soziales_kapitalSophie Mayer.Fernseh-Vorführungen der Armut. Die Würde des Menschen ist… leistungsabhängig?” soziales_kapital, no. 26 (2022). Rubrik „ema“. Salzburg. Printversion: https://soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/view/748/1385_Soziale Innovation 26. Ausgabe Juni 2022ZusammenfassungArm, bildungsfern und demotiviert: Dieses Bild vermitteln aktuelle Darstellungen von Armutsbetroenen in Wohlstandsländern häug. Wie wird Armut im österreichischen Fernsehen dargestellt? In welchem Zusammenhang stehen mediale Inszenierungen, öentliche Wahrnehmungen und die Handlungsbereitschaft gegenüber benachteiligenden Phänomenen wie Armut? Diese Fragestellungen werden im folgenden Beitrag thematisiert. Der Artikel stellt eine Zusammenfassung der zentralen Erkenntnisse meiner Masterarbeit dar, die unter der Betreuung von FH-Prof. Mag. Dr. Markus Pausch im Studiengang Soziale Innovation der FH Salzburg entstanden ist. Im folgenden Beitrag wird zunächst ein Überblick über Armut in Österreich sowie damit einhergehende Benachteiligungen gegeben. Darüber hinaus wird auf Wirkungen der Massenmedien eingegangen, wobei insbesondere das Framing angesprochen wird. Schließlich werden zentrale Forschungsergebnisse hinsichtlich der Repräsentationen von Armut im österreichischen Fernsehen vorgestellt sowie einige mögliche Auswirkungen der Darstellungen auf Armutsbetroene sowie Nicht-Betroene skizziert.Schlagworte: Armut, soziale Ungleichheit, Fernsehen, mediale Repräsentationen, Stereotype, FramingAbstractPoor, uneducated and demotivated: This is the image that current portrayals of people experiencing poverty in auent countries often convey. How is poverty portrayed on Austrian television? What is the correlation between media presentation, public perceptions, and the will to act against disadvantageous phenomena such as poverty? The article addresses these questions. It provides a brief summary of central ndings of my master’s thesis, supervised by FH-Prof. Mag. Dr. Markus Pausch, and written in the study programme Social Innovation at the Salzburg University of Applied Sciences. First, it gives an overview on poverty and the associated disadvantages in Austria. Second, the inuence of mass media is discussed, with special focus on framing. Finally, the key research results regarding the representation of poverty on Austrian television are presented and possible implications will be outlined.Keywords: poverty, social inequality, television, representations through the media, stereotypes, framing1 EinleitungArmut ist ein multidimensionales Phänomen, welches mit zahlreichen Benachteiligungen einhergeht. Obgleich Armutslagen durch strukturelle Ursachen wie beispielsweise die Ausweitung des Niedriglohnsektors entstehen und mittlerweile mehr als 17 % der österreichischen Bevölkerung von Armut und Ausgrenzung betroen sind (vgl. Statistik Austria 2019: 83f.), werden Armut und Armutsbetroene medial überwiegend verzerrt inszeniert und repräsentiert. Anstatt sich einer umfassenden und detaillierten Aufklärung über Armutslagen, deren Ursachen sowie daraus resultierenden Problemen zu widmen, werden medial und politisch vermehrt meritokratische Ideologien verbreitet. Besonders häug wird in diesem Zusammenhang das Leistungsprinzip aufgerufen, welches jedoch als wissenschaftlich widerlegt gilt (vgl. Butterwegge 2020: 234). Die verzerrte Darstellung von Armut und Armutsbetroenen in den Medien sowie die Verbreitung neoliberaler Ideologien, so die dem folgenden Beitrag zugrundeliegende Annahme, haben gravierende Auswirkungen auf den öentlichen Diskurs und somit auch auf die Wahrnehmung von und Handlungsbereitschaft gegenüber der Armut. Die folgenden Überlegungen basieren auf den Erkenntnissen meiner Masterarbeit Fernseh-Vorführungen der Armut. Die Würde des Menschen ist… leistungsabhängig? Repräsentationen und Inszenierungen von Armut beziehungsweise Armutsbetroenen im österreichischen Fernsehen und deren Auswirkungen (2020). Hierfür wurden ausgewählte Fernsehbeiträge eines öentlich-rechtlichen Senders und eines privat-kommerziellen Senders bezüglich der Darstellung von Armut und Armutsbetroenen analysiert. Darüber hinaus wurden einige Hypothesen über die Auswirkungen der Darstellungen aufgestellt sowie Alternativen zu bestehenden Darstellungspraktiken über Armut aufgezeigt. Die Hauptforschungsfrage war, wie in ausgewählten Medien über Armut und Personen mit Armutserfahrungen berichtet wird. Daran knüpfte die (Sub-)Forschungsfrage danach an, welche Auswirkungen die mediale Darstellung von Armut und Personen mit Armutserfahrungen auf Betroene oder nicht betroene Personen hat.2 Armut in ÖsterreichLaut EU-SILC-Bericht von 2020 sind 17,5 % (1.529.000 Menschen) der Österreicher*innen armuts- oder ausgrenzungsgefährdet und 2,7 % (233.000 Menschen) erheblich materiell depriviert. In Österreich gelten Einpersonenhaushalte als armutsgefährdet, die monatlich weniger als 1.328 € zur Verfügung haben (vgl. Die Armutskonferenz 2021). Um Armut als Problem von hoher gesellschaftlicher Relevanz zu begreifen, ist es nötig, die quantitative Perspektive