soziales_kapitalBereiter, Kathrin. “Macht im Maßnahmen-vollzug. Eine qualitative Untersuchung von Macht und Widerstand in der totalen Institution des österreichischen Maßnahmenvollzugs.” soziales_kapital, no. 26 (2022). Rubrik „Sozialarbeitswissenscha“. Linz. Printversion: https://soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/view/755/1393_Macht im MaßnahmenvollzugEine qualitative Untersuchung von Macht und Widerstand in der totalen Institution des österreichischen MaßnahmenvollzugsKathrin BereiterSoziale Innovation 26. Ausgabe Juni 2022ZusammenfassungIn diesem Artikel wird der Frage nachgegangen, mit welchen Machttechniken psychisch kranke Straftäter*innen, die im österreichischen Maßnahmenvollzug angehalten werden, konfrontiert sind und mit welchen widerständigen Praxen sie auf diese Herausforderungen reagieren. Theoretischer Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass Subjekte danach streben, Autonomie herzustellen, indem sie subjektiv sinnvolle Praxen bedienen, um die individuellen Möglichkeitsräume zu erweitern. Mittels qualitativer Forschung mit Betroenen und unter Anwendung oener Kodierverfahren konnten zentrale Machtstrategien im Maßnahmenvollzug identiziert werden: Strafen und Privilegien, Fixierung und Isolierung, Zwangsmedikation und Zwangsheilung, Überwachung und Kontrollen sowie die ‚Macht der unbestimmten Dauer‘. Diese Machttechniken werden im Folgenden beschrieben und die daraus resultierenden widerständigen Praxen und ihre Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit der Insass*inn*en und Patient*inn*en aufgezeigt.Schlagworte: Maßnahmenvollzug, psychisch kranke Straftäter*innen, Machttechniken, Widerstand, ZwangskontextAbstractThis paper deals with power strategies in the Austrian forensic psychiatric commitment and with the question of how law breakers being mentally ill cope with and also challenge dierent power techniques within that system. Power strategies such as penalties and privileges, xation and isolation, compulsory medication and treatment, discipline and controls, and ‘the power of perpetuity’ were identied by means of qualitative research with imprisoned clients and patients by using open coding methods. A further epistemological interest lies on the eects of these strategies on the clients, particularly their individual empowerment and their resistance strategies. Theoretical starting point is that subjects are striving for autonomy by using meaningful forms of resistance strategies with the aim to open up individual spaces of opportunities. Keywords: forensic psychiatric commitment, mentally ill oenders, power strategies, resistance, enforcement context1. EinleitungDer österreichische Maßnahmenvollzug (oziell: mit Freiheitsentziehung verbundene vorbeugende Maßnahme) behält sich vor, sogenannte geistig abnorme Rechtsbrecher*innen auf unbestimmte Zeit in speziellen Anstalten unterzubringen, um so die Sicherheit der Öentlichkeit gewährleisten zu können. Diese Möglichkeit der unbegrenzten Festhaltung stellt einerseits einen rechtlichen Missstand dar, da diese Praxis nur schwer mit der Europäischen Menschenrechtskonvention zu vereinen ist. Andererseits hat dies negative Folgen für die Eingewiesenen, welche oft über Jahre mit der Unsicherheit leben müssen, nicht zu wissen, wann sie wieder entlassen werden. Auch nach der Anhaltung in einer „Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher“ werden die Betroenen nicht in Selbstständigkeit entlassen. Das österreichische Strafgesetzbuch sieht im Falle der bedingten Entlassung aus einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme eine Probezeit von fünf bis zehn Jahren vor, welche großteils mit weiteren gerichtlichen Weisungen, wie z.B. die Wohnsitznahme in einer betreuten Einrichtung, regelmäßige psychiatrische Kontrollen, Kontrolle der Medikamenteneinnahme, Drogen- und Alkoholabstinenz, verbunden ist. Für diese Zielgruppe bedeutet dies auch nach der bedingten Entlassung eine jahre- bis jahrzehntelange Betreuung im Zwangskontext. Bei Betrachtung dieser Praxis des Maßnahmenvollzugs liegt die Annahme nahe, dass psychisch beeinträchtigte Straftäter*innen im Laufe ihrer Unterbringung Strategien entwickeln, mit dieser Situation der längerfristigen Kontrolle ihrer Lebensführung umzugehen. Durch meine frühere Tätigkeit als Sozialarbeiterin in einer Nachsorgeeinrichtung des österreichischen Maßnahmenvollzugs war ich häug mit Erzählungen von Betroenen über ihre Zeit im Maßnahmenvollzug konfrontiert, was mich dazu