soziales_kapital
Madlen Behrle.
“
in necessariis unitas. Eine Analyse des Diskurses über das fachpolitische Mandat Sozialer Arbeit.
”
soziales_kapital, no. 26 (2022). Rubrik „Sozialarbeitswissenscha“. Vorarlberg. Printversion:
https://soziales-kapital.at/
index.php/sozialeskapital/article/view/752/1391
_
Soziale Innovation
26. Ausgabe Juni 2022
Zusammenfassung
Seit jeher stellt das fachpolitische Mandat Sozialer Arbeit eine innerdisziplinär umstrittene Thematik dar.
Obgleich die politische Dimension Sozialer Arbeit durch Disziplin und Profession betont wird, kann von
einem fachinternen Konsens nicht gesprochen werden. Dieser Artikel stellt dar, wie der wissenschaftliche
Diskurs im deutschsprachigen Raum rund um das fachpolitische Mandat Sozialer Arbeit gestaltet ist. Dafür
wurden fünfzehn spezialdiskursive Beiträge aus den Jahren 2006–2018 mittels kritischer Diskursanalyse
nach Jäger (2015) untersucht. Die wichtigste Erkenntnis der Untersuchung ist, dass der wissenschaftliche
Diskurs rund um die Thematik heterogen ist. Werden der Sozialen Arbeit durch die Mandatsbefürworter:innen
weitreichende politische Funktionen und Verantwortung zugesprochen, treten die Mandatsgegner:innen
einem politischen Anspruch vehement entgegen. Der Beitrag zeigt, dass sich der Dissens bezüglich des
fachpolitischen Mandats Sozialer Arbeit auf das komplette System Sozialer Arbeit auswirkt.
Schlagworte:
Soziale Arbeit, politisches Mandat, kritische Diskursanalyse (KDA), Spezialdiskurs, Politik,
Tripelmandat, Interdependenzmodell
Abstract
The political mandate of social work has always been a controversial issue within the discipline. Although
both the discipline and the profession emphasize the political dimension of social work, there is no consensus
within the scientic community. This article shows how the scientic discourse around the political mandate
in German-speaking countries is characterized. To this end, fteen articles from 2006–2018 were examined
using critical discourse analysis according to Jäger (2015). The main nding is that the scientic discourse on
this topic is heterogeneous. While advocates of the political mandate ascribe far-reaching political functions
and responsibilities to social work, the opponents vehemently reject any political claim. The article shows
that the dissent regarding the political mandate of social work aects the entire social work system.
Keywords:
social work, political mandate, critical discourse analysis, scientic discourse, politics, triple-
mandate, interdependence-model
1
Im Notwendigen die Einheit
Wie gestaltet sich der politische Auftrag an die Soziale Arbeit? Hat sie politische Verantwortung? Wie sieht
diese Verantwortung konkret aus und wer sind überhaupt die Auftraggeber:innen? – Die Debatte um ein
fachpolitisches Mandat in der Sozialen Arbeit ist in der Disziplin umstritten. Utopie-Vorwürfe werden mit
Konservativismus-Argumenten pariert; Weltverbesserungsfantasien konkurrieren mit dem Vorwurf der
Anpassung (vgl. Merten 2001: 9). Obwohl die Thematik angesichts zurückliegender wie auch aktueller
politischer Ereignisse
1
und den damit einhergehenden sozialpolitischen Auswirkungen für Disziplin und
Profession Sozialer Arbeit von erheblicher Bedeutung ist, ist es (noch) nicht gelungen, innerdisziplinär
Konsens zu schaen (vgl. Merten 2001: 9f.). Politikberatung, Soziallobbying oder Gremienarbeit sind längst
in der alltäglichen Praxis Sozialer Arbeit angekommen, die Fachliteratur bietet allerdings noch wenig an,
wenn es darum geht, konkrete politische Handlungsvorschläge für die Soziale Arbeit zu skizzieren (vgl.
Benz/Rieger 2015: 10).
Der Bedarf an fundiertem Wissen zu sozialarbeitspolitischer Intervention ist oensichtlich.
Forschung und Lehre halten mit dieser Entwicklung jedoch nur bedingt Schritt, denn nur wenig Literatur
untersucht Politik und politisches Handeln aus der Perspektive von und mit dem Anspruch der Sozialen
Arbeit als Handlungswissenschaft in Anlehnung an Staub-Bernasconi (2007a). Aufgrund des mangelnden
disziplininternen Konsens werden kaum konkrete Handlungsvorschläge entworfen und stattdessen
Unsicherheit bei Studierenden der Sozialen Arbeit als auch bei Praktiker:innen bezüglich fachpolitischer
Kompetenzen vergrößert.
Da sich das Forschungsfeld sehr unübersichtlich gestaltet und die Positionen so vielfältig sind,
besteht Bedarf nach der Erhebung der aktuellen Sachlage. Mithilfe der kritischen Diskursanalyse nach Jäger
(2012) wurde der Diskurs rund das fachpolitische Mandat in der Sozialen Arbeit analysiert (vgl. Behrle 2019).