zu erweitern und die Zusammenhänge zwischen materieller Armut und damit einhergehenden Benachteiligungen darzustellen: So besteht mittlerweile wissenschaftliche Einigkeit darüber, dass hinsichtlich des gesundheitlichen Wohls eine chronische Benachteiligung besteht, die aus Armutslagen resultiert. Menschen mit niedrigem sozioökonomischen Status haben ein 1,5- bis 4-fach höheres Risiko chronisch zu erkranken als Personen der Ober- und Mittelschicht. Darüber hinaus ist die Lebenserwartung von Menschen mit geringem Einkommen, je nach Studie, um drei bis zwölf Jahre verkürzt (vgl. Haverkamp 2018: 479.). Zu den erheblichen Risikofaktoren zählen beispielsweise gesundheitsschädigende Wohn- und Arbeitsbedingungen (vgl. ebd.: 486). Gesundheit ist demnach nicht ausschließlich ein natürlicher Zustand, sondern wird häug durch Benachteiligungen beeinusst, mit denen exkludierte Gruppen konfrontiert sind. Weitere gravierende Dezite, die mit Armut einhergehen, sind die mangelnden gesellschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten, die sich deutlich an der politischen Ungleichheit in Österreich erkennen lassen. Bereits im März 2020 warnte die Armutskonferenz davor, dass sich Österreich auf dem Weg in eine Zwei-Drittel-Demokratie bende: Armutsbetroene sind parlamentarisch unterrepräsentiert und haben nicht das Gefühl, politischen Einuss nehmen zu können (vgl. Die Armutskonferenz 2020). Martin Schenk weist darauf hin, dass das ärmste Drittel der Bevölkerung bei gesetzlichen Maßnahmen übersehen wird oder ihm gar geschadet wird. Dies zeigt sich zum Beispiel an der Tabuisierung der Themen working poor und Prekariat, an der mangelnden politischen Handlungsbereitschaft bezüglich leistbarem Wohnen oder an der Abschaung der Mindestsicherung (vgl. Die Armutskonferenz 2020). Da Partizipation und die Möglichkeit zur Interessenseinbringung zentrale Bestandteile von Demokratien sind, das ökonomisch schwächste Drittel allerdings immer seltener an zivilgesellschaftlichen Prozessen teilnimmt, können die politische Gleichheit und somit die demokratischen Verhältnisse in Österreich infrage gestellt werden (vgl. Zandonella 2019: 25). Aufgrund mangelnder monetärer Ressourcen sind armutsbetroene Menschen meist nicht in der Lage, für Museums-, Kino-, oder Theaterbesuche aufzukommen und werden somit auch kulturell exkludiert. Als Reaktion darauf wurde die Initiative Hunger auf Kunst und Kultur geschaen, die mit dem Kulturpass kostenlose Eintritte für nanziell Benachteiligte zur Verfügung stellt. Der Kulturpass wurde jedoch 2018 im Bundesland Salzburg lediglich von 4,4 % aller Berechtigten genutzt (vgl. Statistik Austria 2019: 11; Hunger auf Kunst und Kultur o.J., Gernot 2018: 1). Die geringe Anzahl der Inanspruchnahmen des Kulturpasses weist auf ein weiteres Problem im Kontext Armut hin: die emotionale Verfassung von Armutsbetroenen. Als Grundgefühl der Armut nennt Stefan Selke (2015) Scham. Diese resultiert etwa daraus, dass Betroene nanziell nicht in der Lage sind, gesellschaftlichen Erwartungen zu entsprechen, und daher die Geringschätzung ihrer Mitmenschen fürchten. Bei arbeitslosen Personen, die trotz aller Bemühungen keinen adäquaten Arbeitsplatz nden, resultiert Scham oftmals aus Schuldzuweisungen: der individuelle Status wird dann als persönlicher Misserfolg gewertet. Die Kombination aus Scham und Schuld führt in weiterer Folge bei vielen Betroenen zu einem Gefühl von Minderwertigkeit, resignativer Selbstabwertung und Ausgrenzung aus der Gesellschaft (vgl. Selke 2015: 39–42). Beschämungsverhältnisse können allerdings ebenso durch Institutionen erzeugt werden, beispielsweise durch atypische Arbeitsverhältnisse, Reformen der Hartz-IV-Gesetze beziehungsweise Arbeitslosenversicherungsgesetze und damit verbundene Instrumente der Machtausübung (Kürzungen, Sanktionen etc.), die auf die Disziplinierung von Leistungsempfänger*innen abzielen (vgl. ebd.: 43f.). Eine Vielzahl weiterer benachteiligender Aspekte im Zusammenhang mit Armut in Österreich wäre zu nennen, wie etwa die soziale Immobilität, der Mangel an Kontakten oder digitale Ungleichheiten. An dieser Stelle soll jedoch abschließend die Bildungsungleichheit hervorgehoben werden. Bildung stellt eine Grundvoraussetzung dar, um gesellschaftlich partizipieren zu können (vgl. Erler 2011: 192f.). Die soziale Herkunft von Kindern wirkt sich in nur wenigen Industrieländern dermaßen determinierend auf den Bildungsweg aus wie in Österreich, insbesondere bei Kindern von arbeitslosen Menschen, Kindern mit mehr als zwei Geschwistern, Kindern von Alleinerziehenden oder Kindern mit Migrationserfahrungen (vgl. ebd.: 194.). Diverse Faktoren wirken sich negativ auf den Bildungsweg und somit auf die Karrieregestaltung von Kindern aus: die Spaltung zwischen ‚guten‘ und ‚schlechten‘ Ausbildungsmöglichkeiten, die beispielsweise durch die Schaung von teuren Privatschulen und -universitäten entsteht, mangelnde nanzielle Mittel für die Förderung von Kindern, etwa für Nachhilfe, oder aber auch geringe Unterstützung beim Lernen aufgrund von Zeitknappheit oder niedriger formaler Bildung der Eltern (vgl. ebd.: 