soziales_kapital
Lisa Yashodhara Haller, Johanna M. Hefel.
“
Gleichstellung als soziale Innovation. Das familienpolitische Brettspiel als
Werkzeug der Beratung.
” soziales_kapital, no. 26 (2022). Rubrik „ema“. Eisenstadt. Printversion:
https://soziales-
kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/view/750/1389
_
Soziale Innovation
26. Ausgabe Juni 2022
Zusammenfassung
Welche staatlichen Steuerungsziele geben Fachkräfte der Sozialen Arbeit an Eltern weiter? Was wird in
Beratungen explizit und implizit thematisiert und empfohlen? Der Artikel fokussiert auf die Herstellung
von Geschlechterarrangements im Rahmen von Beratungssettings auf zwei Ebenen: einerseits
zwischen Fachkräften und Eltern und andererseits zwischen den beratenen Elternteilen. Dabei wird
von einer Heuristik ausgegangen, die die Wirkung staatlicher und sozialarbeiterischer Intervention nicht
losgelöst von den Adressierten, ihren Deutungen und Interpretationen fasst. Mit dem familienpolitischen
Brettspiel stellt der Beitrag ein Instrument vor, mit dem Deutungen familienpolitischer Leistungen in der
Beratung von Sozialarbeiter:innen und adressierten Eltern reektiert werden können. Das Spiel bietet als
Beratungsinstrument eine Hilfestellung zur geschlechtersensiblen Adressierung der Eltern in Bezug auf ihre
Arbeitsteilung.
Schlagworte:
Gleichstellung, Geschlechter, Familienpolitik, Kinder- und Jugendhilfe, Beratung, Elternschaft,
Arbeitsteilung, Soziale Arbeit
Abstract
This article asks which policy goals social worker pass on to parents and what is explicitly and implicitly
addressed and recommended in counseling sessions with parents. The production of gender arrangements
in the context of counseling settings is focused on two levels: First, between professionals and parents,
second, between the counseled parents. The study draws on a heuristic that perceives the eectiveness of
political interventions as the result of the interpretation on the part of the service user. The article presents
an instrument that enables the interpretation of family policy and reection of gender and role: the family
policy game. As a counseling tool, the game provides guidance for addressing parents in a gender-sensitive
manner regarding their division of labour.
Keywords:
equality, family policy, gender, child and youth care, counseling, parenting, division of labor,
social work
1
Familienpolitische Gleichstellungsziele als vernachlässigtes Innovationsfeld
der Sozialen Arbeit
In Österreich entstand ab Mitte der 1990er Jahre, angestoßen von sozialdemokratischen Akteur:innen,
ein politischer Diskurs über die gleichstellungspolitische Ausgestaltung von Familienpolitik. Fokussiert
wurden zunächst die Väterkarenz sowie der Ausbau der Kinderbetreuungsinfrastruktur. Als Resultat dieses
Diskurses erfolgte bereits 1997 die Quotierung von sechs Monaten Karenzbezug für den zweiten Elternteil
(vgl. Kremer 2011: 86). Im Jahr 2011 wurde der Mutterschutz durch den sogenannten Papamonat für Väter
ergänzt – allerdings lediglich für Väter im öentlichen Dienst. Obgleich Kindergartenausbauprogramme
ebenfalls in den 1990er Jahren begannen, sind Kindergärten
1
in den österreichischen Bundesländern nach
wie vor unterschiedlich stark ausgebaut. Aus diesem Grund spricht Margareta Kremer (2011: 104) von einer
zögerlichen Ausgestaltung gleichstellungspolitischer Maßnahmen in der Familienpolitik. Die Gleichstellung
von Müttern und Vätern und damit die gleichwertige Aufteilung der elterlichen Arbeitsteilung in Bezug
auf Betreuungszeiten der Kinder stellt insofern eines der zentralen Innovationsdezite Österreichs dar.
Eine Möglichkeit, diesem Dezit zu begegnen, besteht in der gleichstellungspolitischen Sensibilisierung
von Sozialarbeiter:innen. Sie begleiten den Entscheidungsndungsprozess bezüglich familienpolitischer
Leistungsansprüche im Rahmen elternbezogener Beratungsangebote häug, beispielsweise bei der Frühen
Hilfe.
2
Beziehungen und Familienformen sind diverser geworden. Aktuelle Forschungsarbeiten zu queeren
Familien zeigen, dass diese partiell an der Anpassung an heterosexuelle Normen arbeiten und hier ebenso
wie in heterosexueller Elternschaft zum Zeitpunkt der Familiengründung Geschlechterdierenzierungen
entlang der Norm von Mutter- und Vaterschaft konstituiert werden (vgl. Mangold/Schröder 2020: 124–140).
Im Folgenden wird das doing gender by doing family in elternbezogenen Beratungskontexten der Sozialen
Arbeit beleuchtet und auf die Geschlechterdierenzierungen entlang der Norm von Mutter- und Vaterschaft
bei heteronormen Paaren fokussiert.
1.1
Die elterliche Arbeitsteilung als Gleichstellungsziel
Mit der Entscheidung für ein Kind
3
setzen sich Paare in der Regel erstmals mit den Fragen
auseinander, welcher Elternteil in welchem zeitlichen Umfang einer Erwerbstätigkeit nachgehen wird und
wer wie viel Zeit in die Versorgung des Kindes oder der Kinder investiert. Die Arbeitsteilung zwischen den
Elternteilen hat langfristige und irreversible Auswirkungen auf die gesellschaftliche Gleichstellung von Mann
und Frau, denn mit der Geburt von Kindern entstehen Fürsorgeverpichtungen, durch die Arbeitskraft
gebunden wird, die andernfalls dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stünde. Der Elternteil, der sich primär und
intensiver um das Kind kümmert, muss somit langfristig Nachteile auf dem Arbeitsmarkt und eine Gefährdung
der beruichen Karriere in Kauf nehmen und geht ein nanzielles Abhängigkeitsverhältnis zum anderen
Elternteil ein. So entstehen zahlreiche Probleme aus einer komplementären Arbeitsteilung, bei welcher ein
Elternteil, meist die Mutter, einen Großteil der Betreuungs-, Fürsorge- und Familienarbeit leistet, während
der andere Elternteil, in der Regel der Vater, zur Finanzierung der Familie eine Karriere verfolgt.