angeregt hat, diesen Kontext mithilfe qualitativer Methoden zu untersuchen. Ausgangspunkt war dabei, die Maßnahmenklient*inn*en, Patient*inn*en oder Insass*inn*en abseits des medial verbreiteten, dichotomen Gut-böse-Diskurses entweder als ‚Systemopfer‘ oder ‚böse Gewalttäter*innen‘ zu verstehen. Sie sind handlungsfähige Subjekte, die sich in dem System dieser totalen Institutionen bewegen und ihr Leben aktiv (mit)gestalten. Eine totale Institution lässt sich nach Erving Gomann (1973: 11) „als Wohn- und Arbeitsstätte einer Vielzahl ähnlich gestellter Individuen denieren, die für längere Zeit von der übrigen Gesellschaft abgeschnitten sind und miteinander ein abgeschlossenes, formal reglementiertes Leben führen“. Im Zuge einer qualitativen Analyse wurden die Machttechniken, die im System Maßnahmenvollzug angewendet werden, und die daraus resultierenden widerständigen Praxen im Sinne von Handlungsoptionen, welche von den Betroenen eingesetzt werden, um in dieser Institution handlungsfähige Subjekte zu bleiben, analysiert. Diese Analyse beruht auf theoretischer Ebene auf der Annahme, dass Menschen danach streben, Autonomie herzustellen und auf die Einschränkung ihrer Freiheit reagieren. Sie verdankt sich dem Rekurs auf Überlegungen Michel Foucaults (1994), demzufolge Macht auf freie Subjekte ausgeübt werden kann, wodurch Freiheit und Macht keine Gegensätze bilden, sondern sich gegenseitig bedingen. Die Reaktionsweisen der Klient*inn*en auf diese Techniken werden als widerständige Praxen bezeichnet, denn „wo es Macht gibt, gibt es Widerstand“ (Foucault 1983: 96). Eine weitere Grundannahme ist, dass diese widerständigen Praxen für die Betroenen relevant sind, da sie schlussendlich bedeuten, dass sie trotz der Macht dieses Systems handlungsfähig sind. Handlungsfähigkeit wird folgend mit dem Konzept der subjektiven Möglichkeitsräume nach Klaus Holzkamp (1983) beschrieben und mit individuellen Narrationen zum Maßnahmenvollzug untermauert. Die vorliegende qualitative Studie untersuchte folglich einerseits die Machttechniken, die in diesem System angewendet werden, sowie andererseits widerständige Praxen, welche Maßnahmeninsass*inn*en entwickeln, um mit diesen umzugehen. 2. Methodisches VorgehenUm die oben dargestellten Thesen zu untersuchen, wurde auf qualitative Methoden zurückgegrien, da es sich um eine erste explorative Annäherung handelt. Durchgeführt wurden zwei narrativ biograsche Interviews nach Gabriele Rosenthal (1995) mit (ehemaligen) Insass*inn*en des Maßnahmenvollzugs. Dem Prinzip des theoretischen Samplings nach Strauss und Corbin (1996) folgend, wurden diese zwei Interviews mittels oener Kodierverfahren ausgewertet. Auf Grundlage daraus resultierender erster Erkenntnisse wurden die folgenden zwei Interviews mit der Methode des problemzentrierten Interviews nach Andreas Witzel (1982) durchgeführt. Zudem wurden neben den Einzelinterviews drei Gruppendiskussionen abgehalten. Die Gruppendiskussionen zielten nicht mehr primär darauf ab, Einzelmeinungen zu erfassen, sondern „kollektive Orientierungsmuster“ zu eruieren (Bohnsack 2007: 374). Im Gegensatz zu Einzelinterviews nden in Gruppendiskussionen diskursive Rückbezüge statt, die Teilnehmenden reagieren auf und reektieren Äußerungen und Erfahrungen anderer, was kollektive Muster erkennbar macht. Dabei wird davon ausgegangen, „dass Sinn- und Bedeutungszuschreibungen, Lebensorientierungen usw. primär sozial konstituierten, gemeinsamen Erfahrungsräumen entstammen und sich im Miteinander von Menschen mit gleichen oder ähnlichen Erfahrungen zeigen“ (Hirth/Ziegler 2005: 7–8). Begleitend zu der formellen Datenerhebung mittels Einzel- und Gruppeninterviews wurden informelle Daten gesammelt, die der Kontextualisierung dienen und im Sinne der Erhöhung der theoretischen Sensibilität zu verstehen sind. Diese informellen Gespräche und Beobachtungen im Feld wurden anschließend zeitnah aus dem Gedächtnis protokolliert. Insgesamt wurden mit 19 (ehemaligen) Klient*inn*en des Maßnahmenvoll-zugs formelle (14 Personen) und informelle Erhebungen (fünf Personen) geführt, verschriftlicht und oen kodiert sowie mit acht Mitarbeiter*innen (Sozialarbeiter*innen, Psycholog*inn*en, Ärzt*inn*en) aus elf verschiedenen Einrichtungen in sechs österreichischen Bundesländern. 