197–200). Während das Thema Bildungsarmut im öentlichen Diskurs verankert ist, werden Bildungsprivilegien nur selten thematisiert (vgl. Butterwegge 2020: 227). Chancengleichheit, welche im Kontext der Bildung suggeriert wird, ist häug nicht gegeben. Zu hinterfragen ist zum Beispiel, ob eine Bewertung nach einheitlichen Maßstäben von Schüler*innen oder Student*innen mit stark variierenden sozioökonomischen Voraussetzungen dem Grundsatz der Gleichbehandlung entspricht (vgl. Erler 2011: 201). Weiters ist anzunehmen, dass manche Lehrer*innen Kinder, deren Eltern einen hohen sozialen Status haben, teilweise anders behandeln und benoten als Kinder, deren Eltern langzeitarbeitslos sind. Mit der Benotung, die in vielen Fällen lediglich eine Illusion eines gerechten und gleichwertigen Umgangs darstellt, geht auch eine Begabungsideologie einher, die das Bewusstsein der Kinder prägt. Das Gefühl, unfähig oder begabt zu sein, hat wiederum große Auswirkungen auf den weiteren Bildungsweg und die Karrieregestaltung (vgl. ebd.: 201–205). Obwohl zahlreiche Hürden existieren, die nanziell benachteiligte Kinder überwinden müssen, nimmt die Anzahl an Studienabsolvent*innen aus niedrigen sozioökonomischen Schichten zu. Diese Entwicklung schlägt sich jedoch kaum in der Besetzung von Spitzenpositionen nieder. Auch wenn Personen aus niedrigen Schichten die vielseitigen Barrieren des Bildungssystems überwinden und ein für Toppositionen relevantes Studium absolvieren, haben sie schlechtere Chancen im Berufsleben. So haben Kinder aus bürgerlichen Familien mit denselben Voraussetzungen und Studiencharakteristika (Studiendauer, Erfolge, Auslandsaufenthalte etc.) doppelt so hohe Chancen auf Führungspositionen. Für Kinder, deren Eltern selbst Geschäftsführer*innen waren oder ähnliche Positionen belegten, ist die Chance sogar 17-mal höher als bei Kindern aus Arbeiter*innenfamilien (vgl. Hartmann 2018: 65).3 Mythos LeistungsgerechtigkeitDurch die im öentlichen Diskurs immer häuger vorkommende Suggestion, dass sozialer Aufstieg durch Bildung möglich und diese somit eine Quelle für materiellen Wohlstand und beruichen Erfolg ist, wird die Eigenverantwortlichkeit und die Notwendigkeit der Selbstoptimierung von (armutsbetroenen) Personen hervorgehoben. Die Relevanz der Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse und die Notwendigkeit der Umverteilung – von Reichtum, Machtstrukturen und damit einhergehenden Privilegien – wird jedoch kaum zur Diskussion gestellt (vgl. Butterwegge 2020: 235f.). Das Leistungsprinzip ist zum Dogma des 21. Jahrhunderts geworden. Dass die Erarbeitung von nanziellem Wohlstand durch Leistung nicht immer möglich ist und welch große Rolle das Glück spielt, in vermögende Familien geboren zu werden, bleibt bei diesem Glaubenssatz meist unberücksichtigt. Leistungsgerechtigkeit ist eine Scheinrechtfertigung ökonomischer Ungleichheit. Zur Legitimation dient die meritokratische Triade, welche sich über drei Indikatoren für Erfolg und Wohlstand deniert: Bildungsabschluss, beruicher Rang und Einkommen. Dem entsprechend wird suggeriert, dass höhere Bildung und Qualikationen zu einem gehobenen beruichen Rang und damit zusammenhängend zu einer adäquaten Entlohnung führen (vgl. Kreckel, zit.n. Butterwegge 2012: 34f.). Die Argumentation, „Je mehr man leistet, desto mehr verdient man“, ist jedoch äußerst brüchig. So ist es fraglich, nach welchen Kriterien Leistung gemessen werden kann, inwiefern eklatante Dierenzen der Entlohnung, beispielsweise zwischen Vorstandsvorsitzenden und Sozialarbeiter*innen, gerechtfertigt sind oder inwiefern eine Leistungsgerechtigkeit per se möglich ist, wenn die Startvoraussetzungen (Bildung, Vermögen, Teilhabe, biologische Unterscheidungsmerkmale, Einkommen etc.) gesellschaftlich äußerst ungleich verteilt sind (vgl. Butterwegge/Lösch/Ptak 2008: 156f.). Ungleiche Zugangsvoraussetzungen lassen sich auch anhand der Vermögensverteilung in Österreich ablesen. 2019 besaßen 5 % der reichsten Personen Österreichs 43,1 % des Gesamtvermögens, während 50 % der ärmeren Bevölkerung lediglich über 3,6 % verfügten (vgl. DerStandard 2019). Es ist dringend notwendig, Ungleichverteilungen, soziale Immobilität und die äußerst heterogenen Voraussetzungen von Individuen zu berücksichtigen, beruft man sich auf eine leistungszentrierte Ideologie. Zudem sollte die Kehrseite der Armut, der in vielen Fällen vererbte Reichtum, nicht außer Acht gelassen werden. Trotz aller Einwände ist die Leistungsideologie wirtschaftlich, politisch und medial stark in der Gesellschaft verwurzelt und zieht zahlreiche negative Konsequenzen nach sich. Mittels symbolischer Gewalt werden herrschende hegemoniale Verhältnisse verinnerlicht. Problematisch sind nicht nur daraus resultierende Vorurteile gegenüber Armutsbetroenen, sondern ebenso die Anwendung des Leistungsprinzips auf benachteiligte Bevölkerungsgruppen. Gerade weil das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit die jeweiligen ökonomischen Ressourcen, den Sozialstatus und Erfolg mittels der Leistung rechtfertigt, wollen Personen nicht als arm bezeichnet werden und verzichten