Gender Pay Gap und die Beanspruchung familienpolitischer Leistungen bedingen sich hier
wechselseitig. Weil mehrheitlich Frauen jenseits des Arbeitsmarktes Care-Aufgaben verrichten, ergeben
sich für sie nanzielle Nachteile auf dem Arbeitsmarkt. Insofern familienpolitische Leistungsansprüche
als Lohnersatzleistungen konzipiert sind, werden sie entsprechend des vorherigen Lohneinkommens
ausgezahlt. Aus der Perspektive der Haushaltsführung erscheint es den Eltern wirtschaftlicher, als auf
das Einkommen der geringer verdienenden Person zu verzichten. Weil Frauen auf dem österreichischen
und deutschen Arbeitsmarkt durchschnittlich nach wie vor geringer entlohnt werden als Männer, wird der
überwiegende Anteil familienpolitischer Leistungsansprüche der Mutter zugesprochen. Ob der Papamonat
in Anspruch genommen wird, hat nach der Aussage von jungen Eltern damit zu tun, ob die Familie sich
leisten kann, auf einen größeren Anteil des Familieneinkommens zu verzichten (vgl. Haller 2018). Nach der
Karenz erscheint vielen Eltern die mütterliche Rückkehr in die Erwerbsarbeit wirtschaftlich unsinnig, weil
sich mit der Erhöhung des familialen Einkommens auch die Kinderbetreuungskosten erhöhen, wodurch ein
großer Anteil des erzielten Lohneinkommens gebunden würde.
Da Mütter mehr unbezahlte Arbeit leisten als Väter, stagniert das beruiche Fortkommen der Frauen
im Vergleich zu dem der Väter. Dies wirkt sich wiederum auf den Gender-Pay-Gap aus, die Dierenz zwischen
dem durchschnittlichen Stundenverdienst von Männern und Frauen. In Europa verdienen Frauen 14,1 %
weniger als Männer, im europäischen Vergleich liegt Österreich mit einer Lohndierenz von 20,4 % auf dem
vorletzten Platz in Europa (vgl. European Commission 2020), im Bundesland Vorarlberg ist die Lohndierenz
mit 30,4 % am größten (vgl. Statista 2021a) – eine Situation, die auf dringenden Handlungsbedarf
verweist. Daher sind junge Eltern seit den 1990er Jahren in besonderer Weise zum Steuerungsziel
staatlicher Interventionen und damit Adressierte gleichstellungspolitischer Agenden geworden.
4
Infolge der
veränderten Leistungsberechtigung entstanden alternative Handlungsmöglichkeiten, so dass sich Eltern
jenseits einer geschlechtlichen Normierung über ihre Arbeitsteilung verständigen können. Doch trotz dieser
gleichstellungspolitischen Neugestaltung der Leistungsansprüche wird die Elternkarenzzeit nach wie vor
zumeist von Müttern wahrgenommen: im Jahr 2020 haben 108.263 Personen Kindergeld bezogen, 3.855
(knapp 4%) davon waren Männer (vgl. Statistik Austria 2020). Frauen gewährleisten durch ihre alleinige
Beanspruchung der Leistungen, dass Väter beruiche Anforderungen bewältigen können, ohne auf die
Versorgung der Kinder Rücksicht nehmen zu müssen. Doch wie kommt es zu dieser geschlechterselektiven
Wirkung familienpolitischer Leistungsansprüche?
Ob und wie familienpolitische Leistungen wirken, hängt wesentlich von interpersonellen Auslegungen
im Zusammenhang mit den Kontextbedingungen ab, die als Übersetzungsleistung zu verstehen sind
(vgl. Haller 2021b). Übersetzt werden dabei die politischen Steuerungsziele, da Fachkräfte diese im
Beratungskontext gemäß ihrem eigenen Verständnis an Eltern weitergeben. Fachkräfte der Sozialen Arbeit
übersetzen Eltern demnach auch die Intention des Staates bei der Bereitstellung einer Leistung. Insofern
nehmen Sozialarbeiter:innen im Beratungssetting eine Scharnierfunktion ein, da sie die Deutung der durch
Leistungsansprüche entstehenden Handlungsmöglichkeiten beeinussen: Als Multiplikator:innen deuten
sie die familienpolitischen Leistungsberechtigungen, assoziieren sie mit einem Geschlecht und übertragen
entsprechende Erwartungen auf (werdende) Eltern, die als Mütter und Väter adressiert werden. Die selektive
Beanspruchung familienpolitischer Leistungen hat, so die hier vertretene These, folglich nicht einzig mit
der Ausgestaltung der Leistungsberechtigung zu tun, sondern insbesondere auch mit deren Übersetzung,
Erörterung und mit deren Verständnis in Beratungskontexten. Erkenntnisleitend ist insofern die Frage, wie
ein Instrument zu konzeptualisieren ist, das Sozialarbeiter:innen in elternbezogenen Beratungskontexten
eine Hilfestellung zur geschlechtersensiblen Adressierung der Eltern anbietet.
1.2
Erkenntnisinteresse und Aufbau des Beitrags
Vor dem Hintergrund dieser Fragestellung wurde im Rahmen einer Studie aus dem Jahr 2018 zu den staatlichen
Einussfaktoren auf die Arbeitsteilung junger Eltern (vgl. Haller 2018) ein Erhebungsinstrument entwickelt, mit
dem der Reexionsprozess der Eltern bei der Beanspruchung familienpolitischer Leistungen rekonstruiert
wurde. Im Auftrag von femail – der Informations- und Servicestelle für Frauen in Vorarlberg – haben wir den
Nutzen der Erhebungsmethode für die elternbezogene Beratung der Kinder- und Jugendhilfe in Vorarlberg
geprüft. In Anlehnung an das 2018 entwickelte Erhebungsinstrument wurde ein Instrument entwickelt, das
Sozialarbeiter:innen in elternbezogenen Beratungseinrichtungen eine geschlechtsbezogene Reexion der
elterlichen Beratung ermöglichen soll. Hier setzt der vorliegende Beitrag an: das familienpolitische Brettspiel,
das in Vorarlberg erstmals als ein didaktisches Instrument für die Praxis elternbezogener Beratung erprobt
wird, stellen wir zunächst als Forschungsinstrument vor und erläutern anschließend dessen Verwendung als
Reexionsinstrument für die Kinder- und Jugendhilfe. Dazu erörtern wir im zweiten Kapitel eine Heuristik,
die die Wirkung steuerungspolitischer Interventionen als Resultat der Interpretation und Deutung durch die
Adressierten begreift.