3. Ergebnisse der qualitativen AnalysenAnhand der durchgeführten Interviews sowie Beobachtungen konnten die zentralen Machttechniken Strafen und Privilegien, Fixierung und Isolierung, Zwangsmedikation und Zwangsheilung, Überwachung und Kontrollen sowie die ‚Macht der unbestimmten Dauer‘ identiziert werden, welche im Folgenden zusammenfassend dargestellt werden. Auf diese Ergebnisse aufbauend werden in Anschluss die widerständigen Praxen, die von den Betroenen als Antwort auf die Machttechniken des Systems angewendet werden, beschrieben. 3.1 Strafen und PrivilegienJede totale Institution verfügt über ein großes Repertoire an Verordnungen und Vorschriften, die es einzuhalten gilt. Goman (1973: 54) bezeichnet dies als „Privilegiensystem“, welches den Insass*inn*en den „Rahmen für die persönliche Reorganisation“ bietet und aus drei Elementen besteht: Erstes Element ist die Hausordnung, die den Tag der Patient*inn*en strukturiert und deren Leben nach diesen Vorschriften ausgerichtet werden muss. Zweitens, gewisse Privilegien, welche als Belohnungen für regelkonformes Verhalten verwendet werden, und schließlich die Strafen als drittes Element. Strafen bestehen oftmals im Entzug bereits erworbener Privilegien. Dabei können Privilegien allerdings nicht als Sonderrechte im eigentlichen Wortsinn verstanden werden, vielmehr sind es Rechte, die vor dem Eintritt in die totale Institution selbstverständlich waren (Goman 1973: 55–56). Mit Strafen belegt werden jegliche Handlungen, welche nicht konform sind, und dies meint demzufolge jegliches Nichteinhalten institutioneller Regeln. Foucault (1977: 232) schreibt: „Die Disziplinarstrafe hat die Aufgabe, Abweichungen zu reduzieren. Sie ist darum wesentlich korrigierend“ und beurteilt „Verhaltensweisen und Leistungen auf einer Skala zwischen Gut und Schlecht“ (Foucault 1977: 233). Daher wird eine „Dierenzierung [vollzogen] – nicht der Taten, sondern der Individuen selber: ihrer Natur, ihrer Anlagen, ihres Niveaus, ihres Wertes“ (Foucault 1977: 234). Dierenzierungen und Klassizierungen, welche mit einem Verlust von Privilegien einhergehen, nden sich im Maßnahmenvollzug häug. Eine wirkmächtige Strafe, die an Privilegienverluste geknüpft ist, ist das sogenannte Zurückstufen der forensischen Klient*inn*en: Nach längerer Zeit in der Anhaltung und im Besonderen bei guter Führung erlangen die Insass*inn*en Vergünstigungen, die größere Autonomie bedeuten. Diese können bei nicht regelkonformem Verhalten wieder entzogen werden. Dieser Vorgang wird von den interviewten Personen als Zurückstufung bezeichnet. Ein häug erwähnter Privilegienverlust ist der Entzug der Privatkleidung. Üblich ist es, dass neue Klient*inn*en vorerst keine Privat- oder Straßenkleidung tragen dürfen. Je nach Unterbringungseinrichtung und Verhalten variiert diese Praxis in der Dauer ihrer Anwendung. Andere berichtete Sanktionsformen sind z.B. die Streichung der Ausspeisung, was bedeutet, dass die Insass*inn*en keine Einkäufe innerhalb der Institution tätigen können, das Verbot der Teilnahme an Sozialtrainings (begleitete Ausgänge als Resozialisierungsmaßnahme), das Verbot oder die Einschränkung von Telefonverkehr und das Untersagen von Besuchen bzw. dass diese nur unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen empfangen werden können.3.2 Fixierung und IsolierungDie Machttechnik der Fixierung ist in der Psychiatrie weit verbreitet und wird im Falle einer Selbst- und Fremdgefährdung angewendet. Geregelt ist diese freiheitsbeschränkende Maßnahme im österreichischen Unterbringungsgesetz (UbG). Darin ist sinngemäß zu lesen, dass Beschränkungen der*des Kranken nur zulässig sind, wenn sie der Abwehr von Gefahren dienen und von den behandelnden Ärzt*inn*en angeordnet werden. Die Anordnung muss dokumentiert werden und unverzüglich dem*r gesetzlichen Vertreter*in des*r Kranken mitgeteilt werden (UbG 1990, §33). Beschränkungen der Freiheit sind laut Unterbringungsgesetz ebenso hinsichtlich des Verkehrs mit der Außenwelt und durch Entzug der Privatkleidung möglich, stets unter der Prämisse, Gefahren gegen sich oder andere abzuwenden (UbG 1990, §34/§34a). Diese Machttechnik wird laut dem empirischen Material häug angewendet. Zurückzuführen ist die Anwendung dieser Machttechnik laut Aussagen des befragten Personals u.a. auf fehlende personelle Ressourcen, mangelnde Standards und Ausbildungen bezüglich Deeskalationsstrategien. Mitarbeiter*innen aus vier verschiedenen Maßnahmenvollzugsanstalten berichteten, dass größtenteils weder die Justizwachbeamt*inn*en noch das Pegepersonal in verbalen Deeskalationsstrategien geschult seien. Ausgebildet seien die dort tätigen Psycholog*inn*en und Sozialarbeiter*innen, welche aber aufgrund des Betreuungsschlüssels häug nicht zu