teilweise sogar aus Scham auf Sozialleistungen. Die symbolische Gewalt trägt dazu bei, Armut zu verschleiern, weil diese mit persönlichem Versagen verbunden wird. Das daraus resultierende Phänomen der „verdeckten Armut“ verdeutlicht, dass das Leistungsprinzip und damit verbundene Stigmata mit psychischen sowie mit materiellen Belastungen für Armutsbetroene einhergehen (vgl. Groh-Samberg/Keller 2011: 53–57). Abschließend lässt sich sagen, dass die neoliberal geprägte Leistungsideologie von zahlreichen renommierten Wissenschaftler*innen als unhaltbarer Mythos bezeichnet wird. Weder mangelnde Bildung noch Qualikationen oder Leistung können als Ursachen für die Entstehung von Armut und (ökonomischen) Ungleichheit(en) herangezogen werden.4 Entstehungsbedingungen der ArmutDie Antwort auf die Frage nach den tatsächlichen Entstehungsmechanismen von Armut in Wohlfahrtsstaaten ist wohl ebenso komplex wie das Phänomen der Armut selbst. So sieht Christoph Butterwegge die Ursachen sozioökonomischer Ungleichheit in den Eigentums-, Produktions- und Herrschaftsverhältnissen des kapitalistischen Wirtschaftssystems (vgl. Butterwegge 2020: 254). Das Substrat für die Entstehung von Armutslagen ist der dominierende Neoliberalismus, welcher nach dem Prinzip uneingeschränkter Konkurrenz funktioniert und nach Marktfreiheit sowie der Privatisierung der Produktionsmittel strebt. Die Deregulierung der Wirtschaft, die Liberalisierung der Märkte und die Privatisierung von öentlichem Eigentum haben nach Butterwegge dazu geführt, dass vermehrt Managementtechniken bei der Verwaltung sozialer Risiken und in der öentlichen Daseinsfürsorge angewandt werden – die wiederum auf Gewinn und Leistung abstellen und Egoismen und Konkurrenz fördern. Werte wie Gemeinwohl, Solidarität und soziales Verantwortungsbewusstsein geraten dementgegen aus dem Fokus (vgl. ebd.: 257). Emmerich Tálos und Martin Kronauer nennen in Erosion sozialer Reproduktionsmechanismen (2011) einige Faktoren, die Armut begünstigen. Besondere Bedeutung kommt dabei den Wohlfahrtsstaaten zu, welche anhand bestimmter Normalitätsannahmen organisiert sind. Erstens orientieren sich Wohlfahrtsstaaten des Bismarcktypus an sogenannten Normalarbeitsverhältnissen. Die Sicherung der materiellen Existenz, die Absicherung des Lebensstandards im Alter sowie der Schutz beim Entfall des Erwerbseinkommens sind an kontinuierliche Vollzeit-Positionen gebunden. Bis in die 1980er Jahre hinein bezog sich diese Vorstellung zum Normalarbeitsverhältnis auf Männer, womit die zweite Normalitätsannahme berührt ist: die Orientierung am konservativen Typus der Normalfamilie, in welcher dem Mann die Rolle als Ernährer der Familie und der Frau die Rolle als Mutter und Hausfrau zukommt. Drittens orientierte sich der Wohlfahrtsstaat in Österreich, speziell in der Zeit nach 1945, an den damaligen Normalitätsstandards, welche durch Wachstum, den Anstieg des Lohnniveaus sowie eine entspannte Situation am Arbeitsmarkt geprägt waren. Arbeitsmarktferne Menschen und Verarmungsrisiken blieben weitgehend im Verborgenen. Daraus resultierten strukturelle Probleme, wie etwa die Bindung sozialer Sicherungen an Erwerbstätigkeit oder die Benachteiligung von Frauen. Diese haben auch heutzutage in vielen Fällen ein niedrigeres Einkommen und kürzere Versicherungszeiten, was sich wiederum in einem verminderten Versorgungsniveau im Falle von Krankheit, Arbeitslosigkeit und Alter niederschlägt. Da Armutspolitik für Personen fernab der Normalitätsannahmen nicht fokussiert wurde, beschränkten sich Ziele, Maßnahmen und Strategien weitgehend auf eine Fürsorgepolitik. Personen, die keiner kontinuierlichen Vollzeit-Erwerbsarbeit nachgehen, nicht den Zugangsvoraussetzungen wohlfahrtsstaatlicher Leistungen entsprechen oder keine beziehungsweise unzulängliche, nanzielle Unterstützung im familiären Kontext erhalten, sind demnach auf eine nicht existenzsichernde Fürsorge angewiesen, welche als Sozialhilfe betitelt wurde und heutzutage als Synonym der Mindestsicherung gilt (vgl. Kronauer/Tálos 2011: 26–29). Insgesamt gehen Kronauer und Tálos davon aus, dass Armut sowie daraus resultierende Ungleichheiten durch Transformationsprozesse, wie die Deregulierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, begünstigt werden. Beispielsweise sind aufgrund der Zunahme atypischer Arbeitsverhältnisse mittlerweile viele Personen trotz Vollzeit-Erwerbstätigkeit von Armut betroen. Zudem stellen Familie und Ehe heutzutage, entgegen der familiären Normalitätsannahmen, kein nanziell stabiles Auangnetz mehr dar. Auch Veränderungen auf staatlicher Ebene tragen zu Verarmungsrisiken bei, da Sozialleistungen tendenziell reduziert, die Zugangsbedingungen zur Inanspruchnahme sozialrechtlicher Leistungen hingegen eher verschärft werden. Darüber hinaus sind die staatlichen Maßnahmen nicht darauf ausgerichtet, Armut entgegenzuwirken, sondern sollen lediglich dem Risiko (extremer) Armut vorbeugen. Die Ursachen für Armut und sozioökonomische Ungleichheiten können nur mit Fokus auf die Dynamiken und Ausprägungen des Gegenwartskapitalismus analysiert werden. Daran anschließend