soziales_kapitalArno Heimgartner, Sylvia Hojnik, Gertraud Pantuček, Hannelore Reicher, Elena Stuhlpfarrer, Waltraud Gspurning. Gründe für Fremdunterbringungen.” soziales_kapital, no. 26 (2022). Rubrik „Sozialarbeitswissenscha“. Graz. Printversion: https://soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/view/744/1381_Soziale Innovation 26. Ausgabe Juni 2022ZusammenfassungIm vorliegenden Beitrag werden die Ergebnisse einer Studie präsentiert, die Gründe für und Verläufe von Fremdunterbringungen von Kindern und Jugendlichen in den zwei steirischen Bezirken Graz-Umgebung und Liezen analysiert hat. Es wurde neben einer Befragungsstudie von Eltern (n = 176) aus den beiden Bezirken eine Dokumentenanalyse von 259 aktuellen Fallakten zu den Gründen sowie von 147 abgeschlossenen Fällen aus den Jahren 2016 bis 2018 zu den Verläufen durchgeführt. Erweiternd wurden explorative Interviews mit Sozialarbeiter_innen bzw. Fachkräften, Interviews mit vier Elternteilen und vier Jugendlichen mit Fremdunterbringungserfahrung sowie Gruppendiskussionen mit Fachkräften des Psychologischen Dienstes geführt. Metagründe, Primärgründe sowie Sekundärgründe konnten dierenziert werden. Diese Gründe wurden in den Akten heterogen dokumentiert. Die hier erarbeiteten Ergebnisse sind für Planungsüberlegungen, Qualitätssicherung und präventive Aspekte bedeutsam.Schlagworte: Kinder- und Jugendhilfe, Fremdunterbringung, Rückkehr, familiäre Risiken, Kindeswohlgefährdung, ÜbergängeAbstractThe paper presents the results of a research study analysing reasons for out-of-home care of children and adolescents in two Styrian districts Graz-Umgebung and Liezen as well as the course of completed placements (return, termination, and transitions). In the multi-method research project, in addition to a survey study of parents (n = 176) from the two districts, a document analysis of 259 current case les on the reasons and of 147 completed cases from the years 2016–2018 on the trajectories was evaluated. In addition, interviews with social workers or professionals, interviews with four parents and four adolescents with out-of-home care experience, as well as group discussions with professionals from the psychological service were conducted. Meta-reasons and primary and secondary reasons could be dierentiated. These reasons were documented heterogeneously in the records. The results are signicant for planning considerations, quality assurance, and preventive aspects.Keywords: child and youth welfare, out-of-home care, reasons for out-of-home care, transitioning from out-of-home care, family risk factors, child welfare endangerment1 AusgangspunkteIn Österreich werden etwas über 12.000 Kinder und Jugendliche in stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe betreut (vgl. Statistik Austria 2021). Obwohl die Unterbringungen gravierende Interventionen und Budget-relevante Leistungen des Staates sind, liegt eine kollektive Analyse der familiären Gründe, die zu den Fremdunterbringungen führen, nicht vor. Ein diesbezüglicher Versuch der Statistik Austria wurde im Jahr 1999 eingestellt (vgl. Statistik Austria 2000). Ein solches Wissen könnte in Zukunft dazu beitragen, gezielt präventive Maßnahmen zur Abwendung der Probleme zu entwickeln. Die vorliegende Studie wurde vom Land Steiermark in Auftrag gegeben, um Gründe für Fremdunterbringung in der Steiermark, untersucht in zwei ausgewählten Bezirken, fallübergreifend benennen zu können.1 Das Land Steiermark löst damit den im Kinder- und Jugendhilfegesetz formulierten Auftrag zur Forschung ein, wie dies in der Vergangenheit auch schon im Rahmen der Jugendwohlfahrtspläne (z.B. Hengsberger 1992; Binder 2005), sozialplanerischer Studien (z.B. Heimgartner/Scheipl 2013) oder im Zuge der Konzept- und Strategieentwicklungen zur sozialraum- bzw. Case-Management-orientierten Kinder- und Jugendhilfe erfolgt ist. Ziel der Studie war, die Gründe für die Fremdunterbringungen zu klären und die statistische Erfassung zu recherchieren. Bedeutsam für die Entwicklung einer Kindeswohlgefährdung sind die Bedingungen für die Familien, weshalb auch auf die räumlichen und existenziellen Verhältnisse aus Sicht von Eltern eingegangen wurde. Da die Anzahl der Fremdunterbringungen mit dem Verlauf zusammenhängt, zu dem etwa die Rückkehr in die Herkunftsfamilie, der Abbruch der Leistung oder der Übergang in die Selbstständigkeit zählen, war schließlich die Entwicklung der Fremdunterbringungen Thema. Augenmerk wurde auf die soziale Reintegration in die Herkunftsfamilie bzw. die mögliche Arbeit mit der Herkunftsfamilie im Fall einer Fremdunterbringung gelegt. 