2
Wirkung als Resultat von Interpretation und Deutung
Die trotz veränderter Steuerungsziele bestehende Persistenz geschlechtlicher Arbeitsteilung, die sich
in Paarbeziehungen insbesondere ab der Geburt des ersten Kindes ausdierenziert, ist Gegenstand
zahlreicher Untersuchungen. Wirkungsanalysen in diesem Bereich ermitteln meist statistische Korrelationen
und Nutzungsverhalten – welche Leistungen wie häug und von wem in Anspruch genommen werden. Mit
dem Ziel größtmöglicher Objektivität werden zumeist numerische Daten genutzt, welche die Darstellung
quantitativ belegbarer Sachverhalte ermöglichen. Dies lässt Vergleichbarkeit zu (vgl. Blum 2012). Auch die
Bedeutung familienpolitischer Maßnahmen werden mehrheitlich anhand quantitativer Einussfaktoren und
des Nutzungsverhaltens untersucht (vgl. Rille-Pfeier/Blum/Kapella/Buchebner-Ferstl 2014).
2.1
Die Adressierten als Co Produzierende von Wirkung
Eine erbrachte Leistung und die damit veränderte monetäre Allokation – die Menge an Geld, die einem
Haushalt zur Verfügung steht um beispielsweise bei familialen Problemen eine Paarberatung oder
öentliche Kinderbetreuung ganztags oder halbtags in Anspruch zu nehmen – stellt aus der Perspektive
der Adressierten jedoch noch keine Wirkung dar. Diese entsteht vielmehr aus der Art und Weise, in
der Adressierte mit dem Leistungsanspruch umgehen, ihn also verstehen, interpretieren und mit Sinn
anreichern. Die mit einer Steuerungsabsicht adressierten Eltern sind insofern selbst Produzierende der
Steuerungswirkung, wie Bernd Dollinger in seinem Plädoyer für eine narrative Folgenforschung argumentiert
(vgl. Dollinger 2017). Da Adressierte innerhalb dieser Heuristik als Co Produzierende von Wirkung begrien
werden, „kann die Wirkung einzig induktiv aus der Interaktionspraxis erschlossen werden“ (Dollinger 2018:
253). Dementsprechend resultiert die Wirkung eines staatlichen Steuerungsinstrumentes, beispielsweise
eine familienpolitische Leistung, „nicht aus allgemeinen Gesetzmäßigkeiten“ (ebd.). Vielmehr entsteht
sie während den Interaktionen, in deren Rahmen die Übersetzung von Steuerungszielen und somit
Verständnis zwischen den Beteiligten entstehen. Die Ursache einer Wirkungsfolge lässt sich daher nicht
anhand statistischer Korrelationen ermitteln, da die Adressierten keine passive Reaktionsfolie darstellen.
Die Frage, wie staatliche Steuerungsinstrumente wirken, hängt wesentlich von interpersoneller Deutung im
Zusammenhang mit Kontextbedingungen ab, die als Übersetzungsleistung zu verstehen ist. Es ist ein langer
Weg, den eine staatliche Steuerungsabsicht, wie die Gleichstellung von Eltern mittels familienpolitischer
Leistungsansprüche, bis zur Steuerungswirkung durch die Interpretation der Eltern zurücklegt. Die
Veränderung von Steuerungszielen durch die Interpretation unterschiedlicher Beteiligter war der Analyse
bislang nicht zugänglich. Wie können aber die Übersetzungsleistungen durch unterschiedliche Akteur:innen
rekonstruiert werden?
2.2
Die Übersetzung durch Fachkräfte in elternbezogenen
Beratungskontexten
Im Rahmen einer weiteren Untersuchung zu Wirkung, Einuss und Folgen im Mehr-Ebenen-Design, die
ebenfalls die Steuerungsstrategien zur elterlichen Arbeitsteilung und ihre Übersetzung zum Thema hatte
(vgl. Haller 2021b), wurden unterschiedliche Ebenen der Vermittlung identiziert. Eine erste Übersetzung
ndet im Rahmen des Forschungsprojektes statt, indem Gesetzestexte in geschlechtsneutraler Sprache
in Beratungsbroschüren überführt werden. Die ausgewählten Broschüren denieren nicht, welcher
Elternteil Anspruch auf welche sozial- und familienpolitischen Leistungen hat. Allerdings werden die in
Beratungsbroschüren noch geschlechtsneutral formulierten Adressierungen der Eltern in der Übersetzung
durch beratende Sozialarbeiter:innen mit geschlechtlichen Zuschreibungen versehen und können damit ggf.
eine andere Steuerungsfunktion erhalten als beabsichtigt. Wirkung entfaltet sich so zwischen allen an der
Beratungssituation Beteiligten: Einerseits als Resultat der Interaktion zwischen Fachkräften und beratenen
Eltern, andererseits als Ergebnis der Interaktion zwischen den Elternteilen. Wirkung ist in diesem Sinne
das Resultat der Interpretation in Verständigungsprozessen. Eltern interpretieren die Beratung im Rahmen
ihrer Paarbeziehung und verständigen sich dabei auf eine Deutung der Beratungssituation, beispielsweise
wenn sie während oder nach einem Beratungsgespräch Einigkeit darüber herstellen, dass die Karenz
ausschließlich von der Mutter in Anspruch genommen wird, da beide Elternteile die Einkünfte des Vaters als
Familieneinkommen verstehen.
