vom öentlichen zum privaten Bereich verlagert.
Wie diese Entwicklung insbesondere die Erbringung von sozialen Dienstleistungen beeinusst, wird nun
kurz diskutiert.
4
Räume für Soziale Innovation – Zusammenschau und Ausblick
Die Entwicklungsgeschichte von Sozialen Unternehmen in Österreich zeugt von einem konstanten Wandel
und kann so auch als Innovationsgeschichte gelesen werden. Spuren nden sich in der kontinuierlichen
bedarfsorientierten Ausweitung der Angebotslandschaft von ihren Ursprüngen bis zur Gegenwart sowie
in den sich wandelnden Organisationsmodellen und Finanzierungswegen, die international vergleichbaren
Typen und Bewegungstrends ähneln (siehe dazu z.B. Defourny/Nyssens/Adam 2021: 9–13). Sie tragen
zum sozialen Mehrwert bei und wirken auf gesellschaftliche Strukturen ein, indem Reformen implementiert
und institutionalisiert werden. Für die Verbreitung bzw. Durchsetzung bilden Netzwerke und Kooperationen
zentrale Unterstützungsstrukturen. Umgekehrt beeinusst die gesellschaftliche Rahmung ihre Entwicklung.
Es sind gesellschaftliche Probleme, die sie zur Entwicklung neuer Lösungen inspirieren. Hierzu erweist
sich die Rückbindung an Soziale Bewegungen als förderlich. Vor allem ist es aber das politische Klima,
das innovationsförderlich oder -hemmend wirken kann. So setzte in den 1980er Jahren, nach einer Zeit
staatszentrierter Steuerung, eine pluralistische Wende ein, in der Innovationen kooperativ gefördert und
institutionalisiert wurden, wie z.B. der zweite Arbeitsmarkt. In den letzten Jahren sind Soziale Unternehmen
verstärkt als Motoren Sozialer Innovation in den Blick politischer Verantwortungsträger_innen geraten. Dies
vollzog sich zum einen durch die vermehrte Privatisierung sozialer Dienste unter öentlich gesteuerten
Bedingungen, wodurch sich die Räume für Innovationen verengten. Gleichzeitig werden diese durch
spezische Förderprogramme zu önen versucht. Ob mit dieser dualen Strategie die Erbringung und
Weiterentwicklung qualitätsvoller und bedarfsorientierter sozialer Dienstleistungen sichergestellt werden
kann, wird in den Diskursen der Sozialen Arbeit kritisch betrachtet. So konstatiert Schröer (2021: 9), dass der
Begri Soziale Innovation umstritten ist und „einseitig als Versuch interpretiert [wird], den Wohlfahrtsstaat
nanziell zu entlasten bzw. die Privatisierung sozialer Dienstleistungserbringung voranzutreiben“. Es
sind insbesondere Organisationen der Sozialen Arbeit, die im „Spannungsfeld zwischen operativer
Stabilität und Flexibilität agieren“ (ebd.: 10), die spezieller innovationsfördernder Formate bedürfen. Die
zuverlässige Erbringung ihres Kerngeschäftes sichert die derzeitige Finanzierungsgrundlage, allerdings
bedarf die Önung von Innovationsräumen, um neue Lösungen zu kreieren, zusätzlicher Ressourcen –
nicht zuletzt, da der Erfolg neuer Lösungen unsicher ist (vgl. ebd.). Da Soziale Unternehmen als nicht-
gewinnmaximierende Organisationen zumeist über kein ausreichendes Risikokapital verfügen, würden
zusätzliche Fördermöglichkeiten zu innovationsfreundlichen Rahmenbedingungen beitragen. Wie die
Ergebnisse zeigen, beginnen sich solche in Österreich langsam zu etablieren. Vor diesem Hintergrund sind
kritische Blicke auf Ökonomisierungstendenzen ebenso gefragt wie kreatives innovatives Handeln.
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Über die Autorin
Assoz. Prof. Mag. Dr. Maria Anastasiadis
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Graz. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Soziale Organisationen und deren Beiträge zur Partizipation
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