2 Die Module der Studie, die Stichproben und die FragestellungenDie explorative Studie, die in den Bezirken Graz-Umgebung (GU) und Liezen (LI) durchgeführt wurde, thematisiert die Gründe für Fremdunterbringungen auf drei Ebenen:Räumlich-strukturelle Ebene: Dafür wurden eine statistische Analyse sowie eine schriftliche Befragung zur Belastung von Eltern, deren Kinder in elementarpädagogischen Einrichtungen sind, durchgeführt. Fallbezogene Ebene: Es wurden eine Analyse der Gründe aktueller Fremdunterbringungen und eine Analyse der Wege der Kinder und Jugendlichen nach Abschluss der Fremdunterbringungen auf Basis der Akten vorgenommen. Diskursive Ebene: Mit Psycholog_innen des Psychologischen Dienstes wurden Gruppendiskussionen geführt. Mittels qualitativer Interviews mit Leitfäden wurden die Gründe aus Sicht von Eltern von fremduntergebrachten Kindern und Jugendlichen, aus Sicht von fremduntergebrachten Jugendlichen und aus Sicht von Professionellen der Kinder- und Jugendhilfe analysiert. Zudem wurde auf die Anzahl und auf die Zählung der Fremdunterbringungen eingegangen und die Reintegration in die Herkunftsfamilie mithilfe von qualitativen Interviews mit Sozialarbeiter_innen näher beleuchtet. Insgesamt ergeben sich dadurch zehn wissenschaftliche Zugänge: 1. Analyse der räumlich-strukturellen Bedingungen auf Basis einer Befragung in elementarpädagogischen Einrichtungen: Im ersten Modul wurde auf die räumlichen Verhältnisse als möglicher Hintergrund für familiäre Belastungen eingegangen. Mittels des Eltern-Belastungs-Screenings zur Kindeswohlgefährdung (EBSK) und eigener Frageitems wurden 176 Eltern aus 20 elementarpädagogischen Einrichtungen zu ihren Belastungen und der generellen Gefährdung des Kindeswohls befragt. 2. Analyse der aktuellen Fremdunterbringungsgründe auf Basis der Akten: Im zweiten Modul wurden die Fälle aktueller Fremdunterbringungen in GU (n = 208) und LI (n = 51) in einer Vollerhebung anhand der Akten charakterisiert. Zudem wurden die in den Texten formulierten Gründe aus den Dokumenten der Akten in ein standardisiertes Raster extrahiert, um über den Einzelfall hinausgehende, kollektive Aussagen machen zu können. In Abstimmung mit dem Auftraggeber wurde für die Studie ein Mehrebenenmodell entwickelt, das die Kernthemen Gewalt sowie Vernachlässigung nicht auf einer Ebene mit familiären Problemen wie Armut oder Wohnproblemen ansiedelt und zwischen den Familienmitgliedern unterscheidet. Aufgrund der Ablehnung eines rein dezitorientierten Vorgehens wurde außerdem versucht, auf Ressourcen der Familien einzugehen. Das Raster wurde auf Basis bisheriger eigener Forschungen sowie der Fachliteratur entwickelt und am empirischen Material geschärft. 3. Analyse der Wege der Kinder und Jugendlichen nach Abschluss der Fremdunterbringungen auf Basis der Akten: Das dritte Modul umfasste eine Aktenanalyse mit allen abgeschlossenen Fremdunterbringungen der Jahre 2016 bis 2018 in den beiden Bezirken (GU: 93; LI: 54). Geklärt werden sollte, wie der unmittelbare Weg der Kinder nach der Fremdunterbringung verlief. Rückkehr, Selbstständigkeit, Abbruch sind dazu beispielsweise Kategorien. 4. Analyse der Anzahl und der Zählung der Fremdunterbringungen: Das vierte Modul befasste sich mit der statistischen Erfassung der Fremdunterbringungen. Die vor Ort recherchierte Anzahl der Fälle erwies sich als nicht kongruent mit der von der Volksanwaltschaft (2017) aufgegrienen öentlich gemachten Zahl. 5. Analyse der Gründe der Fremdunterbringungen aus Sicht des Psychologischen Dienstes: Im fünften Modul wurde die Perspektive des Psychologischen Dienstes im Rahmen von Gruppendiskussionen hereingeholt (n = drei Sitzungen mit drei bis fünf Psycholog_innen). 6. Analyse der Gründe aus Sicht von Eltern von fremduntergebrachten Kindern und Jugendlichen: Im sechsten Modul wurde den Müttern und Vätern (n = 4) in qualitativen Interviews Gelegenheit gegeben, ihre Sicht zu erläutern. Die Kinder bzw. Jugendlichen der befragten Elternteile leben in stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, die sich in den beiden Bezirken benden, und wurden über die Einrichtungen angesprochen. Ein Zusammenhang zur Aktenanalyse bestand nicht. 7. Analyse der Gründe aus Sicht von fremduntergebrachten Jugendlichen: Im siebten Modul wurden in den Bezirken untergebrachte Jugendliche (n = 5) mittels halbstandardisierten Interviews befragt. Sie wurden über stationäre Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe vermittelt. Ein Zusammenhang zur Aktenanalyse bestand nicht. 8. Analyse der Reintegration in die Herkunftsfamilien: Das achte Modul befasste sich inhaltlich mit der Reintegration in die Herkunftsfamilie und den dafür hilfreichen Schritten. Dafür wurden sechs qualitative Interviews mit Sozialarbeiter_innen durchgeführt und inhaltsanalytisch ausgewertet. 