An diesem Beispiel wird deutlich, wie familienpolitische Leistungsansprüche durch die interaktive
Herstellung einer Deutung eine gewisse Eigendynamik erhalten (vgl. Haller 2018: 13). Für die Untersuchung
der Wirkung gleichstellungspolitischer Ziele sollten insofern sowohl die Interaktion zwischen Fachkräften
und Paar als auch der Verständigungsprozess innerhalb der Paarbeziehung als Untersuchungsgegenstand
herangezogen werden.
3
Das familienpolitische Brettspiel – ein Instrument zur Erhebung der elterlichen
Interpretation und Deutung
Die Exploration der Übersetzung familienpolitischer Leistungsansprüche unter Einbeziehung der
adressierten Eltern impliziert große methodische Herausforderungen. Das wurde im Rahmen einer Studie
zu staatlichen Einussfaktoren auf die Arbeitsteilung junger Eltern deutlich (vgl. Haller 2018: 103.). Anhand
von Paarinterviews, die als Pretests durchgeführt wurden, stellte sich heraus, dass es den befragten Eltern
schwerel, die abstrakten familien-, sozial- und steuerpolitischen Maßnahmen auf den eigenen Alltag zu
übertragen. Erkennbar war zudem, dass sie zwar über ein hohes Maß impliziten Wissens hinsichtlich ihrer
sozial- und familienpolitischen Ansprüche verfügten, die sprachliche Übertragung der abstrakten Ebene auf
ihren eigenen Alltag jedoch eine große Hürde darstellte (vgl. Haller 2018: 110).
3.1
Die kognitive Vermittlung zwischen Leistungsanspruch und Alltag
Es erforderte viel Kreativität hinsichtlich der Frage, welche Methode die Befragten befähigt, die objektive
Distanz zwischen der Makroebene der Gesetze mitsamt den damit zusammenhängenden sozial- und
familienpolitischen Leistungsansprüchen und der Mikroebene der Aushandlung der paarinternen Arbeitsteilung
sprachlich zu überbrücken. Es war zu beobachten, dass die Bedeutung der sozial- und familienpolitischen
Leistungen von den Eltern in den Pretests stets erläutert wurde, wenn die beiden sich nicht einig waren und
im Zuge interaktiver Dynamiken ihre Gedanken zu den jeweiligen Leistungen ausführten (vgl. ebd.: 113). Die
zielgerichtete Erzeugung dieser Situation während der Befragung stellte sich damit als geeignete Strategie
dar, um die jeweilige Bedeutung der staatlichen Leistungen im Alltag der Paare herauszuarbeiten.
3.2
Die Strukturierung des Spielfeldes
Die Entwicklung einer methodisch spielerischen Vorgehensweise ermöglicht den Eltern in einer
ungezwungenen Situation, ihre Arbeitsteilung sowie deren Entstehungskontext zu reektieren. Angeregt
durch den relationalen Ansatz des Netzwerkkonzepts wurde ein Erhebungsinstrument konzipiert, das
es ermöglichte, zwischen Elternteilen Diskussionen über familienpolitische Leistungen zu initiieren: das
familienpolitische Brettspiel (vgl. Haller 2018: 119). Die qualitative Netzwerkforschung bietet hierfür Anregung,
die Konzeptualisierung des familienpolitischen Brettspiels und damit die Idee, mit Hilfe eines Brettspiels den
Reexionsprozess der Eltern zu rekonstruieren, erfolgte jedoch unabhängig und damit jenseits gängiger
Netzwerkkonzepte.
Während Netzwerkkarten üblicherweise dazu dienen, die Netzwerke von Personen zu erschließen,
geht es bei dem hier entwickelten Instrument nicht um die Netzwerke der Eltern, sondern um die Deutung
und Beurteilung der sozial- und familienpolitischen Leistungen. Das Netzwerkkonzept erweist sich als
geeignet, die jungen Eltern bei der Überführung von der abstrakten Ebene der sozial- und familienpolitischen
Leistungsansprüche auf ihren Alltag zu unterstützen (vgl. Haller 2018: 114). Die qualitative Netzwerkforschung
stellt unterschiedliche Typen von Netzwerkkarten zur Strukturierung eines Spielfeldes bereit. Der Grad der
Strukturierung des Spielfeldes beeinusst den Erzähluss und die Fokussierung auf das erwünschte Thema.
Mit der Strukturierung durch Netzwerkkarten gehen bestimmte Vor- und Nachteile einher, die abzuwägen
waren. Im Prozess der Entwicklung des Erhebungsinstrumentes wurde auf drei Typen von Netzwerkkarten
Bezug genommen: erstens auf unstrukturierte, zweitens auf strukturierte und drittens auf sowohl
strukturierte als auch standardisierte Netzwerkkarten. Eine vertiefte Erläuterung der Vor- und Nachteile der
unterschiedlichen Netzwerkkarten erfolgt an dieser Stelle nicht.
Im Rahmen der Entwicklung eines Instruments zur Datenerhebung mittels Paardiskussionen zeigte
sich, dass die konzentrischen Kreise strukturierter Netzwerkkarten den Vorteil bieten, die darauf platzierten
Elemente aufgrund der starken Strukturierung miteinander vergleichbar zu machen (vgl. Kahn/Antonucci
1980). Sie initiieren jedoch in geringerem Maße den Erzähluss und sind insofern als Erzählgeneratoren
nicht so gut geeignet wie die weniger standardisierten Netzwerkkarteninstrumente (vgl. Haller 2018: 116).
Aus der unstrukturierten Netzwerkkarte wurde die primäre Funktion eines Erzählgenerators entliehen, um
den Erzähluss der Diskutierenden und die Auseinandersetzung zwischen den Elternteilen anzuregen. Eine
bestimmte Ausgestaltung der Arbeit mit Netzwerkkarten ist erforderlich und wird im Folgenden vorgestellt.