Krisensituation hinzugezogen werden können. Aufgrund dessen wird bei Eskalationen die Justizwache und der*die behandelnde Ärzt*in gerufen, um eine Zwangsmedikation oder Fixierung und Isolierung zu ermöglichen.3.3 Zwangsmedikation und ZwangsheilungDa sich Maßnahmenklient*inn*en aufgrund einer psychischen Erkrankung in diesem System benden, ist Zwangsmedikation eine Machttechnik, die eingesetzt wird, um den Vollzugszweck, folglich die Verringerung bzw. Beseitigung der Gefährlichkeit, welche aufgrund der Erkrankung besteht, erreichen zu können. Diese Machtstrategie geht weit über die Anhaltung in einer Maßnahmenvollzugseinrichtung hinaus. Auch nach der bedingten Entlassung wird durch eine gerichtliche Weisung die Auage zur zwangsweisen Einnahme von Medikamenten erteilt. In der Praxis lässt sich beobachten, dass die Nichteinnahme der verordneten Medikation zu einer längeren Anhaltung im System führt, da dies von Seiten der Psychiatrie und/oder der Gutachter*innen als Non-Compliance bzw. fehlende Adhärenz gewertet wird. Die Nichteinhaltung therapeutischer und ärztlicher Ratschläge oder Pichten erschwert die bedingte Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug. Zwangsmedikation bezieht sich allerdings nicht nur auf die Ebene der gerichtlichen Weisung zur Medikamenteneinnahme, sondern ist eine Machttechnik, die bei psychiatrischen Notfällen eingesetzt wird, wie zum Beispiel im Zuge der Fixierung. Dort erfüllt sie den Zweck einer Sedierung bzw. Ruhigstellung. 3.4 Überwachung und KontrollenÜberwachungen und Kontrollen sind im System des Maßnahmenvollzugs selbstverständlich integriert, handelt es sich doch um eine totale Institution an der Schnittstelle von Psychiatrie und Gefängnis. Überwachung ist eine zentrale Disziplinartechnik und somit eine Machttechnik, da sie die Insass*inn*en zu konformem Verhalten zwingt: „Jeder ist an seinem Platz sicher in eine Zelle eingesperrt, wo er dem Blick des Aufsehers ausgesetzt ist; [...] er wird gesehen, ohne selbst zu sehen“ (Foucault 1977: 257). Das Ziel dieser stetigen Überwachung deniert Foucault fol-gendermaßen: „Sind die Gefangenen Sträinge, so besteht keine Gefahr eines Komplottes, eines kollektiven Ausbruchsversuches […]; handelt es sich um Kranke, besteht keine Ansteckgefahr; sind es Irre, gibt es kein Risiko gegenseitiger Gewalttätigkeiten“ (Foucault 1977: 257). Hier zeigt sich die zentrale Funktion von Überwachung, nämlich „die Schaung eines bewußten und permanenten Sicherheitszustandes beim Gefangenen, der das automatische Funktionieren der Macht sicher-stellt“ (Foucault 1977: 258). Was in manchen Gefängnissen der Überwachungsturm ist, der architektonisch im Zentrum der Anstalt steht, ist im Maßnahmenvollzug, speziell in der forensischen Psychiatrie, das Fenster zum Patient*inn*enzimmer. Ein*e Teilnehmer*in einer Gruppendiskussion schildert in eindringlicher Weise die Machttechnik der Überwachung. Er*Sie bendet sich seit vielen Jahre im Rahmen der forensischen Psychiatrie in einem Zimmer (mit weiteren sechs Mitpatient*inn*en), welches über ein Fenster verfügt, das es dem Personal ermöglicht, von außen in das Zimmer sehen zu können. Es ist baulich dauerhaft vorhanden, dient also einerseits dazu, die Patient*inn*en überwachen zu können, andererseits wird dadurch diese Machttechnik stetig sichtbar. Das konforme Verhalten und das Verhindern von Gefährlichkeit werden somit permanent. Das Pegepersonal muss gar nicht erst durch das Fenster blicken, um den gewünschten Überwachungseekt zu erzielen. Das Fenster selbst reicht aus, um Disziplinarmacht auszuüben. Nicht alle Maßnahmenvollzugseinrichtungen verfügen über ein ‚panoptisches Fenster‘, dennoch ist Überwachung eine Machttechnik von essenzieller Bedeutung, die in jeder Einrichtung Anwendung ndet. Häug geschieht Überwachung im Sinne von Kontrollen. Interessanter Weise wurden beim Thema der Überwachung und Kontrolle die oensichtlichen Machtstrategien, z.B. das Eingesperrt-Sein und die damit verbundenen Techniken wie Eingangskontrollen, versperrte Zimmer oder Wohngruppen, Mauern und Metalldetektoren, Kameraüberwachung, Wegnahme persönlicher Gegenstände und somit die beinahe vollständige Kontrolle sozialer Außenkontakte, nicht dezidiert erwähnt. Dies kann dem Umstand geschuldet sein, dass die täglichen Kontrollen und Überwachungen allgegenwärtig sind, wodurch sie im Laufe der Zeit aus dem Fokus der Wahrnehmung rücken. Zusätzlich zu den oben dargestellten Maßnahmen werden beispielsweise Zimmer und Zellen auf illegalisierte Substanzen untersucht und Drogenharn- sowie Alkoholkontrollen durchgeführt. Nach der bedingten Entlassung wird die Einnahme der verordneten Medikamente mittels regelmäßiger Blutspiegelkontrollen sichergestellt. 