9. Analyse der Gründe aus Sicht von Professionellen der Kinder- und Jugendhilfe: Das neunte Modul richtete sich ergänzend an professionelle Mitarbeiter_innen von Einrichtungen (n = 2) und Pegepersonen (n = 3), die sich auf Anfrage für das halbstandardisierte Interview bereit erklärten. 10. Analyse von statistischen Daten: Das zehnte Modul sammelte und untersuchte bestehende statistische Daten der Bezirke daraufhin, inwieweit sie zur Klärung der Frage nach den Gründen von Fremdunterbringungen beitragen können. 3 Belastungserleben der Eltern in elementarpädagogischen EinrichtungenDie Fragebogenstudie zur Belastung von Eltern in den beiden Bezirken basiert auf einer Zufallsauswahl von Kindergärten. Demnach wurden Eltern befragt, deren Kind bzw. Kinder zum Zeitpunkt der Datenerhebung im April 2019 einen dieser Kindergärten in GU oder LI besuchten. Gearbeitet wurde mit einem Fragebogen, der aus folgenden standardisierten Skalen bestand: Zufriedenheit in verschiedenen Lebensbereichen (vgl. Böhnke/Delhey/Habich 2000: 12; acht Items; Ratings von 0 bis 10), Lebenszufriedenheit (vgl. Beierlein/Kovaleva/Laszlo/Kemper/Rammstedt 2014; ein Item, Ratings von 0 bis 10), Eltern-Belastungs-Screening zur Kindeswohlgefährdung EBSK (vgl. Deegener Spangler/Körner/Becker 2009; 63 dichotome Items), belastende Lebensereignisse (vgl. Domsch/Lohaus, 2010; sechs dichotome Items und eine oene Frage), soziale Unterstützung (eigene Entwicklung; vier dichotome Items), biograsche Daten zu Geschlecht, Alter, Bildungsabschluss, Berufstätigkeit, Alleinerzieher_innen-Status, Kinderanzahl sowie Alter der Kinder.Aus allen Kindergärten der beiden Bezirke GU und LI wurden nach dem Zufallsprinzip je zehn Kindergärten pro Bezirk gezogen. Insgesamt wurden 988 Fragebögen verschickt. In die Auswertung konnten n = 176 Fragebögen einbezogen werden (Rücklaufquote = 17,8 %). Aus dem Bezirk GU stammen 53,4 Prozent der ausgefüllten Fragebögen; aus LI sind es 46,6 Prozent. Der Großteil der Fragebögen wurde von Müttern ausgefüllt (90,9 %). Die Zusammenhangsanalysen zwischen elterlicher Belastung (EBSK-Scores) und Lebenszufriedenheit, sozialer Unterstützung und Lebensereignissen, getrennt für die Bezirke, lassen sich folgendermaßen zusammenfassen. GU: Die Korrelationsanalysen ergeben auf dem 5-%-Niveau signikante Zusammenhänge zwischen den EBSK-Scores und der Lebenszufriedenheit in Bezug auf Wohnverhältnisse (r = -.22), Haushaltseinkommen (r = .26), Gesundheit (r = -.31) und die allgemeine Lebenszufriedenheit (r = -.46). Je niedriger die Lebenszufriedenheit in diesen Bereichen, umso höher sind die Scores im EBSK. Weiters gibt es einen signikanten Zusammenhang zwischen dem Life-Events-Index (berechnet als Summenscore über alle Lebensereignisse) und dem EBSK-Score (r = .26): Je mehr belastende Lebensereignisse berichtet werden, umso höher ist das elterliche Belastungserleben. LI: Es ergeben sich signikante Zusammenhänge zwischen den EBSK-Scores und der Zufriedenheit mit der Kinderbetreuung (r = -.34, p < .01), der sozialen Infrastruktur (r = -.24, p < .05) und der sozialen Sicherung (r = -.23, p < .05). Je niedriger die Zufriedenheitseinschätzungen in diesen Bereichen, umso höher sind die EBSK-Scores. Zudem geht auch ein höheres Ausmaß an belastenden Lebensereignissen mit höherem elterlichem Belastungserleben einher. Analysiert man die EBSK-Scores in Abhängigkeit von den bisherigen Kontakten zu Behörden und den beiden Bezirken mittels zweifaktorieller Varianzanalyse, so zeigt sich, dass die EBSK-Scores der 30 Familien, die bereits behördliche Leistungen genutzt haben, signikant höher sind. Dieses Ergebnis ist unabhängig vom Bezirk. Wie lassen sich diese 30 Familien (GU: 14; LI: 16), die bereits Kontakt mit Behörden hatten, charakterisieren? Bei diesen 30 Familien sind Trennung oder Scheidung, Gewalterfahrungen und eine Verringerung des Einkommens im vergangenen Jahr signikant häuger als bei den Familien ohne Behördenkontakte. Diese Lebensereignisse führen dazu, dass das elterliche Belastungserleben, erfasst mit dem EBSK, signikant höher ist; gleichzeitig wird Hilfe bei Behörden und Beratungsstellen gesucht. Das Vertrauen in die Behörden ist in diesen 30 Familien übrigens signikant größer als in den Familien ohne bisherigen Kontakt. Das könnte dahingehend interpretiert werden, dass die Beratungsstellen und Behörden als hilfreich erlebt wurden. 