muss der Blick auf die Folgen politischer Entscheidungen bezüglich gesellschaftlicher Distributionsverhältnisse gerichtet werden – jene Instanzen sind letztendlich für die Primär- und Sekundärverteilung der Einkommen verantwortlich (vgl. Butterwegge 2020: 255).5 MedienDer Masterarbeit lag die Vermutung zugrunde, dass Diskriminierungen und Benachteiligungen, die armutsbetroene Menschen erfahren, auch mit dem weit verbreiteten negativen Bild über Armutsbetroene zusammenhängen. Da für die Darstellung und Verbreitung öentlichkeitswirksamer Bilder zu großen Teilen Medien und insbesondere Massenmedien zu nennen sind, waren die Wirkungen von Medien von zentraler Bedeutung für die Masterarbeit. „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“ (Luhmann 2017: 9), brachte bereits Niklas Luhmann die Bedeutung der Medien auf den Punkt. Denn insbesondere die Massenmedien haben weitreichende Auswirkungen auf die Sozialisation, politische Integration beziehungsweise Apathie, können aber ebenso einen Beitrag zum Zusammenhalt in pluralistischen Gesellschaften leisten. Auf individueller Ebene lassen sich die Wirkungen der Massenkommunikation in vier Teilbereiche gliedern: Wissen, Einstellungen, Verhalten und Emotionen. Zweifelsohne hängen diese Veränderungen und Wirkungen voneinander ab bzw. gehen ineinander über. So mag eine Veränderung der Einstellungen zum Beispiel dazu beitragen, dass sich das jeweilige Wissen, die Antriebslage und das Verhalten ändern. Wirkungen entstehen zumeist aufgrund komplexer Interdependenzprozesse und sind somit nicht als einfache Kausalergebnisse zu verstehen (vgl. Maletzke 1998: 83–86). Für die Analyse der Darstellungen von Armut und Armutsbetroenen im österreichischen Fernsehen wurde insbesondere die Wirkungsart des Framings näher beleuchtet. Durch Framing werden spezische Teilaspekte hervorgehoben und Interpretationsrahmen für die Einordnung von Themen nahegelegt (vgl. Hasebrink 2016: 1f.). Demnach werden Sachverhalte aus einer bestimmten Perspektive dargestellt, wodurch gewisse Faktoren vernachlässigt, andere hingegen überbetont werden. In vielen Fällen geschieht dies unter Berücksichtigung von Wirkungsabsichten und kann somit auch als gezielte Intervention zur Einstellungsänderungen der Rezipient*innen dienen. Besonders problematisch ist diese Vorgehensweise, wenn Medien einseitig berichten und Sachverhalte unvollkommen darstellen. Aufgrund des Mangels an alternativen Frames verlieren Rezipient*innen dann häug das Bewusstsein für die perspektivische Darstellung, wodurch besonders hohes Wirkungspotenzial entsteht (vgl. ebd.: 2). Insbesondere metaphorische Frames – z.B. „Jemandem auf der Tasche liegen“, „Die Hand aufhalten“ etc. – spielen eine große Rolle, da sie abstrakte Themen nachvollziehbar machen, bestimmte Fakten priorisieren, andere Realitäten allerdings verdrängen und dadurch spezische Ideologien unterstützen. „In einem öentlichen Diskurs, in dem es an sprachlichen Alternativen mangelt“, so hebt Wehling hervor, „erodieren gedankliche Alternativen und dadurch letztendlich Handlungsalternativen“ (Wehling 2016: 60). Metaphorische Frames können somit zu verzerrten und inkorrekten Schlussfolgerungen führen und sind, obwohl sie äußerst selektiv sind, sehr wirksam: „Und sind sie erst einmal über Sprache in unseren Köpfen aktiviert, leiten sie unser Denken und Handeln – und zwar zumeist ohne dass wir es merken. Damit heißt Demokratie immer auch, Werte zu begreifen und sprachlich umzusetzen.“ (Ebd.: 191) 6 ForschungsdesignZur Erforschung der Darstellungen von Armut und Armutsbetroenen im österreichischen Fernsehen wurden zunächst Kriterien festgelegt, um eine Stichprobenauswahl zu ermöglichen. So wurde ein Querschnitt der Fernsehbeiträge und -sendungen gebildet, die sich 2020 dem Thema Armut und armutsbetroenen Personen in Österreich widmeten und einen Marktanteil von mindestens 2 % hatten. Darüber hinaus war es bei der Auswahl der Sendungen wichtig, dass sowohl Beiträge von einem öentlich-rechtlichen Sender als auch von einem privat-kommerziellen Sender zur Analyse herangezogen werden, um ein möglichst heterogenes Spektrum zu analysieren. Weiters wurden ausschließlich Beiträge in Erwägung gezogen, die armutsbetroene Personen und Armut in räumlicher und zeitlicher Nähe zeigen. Insgesamt wurden so sieben Beiträge des Österreichischen Rundfunks (ORF)1 und zwei Folgen aus zwei Serien des Senders RTLZWEI ausgewählt: „Odi et Amo“ aus der Serie Armes Deutschland – Stempeln oder Abrackern (vgl. RTLZWEI 2020a) und „Bremen und Bremerhaven“ aus der Serie Hartz Rot Gold – Armutskarte Deutschland (vgl. RTLZWEI 2020b). Für die Auswertung des Materials wurde die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring gewählt. Es wurde ein Methodenmix aus induktiver und deduktiver Kategorienbildung vorgenommen. Im folgenden Abschnitt sind alle Kategorien sowie die Häugkeit, wie oft sie im Datenmaterial aufgefunden wurden, abzulesen.7 ErgebnisseTabelle 1: Deduktive Kategorien, Gesamtmaterial Übersicht(eigene Darstellung).Tabelle 2: Induktive Kategorien, Gesamtmaterial Übersicht(eigene Darstellung).Wie