3.5 Die Macht der unbestimmten DauerDas bedeutendste Unterscheidungsmerkmal zwischen dem Straf- und Maßnahmenvollzug ist, dass die Anhaltung nach § 21 öStGB (öStGB 1974) auf unbestimmte Zeit ausgesprochen wird. Eine bedingte Entlassung wird erst veranlasst, nachdem die Gefährlichkeit, welche zur Einweisung in den Maßnahmenvollzug geführt hat, nicht mehr gegeben ist. Obwohl nachvollziehbar ist, dass der Gesetzgeber die Dauer der Anhaltung nicht begrenzt, da das Verringern einer Gefährlichkeit von verschiedenen und vor allem individuellen Faktoren abhängt, ist es dennoch eine Praxis, welche das Verhalten der Insass*inn*en wirkmächtig steuert. Jegliches konformes und nonkonformes Verhalten wird dokumentiert und aufgrund dessen werden die Betroenen von dem hierarchisch strukturierten Mitarbeiter*innenstab klassiziert. Das so gewonnene vermeintlich objektive Wissen über die Klient*inn*en determiniert schlussendlich die tatsächliche Dauer der Anhaltung, wodurch die Anhaltung auf unbestimmte Dauer zu einer Technik der Macht wird. Der Maßnahmenvollzug ist ein stark hierarchisch gegliedertes System mit klaren Zuständigkeiten hinsichtlich der Verteilung der Macht. Foucault (2015: 15) beschreibt die Psychiatrie generell als ein System der „Machtverteilung“. Aufgrund derer kann „ein als krank Geltender aufhör[en], krank zu sein“ oder eben weiterhin als gefährlich und krank gelten. Im Maßnahmenvollzug werden Patient*inn*en einerseits durch Diagnosen und andererseits durch Gutachten und Gefährlichkeitsprognosen disziplinarisch klassiziert, wobei diese als objektive medizinische Erkenntnisse gelten. Die Einteilungen passieren durch Personen, welche in einem hierarchischen Verhältnis zueinanderstehen: Peger*innen und Ärzt*inn*en dokumentieren Verhalten, Gutachter*innen schätzen die Folgen des spezischen Verhaltens hinsichtlich der Gefährlichkeit ein und Richter*innen entscheiden darüber, was dieses erlangte Wissen schlussendlich für die Betroenen bedeutet und entscheiden über den weiteren Verbleib im Maßnahmenvollzug. Basis der Gutachten bilden u.a. Akten, die bspw. von Ärzt*inn*en geführt werden. Die Macht, welche Ärzt*inn*en zukommt, ist immens. Sie beurteilen, ob ein Mensch als ‚krank‘ oder ‚gesund‘ bewertet wird. Pegepersonal und der Justizwache kommt in diesem System ebenso Macht zu. Ihre Beobachtungen, Dokumentationen und Diskurse bilden schlussendlich das ärztliche Wissen, wie Foucault feststellt. Die Dokumentation in Akten ermöglicht es selbst dem ‚untersten Glied‘ in der Hierarchie der Mitarbeiter*innen, Macht auf die Klient*inn*en auszuüben. Ugelvik (2014: 57) bezeichnet dies als „administrative power which puts up barriers, which constrains, which controls the prisoner’s bodies and keeps them on the right side of the right door at the right time“. Hinsichtlich des Maßnahmenvollzugs lässt sich noch ergänzen, dass diese administrative Macht nicht nur bestimmt, wer zu welcher Zeit an welchem Ort sein muss, sondern wie lange die Zeit in diesem System letzten Endes tatsächlich sein wird. Insgesamt lässt sich die unbestimmte Dauer der Anhaltung als eine Technik der Macht fassen, da sich jegliches Verhalten der Patient*inn*en im Maßnahmenvollzug auf diese auswirkt. In dem hierarchisch gegliederten System kommt allen Akteur*inn*en die Freiheit zu, das Handeln der Patient*inn*en zu dokumentieren und zu beurteilen, stets mit Blick auf die ‚objektiv‘ notwendige Dauer der Anhaltung. Dass dieses Wissen trotz aller Versuche, valide Gefährlichkeitsprognosen zu erstellen, trotzdem subjektiv ist, wird anhand der empirischen Quellen deutlich (Bereiter 2019: 62–70). Die Interviewpassagen zeigen zudem, dass den Insass*inn*en die Wirkmächtigkeit dieser Machttechnik dauerhaft bewusst ist. Sie richten ihr alltägliches Handeln danach, wodurch die ‚Macht der unbestimmten Dauer‘ einen ‚panoptischen‘ Eekt entfaltet.3.6 Widerstand und Handlungsfähigkeit Macht und Widerstand sind untrennbar miteinander verbunden, was nach Daniel Hechler und Axel Phillips zu dem logischen Schluss führt: „Macht ist überall. Wo es Macht gibt, gibt es Widerstand. Ergo: Widerstand ist überall.