4 Fallcharakteristika der analysierten FälleInsgesamt wurden 259 Fallakten im Zuge der Erhebung mithilfe eines standardisierten Erhebungsrasters analysiert, 208 Fälle aus dem Bezirk Graz-Umgebung (GU) und 51 Fälle aus dem Bezirk Liezen (LI). Die Verteilung der Geschlechter ist weitgehend ausgeglichen (49 % Mädchen und 51 % Burschen), wobei in LI der Anteil der Mädchen etwas höher lag (52,9 %), während in GU mehr Burschen (51,9 %) fremduntergebracht wurden. Zum Zeitpunkt der Auswertung (01.05.2019) waren die Kinder und Jugendlichen im Schnitt 12,64 Jahre alt (Min. = 0, Max. = 21), während sie zu Beginn der aktuellen Fremdunterbringung durchschnittlich 7,97 Jahre alt waren (Min. = 0, Max. = 19).Tabelle 1: Durchschnittliches Alter der fremduntergebrachten Kinder und Jugendlichenzum Zeitpunkt der Auswertung und zu Beginn der aktuellen Fremdunterbringung.Insgesamt melden 16 unterschiedliche Instanzen an die Kinder- und Jugendhilfe (Behörden, Polizei, Schule, Krankenhaus, Kindergarten usw.). Es zeigt sich, dass die Meldung am Beginn des Fallgeschehens am häugsten von den nun fremduntergebrachten Minderjährigen selbst, ihren Geschwistern bzw. durch einen Elternteil gemacht wird. Lediglich in 48,3 Prozent der Fälle wurde festgehalten, welche Instanz sich an die Kinder- und Jugendhilfe gewandt hatte. Bevor es nach dem Fallbeginn zur aktuellen Fremdunterbringung kam, dauerte es im Schnitt knapp vier Jahre, wobei im Bezirk Liezen im Schnitt etwas weniger Zeit zwischen Fallbeginn und Beginn der aktuellen Fremdunterbringung verging. Die Dauer von Fallbeginn bis zur Fremdunterbringung ist bei Mädchen durchschnittlich um gut ein Jahr länger als bei Jungen. Die aktuelle Fremdunterbringung dauerte bis zum Auswertungsdatum durchschnittlich viereinhalb Jahre an.5 Gründe für die FremdunterbringungIm Zuge der standardisierten Aktenanalyse wurde zwischen Meta-, Primär- und Sekundärgründen unterschieden. Inhaltlich steht folgendes Schema zu den familiären Gründen dahinter:Abbildung 1: Explorierte familiäre Gründe der Fremdunterbringungen (eigene Darstellung).Als Metagründe wurden jene Gründe bezeichnet, die von der behördlichen Sozialarbeit resümierend als Hauptgrund angeführt wurden. In Abbildung 2 sind die Metagründe, dierenziert nach den beiden untersuchten Bezirken sowie nach Geschlecht der Kinder bzw. Jugendlichen, dargestellt.Abbildung 2: Metagründe für eine Fremdunterbringung nach Bezirk und Geschlecht(n = 259), Mehrfachantworten möglich (eigene Darstellung).Ersichtlich ist, dass Vernachlässigung am häugsten als Metagrund für eine Fremdunterbringung genannt wurde (58 %), wobei Mädchen davon häuger betroen waren als Jungen. Dies gilt auch für psychische und sexuelle Gewaltausübung. Der Metagrund körperliche Gewalt wird hingegen in den Fallakten von Jungen häuger als in jenen von Mädchen genannt. Die Gewaltformen verteilten sich insgesamt folgendermaßen: körperliche Gewalt (22 %), psychische Gewalt (14 %) und sexuelle Gewalt (5 %). Der Vernachlässigung wurden als Primärgründe „Mangelnde Erziehung und Betreuung“ sowie „Probleme bei der Sorge und Pege“ zugeordnet. Die Kategorie „Mangelnde Erziehung und Betreuung“ wurde unterteilt in die Themen Schutz vor Gefahren, Betreuung des Kindes sowie emotionale Zuwendung. Die „Probleme bei der Sorge und Pege“ wurden auf die Ernährung, das Wohnen bzw. den Schlafplatz, die Kleidung, die Körperpege sowie die medizinische Versorgung bezogen. Eine Reihung nach der Häugkeit zeigt folgendes Ergebnis: kritische Betreuung des Kindes seitens der Mutter (LI: 49,5 %, GU: 54,9 %), fehlende emotionale Zuwendung (LI: 49,5 %; GU: 39,4 %), mangelnder Schutz vor Gefahren (LI: 39,2 %, GU: 38,9 %). Unter 30 Prozent liegen kritisches Wohnen bzw. unzureichender Schlafplatz, fehlende Körperpege sowie mangelhafte Ernährung. Eine fehlende medizinische Versorgung wird in unter zwölf Prozent der Fälle vermerkt. Bei der Gewaltthematik ist wahrzunehmen, dass die körperliche Gewalt von den Müttern und Vätern ausgeht. Die sexuelle Gewalt wird bis auf eine Ausnahme von den Vätern verübt. Psychische Gewalt wird etwas häuger den Müttern zugeschrieben. Ein gravierendes Problem ist weiters das Miterleben von – häug massiver – Gewalt durch die Kinder und Jugendlichen, das bei rund einem Fünftel der Fälle vorliegt. Sekundärprobleme tragen dazu bei, dass Primärprobleme entstehen. Folgende Sekundärprobleme wurden in den Akten als Gründe für die Fremdunterbringungen angeführt und ausgewertet: a) Problematische Verhältnisse in der Herkunftsfamilie bzw. in der Partnerschaft In einem Drittel der Fälle (34,4 %) wurde die partnerschaftliche Problematik als groß eingestuft. Koniktäre Scheidungen sind ein Beispiel für diese Kategorie. Auallend ist, dass bei zahlreichen Fällen der biologische Vater nicht präsent ist (37,0 %). Gründe dafür sind fehlendes Interesse, unbekannter Aufenthaltsort oder auch Unerwünschtheit. Bei einigen Vätern ist der Kontakt auch untersagt. Der Anteil der Mütter, die nicht präsent sind, ist geringer (6,7 %). b) Belastende Gefühle In dieser Dimension wurden Themen wie Verzweiung, Überforderung oder mangelndes Verantwortungsgefühl verortet. Solche Probleme wurden bei 31,7 Prozent der Fälle als groß eingestuft. c) Psychische