3.3
Das familienpolitische Brettspiel als Erhebungsinstrument
Die Schwierigkeiten der Eltern, die abstrakte Ebene der Leistungsansprüche und Maßnahmen auf ihren
Alltag zu übertragen, kann durch die Darstellung der familienpolitischen Leistungsansprüche in Form
von Spielkarten, die von den Eltern auf dem Spielbrett platziert wurden, relativiert werden. Spielbrett und
Spielkarten fungieren als kognitive Erleichterung und ermöglichen die Visualisierung. Konkret besteht das
entwickelte familienpolitische Brettspiel aus sieben farbigen Karten, welche die jeweils zu beurteilenden
staatlichen Leistungen symbolisieren. Diese Spielkarten sind als Repräsentationen der sozial- und
familienpolitischen Leistungen gekennzeichnet, deren Wirkung auf die Arbeitsteilung der Eltern exploriert
werden soll. Die Eltern werden aufgefordert, die Spielkarten auf dem Spielbrett anzuordnen, und zwar nach
dem Grad der Nützlichkeit der damit bezeichneten Leistungen. Durch die Karten kann „die Sequenzialität
der Befragungssituation um die Gleichzeitigkeit der bildlichen Darstellung“ (Hollstein /Pfeer 2010: 2) ergänzt
werden.
Als den Teilnehmenden der Ablauf der Erhebung erläutert wurde, entstand die Benennung der
Methode als familienpolitisches Brettspiel. Die Karten ersetzen eine anderweitige Interviewgestaltung, da sie
eine Diskussion zwischen den Eltern initiieren. Während der Nutzung der Karten erläutern und diskutieren
die Elternteile, aus welchen Gründen eine Karte an einer bestimmten Stelle des Spielfelds platziert werden
soll. Da sie sich über die Platzierung einig werden müssen, handeln sie während der Erhebung aus, welche
Leistungen aus welchem Grund wie angeordnet werden sollen, und beginnen so eine Diskussion über die
Bedeutung der einzelnen Leistungen. Sich über Nützlichkeit und die Art der Inanspruchnahme staatlicher
Unterstützungsleistungen zu verständigen, ist ein wesentliches Ziel elterlicher Beratungskontexte der Sozialen
Arbeit. Im folgenden letzten Teil des Beitrags stellen wir daher vor, wie das familienpolitische Brettspiel als
Werkzeug der Reexion in Beratungskontexten angepasst und gemeinsam mit Eltern eingesetzt werden
kann.
4
Von der Erhebungs- zur Beratungsmethode
Da von der elterlichen Arbeitsteilung die Bewältigung des gesamten Alltags der beiden Elternteile
abhängt, können Eltern in Österreich auf ein hochgradig institutionalisiertes Angebot elternbezogener
Beratungsangebote zurückgreifen, allerdings zeigen sich hier bundesländerspezische Unterschiede. Diese
Beratungskontexte stellen ein expandierendes Handlungsfeld sozialer Interventionen dar.
Sozialarbeiter:innen vermitteln im Zuge unterschiedlicher Beratungsformate stets auch sozial-
und familienpolitische Steuerungsziele. Vonseiten der Fachkräfte werden auch Rechtsauslegungen
vorgenommen. In welcher Weise Fachkräfte bestimmte Steuerungsstrategien deuten, übersetzen und
vermitteln, hat mit Fachexpertise und insbesondere auch mit ihrem familienpolitischen, geschlechtersensiblen
und diversitätsbewussten Selbstverständnis und ihrer diesbezüglichen Reexion zu tun. Daher ist es
keinesfalls irrelevant, welches professionelle Wissen und welche Haltung die Fachkräfte haben. Hier
wird der gleichstellungspolitische Auftrag der Profession besonders deutlich. Einerseits folgt Beratung
als familienpolitische Intervention dem gesellschaftlichen Auftrag, soziale Probleme orientiert an den
professionellen Standards zu bearbeiten, andererseits sind Sozialarbeiter:innen in Beratungssituationen
immer auch Co-Konstruierende einer geschlechtlichen Aufgabenverteilung, denn Eltern werden im
Wesentlichen hinsichtlich der Erfüllung ihrer Aufgaben in der Familie beraten (vgl. Buschmeyer/Haller 2022).
Dabei können Sozialarbeiter:innen eine Egalisierung der elterlichen Arbeitsteilung befördern oder hemmen:
Sie können sich dafür einsetzen, dass Eltern ihre Aufgaben mehr oder weniger gleichwertig untereinander
aufteilen. Als Akteur:innen einer angewandten Gleichstellungspolitik bilden Sozialarbeiter:innen eine Brücke
zwischen dem Staat mit seinem gleichstellungspolitischen Steuerungsauftrag und den Eltern. Aufgrund
dieser Brückenfunktion „führt die Soziale Arbeit zum einen die Erwartungen der Gesellschaft an die
Menschen heran, versucht, sie diesen verständlich zu machen und sorgt dafür, dass sie sie erfüllen können“
(Seithe 2012: 70). Sozialarbeiter:innen benden sich insofern stets im Spannungsfeld von gesellschaftlichen
Anforderungen an Adressat:innen einerseits sowie deren Problemlagen, Bedürfnissen und Erwartungen
an das System andererseits. Sie sind in diesem Sinne auch Sprachrohr der Menschen gegenüber dem
gesellschaftlichen System (vgl. Seithe 2021: 69–71).
In Bezug auf diese Brückenfunktion besteht eine Reihe von Fragen: Inwiefern ist Sozialarbeiter:innen
in elternbezogenen Beratungskontexten ihre Rolle als Co-Konstruierende bewusst? Entlang welcher
Theorien, Konzepte und Haltungen reektieren sie den gleichstellungspolitischen Steuerungsauftrag? Wie
übersetzen sie den Eltern den familienpolitischen Steuerungsauftrag und welcher Stellenwert kommt ihrer
professionellen Reexion dabei zu?
4.1
Spannungsverhältnisse bei der elterlichen Beratung
Wo Familienverhältnisse brüchig werden, wird an Eltern und in der Regel insbesondere an Mütter appelliert,
durch Fügung in die traditionell vorgesehene geschlechtliche Funktion Familie (wieder)herzustellen (vgl.