“ (Hechler/Phillips 2008: 7) Macht wird nach Foucault im zweifachen Sinne verstanden, nämlich als „Unterwerfung und Widerstand“ (Flügel-Martinsen 2014: 44). Für Foucault greift es zu kurz, Macht einzig als repressives Moment der Unterdrückung und Zwang zum Gehorsam zu deuten. Er betont die doppelte Seite der Macht, im Sinne der juridischen und produktiven Macht. Den Begri der juridischen Macht führt Foucault in seinem Buch Wahnsinn und Gesellschaft (1961) ein, in dem er zeigt, dass historisch stets unterschiedliche Methoden der Ausschließung praktiziert wurden, um ‚die Irren‘ von der Gesellschaft zu trennen. Die juridische Macht lässt sich jedoch nicht auf bloße Repressionen reduzieren, dann nämlich würde die produktive Seite vernachlässigt. Erst durch eine Erweiterung um eine positive Konzeption von Macht kann nach Foucault herausgearbeitet werden, wie Macht konkret funktioniert: „In Wirklichkeit ist die Macht produktiv; und sie produziert Wirkliches. Sie produziert Gegenstandsbereiche und Wahrheitsrituale: das Individuum und seine Erkenntnis sind Ergebnisse dieser Produktion.“ (Foucault 1977: 250) Diese produktive Seite der Macht ist es, die bewirkt, dass eine Bestrafung nicht nur als Akt der Unterdrückung bewertet wird, sondern beispielsweise als Handlung, welche dem Schutze der Gesellschaft dient. Dadurch hilft die produktive Seite der Macht letztendlich, Machtverhältnisse aufrechtzuhalten (vgl. Polat 2011: 30). Dieser Zugang zu Macht kann auch am Beispiel der psychisch kranken Straftäter*innen veranschaulicht werden: Die juridische Seite der Macht zeigt sich darin, dass diese von einem Gericht dazu verurteilt werden, von der Gesellschaft separiert zu leben und in Institutionen des Maßnahmenvollzugs verschiedenen Machttechniken, wie z.B. Fixierung und Zwangsmedikation, unterworfen zu sein. Die produktive Seite kommt insofern zum Ausdruck, als die Anhaltung im Maßnahmenvollzug mit der Sicherheit der Gesellschaft sowie der Genesung bzw. Hilfe der psychisch Kranken begründet wird. Somit wird die juridische, repressive Macht u.a. durch die Diskurse um Sicherheit und das Helfen von Kranken gestützt. Macht und Diskurs bedingen sich also gegenseitig, „der Diskurs ist eine Reihe von Elementen, die innerhalb eines allgemeinen Machtmechanismus operieren“ (Foucault 2003: 595). Würde der Maßnahmenvollzug nur als repressives System betrachtet und diskutiert werden, welches ausschließlich der Internierung und Bestrafung dient, hätte es, so ist zu vermuten, nicht bis heute Bestand und wird folglich durch die produktive Seite der Macht stabilisiert und schlussendlich aufrechterhalten. Die hier ausgeführte Konzeption von Macht ist nicht nur aufgrund der doppelten Perspektive hilfreich, sondern auch dahingehend, wie handelnde Subjekte gefasst werden. Foucault (1994) schreibt, dass Machttechniken und Machtformen Individuen in Subjekte verwandeln, insofern sie im Alltagsleben Unterteilungen, Klassizierungen und Kategorisierungen unterliegen und ihnen so Identitäten zugewiesen werden. Das Wort ‚Subjekt‘ hat dabei zwei Bedeutungen: Es bezeichnet das Subjekt, das der Herrschaft eines anderen unterworfen ist und in seiner Abhängigkeit steht; und es bezeichnet das Subjekt, das durch Bewusstsein und Selbsterkenntnis an seine eigene Identität gebunden ist. (Foucault 1994: 245) Auch die Klient*inn*en des Maßnahmenvollzugs dürfen also nicht als handlungsunfähige, machtlose Objekte verstanden werden, sondern als Subjekte, welche ebenso mit Macht ausgestattet sind und widerständige Praxen als Mittel der Selbstermächtigung nutzen, um auch in repressiven Strukturen handlungsfähige Subjekte zu bleiben. Widerständiges Handeln konnte im empirischen Material an zahlreichen Stellen entdeckt werden. Widerstand zeigt sich in verschiedensten oenen, aber auch verdeckten, scheinbar nebensächlichen alltäglichen Handlungen, wie z.B. der ständige Blick auf die Uhr während einer unfreiwilligen Gruppensitzung, beharrliches Nicht- oder Falsch-Verstehen von Aufträgen, versteckte Nichteinnahme der Medikamente und Verweigerung der Teilnahme an Therapien oder Sozialprogrammen. Den zahlreichen Machttechniken und dem autoritären, hierarchischen Aufbau des Maßnahmenvollzugs ist es vermutlich geschuldet, dass oener Widerstand selten ist. Oene Widerstandspraxen, die berichtet wurden, sind vereinzelte Fluchtversuche, die Verweigerung der Medikationen und Therapien, Angrien auf das Personal und Störaktionen mit dem Ziel, die Betreuungspersonen zu ärgern. Widerständige Praxen in restriktiven totalen Institutionen, welche zudem mit der Macht ausgestattet sind, die Dauer in der Anhaltung ohne Obergrenze oder neuer-liches Strafverfahren zu verlängern, manifestieren sich vermehrt