Auälligkeiten Der Begri Auälligkeiten wird deshalb verwendet, weil sozialarbeiterische Beschreibungen, aber nur zum Teil psychiatrische Diagnosen vorliegen. Bei insgesamt 18,1 Prozent der Fälle wurden psychische Auälligkeiten als großes Problem gewertet. Am häugsten wird ein depressives Verhalten wahrgenommen. d) Kognitive Auälligkeiten In den Bereich der kognitiven Auälligkeiten fallen fehlende Alltagskompetenzen, die dazu führen, dass etwa eine geeignete Ernährung nicht gelingt oder Gefahren nicht adäquat erkannt werden. In den Berichten zu den Fällen wird verschiedentlich auf eine „Intelligenzminderung“ hingewiesen (9,3 % der Mütter). e) Suchtproblematik Häug beeinusst eine Suchtproblematik die Entscheidung zur Fremdunterbringung. Alkoholismus unter den Müttern wird hier am häugsten festgehalten (LI: 19,6 %; GU: 14,4 %). Illegale Drogen sind in den Fallbeschreibungen selten genau speziziert. Eingeordnet wurde hier auch die substanzungebundene Spielsucht, die bei 0,5 Prozent der Mütter und einem Prozent der Väter eine Rolle spielt. f) Armut Insgesamt leben 17,4 Prozent der Mütter, deren Kinder fremduntergebracht wurden, in Armut. Hier ist anzuführen, dass keine denitorischen Angaben vorliegen, wann der Begri Armut in den Fallbeschreibungen verwendet wird. Armut bei Vätern wird seltener erwähnt. g) Wohnprobleme Eine angemessene Wohnsituation ist ein zentrales Fundament für das Kindeswohl. Verschiedene Wohnprobleme wurden dierenziert: beengte Wohnverhältnisse (6,6 %), verwahrloste Wohnverhältnisse (14,7 %), Wohnungslosigkeit (1,5 %) und Obdachlosigkeit (1,9 %). h) Haft Mütter in Haft (2,7 %) und Väter in Haft (10,8 %) sind ein weiteres Problem, wobei dieses in Liezen etwas häuger als in Graz-Umgebung beschrieben wurde. i) Tod eines Elternteils In den bearbeiteten Fällen waren einzelne Todesfälle vermerkt. Der Tod der Mutter liegt bei 1,2 Prozent der Fälle vor, der Tod des Vaters wurde in 2,3 Prozent der Fälle vermerkt.Die Deskriptivstatistiken wurden durch die Interpretation der fallbeschreibenden Texte erarbeitet und weisen demnach nicht die Qualität auf, die standardisierte Einstufungen von Sozialarbeiter_innen zu denierten Dimensionen erreichen könnten. Vor allem fehlen in vielen Akten Angaben zu den einzelnen Dimensionen. Wichtig zu erwähnen ist überdies, dass viele Familien von mehr als einem Problem betroen sind. Nur bei jeder zehnten Familie (10,1 % der Fälle) gibt es lediglich ein Problem. Deviantes Verhalten der Kinder bzw. Jugendlichen wird in den Fallbeschreibungen ebenfalls erwähnt. Am häugsten sind verbale Aggressionen (11,2 % der Fälle) und handgreiiche Auseinandersetzungen (9,1 %) genannt. In Einzelfällen wird von Diebstählen, Einbrüchen, Abgängigkeit, Lügen, problematischem Umgang mit Geld oder Vandalismus berichtet. Um der Dezitperspektive auch ein Ressourcendenken gegenüberzustellen, wurde auf genannte Ressourcen in den Fallbeschreibungen geachtet. Die Verwandtschaft (18,1 % der Fälle) wird hier am häugsten als Ressource genannt. Andere Ressourcenangaben sind selten und beziehen sich etwa auf die Nachbarschaft, die Schule oder Freunde. 6 Gründe zur Fremdunterbringung aus Sicht des Psychologischen DienstesMit dem Psychologischen Dienst wurden Gruppendiskussionen (GD) geführt, um dessen Perspektiven einzuholen. Gemäß dem aktuellen Rahmenkonzept zur Kinder‐ und Jugendhilfe des Landes Steiermark aus dem Jahr 2014 ist bei einer Gefährdungsabklärung die Amtspsychologie „standardmäßig zu involvieren“ (Amt der Steiermärkischen Landesregierung 2014: 21). Es werden in der Regel die Kinder und Jugendlichen sowie die Beteiligten am Familiensystem und bei Bedarf die Betreuer_innen zu einer Vorstellung eingeladen, die der diagnostischen Abklärung sowie der gutachterlichen Arbeit dient. Drei Dimensionen wurden vom Psychologischen Dienst als gewaltfördernd diskutiert: a) Die Überforderung der Bezugspersonen (z.B. Verhalten des Kindes, schulische Anforderungen, nanzielle Belastungen, negative Lebensereignisse), b) die biograsche Nähe zu Gewalt als Erziehungsmittel, c) das Aufwachsen in gewaltbereiten Milieus in unterschiedlichen Kulturen der Welt (vgl. GD1). Zum Problem der Vernachlässigung diskutierte der Psychologische Dienst die mangelnde oder fehlende Präsenz der Eltern, keine adäquate Tagesstruktur, ein mangelndes Gesundheitsbewusstsein der Erziehungsberechtigten und einen inadäquaten Medienkonsum der Kinder und Jugendlichen. Der Psychologische Dienst erwähnte als wichtiges Phänomen Bindungslosigkeit und Eltern, die nicht „in ihrer Rolle“ sind (vgl. GD1). 