man anhand der Tabelle 1 und 2 erkennen kann, gibt es eine deutliche Dierenz zwischen den Beiträgen des öentlich-rechtlichen und des privat-kommerziellen Fernsehens. Hinsichtlich der Häugkeit der analysierten Kategorien ist zu beachten, dass die Beiträge von RTLZWEI eine wesentlich längere Spielzeit haben als die Beiträge des ORF: bei RTLZWEI umfassen die zwei Beiträge jeweils fast anderthalb Stunden Spielzeit, beim ORF jeweils zwischen 18 Sekunden und 4 Minuten. Während RTLZWEI Armut in den Beiträgen anhand von Personen darstellt, wird sie in den Beiträgen des ORF als Phänomen veranschaulicht. Die am häugsten aufgefundenen Kategorien der Beiträge von RTLZWEI sind „Vorwürfe“ (46 Mal), „Devianz“ (29 Mal) und „Sozialschmarotzer-Debatte“ (25 Mal). In den Beiträgen des ORF werden keine betreende Passage eruiert. Zudem wird in den Darstellungen des privat-kommerziellen Rundfunks selten auf strukturelle Ursachen der Armut eingegangen. RTLZWEI: zwei indirekte Nennungen; ORF: 13 Erwähnungen, davon acht direkt und fünf indirekt. Auch Probleme, mit denen Armutsbetroene konfrontiert sind, werden in den Beiträgen des privat-kommerziellen Anbieters, im Vergleich zu den Kurzbeiträgen von ORF, selten erwähnt: RTLZWEI: 32 Mal; ORF: 23 Mal. Informationen zum Thema Armut werden in den Beiträgen von RTLZWEI kaum genannt: RTLZWEI: 15 Informationen; ORF: 35. 8 Armut und Armutsbetroene im österreichischen FernsehenBereits die Intro-Sätze der Folge „Odi et Amo“ polarisieren und geben ein Beispiel für das Sozialschmarotzer-Narrativ: „[O-Sprecher:] Armes Deutschland. Die Gesellschaft steht vor einer Zerreißprobe. Während manche aus Frust oder Faulheit Vater Staat auf der Tasche liegen, müssen andere bis ins hohe Alter rackern, um über die Runden zu kommen. […] Doch Dankbarkeit für die Fürsorge des Sozialstaates sucht man bei manchen vergebens. Anpacken oder Hand aufhalten? […] Eine Frage, die nicht nur die Gesellschaft spaltet, sondern auch in einigen Beziehungen immer wieder für Sprengsto sorgt.“ (RTLZWEI 2020a: 00:00:30–00:01:00) Weitere Beispiele zur Veranschaulichung des Sozialschmarotzer-Narratives, welches in der Folge vorangetrieben wird, sind: „[O-Sprecher:] Bevor der Hartz-IV-Rapper auf Staatskosten zurück an den Bodensee iegt, steht noch die Wohnungsübergabe mit seiner Vermieterin [Name wird in der Sendung genannt aber im Protokoll anonymisiert] an.“ (Ebd.: 01:19:53–01:21:28) „[O-Sprecher:] Dass Willi so viel gearbeitet hat, hat Carola gestört. Sein Geld hat sie allerdings ganz gerne genommen.“ (Ebd.: 00:21:39–00:23:58) „[O-Sprecher:] Die meiste Zeit hat Carola auf Willis Kosten gelebt. Lange Zeit hatte sie nicht einmal den Antrieb, Hartz IV zu beantragen.“ (Ebd.: 00:21:39–00:23:58)Auch der Titel der Serie Armes Deutschland – Stempeln oder Abrackern verdeutlicht die emotionalisierende Spaltung zwischen denjenigen, die Geld beziehen, obwohl sie bloß ‚zu faul‘ zu arbeiten sind, und jenen, die tatsächlich Hilfe von ‚Vater Staat‘ benötigen, aber keine oder zu wenig Unterstützung bekommen. Insgesamt wird in der Folge eine soziale und moralische Dierenzierung von armutsbetroenen Menschen vorgenommen. Die Beiträge des privat-kommerziellen Fernsehanbieters stellen zudem vermehrt Negativbeispiele von Armutsbetroenen dar. So fallen einige der Protagonist*innen durch provozierende Aussagen oder deviantes Verhalten auf. Die folgenden Szenen aus „Odi et Amo“ verdeutlichen, inwiefern beides in den Fokus der Folge gerückt wird: „[Tor:] Normalerweise nicht. Also schnorren ist eigentlich schon, was ich mach, verboten, weil ich Hartz IV krieg. [O-Sprecher:] Das Jobcenter könnte dem Hartz-IV-Empfänger wegen des Zuverdienstes die Bezüge kürzen. […] Jetzt wird das Erschnorrte also in eine Fahrkarte investiert. Eine seltene Ausnahme für den 28-Jährigen.“ (Ebd.: 00:43:22– 00:47:58) Die folgenden Aussagen beziehen sich auf die Trennung der Protagonist*innen Willi und Carola. Carola ist inzwischen mit Stefan zusammen. „[Carola:] Stefan hat mehr Zeit für mich, weil er Hartz IV bezieht.“ (Ebd.: TC: 00:01:00– 00:01:28) „[Willi:] Der Grund ist eigentlich deswegen gewesen, weil ich sie immer nur allein gelassen hab. Nach ihrer Aussage, dass ich unverschämterweise arbeiten gegangen bin. [Carola:] Also der Willi hatte nicht Zeit, meine Bedürfnisse zu akzeptieren, wie Gefühle, Kuscheleinheiten, Geschlechtsverkehr zum Beispiel. [O-Sprecher:] Während Willi arbeiten war, hatte sich Carola anderweitig orientiert. Hartz-IV Empfänger Stefan kam ihr gerade recht.“ (Ebd.: 00:19:27–00:21:35)Andere Protagonist*innen werden wiederum durchwegs anhand vermeintlich selbstverschuldeter Problemlagen gekennzeichnet. Etwa ein Protagonist, der hundertvierzig Straftaten begangen hat und nun unter der Ungewissheit hinsichtlich des Ausgangs eines Gerichtsverfahrens und der damit verbundenen Haftstrafe leidet. Das Verhalten der Protagonist*innen wird seitens des O-Sprechers und der Interviewerin an vielen Stellen in Form von oensichtlichen oder suggestiven Kommentaren oder Fragen kritisiert. Diese Vorgehensweise wurde durch die Kategorie „Vorwürfe“ erfasst. „[O-Sprecher:] Trotz des geringen Hartz-IV-Satzes, lässt Benjamin es sich gerne gut gehen.