in alltäglichen Handlungen, welche aber subjektiv sinnvoll sind, um Handlungsfähigkeit herzustellen. Hinsichtlich der theoretischen Konzeption von Handlungsfähigkeit bietet Holzkamp (1983) eine fruchtbare Perspektive. Im Gegensatz zur ‚traditionellen‘ Psychologie verknüpft die Kritische Psychologie das Handeln von Subjekten mit gesellschaftlichen Verhältnissen, Begebenheiten und den spezischen Bedingungen, die daraus entstehen. Somit sind gesellschaftliche Verhältnisse in der Kritischen Psychologie, wie Wiebke Scharathow (2014: 113) ausführt, keine „determinierten Bedingungen für das Handeln und Leben der Menschen“, sondern werden als „gesellschaftliche und soziale Bedeutungen […] in konkreten Situationen und Kontexten für Subjekte in spezischer Weise relevant“. Zentral ist demnach, dass handelnde Subjekte ihre Lebenswelt deuten, interpretieren und sich in den spezischen Handlungsspielräumen verhalten. Diese Handlungsoptionen nennt Holzkamp (1983) subjektive Möglichkeitsräume. Holzkamp unterscheidet zwischen Handlungsmöglichkeiten, die darauf abzielen, die Bedingungen hinzunehmen (restriktive Handlungsfähigkeit) oder diese Bedingungen zu verändern (verallgemeinerte Handlungsfähigkeit) (vgl. Holzkamp 1983: 355). Auch aus dieser Perspektive lässt sich ableiten, dass Menschen stets Handlungsfähigkeit besitzen und prinzipiell die Möglichkeit haben, ihre Lebensbedingungen zu verändern, wie Scharathow (2014: 117) einwirft – zumindest potenziell. Im Kontext der vorliegenden Studienergebnisse bedeutet dies, dass Handlungsfähigkeit in gewissem Ausmaß stets möglich ist, selbst für deutlich stigmatisierte und bisweilen eingesperrte Personen. Handlungsfähigkeit, Handeln welches subjektive Möglichkeitsräume erönet, erfüllt eine zentrale Funktion hinsichtlich der Selbstermächtigung dieser Menschen, die durch die zuvor beschriebenen widerständigen Praxen erreicht werden kann. In dieser Studie wurden widerständige Praxen und ihre Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit der Insass*inn*en und Patient*inn*en anhand der individuellen Subjektkonstruktionen von drei Interviewpartnern beschrieben (Bereiter, 2019, S. 70–92). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich in den analysierten Interviews Unterschiede aber auch Gemeinsamkeiten zeigen. Alle Interviewpartner verwenden verschiedene widerständige Strategien als Antwort auf die Macht, welche auf sie ausgeübt wird. Ziel der widerständigen Praxen ist es, punktuell handlungsfähig zu sein bzw. subjektive Möglichkeitsräume zu entwerfen und zu erweitern. Die Befragten handeln subjektiv sinnvoll, selbst wenn sich ihre widerständigen Praxen auf die Dauer der Anhaltungen auswirken. Dies ist speziell bei einem Interviewpartner anzunehmen, welcher zehn Jahre in einer Maßnahmenvollzugseinrichtung verbringen musste. Er reagierte auf die Machttechniken des Systems durch Verweigerung der Krankheits- und Delikteinsicht, durch Verdrängen und Verleugnen als Abwehrmechanismen. Schlussendlich lernte er sich zu fügen, indem er schwieg. Ähnlich ergeht es einem weiteren Interviewteilnehmer. Dieser reagiert anfänglich mit oenem Widerstand, wird aggressiv, verübt Sachbeschädigungen und tätliche Angrie. Aufgrund jugendlicher Naivität glaubt er, durch diese widerständigen Praxen entlassen zu werden. Er strebt deutlich danach, Autonomie zu erlangen und seinen subjektiven Möglichkeitsraum zu erweitern. Durch die wiederholte Anwendung der Machttechnik des Fixierens lernt auch er zu schweigen. Der dritte Interviewpartner hingegen hat schon vor dem Maßnahmenvollzug erfasst, dass Streiten und Kämpfen häug nicht zielführend sind. Seine Strategien sind die des sich Fügens, Galgenhumor und ebenso das Schweigen. Die Gemeinsamkeit ist somit oensichtlich: Schweigen ist die zentrale Widerstandsstrategie im Maßnahmenvollzug. Schweigen als widerständige Praxis zu begreifen, welche zudem noch relevant für die Handlungsfähigkeit sein soll, scheint auf den ersten Blick abwegig. Schweigen in einem System, welches Sprechen als zentrales Klassikations- und somit Objektivierungselement braucht, ist allerdings eindeutig als widerständige Praxis zu werten und entfaltet sich als Antwort auf die Machttechniken des Maßnahmenvollzugs. Damit der Vollzugszweck erreicht werden kann, somit die Reduzierung der Gefährlichkeit der Untergebrachten zum Schutze der Gesellschaft, braucht es nämlich das Mitwirken an verschiedenen Therapien, die sich auf Sprache und Sprechen als Artikulationsmodus stützen. Schweigen ist eine Form, sich diesen Machttechniken des Systems zu entziehen. Schweigen als widerständige Praxis bringt dadurch das handlungsfähige und gleichzeitig ‚schweigende Subjekt‘ hervor. 