7 Gründe zur Fremdunterbringung aus Sicht von Jugendlichen und MütternAls Ergänzung zur Aktenanalyse wurden exemplarische Perspektiven der Jugendlichen und Mütter eingeholt. Eine Mutter schwankt zwischen der Aussage, den Grund für die Fremdunterbringung nicht zu kennen, und dem Anführen der Gewalttätigkeit des Partners als Grund. Für die Unkenntnis steht folgendes Zitat: „Ich weiß den Grund nicht. Ich weiß nur, dass ich einen Anruf gekriegt habe, kurz vor dem Semesterzeugnis, dass ich mich entscheiden muss innerhalb von zwei Tagen, ob ich diese Maßnahme mache oder nicht.“ (Int. 11: 31) Eine andere Aussage bringt hingegen die Gewalttätigkeit des Vaters zum Ausdruck. Eine andere Mutter führt die Fremdunterbringung auf ihren Drogenkonsum mit Jugendlichen zurück. Ihren eigenen Drogenkonsum bezeichnet sie als Ersatz für eine mögliche Medikamenteneinnahme bei Schlaosigkeit. Gleichzeitig wird im Statement ihr derzeitiges Bemühen ausgedrückt: „Ich habe eine Strafe gekriegt, weil Jugendliche in meinem Haus waren, die gekit haben und so, dass, ich meine, okay, ich habe selber auch am Abend einmal was gekit, ich meine, keine Frage, ich will keine Medikamente nehmen. […] Aber seit über einem Jahr tu ich gar nichts mehr, ich mache, nur noch mehr schauen, dass ich irgendwie den oenen Besuch wenigstens wieder kriege. Also ich halte mich an alles, was die sagen.“ (Int. 3: 44) Manche Jugendliche drücken sehr klar aus, welche Gründe zur Fremdunterbringung geführt haben, andere Jugendliche können die Gründe nicht nennen. Als Beispiel für die Kenntnis eines Grundes ist folgende Aussage: „Ahm, ja, weil meine Eltern so viel gsoen haben halt und nur gerauft haben und ja, nein, das war, also so habe ich es halt mitgekriegt. Ja.“ (Int. 9: 147) Ein Beispiel für Unklarheit, die auch damit erklärt wird, dass man als Kind bzw. Jugendliche_r nur seine eigenen familiären Verhältnisse kennt, liest sich so: „Ich weiß nicht einmal, ich weiß nicht, was meine Eltern falsch machen, ich weiß nicht, was – okay, wir können wahrscheinlich nichts dafür – es sind meistens eh die Eltern dran schuld, aber ich weiß nicht, was meine Eltern falsch machen. Oder was sie richtig machen, also ich kenne das Leben halt nur so.“ (Int. 14: 80)8 Wege nach der FremdunterbringungAnhand von insgesamt 147 abgeschlossenen Fällen der Jahre 2016 bis 2018 wurde recherchiert, welche Gründe zum Abschluss führten. Folgende Kategorien wurden betrachtet: Rückführung in die Herkunftsfamilie, das Erreichen der Altersgrenze (18 bzw. 21 Jahre), der Verzug in eine andere Einrichtung außerhalb der Kinder- und Jugendhilfe (z.B. Einrichtung nach BHG, UMF-Einrichtung, Gefängnis), Abbruch und Selbstständigkeit. Es zeigt sich zunächst, dass eine erhebliche Zahl an Rückführungen in die Herkunftsfamilien stattndet. Insgesamt wurden 38,1 Prozent der Fälle reintegriert. Hoch ist weiters der Anteil an Abbrüchen. Bei einem Viertel der abgeschlossenen Fälle kam es zu einem Abbruch. Dieser wurde den Aufzeichnungen zufolge mehrheitlich von den Jugendlichen veranlasst (62,2 %). In zweiter Linie wird der Abbruch der Herkunftsfamilie zugeschrieben (24,3 %). Schließlich sind auch Abbrüche durch die Pegepersonen bzw. Einrichtungen möglich (13,5 %). Eine Entlassung in die Selbstständigkeit (14,3 %), das Erreichen des 18. Lebensjahres (8,2 %) bzw. das Erreichen des 21. Lebensjahres (2,0 %) decken das Gros der anderen Abschlussformen ab. Verschiedentlich kommt es auch zu einem Übergang in eine Einrichtung, die nicht von der Kinder- und Jugendhilfe nanziert wird (4,1 %).9 Reintegration nach einer Fremdunterbringung aus Sicht der Sozialarbeiter_innenDie interviewten Sozialarbeiter_innen bestätigen, dass vorzeitige Abbrüche von Fremdunterbringungen durch die Jugendlichen, die Eltern oder die Einrichtung bzw. Pegeperson oft der Fall sind und nach ihrem Eindruck häuger erfolgen als geplante Reintegrationen: „Beendigung von Voller Erziehung statt Rückführungen. Das kommt wesentlich öfter vor als Rückführungen, wesentlich.“ (IP3: 14)Der Hauptgrund für den vorzeitigen Abbruch einer stationären Erziehungshilfe wird von drei Interviewpartner_innen in den hohen Kosten gesehen, während dies bei einem Interview nicht als bedeutsam beurteilt wurde. Das betrit nicht nur einkommensschwache Eltern, sondern auch sogenannte Wohlstandsfamilien. Die nanzielle Mehrbelastung durch den Kostenbeitrag in Abhängigkeit der Vermögens- und Einkommensverhältnisse übersteigen die nanziellen Möglichkeiten oder die Bereitschaft der Familien, für diese Kosten aufzukommen: „Weil Kinder, die, wo eine Rückführung geplant wäre, schon viel Zeit zuhause verbringen, damit man das sozial aufbauen kann, für die Familie einfach eine Doppelbelastung nanziell da ist, die die meisten Familien einfach nicht stemmen können.