soziales_kapital
Hefel, Johanna M. / Hiebinger, Irene (Hg.) (2021)
. “
Einblicke in die Praxis der Sozialen Arbeit. Erfahrungsberichte
aus der Fallarbeit von Sozialarbeiter*innen in Österreich.
” soziales_kapital, no. 26 (2022). Rubrik „Rezension“. Linz.
Printversion:
http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/view/757/1425.pdf
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Hefel, Johanna M. / Hiebinger, Irene (Hg.) (2021):
Einblicke in die Praxis der Sozialen Arbeit.
Erfahrungsberichte aus der Fallarbeit von
Sozialarbeiter*innen in Österreich.
Weinheim: Beltz Juventa.
Soziale Innovation
26. Ausgabe Juni 2022
269 Seiten, 25,60 Euro
Evidenzbasierte Praxis statt „Sozialarbeit ohne Eigenschaften“
Mit Einblicke in die Praxis der Sozialen Arbeit. Erfahrungsberichte aus der Fallarbeit von Sozialarbeiter*innen
in Österreich (2021) legen Hiebinger und Hefel ein Werk vor, welches in seinem Aufbau ganz dem hybriden
Wesen der Sozialen Arbeit als angewandter Wissenschafts- und Praxisdisziplin entspricht. Anstatt
ausschließlich sozial- und humanwissenschaftliche Diskurse auf der Metaebene zu führen oder nur
hochspezialisierte Einzelfallstudien zu präsentieren, lassen die zwei Herausgeberinnen ihre Autor*innen
beide Ebenen miteinander verknüpfen und entführen uns so in die (fast) fremde Welt der evidenzbasierten,
professionellen Sozialarbeit – und natürlich auch in die diversen und oft komplexen Lebenswelten ihrer
Klient*innen. Anhand von Praxisbeispielen aus den Handlungsfeldern Flucht und Migration, Gesundheit,
Kinder, Jugendliche und Familie und Zwangskontext zeigt sich eine Profession, die so ganz anders ist,
als ihr oft semi-professioneller Ruf. Während in der gesellschaftlichen Wahrnehmung und leider manchmal
auch in der praktischen, fachlichen und konzeptionellen Umsetzung der Sozialen Arbeit theoriegeleitetes
Handeln oftmals unterrepräsentiert erscheint, wird hier die Wichtigkeit des Zusammenspiels beider Ebenen
der Disziplin eindrucksvoll betont: Wissenschaftliche Erkenntnisse und praktische Methodik gehören
untrennbar zusammen.
In den verschiedenen Dialogen von theoretischem Wissen und praktischem Tun auf der Handlungsebene
wird sichtbar, was die Sozialarbeit zu leisten vermag – und wo ihre Grenzen verlaufen. Die verschiedenen
Autor*innen führen die Leser*innen durch die Fallgeschichten, die in ihrer Realitätsnähe berühren, und liefern
gleichzeitig die relevanten, fachlichen Hintergründe und Theorien der Sozialen Arbeit – wodurch immer
wieder eine gewisse professionelle Distanz zum Fall kreiert wird. Dabei wird im Rahmen dieser Dialoge von
Praxis und Theorie wiederholt deutlich, wie mangelnde Ressourcen und strukturelle Rahmenbedingungen
begrenzend in die alltägliche Arbeit eingreifen – aber auch wie erfolgreich Sozialarbeiter*innen in Österreich
trotz suboptimaler Rahmenbedingungen psychosoziale Begleitungen durchführen. Zudem lässt sich aus der
bloßen Menge an wissenschaftlichen Erkenntnissen erahnen, was die Soziale Arbeit an gesellschaftlichem
Innovationspotenzial noch zu bieten hätte und welche Quantensprünge zu einer gerechteren und humaneren
Gesellschaft erzielt werden könnten, würden nur bessere Strukturen für die Praxis geschaen werden.
Neben diesem Bekenntnis zum Potenzial einer vielseitigen Profession bieten die unterschiedlichen
Kapitel weitere vertiefende Einsichten in die Handlungsfelder der Sozialen Arbeit, die hier exemplarisch
ausgewählt wurden. So können die Leser*innen leicht erkennen, wie umfassend sich die Fallführungen,
Theorien und methodischen Umsetzungen – trotz der gleichen Grundstruktur der Kapitel – beispielsweise
im Bereich Sozialarbeit im Kontext von Frauenhandel von der Arbeit mit Klient*innen im Zwangskontext
unterscheiden. Zudem scheinen auch bestimmte gesellschaftspolitische Aspekte und Werthaltungen
unterschiedliche Relevanz in den dargestellten Handlungsfeldern zu besitzen. Dennoch ziehen sich die
grundsätzlichen Charakteristika der Sozialen Arbeit durch das gesamte Buch. So berichten alle Autor*innen
von Fragen der Macht und Ohnmacht, struktureller Ungleichheit, Partizipation, Empathie und Menschenwürde.
Alle Autor*innen beschreiben den Spagat des doppelten oder dreifachen Mandates der sozialen Arbeit für
ihre spezischen Fachbereiche und Fallgeschichten. Die Auswahl der Theorien folgt dabei dem aktuellen
Stand der Praxis – von innovativ und aktuell bis altbekannt. Das Buch ist somit ein Fachbuch im besten
Sinne, da es abbildet, was ist – was sein könnte.
Insgesamt ist Hiebinger und Hefel ein wirklich großer Wurf in der Landschaft der sozialarbeiterischen
Fachliteratur gelungen. Wissenschaftliche Erkenntnisse und die Handlungsebene der Sozialen Arbeit
stehen nicht unverbunden nebeneinander, sondern benden sich in diesem Buch endlich in ständigem
Austausch. Zudem haben es die Herausgeberinnen geschat, diese duale Struktur des Gesamtwerkes
bis zum Schluss aufrechtzuerhalten. Nachdem die verschiedenen Fachautor*innen Theorie und Praxis der
Sozialen Arbeit dialogisch miteinander verwoben haben, mündet das Buch in einem reexiven, direkten
Austausch der Herausgeberinnen, in welchem nochmals die roten Fäden, die sich durch alle Kapitel ziehen,
verknüpft und miteinander versponnen werden: Macht, strukturelle Rahmenbedingungen, Problem- und
Lösungsorientierung als Szenerie der praktischen Sozialen Arbeit. Somit ist ein wundervolles Grundlagen-,
Best-Practice- und Lehrbuch entstanden, welches in keiner Hochschulbibliothek fehlen sollte.
Michael-M. Lippka-Zotti
oce@viereckschanze.com