In der kritischen Diskursanalyse wird zwischen verschiedenen Diskursen unterschieden. Der Spezialdiskurs
kann, im Gegensatz zum Interdiskurs (vgl. Jäger/Zimmerman 2019: 103), als Diskurs der Wissenschaft(en)
verstanden werden, wohingegen der Interdiskurs alle anderen Diskurse umfasst. Die durchgeführte Forschung
fokussiert den Spezialdiskurs. Die generierten Forschungsergebnisse sollen der Sozialarbeitsforschung
als Grundlage dienen, ihre fachpolitische Handlungswirksamkeit weiterzuentwickeln, die Forschung
diesbezüglich auszuweiten und im besten Falle Konsens hinsichtlich der politischen Verantwortung Sozialer
Arbeit zu ermöglichen, um konkrete sozialarbeitspolitische Handlungen legitimieren zu können.
2
Das fachpolitische Mandat Sozialer Arbeit
Unumstritten scheint der politische Anspruch der Sozialen Arbeit, wenn wir uns historisch mit der
Entwicklung der Profession und Disziplin befassen. Die Soziale Arbeit entwickelte sich als Begleiterscheinung
eines kapitalistischen Gesellschaftssystems (vgl. Böhnisch/Schröer/Thiersch 2005: 199). Das mit der
Industrialisierung einhergehende Elend der Bevölkerung und die entstandene soziale Frage wurden zentral.
Soziale Reformen, geboren aus der Not eines Systems, das Menschen als Produzent:innen aber auch
Konsument:innen brauchte, waren dann die Vorreiter des späteren Sozialstaats und somit auch der Sozialen
Arbeit (vgl. Seithe 2012: 399).
Die Historie Sozialer Arbeit kann in diskursiv geprägte Phasen unterteilt werden, in denen soziale
Probleme unterschiedlich stark in den gesellschaftlichen Diskurs eingebettet waren. Phasen, in denen
die Soziale Arbeit mit politischer Passivität glänzte, werden als „Phasen der Politikvergessenheit“ (Benz/
Rieger/Schönig/Többe-Schukalla 2013: 8) beschrieben. Die Zeitabschnitte, in denen politische Diskurse
verstärkt in der Sozialen Arbeit eingebettet waren, gelten als „Phasen der Politikversessenheit“ (Benz et al.
2013: 8). Die bisher bedeutendste Phase der Politikversessenheit waren die 1970er Jahre. Zu dieser Zeit
standen neue theoretische Konzepte sowie aktive soziale Bewegungen im Zentrum des Diskurses rund um
die Soziale Arbeit (vgl. Wendt 2017). Die Tendenz zur „Versozialwissenschaftlichung“ (Birgmeier 2016: 263)
der Sozialen Arbeit im Zuge der 68er-Bewegung forcierte ebenso ihre Politisierung. Einerseits führte dies
zur Renaissance einer marxistischen Theorietradition, andererseits auch zur Auseinandersetzung mit dem
gesellschaftspolitischen Stellenwert der Sozialen Arbeit.
Die „sozialpolitische Reaktivierung“ (Birgmeier 2016: 263) führte zu deutlichen antikapitalistischen
Tendenzen unter den Akteur:innen in der Sozialen Arbeit, die auf sozialpolitische Innovationen und
Programme drängten. Soziale Arbeit war geprägt vom allgegenwärtigen Reformwillen (vgl. Kreft 2004: 77).
Die Soziale Arbeit war dazu aufgerufen, die Ergebnisse politisch-ökonomischer Perspektiven in die Analyse
sozialer Probleme ihrer Adressat:innen miteinzubeziehen. Mit dieser Forderung wurde eine neue Phase der
theoretischen und empirischen Forschung angestoßen. Diese gesellschaftskritischen und sozialpolitischen
Selbstansprüche der Sozialen Arbeit mündeten schließlich in der Forderung, ein „gesellschaftspolitisches
Mandat zur Durchsetzung sozial gerechter Lebensverhältnisse“ (Hering/Münchmeier 2012: 127) einzuführen.
Nichtsdestotrotz gibt es bis dato im deutschsprachigen Raum kein politisches Konzept, dass es der Sozialen
Arbeit erlauben würde, sich unabhängig politisch zu engagieren.
3
Die kritische Diskursanalyse
Da diese Tatsache als kritisch zu erachten ist und um zukünftig konkrete sozialpolitische Handlungsvorschläge
an die Soziale Arbeit machen zu können, wird folgend der fachliterarische Diskurs rund das fachpolitische
Mandat analysiert. Methodisch wurde dafür die kritische Diskursanalyse (KDA) nach Jäger (2012) gewählt.
Die KDA beruft sich auf die Diskurstheorie von Michel Foucault. Es handelt sich dabei um eine „systematische
Ausarbeitung des Stellenwerts von Diskursen im Prozess der gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit“
(Landwehr 2009: 14). Zentrale Fragen der kritischen Diskursanalyse sind beispielsweise, was (jeweils gültiges)
Wissen überhaupt ist, wie es zustande kommt und weiterverbreitet wird, welche Funktion dieses gültige
Wissen für die Gestaltung von Gesellschaften hat und welche Auswirkungen es auf die Gesellschaft haben
kann (vgl. Jäger 2006: 83). Der Diskurs wird dabei als „Fluß [sic] von Wissen bzw. sozialen Wissensvorräten
durch die Zeit“ (Jäger 2006: 84) begrien. Foucault versteht den Diskurs als eine Menge von Aussagen, die
einem gleichen Formationssystem (Thema) angehören, wie beispielsweise die Medizin oder die Ökonomie
(vgl. Foucault 2003: 156). Der Fluss von Wissen impliziert, dass es einen Raum geben muss, in dem dieser
ießen kann, und zwar im Sinne eines Raum-Zeit-Gefüges, in welchem der Diskurs stattndet.