“ (IP3: 14) Demgegenüber sind ambulante und präventive Erziehungshilfen mit keinen Kosten verbunden. Finanzielle Gründe führen zu Abbrüchen, aber auch „natürlicherweise eine Sehnsucht nach dem Familiensystem“ (IP3: 14). Familien lösen die Einverständniserklärung zur Fremdunterbringung vorzeitig oder Einrichtungen brechen die stationäre Unterbringung ab. Es kommt zu sogenannten Rückgaben. Danach gefragt, ob die Unterbringung durch die Einrichtungen beendet wird, antwortet ein_e Sozialarbeiter_in: „Ja, […] beendet oder gar nicht erst begonnen.“ (IP5: 18) Die vorzeitigen Abbrüche werden von den Fachkräften als Problem gesehen und sollten vertiefend und systematisch erforscht werden. Die befragten Sozialarbeiter_innen aus den beiden steirischen Bezirken nennen für eine geplante Rückkehr einen Zeitraum von ein bis zwei Jahren und sprechen sich für eine weitgehende Vorausplanung aus: „Das wäre eine gelungene, schöne Rückführung, wo man auch vorher schon die Probleme bespricht und sehenden Auges plant.“ (IP3: 16) Bereits zu Beginn einer Fremdunterbringung, oder besser bereits im Vorfeld einer stationären Hilfe ist ein umfassender Hilfeplan zu entwickeln, der fünf Phasen von der Planung bis zu einer Nachbetreuung berücksichtigt (vgl. Dittmann/Wolf 2014: 28f.).Phase 1: Im Vorfeld der stationären Hilfe – Wunsch nach VeränderungIm Vorfeld der Unterbringung wird die Zusammenarbeit mit der Familie forciert. Dabei ist der Wunsch nach Veränderung maßgeblich. Die Planung der Reintegration beeinusst zudem die Wahl der Einrichtung, so können durch die Nähe zur Herkunftsfamilie z.B. Besuchskontakte ermöglicht werden. Phase 2: Beginn der stationären Hilfe mit Rückkehr als OptionDer Übergang gilt als herausfordernd und krisenhaft und sollte möglichst nicht mehrfach erfolgen, weil die Einrichtungen nicht passen (vgl. Volksanwaltschaft 2017). Besonders bei Krisenunterbringungen ist die Frage der unmittelbaren Reintegration virulent.Phase 3: Während der stationären Hilfe bei geplanter RückkehrWährend der stationären Hilfe laufen im Idealfall mehrere Prozesse gleichzeitig. Eltern bzw. Elternteile verändern Rahmenbedingungen oder Verhaltensweisen in Eigenverantwortung und auch mittels ambulanter bzw. mobiler Hilfen. Marion Pomey (2017: 259) beschreibt dies als „Ermächtigung und Befähigung der Familie“. Die Kinder und Jugendlichen können in einer Einrichtung zur Ruhe kommen und sich stabilisieren. Phase 4: Vorbereitung der RückkehrDie Vorbereitung einer idealtypischen Rückkehr erfordert eine enge Abstimmung aller Beteiligten. Eine gelungene Reintegration in die (Herkunfts-)Familie berücksichtigt Rahmenbedingungen. So ist beispielsweise für Kinder die Schule sehr zentral und ein Schulwechsel zu vermeiden.Phase 5: Nach der Rückkehr – NachbetreuungIst die Rückkehr erfolgt, gilt es, den sogenannten Drehtür- oder Jo-Jo-Eekt zu verhindern. Eine begleitende Nachbetreuung wirkt stabilisierend.Reintegration kann gelingen, wenn Eltern in ihrer Erziehungskompetenz und -verantwortung gestärkt sind, wenn die Freiwilligkeit von Beginn an gegeben ist und das Potenzial zur Rückkehr auch bei der Auswahl der Einrichtung und der Hilfeplanerstellung Berücksichtigung ndet, außerdem wenn bei den Beteiligten generell „ein Veränderungsbild da ist“ (IP2: 23) und die nanzielle Situation der Familie gesichert ist. Zudem sollten die Zusammenarbeit mit den exiblen Hilfen und eine ausreichende Anzahl an Maßnahmen gegeben sein, um in unmittelbarer Wohnumgebung intensiv an der Rückführung zu arbeiten. Eine oene und transparente Kommunikation und der richtige Zeitpunkt im Betreuungs- und Entwicklungsverlauf gehören zu den Gelingensfaktoren. 10 FazitDie Studie befasste sich mit raum- und fallbezogenen Analysen zu den Gründen von Fremdunterbringungen und deren Übergängen. Die Gründe für Fremdunterbringungen zu kennen, ermöglicht eine gezielte Planung und Prävention. Die raumbezogenen Ergebnisse der Erhebung bei Eltern aus elementarpädagogischen Einrichtungen zeigen, dass es belastende Lebensereignisse wie Gewalt in der Familie, Scheidung oder Trennung und eine Verringerung des Einkommens sind, von denen in Familien mit einem erhöhten Belastungsscore und einem erhöhten Gefährdungsrisiko häuger berichtet wird. Dies ist ein Hinweis darauf, dass die genannten Lebensbelastungen zu einer erhöhten Vulnerabilität der Familien führen. Die empirische Analyse der fallbezogenen Gründe bendet sich noch in den Anfängen. Es besteht eine Diskrepanz zwischen den fallbezogen konstruierten Textdokumenten und den Erfordernissen einer überindividuellen Beschreibung. Die Texte enthalten bestimmte Inhalte nur selektiv und verwenden unterschiedliche, nicht denierte Begrie. Aus der Fachliteratur und dem empirischen Material konnte ein Schema mit Primär- und Sekundärgründen entwickelt werden, das als Raster für die deskriptive Darstellung der Gründe für Fremdunterbringungen diente. Zudem wurde versucht, den Fallverlauf zu