Buschmeyer/Haller 2022: 109). Eine Gleichstellung der Geschlechter – und das bedeutet in der Praxis, die
Mutter durch den Vater von der Kindesversorgung freizustellen – läuft in der Wahrnehmung von Fachkräften
jedoch häug dem Kindeswohl entgegen. Sozialarbeiter:innen unterstützen bei der (Wieder-)Herstellung von
Familie. Wenn sie hierbei Elternteile mit Geschlechternormen konfrontieren, forcieren sie darüber hinaus,
dass regelmäßig geschlechtlichen Anforderungen Folge geleistet wird. Indem Müttern nahegelegt wird, die
geschlechtstypisch für sie vorgesehene Versorgung der Kinder zu gewährleisten, werden sie gleichsam
aufgefordert, gleichstellungspolitischen Steuerungszielen zuwiderzuhandeln. So lässt die Angst vor
Sanktionen Eltern häug schnell die ihnen von Fachkräften zugeschriebenen Tätigkeiten übernehmen (vgl.
ebd.).
Ungeachtet gleichstellungspolitischer Appelle delegieren Fachkräfte erzieherische Aufgaben eher an
die Mutter, während Väter – sofern sie für die Fachkräfte überhaupt erreichbar waren – als an die Finanzierung
der Familie durch Erwerbsarbeit gebunden galten. Aktuelle Forschung deutet jedoch darauf hin, dass in
einigen Beratungskontexten die ehemals geradezu vergessene sozialarbeiterische Zielgruppe der Väter
inzwischen verstärkt als Ressource zur Bewältigung familialer Probleme adressiert wird (vgl. Sabla-Dimitov/
Ristau 2022: 208–211). Bislang wenig erforscht wurden jedoch, in welchen Beratungssituationen Väter
miteinbezogen und welche familiären Probleme damit bearbeitet werden, welche Bedeutung diese für die
Sozialarbeiter:innen haben und welche Formen elterlicher Arbeitsteilung Fachkräfte im Zuge ihrer Beratung
forcieren.
Mit der Entwicklung des familienpolitischen Brettspiels als Beratungsinstrument der Kinder-
und Jugendhilfe Vorarlberg können diese oenen Forschungsfragen zum Gegenstand der Reexion
von Fachkräften in elternbezogenen Beratungskontexten gemacht werden. Der Fokus auf Vorarlberg
resultiert u.a. aus der Tatsache, dass das traditionell konservative westliche Bundesland Vorarlberg im
Bundesländervergleich mit 76,8 % die höchste Erwerbsquote (Frauen und Männer), allerdings mit 30,4 %
auch die größte Lohndierenz von Frauen und Männern sowie die höchste Fertilitätsrate und die größte
durchschnittliche Anzahl Personen je Haushalt (vgl. Statista 2021a, Statista 2021b) aufweist. Hinsichtlich
der ganztägigen Kinderbetreuung in Österreich zeigt sich zudem ein deutliches Ost-West-Gefälle – einer der
Gründe, weshalb Frauen nach der Karenz einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen (vgl. Statista 2021b).
4.2
Das familienpolitische Brettspiel als Beratungsinstrument
Um aus der Erhebungs- eine Beratungsmethode für elternbezogene Beratung in Vorarlberg zu generieren, waren im
Wesentlichen drei Herausforderungen zu bewältigen. Das Setting der Erhebung auf die Beratung zu übertragen,
erönete die erste Herausforderung. Während es bei der Erhebung von Paardiskussionen wesentlich darum
ging, den Aushandlungsprozess zwischen den Elternteilen zu rekonstruieren, zielt das Beratungsinstrument
primär auf die Reexion der Geschlechter und Rollen der Sozialarbeiter:in in der Beratungssituation. Die
Deutungen der Fachkraft sowie der Eltern sollen durch das familienpolitische Brettspiel für alle Beteiligten
transparent werden. Die zweite Herausforderung bestand in der Auswahl geeigneter elternbezogener
Beratungskontexte. Im Rahmen eines Workshops mit Vertreter:innen der Kinder- und Jugendhilfe
Vorarlberg,
5
der 2021 in Dornbirn stattfand, war diese Frage zentraler Evaluationsgegenstand. Während
sich Sozial- und Rechtsberatungen als geeigneter Rahmen für die Implementierung des familienpolitischen
Brettspiels erwiesen, schienen andere Beratungssettings wie die Geburtsvorbereitung weniger geeignet.
Die dritte Herausforderung bestand in der Identikation der relevanten sozial- und familienpolitischen
Leistungsansprüche, die als Spielkarten für das Brettspiel herangezogen werden.
Durch die Bearbeitung aller drei Herausforderungen kann die Forschungsmethode des
familienpolitischen Brettspiels nun als Instrument zur Reexion in professionellen Beratungssettings
von Sozialarbeiter:innen eingesetzt werden. Das Legen der Karten, die Leistungsansprüche
symbolisieren, dient dann dazu, sowohl eine Reexion der Eltern als auch der Sozialarbeiter:innen
zu erwirken. Indem Sozialarbeiter:innen für das familienpolitische Brettspiel geschult werden und
dessen Verwendung im konkreten Beratungsgespräch anleiten, erfolgt eine Reexion der
geschlechtlichen Zuschreibung der Kindesfürsorge während des Beratungsgesprächs. Im Sinne
einer Gleichstellung der Geschlechter kann so professionell abgewogen werden, ob die Adressierung
der Mutter mit der Kindesfürsorge intuitiv aus einer geschlechterstereotypen Haltung heraus oder
anders begründet erfolgt. Darüber hinaus können die Schwierigkeiten der Eltern, die abstrakten
Leistungsansprüche und Maßnahmen auf ihren Alltag zu übertragen, durch die Darstellung
derselben in Form von Spielkarten gemindert werden.