“ (Ebd.: 00:03:39–00:04:51) „[O-Sprecher:] Die meiste Zeit des Tages verbringt der Punker mit Nichtstun und Rauchen. Heute allerdings steht etwas Besonderes auf dem Programm.“ (Ebd.: 00:43:22–00:47:58)Zudem werden Protagonist*innen ‚vorgeführt‘, die sich dazu bekennen, keine Lust auf Arbeit zu haben. Diese werden häug in diamierender Weise dargestellt und überwiegend negativ charakterisiert: „[Benjamin:] Ich empfange seitdem ich 18 bin Hartz IV, weil ich eben faul bin und keinen Bock habe zu arbeiten. [Interviewerin:] Was machst du stattdessen? [Benjamin:] Ja, ich [ähm] mache meine Musik und [ähm] scheiß auf Arbeit. So, das ist mein Leben, Hartz-IV-Empfänger, danke Merkel.“ (Ebd.: 00:02:08–00:03:38)Seitens des O-Sprechers wird ihnen zudem unterstellt, „das süße Leben“ zu genießen, auf Kosten des Sozialstaates zu leben, gerne das Geld anderer Leute zu nehmen, die meiste Zeit mit Nichtstun und Rauchen zu verbringen oder ganz eigene Auassungen von Eigentum und Ehrlichkeit zu haben (vgl. RTLZWEI 2020a). Wie aus den Beispielen hervorgeht, entsteht kaum der Eindruck, die Protagonist*innen seien von Armut betroen oder wären mit damit verbundenen Benachteiligungen und Problemen konfrontiert. Die Beiträge des privat-kommerziellen Rundfunks kreieren somit ein Bild von nicht-unterstützungswürdigen Armutsbetroenen. Sprechen die Protagonist*innen aus ihren Armutslagen entstehende Herausforderungen an, werden die Probleme von der Interviewerin oder dem O-Sprecher oftmals relativiert, marginalisiert und teilweise ins Lächerliche gezogen. Beispielsweise wird ein Paar dokumentiert, das in eine neue, behindertengerechte Wohnung ziehen will, die jedoch aus Kostengründen nicht vom Sozialamt genehmigt wird. Im Zuge dessen wird in der Folge nicht thematisiert, dass das Paar trotz rechtlichen Anspruchs auf eine behindertengerechte Wohnung in einer nicht-behindertengerechten Wohnung leben muss. Stattdessen ist die Darstellung darauf reduziert, einem der Partner zu unterstellen, er würde den Haushalt in einer neuen Wohnung schlecht führen. Auch sein Freund, welcher aufgrund seiner Beeinträchtigung Schwierigkeiten mit dem Sprechen hat, wird nicht etwa gefragt, welche Probleme er mit der nicht-behindertengerechten Unterkunft hat oder welche Verbesserungen mit einer behindertengerechten Wohnung entstehen würden. Er wird lediglich gefragt, ob sein Lebenspartner den Haushalt in einer neuen Wohnung besser unter Kontrolle hätte. Während der Alltag der scheinbar nicht-unterstützungswürdigen Armutsbetroenen entweder nicht thematisiert wird oder unproblematisch und nahezu gemütlich wirkt, ändert sich das Narrativ bei den vermeintlich unterstützungswürdigen Armutsbetroenen. Bei der Darstellung von deren Alltag werden Armut sowie damit verbundene Benachteiligungen und Probleme in den Fokus gerückt. So wird zum Beispiel die Situation der 75-jährigen Waltraut beleuchtet, die von einer Minirente lebt: „[Waltraut:] Wenn ich mir vorstelle, ich hab 40, 45 Jahre gearbeitet, ja? Und habe weniger Geld zur Verfügung wie ein Hartz-IV-Empfänger. Wann ich so sehe, manchmal in der Stadt oder wo auch immer, im Fernsehen oder so, da sind junge Leute, 24 Jahre, 26 Jahre, die haben noch nie gearbeitet…Die sagen sich, mir reicht das Geld. Ich krieg meine Miete bezahlt, ich krieg das bezahlt, geht die Waschmaschine kaputt, das Amt bezahlt. Hm, ich muss selbst sparen. Sie sollen schon unterstützt werden, ja, aber die sollen auch einmal Arbeit annehmen. Es gibt genug Arbeit.“ (Ebd.: 00:11:31–00:15:08)Auch der Alltag einer alleinerziehenden Mutter wird in einer Folge gezeigt. Was beide vereint, sind abseits ihrer Notlagen die Bestrebungen, arbeiten zu gehen und sich selbstständig daraus zu befreien. Entgegen den vermeintlich nicht-unterstützungswürdigen Armutsbetroenen wird der Fokus bei den beiden auf materielle Entbehrungen, Sparen sowie Probleme und Benachteiligungen aufgrund nanzieller Armut gelegt. Insgesamt entsteht bei den Beiträgen des privat-kommerziellen Senders der Eindruck, es gäbe faule, nicht-unterstützungswürdige Armutsbetroene, die kaum mit Problemen konfrontiert sind und sich durch staatliche Transferleistungen ein gemütliches Leben machen. Als Pendant werden leistungsbereite, unterstützungswürdige Armutsbetroene präsentiert, die mit Benachteiligungen konfrontiert sind, jedoch bemüht sind, ihre Situation eigenständig zu verbessern. Armutslagen und die damit verbundenen Probleme werden in den Beiträgen kaum thematisiert – allenfalls mit Blick auf die unterstützungswürdigen Armutsbetroenen. Auch strukturelle Gründe für die Entstehung von Armut werden höchstens indirekt genannt. Dementgegen wird jedoch in jeder Sendung behauptet, je mehr man arbeite, desto mehr verdiene man. Zudem wird wiederholt auf die Ausbeutung des Sozialstaates durch ‚faule Arbeitslose‘ hingewiesen. Äußerst fragwürdig erscheint zudem die Auswahl der Protagonist*innen für die Repräsentation Armutsbetroener. So sind in der Folge Bremen und Bremerhaven mehr als die Hälfte der Protagonist*innen (ehemals) delinquent, drogen- oder