Der Diskurs bestimmt kollektives und individuelles Handeln einer Gesellschaft und übt dadurch
Macht aus. Laut Denition formieren Diskurse das Bewusstsein der Subjekte und stellen transsubjektive
Produzenten der Gesellschaft dar. Sie bilden Subjektpositionen, die durch Individuen reproduziert werden.
Über Denksysteme werden somit Wahrheiten hervorgebracht, die jedoch nur in Zusammenhang mit
konkreten Diskursperspektiven existieren. Wahrheiten werden also ständig mit dem Diskurs verändert, von
ihm beeinusst bzw. mitbedingt und können nie losgelöst von den historischen Zusammenhängen und den
diskursiven Kontexten betrachtet werden. Das bedeutet auch, dass diese Wahrheiten machtvoll sind und
zu ihrer Umsetzung in gesellschaftliches Handeln drängen, indem sie die Anzahl der den gesellschaftlichen
Individuen zur Verfügung stehenden Aussagen reglementieren (vgl. Jäger/Zimmermann 2010: 286–387).
Die Kant’sche Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis steht bei der kritischen
Diskursanalyse nicht im Mittelpunkt. Wie bei Foucault geht sie über diese Problemstellung hinweg und stellt
die Erforschung der Entwicklung der Diskurse in den Mittelpunkt, ohne den Wahrheitsanspruch gänzlich
zu klären. Dabei gilt: „Die KDA fasst Wahrheit als einen historisch erzeugten diskursiven Eekt auf und hat
damit nicht den Anspruch ‚objektive Wahrheiten zu produzieren‘“ (Jäger/Zimmerman 2010: 125). Die KDA
untersucht also das, was als wahr gilt, und zwar im Sinne einer Entideologisierung. Im Zentrum stehen dabei
die Prozesse mittels derer Wahrheit und Wirklichkeit konstituiert werden (vgl. Jäger/Zimmerman 2010: 125).
Wissen und Macht werden in der KDA als miteinander verochten gedacht. Entsprechend geht
es auch in der vorliegenden Analyse darum, die dem Wissen implizierten Machteekte oenzulegen, um
Veränderungen zu ermöglichen. Damit stellt sich auch die Frage, wie Macht sich in der heutigen Gesellschaft
zeigt, wer sie ausübt, ob sie verändert werden kann oder ob Widerstand gegen ausufernde Macht möglich
ist (vgl. Jäger 2012: 39f.). Wenn ein Diskurs sich als ein terminiertes, positives Feld von Aussagen-Häufungen
(Sagbarkeitsfelder) beschreiben lässt, so gilt im Umkehrschluss, dass mögliche andere Aussagen,
Problematiken oder Blickrichtungen ausgeschlossen werden (vgl. Link/Link-Heer 1990: 90). Dies bedeutet,
dass es auch so etwas wie Macht über die Diskurse gibt, beispielsweise durch die Regulation des Zugangs
zu spezischen Medien und der Verfügung über gewisse Ressourcen oder auch durch gezielte Schaltung
spezischer Diskurse in den Sozialen Medien (vgl. Jäger 2006:
85).
4
Methodisch-empirisches Vorgehen
Die KDA hat vorrangig die systematische Ausarbeitung und Ermittlung von Aussagen zu einem bestimmten
Thema zum Ziel. Aussagen sind Atome der Diskurse. Die KDA stellt Inhalte und Verhältnisse ins Zentrum ihrer
Analyse, die sie in einem weiteren Schritt kritisch betrachten kann. Dies jedoch ohne den Anspruch einer
objektiven Wahrheit. Zudem erfasst sie historisch und gegenwärtig relevante, mit ‚Wahrheit‘ ausgestattete
Diskurse und macht sie somit potenziell veränderbar (vgl. Jäger 2012: 7f.). Dies erfolgt, indem die Diskurs-
und Dispositivfragmente gleicher Inhalte, Themen und Unterthemen, deren Inhalte, Häufungen und formale
Beschaenheit empirisch aufgelistet und analysiert werden.
Da es in der durchgeführten Forschungsarbeit, wie auch in der KDA, um die Wirkung des
Diskurses geht, war auch die Betrachtung der sprachlichen und nicht-sprachlichen Performanzen
bedeutsam. In diesem Verdichtungsschritt wurden Trends, oensichtliche Dierenzen, dominierende
Diskurspositionen, Kollektivsymboliken
2
und inhaltliche Ausgestaltungen des Spezialdiskurses
rund um das fachpolitische Mandat erörtert. Diese Strukturanalyse wurde durch eine ausführliche
Feinanalyse eines typischen Beitrags ergänzt (vgl. Jäger 2012: 105f.). Zusätzlich wurde der
Spezialdiskurs Soziale Arbeit anhand des prozessual-systemischen Paradigmas (vgl. Staub-Bernasconi
2007a) einer Machtanalyse unterzogen. Dies diente vor allem der Analyse der machtausübenden Subjekte.
In diesem Fall bedeutet dies konkret: die Analyse der Wissenschaftler:innen und Theoretiker:innen, die sich
ihrer Machtquellen
3
bedienen, um so Deutungshoheit über den Spezialdiskurs Sozialer Arbeit zu erlangen.