4.3
Die Sensibilisierung für geschlechtliche Zuschreibungen
Angeleitet von der Sozialarbeiter:in platzieren beide Elternteile die Spielkarten in der Beratungssituation auf
einem Spielbrett. Spielbrett und Spielkarten fungieren so als kognitive Erleichterung – als Vereinfachung des
Zusammendenkens der unterschiedlichen Aspekte, um die es im jeweiligen Beratungsgespräch geht. Auch
die Spielversion für die Beratung besteht aus sieben farbigen Karten, welche die jeweils zu beurteilenden
Leistungen symbolisieren. Die Spielkarten werden als Repräsentationen der Leistungsberechtigung
gekennzeichnet, deren Wirkung auf die Arbeitsteilung der Eltern reektiert werden soll. Auch hier werden Eltern
von der beratenden Fachkraft aufgefordert, die Spielkarten auf dem Spielbrett je nach Bedarf anzuordnen,
die Aufklärung über die Intention der Leistungen, die Voraussetzungen zur Leistungsbeanspruchung und
mögliche Auswirkungen auf die Arbeitsteilung der Eltern erfolgt durch die Sozialarbeiter:in. Da die Elternteile
während der Erhebung aushandeln, welche Spielkarten sie aus welchem Grund wo platzieren, befördert das
Spiel die Auseinandersetzung mit der Frage, wer was tut und wer von der Inanspruchnahme welcher Leistung
inwiefern protiert. Während der Anleitung des Brettspiels erhalten die Fachkräfte Einsicht in den Alltag des
Paares, ihre Arbeitsteilung und die Deutung des Nutzens bestimmter Leistungen. Die Anleitung sensibilisiert
die Fachkraft für die geschlechtliche stereotype Zuschreibung von Zuständigkeiten im Paarkonikt.
4.4 Die
langfristige
Reexion
Selbst wenn im Rahmen des Beratungsgespräches die elterliche Arbeitsteilung überdacht wird und sich
das Paar auf Veränderungsschritte verständigt, bleibt die Frage oen, wie es den Eltern gelingen kann,
die Reexion aus einem Beratungsgespräch in den familialen Alltag zu überführen. Im Anschluss an das
Brettspiel sollte daher ein Gespräch der beratenden Sozialarbeiter:in mit den Eltern über ihre jeweilige
Zuständigkeit, Organisation und ihre Belastung durch Aufgaben des täglichen Lebens erfolgen. Darin
können beispielsweise folgende Fragen thematisiert werden: Welcher Elternteil verwendet wie viel Zeit für
welche Aufgaben? Wird die Berufstätigkeit eines Elternteils priorisiert und weshalb? Wer schreibt welcher
Aufgabe eine höhere Wertigkeit zu? Inwiefern wird die Aufgabenverteilung vom Paar als gerecht oder
ungerecht empfunden? Bestand vor der Elternschaft ein anderes Arrangement? Was kann an der Verteilung
von Aufgaben verändert werden?
Zum Abschluss des Beratungsgesprächs besteht die zentrale Herausforderung der Sozialarbeiter:in
darin, den Eltern die Überführung der Reexion aus dem Beratungsgespräch als Übung zu vermitteln. Diese
Übung ist als langfristige möglicherweise auch herausfordernde Aufgabe zu verstehen, zu deren häuger
Wiederholung im Alltag sich das Paar als Team verpichtet.
Das Potenzial des familienpolitischen Brettspiels liegt im spielerischen Zugang zum Themenkomplex
Familie, doing gender, Care-Aufgaben, Gleichberechtigung und Chancengerechtigkeit. Indem alle
Involvierten, Adressat:innen und Sozialarbeiter:innen gemeinsam über Rahmenbedingungen, internalisierte
Konzepte von Geschlecht und Rollen hinsichtlich Elternschaft, über Möglichkeiten und Grenzen, Ängste und
Honungen im Spiel sprechen, diskutieren und reektieren, erönen sich neue Denk- und Handlungsräume
und das Potenzial für Veränderung.
Verweise
1
Auch die Finanzierung der Kindertagesbetreuung ist im Ländervergleich sehr unterschiedlich und erfolgt in vielen Bundesländern nach wie vor über
elterliche Beitragsgebühren.
2
Das Frühe-Hilfen-Netzwerk in Österreich steht in allen neun Bundesländern zur Verfügung und fokussiert mit gezielter Unterstützung von Familien
bereits während der Schwangerschaft und frühen Kindheit auf eine umfassende biopsychosoziale Unterstützung und Gesundheitsförderung.
3
Grundsätzlich verstehen wir unter Familie verschiedene Formen und Konstellationen von Paar- und Geschlechterbeziehungen. Dieser Artikel nimmt
heterosexuelle Paare in den Fokus, insbesondere tradierte, d.h. historisch gewachsene patriarchale Strukturen werden kritisch diskutiert.
4
Familienpolitische Leistungsansprüche werden seither immer häuger so ausgestaltet, dass beide Elternteile Anspruch auf die Leistung haben, wie
am Beispiel der Elternkarenz besonders deutlich wird. Diese beträgt grundsätzlich mindestens zwei Monate, bei Mehrlingsgeburten, Frühgeburten
sowie nach einer Kaiserschnittgeburt erhöht sich diese Zeit auf 20 Wochen. Die Karenz beginnt mit Ende der Schutzfrist und dauert höchstens bis
zum letzten Tag vor dem zweiten Geburtstag des Kindes. Sie kann zweimal zwischen den Eltern geteilt werden.
5
In Anschluss an den Forschungsprozess wurden im Rahmen des Workshops im Wesentlichen die zwei Fragen diskutiert: Wie kann das
Erhebungsinstrument „Familienpolitisches Brettspiel“ zum Reexions- und Beratungsinstrument für Fachkräfte der Psychosozialen Berufe
umgewandelt werden? Wie gestaltet sich das Brettspiel angesichts der familienpolitischen Rahmenbedingungen in Vorarlberg? Welche Spezika
müssen in der Beratungssituation mit jungen Eltern beachtet werden?
Literaturverzeichnis
Blum, Sonja (2012): Familienpolitik als Reformprozess. Deutschland und Österreich im Vergleich. Wiesbaden:
Springer VS.
Buschmeyer, Anna/Haller, Lisa Yashodhara (2022): Doing Family by Doing Gender. In: Haller/Lisa Yashodhara/
Schlender, Alicia (Hg.): Handbuch Feministische Perspektiven auf Elternschaft. Opladen: Barbara Budrich,
S. 101–112.
Dollinger, Bernd (2018): Paradigmen sozial- und erziehungswissenschaftlicher Wirkungsforschung: Eine
Analyse kausaltheoretischer Annahmen und ihrer Folgen für die Soziale Arbeit. In: Soziale Passagen. Journal
für Empirie und Theorie der Sozialen Arbeit, 10(2), S. 246–262.