alkoholsüchtig. Generell ist festzuhalten, dass überwiegend plakative Negativbeispiele von Armutsbetroenen in den Beiträgen von RTLZWEI dargestellt werden. Die Auswertung des Datenmaterials zeigt, dass Armut und Armutsbetroene stark selektiv, sowie gewisse Deutungsmuster und moralische Wertungen nahelegend dargestellt werden. Entsprechend des undierenzierten Zugangs sind beide Beiträge als Beispiele für Framing eingeordnet. Das öentlich-rechtliche Fernsehen in Österreich hingegen strahlte informative Beiträge über Armut aus, welche Benachteiligungen und Probleme von armutsbetroenen Personen thematisieren. So wird in einem der analysierten Clips erwähnt, dass Essen, Miete oder Strom für viele nur schwer nanzierbar sind. Zudem werden strukturelle Gründe der Entstehung von Armutslagen genannt. Beispielsweise schildert eine Politikerin, dass es 500.000 Arbeitslose, jedoch nur 50.000 oene Stellen am Arbeitsmarkt gibt. Die Corona-Pandemie wird in nahezu jedem Beitrag als Ursache von Armut und Arbeitslosigkeit dargestellt. Es ist davon auszugehen, dass der ORF Armut und Arbeitslosigkeit aufgrund der Corona-Situation häuger thematisiert als in den Monaten vor Ausbruch der Pandemie. Anzumerken ist ebenso, dass Armutsbetroene in den jeweiligen Berichten nicht selbst zu Wort kommen, sondern deren Lebensrealität und das Phänomen Armut ausschließlich von Expert*innen und Nachrichtensprecher*innen erläutert werden. Die Darstellungen des ORF unterscheiden sich damit stark von den Beiträgen von RTLZWEI. Jedoch wird Armut von beiden Sendern insbesondere im Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit gezeigt, weshalb die Verbindung der Phänomene Armut und Arbeitslosigkeit als Parallele der Inszenierungen genannt werden kann.9 FazitDie Analyse des Datenmaterials bestätigt die Hypothese, dass insbesondere Beiträge privat-kommerzieller Fernsehanbieter Armut und Armutsbetroene verzerrt darstellen. Bedenklich ist dies vor allem, da ein Großteil der Formate, welche die Lebensrealität Armutsbetroener massenhaft verbreiten und somit eine Deutungshoheit der Darstellung und damit verbundenen Wahrnehmung von Armut und Armutsbetroenen im öentlichen Diskurs etablieren, ähnlich gestaltet ist. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Darstellungen Hetero- und Autostereotype hervorrufen, zur Abgrenzung von Armutsbetroenen führen und Beschämungsverhältnisse sowie negative Selbstkonzepte verstärken können. Zudem ist denkbar, dass die Darstellungen der Etablierung eines ‚Klassenbewusstseins‘ entgegenwirken, was wiederum Auswirkungen auf die reale Handlungsbereitschaft gegenüber der Armut hätte. Sowohl für Armutsbetroene als auch für Nicht-Betroene dienen manche Darstellungen von Armut möglicherweise als Drohkulisse und Disziplinierungsinstrument und stabilisieren somit bestehende Machtverhältnisse. Zudem wirken sich die Komplexitätsreduktionen der Inszenierungen vermutlich auch insofern aus, dass bestehende Hierarchisierungen und hegemoniale Herrschaftsverhältnisse armiert werden. Statt diese kritisch zu hinterfragen, kommt es zur Diskreditierung des Sozialstaates sowie demokratischer Grundprinzipien. Dies hat vermutlich auch gravierende Auswirkungen auf die Gesamtgesellschaft, da die vermittelten Bilder Zweifel am gesellschaftlichen Verantwortungsbewusstsein vorantreiben und eine exklusive Solidarität propagieren. Bei der Darstellung von Armut und Armutsbetroenen ist stets zu bedenken, welch großes Gewicht den Medien zukommt, gesellschaftliches Wissen, Einstellungen und Verhalten zu formen. Insofern können Medien dazu beitragen, Stereotype, Beschämung und diskriminierende Verhältnisse zu (re)produzieren, oder aber Unterstützung für und Anerkennung gegenüber benachteiligten Gruppen fördern. Werden nicht Zerrbilder und kontroversielle Dierenzen inszeniert, sondern vermehrt ‚Positivbeispiele‘ von Armutsbetroenen diverser Gruppen sowie strukturelle Entstehungsfaktoren der Armut vermittelt, könnte sich ein ‚Klassenbewusstsein‘ und solidarisches Verhalten gegenüber nanziell benachteiligten Personen re-etablieren. Einer gesellschaftlichen Spaltung würde, zumindest partiell, entgegengewirkt werden, wodurch sich gegebenenfalls manche gesellschaftspolitische formale Gleichheiten in reale Gleichheiten transformieren könnten. Verweise1 Das Datenmaterial der ORF-Beiträge wurde freundlicherweise vom ORF zur Verfügung gestellt.LiteraturverzeichnisDie Armutskonferenz (2020): Zweidrittel-Demokratie: Armutskonferenz warnt vor tiefer sozialer Kluft in der Demokratie. https://www.armutskonferenz.at/news/news-2020/zweidrittel-demokratie-armutskonferenz-warnt-vor-tiefer-sozialer-kluft-in-der-demokratie.html (06.06.2021).Die Armutskonferenz (2021): Aktuelle Armutszahlen. 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Derzeit ist die Salzburgerin redaktionell tätig sowie für die Öentlichkeitsarbeit einer sozialen Organisation zuständig. Medienkritik, Ungleichheiten und die Erforschung von Armutsinszenierungen sind ihr nach wie vor wichtige Anliegen. Fernseh-Vorführungen der ArmutDie Würde des Menschen ist… leistungsabhängig?Sophie Mayer