4.1
Materialgrundlage
Die vorliegende Forschung wurde während der Covid-19-Pandemie in Österreich verfasst. Den Diskurs
samt seiner historischen Vergangenheit zu analysieren, konnte aufgrund dessen nicht realisiert werden. Zu
viele der zentralen Beiträge deutschsprachiger Wissenschaftler:innen in diesem Zeitraum sind (noch) nicht
digitalisiert. Der Zugang zu den Bibliotheken war zur Zeit der Erstellung nicht möglich, da diese aufgrund
der damals getroenen bundesweiten Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus geschlossen waren.
Dies hatte zur Folge, dass nur Material verwendet werden konnte, das digitalisiert und frei zugänglich im
Internet vorhanden war oder das durch Datenbanken (Springer ebooks; EBSCO ebooks; WISO; DOAJ;
ScienceDirect ejournals) erhoben werden konnte. Die Forschung legitimiert sich dennoch. Ein Projekt, welches
das Ziel verfolgt, den gesamten Spezialdiskurs mit all seinen historischen Kontexten zu untersuchen, wäre
außerordentlich umfangreich und lässt sich auch laut Jäger nur in Gestalt einer Vielzahl von Einzelprojekten
angehen. „Solche Einzelprojekte sind aber bereits sehr sinnvoll, weil sie immerhin zu bestimmten diskursiven
Teilbereichen sehr verlässliche Prognosen zulassen.“ (Jäger 2012: 136f.) Als ein solches Einzelprojekt kann
auch die vorliegende KDA betrachtet werden. Die Analyse fokussierte das fachpolitische Mandat Sozialer
Arbeit. Da dieser Terminus als Spezikum angesehen werden kann, wurden bei der Analyse auch Synonyme
wie das „politische Mandat“ Sozialer Arbeit (ohne die Vorsilbe fach-), der „politische Auftrag“ Sozialer Arbeit
(Auftrag als Synonym für Mandat) und die „politische Funktion“ Sozialer Arbeit berücksichtigt.
4.2
Zeit
Es ist oensichtlich, dass das Archiv des Wissens über ein fachpolitisches Mandat Sozialer Arbeit in
seiner Totalität nicht zu erfassen ist. Diskurse sind immer Teile eines riesigen „diskursiven Gewimmels“
(Jäger 2012: 101). Grundsätzlich wäre erstrebenswert, „ganze Diskursstränge [...] historisch und
gegenwartsbezogen zu analysieren und zu kritisieren“ (Jäger 2009: 171). Dies stellt jedoch ein Ideal dar, das
aus forschungspragmatischen Gründen nicht durchführbar ist. Für die vorliegende KDA wurde ein Zeitraum
gewählt, der eine digitale Recherche rechtfertigt: der Fokus wurde auf den Spezialdiskurs der letzten zwanzig
Jahre gelegt. Das einussreiche Werk Mertens Hat die Soziale Arbeit ein politisches Mandat? (2001) war
dabei die Ausgangsquelle. Mit der Untersuchung sollte eruiert werden, ob sich der Spezialdiskurs in den
letzten zwanzig Jahren verändert hat, und wenn ja, wie.
4.3
Raum
In der Analyse wird der deutschsprachige Raum fokussiert. Dazu gehören Österreich, Deutschland, die
Schweiz und Liechtenstein. Der sozialarbeitstheoretische Diskurs der einzelnen Länder ist dank der
Akademisierung Sozialer Arbeit und ihrer Historie eng mit den anderen verschränkt. Räume können laut
Jäger auch sogenannte Nichträume sein (vgl. Jäger 2012: 137). Als ein solcher heterotroper Raum wurde
hier zudem das System Sozialer Arbeit – in Anlehnung an Staub-Bernasconi (2007a) – identiziert. Da in
der durchgeführten Forschung Sagbarkeitsfelder und Wahrheiten des Spezialdiskurses Sozialer Arbeit
analysiert wurden, legitimiert sich die räumliche Eingrenzung dadurch, dass insbesondere die Wirkung
dieser Wahrheiten auf die Subjekte des Systems Sozialer Arbeit untersucht wurden.
4.4
Medium
Die klassische KDA widmet sich einem Medium, das es zu analysieren gilt (vgl. Jäger 2012: 107). Zeitungen,
Zeitschriften, Journale oder ähnliches werden besonders häug herangezogen. Der Spezialdiskurs
lässt sich jedoch nicht einem spezischen Medium zuordnen, vielmehr ndet er in verschiedenen
Medien wie Fachbüchern, Fachzeitschriften, Lexika, Sammelwerken, selbständig erschienenen Werken,
Hochschulunterlagen, Vorträgen, Fachtagungen oder Konferenzen statt. Aus diesem Grund wurde für die
vorliegende Untersuchung ein anderer Zugang gewählt. Aufgrund der Machtwirkung des Spezialdiskurses
auf die anderen Systeme Sozialer Arbeit – in Anlehnung an das Interdependenzmodell (vgl. Engelke/
Spatscheck/Borrmann 2016) –, konstruiert das System Wissenschaft die Wirklichkeit für die Soziale Arbeit
maßgeblich mit. Anstatt also ein Medium zu wählen, mussten relevante spezialdiskursive Beiträge identiziert
werden, die Einuss auf das System der Lehre Sozialer Arbeit und auch auf die Praxis haben.