Dollinger, Bernd (2017): Narrative Folgenforschung. Konsequenzen sozialer Hilfen zwischen Evidenzbasierung
und Subjektbezug. In: Zeitschrift für Sozialpädagogik, 18(4), S. 20–39.
European Commission (2020): Equal Pay? Time to close the gap! https://ec.europa.eu/info/sites/info/les/
factsheet-gender_pay_gap-2019.pdf (01.02.2020).
Haller, Lisa Yashodhara (2021a): „Elternzeit...das gönn ich mir!“ Wie junge Mütter fürsorgebedingte
Arbeitsmarktaktivierung vor dem Hintergrund einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik verarbeiten. In: Krüger-
Kirn, Helga/Tichy, Leila Zoe (Hg.): Elternschaft und Gender Trouble. Geschlechterkritische Perspektiven auf
den Wandel von Familie. Opladen: Barbara Budrich, S. 40–58.
Haller, Lisa Yashodhara (2021b): Wirkung, Einuss und Folgen im Mehrebenendesign – Steuerungsstrategien
zur elterlichen Arbeitsteilung und ihre Übersetzung. In: Femina Politica. Zeitschrift für feministische
Politikwissenschaft, 30 (1), S. 29–42.
Haller, Lisa Yashodhara (2018): Elternschaft im Kapitalismus. Staatliche Einussfaktoren auf die Arbeitsteilung
junger Eltern. Frankfurt am Main/New York: Campus.
Hollstein, Betina /Pfeer, Jürgen (2010): Netzwerkkarten als Instrument zur Erhebung egozentrischer
Netzwerke. In: Soener, Hans-Georg (Hg.): Unsichere Zeiten. Verhandlungen des 34. Kongresses der
Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Jena 2008. Wiesbaden: VS Verlag, S. 1–13.
Kahn, Robert L./Antonucci, Toni C. (1980): Convoys over the Life Course: Attachment, Roles, and Social
Support. In: Baltes, Paul B./Brim, Olim G. (Hg.): Lifespan Development and Behavior. New York: Academic
Press, S. 383–405.
Kremer, Margareta (2011): Familienpolitische Maßnahmen in Österreich: Paradigmenwechsel auf halbem Weg.
In: Kreimer, Margareta/Sturm, Richard/Dujmovits, Rudolf (Hg.): Paradigmenwechsel in der Familienpolitik.
Wiesbaden: Springer VS, S. 83–110.
Mangold, Katharina/Schröder, Julia (2020): „Ganz normal und doch besonders“ Kategorisierungsarbeit
queerer Familien. In: Peukert, Almut/Teschlade, Julia/Wimbauer, Christine/Motakef, Mona/Holzleither,
Elisabeth (Hg.): Elternschaft und Familie jenseits von Heteronormativität und Zweigeschlechtlichkeit.
GENDER Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft, Sonderheft 5. Opladen/Berlin/Toronto: Barbara
Budrich Journals. S. 124–140.
Rille-Pfeier, Christiane/Blum, Sonja/Kapella, Olaf/Buchebner-Ferstl, Sabine (2014): Konzepte der
Wirkungsanalyse „Familienpolitik“ in Österreich. Zeitdimensionen – Bewertungskriterien – Module.
Österreichisches Institut für Familienforschung. Forschungsbericht Nr. 12/2014. https://www.ssoar.info/
ssoar/handle/document/57228 (01.02.2020).
Sabla-Dimitrov, Kim-Patrick/Ristau, Alexander (2022): Väter in der Kinder- und Jugendhilfe. In: Haller, Lisa
Yashodhara/Schlender, Alicia (Hg.): Handbuch Feministische Perspektiven auf Elternschaft. Opladen:
Barbara Budrich, S. 207–115.
Seithe, Metchtild (2012): Schwarzbuch Soziale Arbeit. 2. durchges. erw. Au. Wiesbaden: VS Verlag.
Statista (2021a): Gender Pay Gap in Österreich. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/958103/
umfrage/gender-pay-gap-in-oesterreich-nach-bundeslaendern/ (28.04.2022).
Statista (2021b): Statistiken zu Österreichs Bundesländern im Vergleich. https://de.statista.com/
themen/4991/oesterreichs-bundeslaender-im-vergleich/#dossierKeygures (07.03.2022).
Statistik Austria (2020): Kinderbetreuungsgeldbezieherinnen und -bezieher nach Geschlecht 2008 bis 2020.
http://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/soziales/sozialleistungen_auf_
bundesebene/familienleistungen/058447.html (05.04.2022).
Über die Autor_Innen
Dr. rer. pol. Lisa Yashodhara Haller
l.haller@em.uni-frankfurt.de
Forscht am Institut für Sozialforschung an der Goethe Universität Frankfurt am Main (IfS). In der
Politikberatung, Projektbegleitung und als politische Bildungsreferentin ist sie mit der Transformation von
Fachwissen in der sozialpolitischen Praxis befasst. Lehr- und Forschungsschwerpunkte sind vergleichende
Forschung zu Familienpolitik und zu sozialen Dienstleistungen, Soziale Arbeit als angewandte Sozialpolitik,
Sozialwirtschaft und Wohlfahrtstaatsanalysen sowie Paar- und Geschlechterforschung.
Prof.in (FH) Dr.in Johanna M. Hefel, DSAin
hefel@ogsa.at; hefel@fhv.at
Forscht und lehrt an der Fachhochschule Vorarlberg FHV in Bachelor- und Masterstudiengängen für Soziale
Arbeit; Aufbau und Koordination des Masterstudiengangs Klinische Soziale Arbeit von 2011–2018; Lehr-
und Forschungsschwerpunkte: Geschichte und Professionalisierung der Sozialen Arbeit; Klinische Soziale
Arbeit, Soziale Diagnostik, Kasuistik; Verlust, Sterben und Tod über die Lebensspanne; Mitglied in nationalen
und internationalen Gremien Sozialer Arbeit, seit 2018 Präsidentin der ogsa.
Gleichstellung als soziale Innovation
Das familienpolitische Brettspiel als Werkzeug der Beratung
Lisa Yashodhara Haller, Johanna M. Hefel