4. Fazit zu Macht und Widerstand im MaßnahmenvollzugBei Betrachtung der Ergebnisse dieser qualitativen Studie, insbesondere in Hinblick auf die gefundenen Machttechniken und ihre Auswirkung auf die Betroenen, kommt eine Menschenrechtsprofession wie die Soziale Arbeit nicht umhin, sich die Frage nach der eigenen Beteiligung in diesem System zu stellen. Interessant ist, dass im empirischen Material Erlebnisse mit den Pegepersonen, Ärzt*inn*en und den Justizwachebeamt*inn*en häug angesprochen werden, Sozialarbeiter*innen jedoch nicht erwähnt werden. Daraus kann abgeleitet werden, dass diese eventuell nicht als entscheidungstragende Instanz erlebt werden, obwohl ihre Expertisen und die Dokumentationen in die Beurteilung zu den bedingten Entlassungen einießen. Dieser Umstand nimmt Sozialarbeiter*innen allerdings nicht aus der Verantwortung, welche ihnen aufgrund von professionsethischen Richtlinien zukommt. Machttechniken und Zwangshandlungen, wie Fixierungen und Isolierungen, werden zwar nicht von Sozialarbeitenden durchgeführt. Eine Kritik an solchen Praxen kann und soll dennoch ihre Aufgabe sein, selbst wenn dadurch die eigene Institution kritisch hinterfragt werden muss. Zwangsmaßnahmen können die Betroenen traumatisieren, ein Umstand, den die Soziale Arbeit, welche das Ziel verfolgt, Schaden zu verhindern, nur schwer akzeptieren kann. Sozialarbeitende in den Maßnahmenvollzugseinrichtungen könnten das ‚moralische Gewissen‘ dieser totalen Institution sein. Dafür wäre es allerdings nötig, das eigene Handeln und das strukturelle Agieren der Institution zu beanstanden, selbst wenn es individuelle Nachteile mit sich bringen könnte. Men-schenrechtlichethische Aspekte müssen in der Arbeit mit forensischen Klient*inn*en kontinuierlich diskutiert werden. Unumgänglich ist es dabei m. E., sich der eigenen Macht bewusst zu werden. Denn auch wenn sich Sozialarbeitende häug als ‚machtlose Auftragsempfänger*inn*en‘ im Sinne des Tripelmandats erleben, ist die Soziale Arbeit ebenso eine „Normierungsmacht“ (Foucault 1977: 392), denn „wir leben in der Gesellschaft des Richter-Professors, des Richter-Arztes, des Richter-Pädagogen, des Richter-Sozialarbeiters; sie alle arbeiten für das Reich des Normativen“ (ebd.: 392–393). Sich dieser eigenen Normierungsmacht bewusst zu werden und daher den Fokus auf das eigene individuelle und institutionelle Handeln zu richten, scheint mir ein unumgänglicher Schritt zu sein, um die professionelle Arbeit mit dieser Zielgruppe zu gestalten. Ein erster Schritt kann dabei sein, nicht mehr ausschließlich von einem Zwangskontext zu sprechen, sondern dezidiert von einem Machtkontext, in welchem in einem foucaultschen Sinne, allen darin handelnden Subjekten Macht zukommt. Weder sind demzufolge Klient*inn*en machtlose und handlungsunfähige Subjekte noch sind Sozialarbeitende, Psycholog*inn*en, Peger*innen, Ärzt*innen machtlos den institutionellen gesetzlichen Vorgaben, der juridischen Macht, unterworfen. Um es abschließend mit Foucault zu sagen: „Die Macht ist nicht etwas, was man erwirbt, wegnimmt, teilt, was man bewahrt oder verliert; die Macht ist etwas, was sich von unzähligen Punkten aus und im Spiel ungleicher und beweglicher Beziehungen vollzieht.“ (Foucault 1983: 94)Verweise1Im Laufe des Auswertungsprozesses stellte sich bezüglich mancher informeller Daten heraus, dass diese interessante Aspekte für die Auswertung beinhalten. In diesen Fällen wurden die betroenen Klient*inn*en im Nachhinein um Erlaubnis zur Verwendung der Daten gefragt. Konkret wurden die Aussagen und Erzählungen der Klient*inn*en in der bereits verschriftlichten Form vorgelegt und die Zustimmung zur Verwendung mündlich eingeholt.LiteraturverzeichnisBereiter, Kathrin. (2019): „Nur weil ich psychisch krank bin …“ Macht und Widerstand in der Totalen Institution des österreichischen Maßnahmenvollzugs. Schriften zur sozialen Arbeit. Linz: pro mente edition. Bohnsack, Ralf. (2007): Gruppendiskussion. In: Flick, Uwe/von Kardor, Ernst/Steinke, Ines (Hg.): Qualitative Forschung: Ein Handbuch. 12. Au. Leipzig: Rowohlt, S. 369–384.Flügel-Martinsen, Oliver (2014). Macht zwischen Unterwerfung und Widerstand: Zur Subjektkonstitution im politischen Denken Foucaults. In: Vasilache, Andreas (Hg.): Gouvernementalität, Staat und Weltgesellschaft. 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