Ausgangspunkt der Recherche war eine umfassende Literaturliste zum Verhältnis von Sozialer
Arbeit und Politik der Sektion ‚Politik Sozialer Arbeit‘ der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA).
Diese Liste wurde um acht Beiträge ergänzt.
4
Die Literaturliste wurde dezidiert mit dem Fokus auf das
fachpolitische Mandat Sozialer Arbeit hin untersucht und die Auswahl so eingegrenzt. Dies erfolgte durch
ein Ausscheidungsverfahren in drei Schritten. Ausgesondert wurden zuerst alle Beiträge, die nicht digital
zugänglich waren. In einem weiteren Schritt wurden alle zeitlich nicht relevanten Beiträge exkludiert. Zuletzt
wurden alle Beiträge entfernt, die keinen Treer bezüglich der Schlagworte „fachpolitisches Mandat“,
„politisches Mandat“, „politischer Auftrag“ oder „politische Funktion“ Sozialer Arbeit ergaben.
4.5
Abschließender Korpus
Im Zuge der Sichtung der so identizierten Beiträge zeigte sich, dass die Eingrenzung des Gegenstandes
zu einer massiven Reduktion des Datenmaterials führte, da sich zwar etliche Beiträge mit der politischen
Geschichte Sozialer Arbeit, ihren gesellschaftspolitischen Verbindungen oder ihren politischen Dimensionen
im Allgemeinen beschäftigen, sich jedoch nur wenige Wissenschaftler:innen in ihren Ausführungen explizit
dem fachpolitischen Mandat widmen. Auch die ausschließliche Recherche im Internet führte zu einer
weiteren Reduktion. So konnten einige Beiträge zwar als relevant identiziert werden, der Zugri darauf war
jedoch nicht möglich.
5
Ergebnisse der KDA
Die gesammelten Beiträge wurden tabellarisch zusammengefasst und chronologisch nach dem Datum
der Erscheinung geordnet. Die analysierten Beiträge stammen aus den Jahren 2006–2018. Basierend
auf den zeitlichen, räumlichen, thematischen und pragmatischen Begrenzungskategorien konnten neun
Wissenschaftler:innen mit insgesamt fünfzehn Beiträgen identiziert werden, die zentrale Akteur:innen
und Produzent:innen des sozialarbeiterischen Spezialdiskurses rund um ein fachpolitisches Mandat im
deutschsprachigen Raum sind. Um die der durchgeführten Analyse zugrundeliegende Fragestellung
beantworten zu können, auf welche Weise sich der Spezialdiskurs rund um das fachpolitische Mandat der
Sozialen Arbeit im deutschsprachigen Raum gestaltet, wurden zwei Folgefragen (FF) formuliert, die eine
Betrachtung auf zwei Ebenen ermöglichen.
5.1
Gültiges Wissen
Die erste Folgefrage war, wie sich das jeweils gültige Wissen des Spezialdiskurses rund um das fachpolitische
Mandat Sozialer Arbeit im deutschsprachigen Raum zusammensetzt. Die synoptische Interpretation
zeigt die Struktur des analysierten Materialkorpus. Der Diskurs gliedert sich anhand verschiedener
Diskurspositionen, und zwar der Mandatsbefürworter:innen, der Mandatsgegner:innen, der Vermittler:innen
und der Vertreter:innen, die für die Politikfähigkeit ohne politisches Mandat votieren.
Abbildung 1: Kategorie-Einteilung nach Autor:innen (eigene Darstellung).
Werden der Sozialen Arbeit durch die Mandatsbefürworter:innen weitreichende politische Funktionen
zugesprochen, treten die Mandatsgegner:innen einem politischen Anspruch vehement entgegen.
Dazwischen benden sich die Vertreter:innen der Position „Politikfähigkeit ohne politisches Mandat“. Sie
sprechen der Sozialen Arbeit politische Handlungsspielräume zu, ein explizites Mandat erachten sie jedoch
nicht als nötig. Legitimiert wird letzteres oft im Zusammenhang mit dem Tripelmandat Sozialer Arbeit (vgl.
Staub-Bernasconi 2007b). Wie der Name suggeriert, nehmen die Vermittler:innen im Spezialdiskurs die Rolle
einer Vermittlungsinstanz ein. Sie stellen die Diskurspositionen gegenüber und analysieren beide kritisch.
Schlussendlich positionieren sie sich selbst jedoch nicht.
Das gültige Wissen, das anhand der Analyse deutlich wird, ist der Dissens, der den Spezialdiskurs
strukturiert. Auch die häugen Bezüge auf Mertens Band Hat die Soziale Arbeit ein politisches Mandat?
können als diesbezügliches Indiz gewertet werden, da es sich dabei um einen Sammelband handelt, in
dem sowohl Mandatsbefürworter:innen, Vermittler:innen wie auch Mandatsgegner:innen ihre Standpunkte
erläutern. Jeder Beitrag kommt dabei zu einer anderen Konklusion. Dass sich in elf von insgesamt fünfzehn
Beiträgen des Materialkorpus auch noch fast zwanzig Jahre nach dessen Erscheinen Verweise auf dieses
Werk nden lassen, zeugt zum einem von der erheblichen Importanz des Werks für den Spezialdiskurs und
zum anderem von der Beständigkeit des Bildes, welches das Werk vermittelt. Es steht metaphorisch für die
Uneinigkeit des Wissenschaftssystems Sozialer Arbeit was ihre politischen Aufträge anbelangt.