charakterisieren. Die Zukunft wird zeigen, inwieweit solche empirischen Ansätze in die Fallarbeit der Kinder- und Jugendhilfe implementiert werden. Gewalt und Vernachlässigung sind die beiden Hauptkategorien. Auallend ist bei hoher Kongruenz der Bezirke das Ausmaß der Vernachlässigung. Als Sekundärprobleme kristallisierten sich die Probleme in Familie und Partnerschaft, belastende Gefühle, psychische Auälligkeiten, Suchtproblematik, Armut und Schulden, Wohnprobleme, Haft und Todesfälle heraus. Viele Familien sind von mehreren Problemen gleichzeitig betroen. Als deviantes Verhalten der Kinder und Jugendlichen kommen verbale Aggressionen, handgreiiche Auseinandersetzungen und – mit Abstand – andere Verhaltensweisen wie Diebstähle, Einbrüche, Abgängigkeit und Vandalismus hinzu. Als Ressourcen der Familien werden hauptsächlich die Verwandtschaft und in Einzelfällen Nachbar_innen, Schule oder Freund_innen genannt. Der Psychologische Dienst benennt mit der Überforderung der Bezugspersonen, der biograschen Nähe zu Gewalt als Erziehungsmittel und dem Aufwachsen in gewaltbereiten Milieus gewaltfördernde Dimensionen. Bei der Vernachlässigung kommt zum Tragen, dass manche Eltern ihre Rolle als Erziehungsberechtigte nicht wahrnehmen. Seitens der Mütter besteht manchmal ein diuses, manchmal ein konkretes Bild hinsichtlich der Gründe der Fremdunterbringungen. Manche der befragten Jugendlichen tun sich ebenfalls schwer, ihr familiäres Aufwachsen zu problematisieren, andere Jugendliche wiederum nden klare Beschreibungen. Die Analyse der abgeschlossenen Fälle zeigt einen hohen Anteil an Rückführungen zur Herkunftsfamilie, aber auch einen nicht unerheblichen Anteil an Abbrüchen, vorwiegend seitens der Jugendlichen bzw. deren Familien. Derzeit fallen die Planung und Umsetzung der sozialen Reintegration in die Herkunftsfamilien sehr heterogen aus. Wünschenswert wäre eine kontinuierliche Arbeit an der Reintegration, die bereits vor der Fremdunterbringung einsetzt, die Arbeit mit den Eltern während der Fremdunterbringung einschließt und auch nach der Reintegration aufrechtbleibt. Insgesamt ist zu wünschen, dass diese explorative Studie einen Beitrag für weitere Analysen leistet, um die fallübergreifende Dokumentation zu verbessern. In weiterer Folge sollen Familien so vor, während und nach Fremdunterbringungen noch besser unterstützet und letztlich die Anzahl von erforderlichen Unterbringungen für Kinder und Jugendliche reduziert werden.Verweise1 Eine ausführlichere Darstellung ndet sich im Forschungsbericht von Gspurning/Heimgartner/Hojnik/Pantuček/Reicher/Stuhlpfarrer (2020).LiteraturverzeichnisAmt der Steiermärkischen Landesregierung (2014): Rahmenkonzept: Kinder‐ und Jugendhilfe des Landes Steiermark. Graz: Land Steiermark.Beierlein, Constanze/Kovaleva, Anastassiya/Laszlo, Zsuzsa/Kemper, Christoph J./Rammstedt, Beatrice (2014): Eine Single‐Items‐Skala zur Erfassung der allgemeinen Lebenszufriedenheit: Die Kurzskala Lebenzufriedenheit‐1 (L‐1). 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Arbeitsschwerpunkte: Organisationen Sozialer Arbeit, Sozialarbeitsforschung, Sozialmanagement mit Schwerpunkt Personalmanagement, Erwachsenenbildung und Personalentwicklung.Mag.a Dr.in Gertraud Pantuček, DSAgertraud.pantucek@fh-joanneum.atLeiterin des Instituts für Soziale Arbeit an der FH JOANNEUM und des Bachelor- und Masterstudiengangs Soziale Arbeit. Arbeitsschwerpunkte: Kinder- und Jugendhilfe, Migration, Organisationsentwicklung.Mag.a Dr.in Hannelore Reicherhannelore.reicher@uni-graz.atAo. Universitätsprofessorin im Arbeitsbereich Sozialpädagogik am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft der Universität Graz. Arbeitsschwerpunkte: Inklusion und soziale Partizipation, Pegefamilien, Emotionen und Gesundheit in der Sozialen Arbeit, Kinder und Jugendliche mit Erlebens- und Verhaltensproblemen.Elena Stuhlpfarrer, BA BA MAelena.stuhlpfarrer@uni-graz.atUniversitätsassistentin und Doktorandin im Arbeitsbereich Sozialpädagogik am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft der Universität Graz. Arbeitsschwerpunkte: Liebesbeziehungen und Sexualität von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im digitalen Raum, deviantes Verhalten im Jugendalter (insbesondere Jugendgewalt) sowie weibliche Armut und Wohnungslosigkeit.Mag.a Dr.in Waltraud Gspurning waltraud.gspurning@pph-augustinum.atHochschulprofessorin an der PPH Augustinum Graz, Lehrbeauftragte der Universität Graz, Erziehungs- und Bildungswissenschaft, Sozialpädagogik. Sozialwissenschaftliche Forschung mit Schwerpunkt Schule und Soziale Arbeit, Kinder- und Jugendhilfe.Gründe für FremdunterbringungenArno Heimgartner, Sylvia Hojnik, Gertraud Pantuček, Hannelore Reicher, Elena Stuhlpfarrer, Waltraud Gspurning