Der Dissens kann anhand der verschiedenen Kollektivsymbole veranschaulicht werden. Die sich
wiederholenden Bilder im analysierten Materialkorpus sind eindeutig Bilder der Unsicherheit. Termini wie
Streit (2x)‚ Dilemma (2x), oszillieren (2x), Dschungel (1x), Irrungen und Wirrungen (1x), Zersplitterung (1x),
Verechtung (1x), Widersprüche (1x) oder Konikt (1x) können einer Überthematik zugeordnet werden. All diese
Termini suggerieren in unterschiedlich starken Ausprägungen Dissens. Die Termini oszillieren, Verechtung,
Widersprüche und Dschungel zeigen die Unübersichtlichkeit und Uneinigkeit bezüglich der Thematik. Der
Terminus Streit suggeriert eine antagonistisch Komponente in dem Diskurs. Die Zersplitterung deutet auf das
Auseinanderfallen des Gegenstands in mehrere, aber mindestens zwei Gruppierungen, die augenscheinlich
unterschiedlicher Ansichten sind. Insgesamt sind all diese Termini im gesamtgesellschaftlichen Diskurs in
unterschiedlicher Ausprägung negativ behaftet.
Das fachpolitische Mandat Sozialer Arbeit ist in der Regel nicht die zentrale Thematik der
spezialdiskursiven Beiträge des untersuchten Materialkorpus, wie der nachfolgenden Abbildung entnommen
werden kann. Vielmehr wird es in Zusammenhang mit anderen Thematiken aufgegrien. Dazu gehören
insbesondere der Professionalisierungsdiskurs, der Theoriediskurs, der geschichtliche Diskurs und die
Ökonomisierung Sozialer Arbeit.
Abbildung 2: Diskursverschränkungen (eigene Darstellung).
Die Tatsache, dass sich das fachpolitische Mandat Sozialer Arbeit nur über Diskursverschränkungen mit
anderen Thematiken nden lässt, suggeriert eine gewisse Irrelevanz. Es könnte jedoch auch bedeuten,
dass die Frage nach dem fachpolitischen Mandat von anderen Spezialdiskursen abhängig ist, wie durch
die Diskursverschränkung mit dem Professionalisierungsdiskurs ersichtlich ist. Die augenscheinliche
Irrelevanz führt in Folge dazu, dass wir uns fachliterarisch in den letzten zwanzig Jahren auf einer Ebene der
Grundsätzlichkeit bewegen: Zwar wird ganz prinzipiell über die politische Verantwortung der Sozialen Arbeit
diskutiert, doch werden keine konkreten sozialpolitischen Handlungsvorschläge entworfen. In nur vier der
fünfzehn analysierten Beiträge wird konkret auf sozialpolitische Handlungsmethoden verwiesen.
5
5.2
Auswirkungen auf die Soziale Arbeit
Die zweite Folgefrage der Untersuchung war, welche Auswirkungen das jeweils gültige Wissen des
Spezialdiskurses rund um das fachpolitische Mandat auf das System Sozialer Arbeit im deutschsprachigen
Raum hat. Das Interdependenzmodell (vgl. Engelke et al. 2016) verdeutlicht die Abhängigkeit der Praxis und
der Lehre Sozialer Arbeit von ihrem Wissenschaftssystem. Abhängigkeit beinhaltet immer eine Komponente
der Macht. In der Ausbildung der Sozialen Arbeit vermittelt das System der Lehre wissenschaftliche
Theorien und Modelle, Kernkompetenzen und wesentliche Haltungen. Grundlage dafür sind die
praktischen und theoretischen Kenntnisse des Ausbildungssystems und seine ausführenden Subjekte, die
Hochschullehrer:innen. Als ausführende Subjekte des Lehrsystems verfügen sie über „Macht über Diskurse“
(vgl. Jäger 2006: 85). Sie sind als Komponenten des Lehrsystems jedoch nicht nur Vermittler:innen von
Informationen, sondern in gleichem Maße Rezipient:innen des Wissenschaftssystems. Theoretiker:innen
und Wissenschaftler:innen und der von ihnen geformte Spezialdiskurs wirken machtvoll auf sie. Die
Theorien, Modelle und Beiträge (Spezialdiskurs) der Wissenschaftler:innen Sozialer Arbeit und ihrer
Bezugswissenschaften werden über die Hochschulen an die Student:innen vermittelt und bei Abschluss der
Ausbildung konsequenterweise in die Praxis Sozialer Arbeit getragen: „Wissenschaftliche Theorien wirken
sich auch auf das Selbstverständnis der in der Profession Tätigen aus und ermöglichen eine Abgrenzung zu
den Laien, die in der Sozialen Arbeit ehrenamtlich tätig sind.“ (Engelke et al. 2016: 375)
Die durch das System der Wissenschaft generierten und hier analysierten Beiträge wirken auf das
System der Lehre und das System der Praxis einussreich, überzeugend und motivierend. Die Machtposition
von Autor:innen im Wissenschaftssystem ist dabei von mehreren Faktoren abhängig, die im Zuge der
Forschung als Machtquellen (vgl. Staub-Bernasconi 2016: 411) identiziert werden konnten. Insbesondere
bei der Vermittlung von gültigem Wissen spielen Machtquellen eine zentrale Rolle, denn sie befähigen
Individuen dazu, andere über den Diskurs zu beeinussen. Artikulationsmacht spielt eine zentrale Rolle
in der Machtwirkung des Spezialdiskurses Sozialer Arbeit und zeigt sich in den sprachlich-rhetorischen
Fähigkeiten der Autor:innen. Die ausgewählte Sprache, manch eine:r würde sie als elitär bezeichnen, und die
objektivierende Darstellung in den verfassten Beiträgen durch die Vermeidung von Konjunktiven verstärken
die Wirkung auf die Leser:innenschaft, die getätigten Aussagen als gültige Wahrheiten zu verinnerlichen.
Positionsmacht in Kombination mit Ressourcenmacht über kulturelle Kapitalien wie akademische Titel
vermittelt Autorität. Besoldung und Reputation spielen in diesem Kontext eine große Rolle. Autor:innen
zitieren sich gegenseitig, stellen ihre Standpunkte gegenüber oder sprechen aus der gleichen ideologischen
Position heraus. Umso öfter einzelne Autor:innen in den Beiträgen zitiert werden oder auf sie in anderer Weise
Bezug genommen wird, um so einussreicher kann die Person gesehen werden.
6
Durch Mitgliedschaften
in diversen sozialarbeitsrelevanten Verbänden und Vereinen haben Wissenschaftler:innen die Möglichkeit,
Beziehungen zu anderen machtvollen Personen dieses Systems zu knüpfen. Individuen sind Organisationen
darum in der Regel unterlegen und diese Organisationsmacht kann als Multiplikator anderer Machtquellen
dienen.
Wie bereits erwähnt, ist die Recherche des Materialkorpus zentraler Bestandteil der KDA. Die
Verfügbarkeit von Beiträgen zum Spezialdiskurs des fachpolitischen Mandats im Internet ist als gering
einzuschätzen. Der Zugang zu relevanten Beiträgen ist häug an Vorgaben geknüpft, so kann das Lesen
der Beiträge mit hohen Kosten verbunden sein, die gerade für Student:innen Sozialer Arbeit oftmals nicht
erschwinglich sind. Der Großteil der online verfügbaren Fachbücher kann nur eingesehen werden, wenn dafür
bezahlt wird. Zudem hängt der Zugang zu den meisten Publikationen von Verträgen mit Verlagsgruppen und
Suchmaschinen ab. Dieser Zugang wird für Student:innen meist von den Hochschulen kostenfrei bereitgestellt.
Nichtsdestotrotz kann auch damit nur auf Beiträge zugegrien werden, welche die Hochschulen als relevant
erachten und im Zuge ihres Vertrags mit den Verlagsgruppen kaufen. Praktiker:innen haben diesen Zugang
nur, wenn sie auf eigene Kosten eine Mitgliedschaft bei den betreenden Verlagsgruppen abschließen oder
die sie beschäftigende Organisation ihnen dies ermöglicht. Diese Zugangsvoraussetzungen prägen das
gesamte System Soziale Arbeit.
7
Der sogenannte Impact Factor sozialarbeitswissenschaftlicher Beiträge ist ebenfalls nur schwer
zu erheben. Beim Impact Factor handelt es sich um den Einuss, den wissenschaftliche Medien auf die
wissenschaftliche Community haben. Für die vorliegende Forschung wäre es hinsichtlich der Machtanalyse
erstrebenswert gewesen, diesen Einuss zu messen und auf seine Wirkung hin zu untersuchen. In
vielen wissenschaftlichen Gebieten lässt sich der Impact Factor spezialdiskursiver Medien errechnen. Er
gibt vor allem Auskunft darüber, wie oft ein Beitrag in anderen Publikationen zitiert wurde. Was in den
Naturwissenschaften schon lange üblich ist, fehlt insbesondere in den Sozialarbeitswissenschaften noch
gänzlich. Im Zuge meiner Recherche in diversen Fachzeitschriften und Journalen konnte kein Impact Factor
identiziert werden. Dies könnte in Zusammenhang mit der Tatsache stehen, dass es keine vollständige,
zentrale Datenbank für sozialarbeitswissenschaftliche Medien im deutschsprachigen Raum gibt.
8
Es handelt
sich bei den meisten Datenbanken um Datenbanken von Verlagsgruppen oder Hochschulen.
6
Zusammenfassung und Lösungsansätze
Soziale Arbeit als Disziplin und Profession hat sich seit ihren Anfängen bis dato ununterbrochen mit ihrer
politischen Verantwortung auseinandergesetzt. Obgleich die kritische Auseinandersetzung mit den großen
Fragen der Sozialen Arbeit für eine Disziplin und Profession, die so nahe am Mensch arbeitet, essenziell sein
mag, birgt der Dissens bezüglich des fachpolitischen Mandats Sozialer Arbeit die Gefahr einer ohnmächtig
wegsehenden Sozialen Arbeit. Wenn die Bewältigung von sozialen Problemen Gegenstand Sozialer Arbeit
ist, wäre es töricht, die politischen Einüsse auf die Lebenswelten der Adressat:innen Sozialer Arbeit zu
ignorieren. Die negativen Folgen gesellschaftlicher Ungleichheiten müssen durch konkrete sozialpolitische
Methoden bearbeitet und gegebenenfalls beendet werden. Ein klar formulierter Auftrag würde es
Professionellen erleichtern, sich aus Ungewissheit zu befreien und sozialpolitische Methoden mit dem Ziel
einer sozial gerechteren Gesellschaft zu implementieren.
Mandatsgeber ist dabei, gestützt durch das Tripelmandat (vgl. Staub-Bernasconi 2007a), die
Profession im Sinne einer Selbstmandatierung. Nichtsdestotrotz reicht dieser im dritten Mandat enthaltene
Auftrag nicht aus. Es braucht eine konkrete verschriftlichte Formulierung, die idealerweise im Berufsgesetz
Sozialer Arbeit verankert wird. Auch hier benötigt es klare Worte und klare Vorgehensweisen. Konkrete
sozialpolitische Methoden, die Professionelle Sozialer Arbeit dazu befähigen, die sozialen Missstände einer
Gesellschaft strukturell zu verändern, sind ausbaufähig. Die aus der Politikwissenschaft übernommenen
Methoden wie das Soziallobbying oder die Politikberatung sind zwar erstrebenswert, dennoch wären
eigenständige, durch Sozialarbeitswissenschaften generierte Methoden wünschenswert. Dafür braucht es
auch in Zukunft konkrete Forschung zu den sozialpolitischen Ursachen sozialer Problemlagen.
Insbesondere die Fachhochschulen als System der Lehre und die diversen Wissenschaftler:innen
und Theoretiker:innen als System der Forschung sind hier in der Verantwortung, diese konkreten Methoden
und den fachpolitischen Auftrag der Sozialen Arbeit an ihre Studierenden und Praktizierenden zu vermitteln.
Die in der durchgeführten Forschung generierten Ergebnisse können als Ausgangspunkt für weitere
Aushandlungsprozesse gesehen werden und sind hoentlich Anreiz für zentrale Akteur:innen Sozialer Arbeit,
ihren diskursiven Dissens zu überdenken. Alle Teilhabende des Systems Sozialer Arbeit sind verpichtet, die
Disziplin und Profession stetig weiterzuentwickeln und sie an gegebene Umstände anzupassen.
Verweise
1
Kommentar aus der Bundestagung des Österreichischen Berufsverbands der Sozialen Arbeit (OBDS) im Herbst 2018: „Soziale Arbeit und Politik
sind unweigerlich miteinander verbunden“ und „Die aktuelle politische Lage in Österreich braucht ein klares politisches Statement von der Sozialen
Arbeit“ (Rücker 2018: 29).
2
Kollektivsymbole können wir uns als eine Art Bilder vorstellen, mit denen wir uns ein Gesamtbild einer gesellschaftlichen Wirklichkeit machen
können. Sie werden von allen Mitgliedern der Gesellschaft, also kollektiv gelernt, benutzt und verstanden (vgl. Jäger 2012: 55f.).
3
Machtquellen sind im systemtheoretischen Paradigma das, worüber Individuen im Rahmen ihrer Ausstattung und Umwelt verfügen (vgl. Staub-
Bernasconi 2016: 411.).
4
Es handelt sich dabei um: Röh (2006); Wendt (2006); Staub-Bernasconi (2007), (2013), (2016); Opielka (2013); Seithe (2016); Rieger (2016).
5
Alle vier Beiträge stammen von Günter Rieger, einer davon in Zusammenarbeit mit Benjamin Benz. Die beiden Autoren verfügen als einzige im
untersuchten Materialkorpus über einen politikwissenschaftlichen Hintergrund.
6
Eine Quellenanalyse des untersuchten Materialkorpus hat ergeben, dass Silvia Staub-Bernasconi (11x), Hans Thiersch (5x) und Lothar Böhnisch
(5x) als zentrale Bezugsquellen angesehen werden können, weshalb sie als machtvolle Akteur:innen identiziert wurden.
7
Hierbei ist anzumerken, dass einige Wissenschaftler:innen Sozialer Arbeit ihre Beiträge zur kostenfreien Einsicht zur Verfügung stellen, indem sie
sie privat, auf ihren eigenen Websites oder auf Plattformen wie ResearchGate veröentlichen. Der Anteil dieser Beiträge ist jedoch als gering und
unausgeglichen einzuschätzen.
8
Eine Stichprobe der Online-Datenbank PubliSA – Publikationen zur Sozialen Arbeit –, die den Anspruch hat, „kontinuierlich und ständig
aktualisiert deutschsprachige Publikationen zur Sozialen Arbeit (Monographien und Sammelwerke)“ (PubliSA 2019) zu sammeln, verdeutlicht diese
Unvollständigkeit: eine Suche zu Silvia Staub-Bernasconi endete hier mit nur zwei Ergebnissen, eine Einsicht der Werke ist nicht möglich. Ein Impact
Factor wird ebenfalls nicht zur Verfügung gestellt. Dieser Mangel an bibliometrischer Vergleichbarkeit ist als kritisch zu betrachten.
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Über die Autorin
Madlen Behrle, MA
madlen.behrle@hdg-vorarlberg.at
Sozialarbeiterin Oene Jugendarbeit Götzis – Sozialdienste Götzis GmbH; Vizepräsidentin des Netzwerkes
Österreichischer Studierender der Sozialen Arbeit (NOSSA).
in necessariis unitas.
Eine Analyse des Diskurses über das fachpolitische Mandat
Sozialer Arbeit
Madlen Behrle