soziales_kapitalPerko, Gudrun (2020): Social Justice und Radical Diversity. Veränderungs- und Handlungsstrategien. Weinheim: Beltz Juventa. .” soziales_kapital, no. 26 (2022). Rubrik „Rezension“. St. Pölten. Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/view/764/1430.pdf_Soziale Innovation 26. Ausgabe Juni 2022103 Seiten/ 16,95 EuroGudrun Perkos Schaen leitet die Frage an, wie wir in einer pluralen Gesellschaft inklusiv, partizipativ und diskriminierungsfrei miteinander leben können. Diese Frage steht auch im Zentrum des Bandes Social Justice und Radical Diversity. Veränderungs- und Handlungsstrategien (2020). Radical Diversity versteht sie dabei als Utopie, in der social justice, also soziale Gerechtigkeit, als Anerkennungs-, Verteilungs-, Befähigungs- und Verwirklichungsgerechtigkeit gesellschaftlich umgesetzt ist. Gleichzeitig ist Radical Diversity auch eine Praxis aus dem diskriminierungskritischen Bildungskonzept „Social Justice und Diversity“, die zu einer Normalisierung von radikaler Verschiedenheit und Vielfalt führen soll. Dieses Bildungskonzept ist die Grundlage des Buches (wenngleich die Leser*innen keine Vorkenntnisse benötigen) und es wurde im Praxishandbuch Social Justice und Diversity. Theorien, Training, Methoden, Übungen (2019) von Leah Carola Czollek, Gudrun Perko, Corinne Kaszner und Max Czollek entwickelt. Alle vier Autor*innen sind zugleich Teil des Institutes für Social Justice & Radical Diversity, welches sich mit sozialer Gerechtigkeit auseinandersetzt und Weiterbildungsmöglichkeiten zum genannten Bildungskonzept anbietet.1 Aufbauend auf dieser Vorarbeit beschäftigt sich Perko in ihrem Buch mit sechs Strategien, die sie kapitelweise in den Fokus nimmt: Verbündet-Sein und Positionierung in der Nicht-Positionierung, armative Sprache, Desintegration, Pluralisierung und Bündnisse. Weiters beschäftigt sie sich in einem Kapitel mit polarisierenden Identitätslogiken und setzt diesen pluralisierende Magmalogiken entgegen, welche sie im Kapitel erklärt. Zum Schluss geht sie konkret auf die Utopie Radical Diversity ein. Dieses letzte Kapitel wurde gemeinsam mit Leah Carola Czollek verfasst. Zwischen den Kapiteln sind außerdem immer zwei anregende Haikus zu nden, welche von Leah Carola Czollek beigesteuert wurden. Zu Beginn jedes Kapitels wird zunächst der jeweilige theoretische Rahmen kurz umrissen. Das Herzstück aber bildet die philosophisch-essayistische Auseinandersetzung und Darstellung der jeweiligen Handlungs- bzw. Veränderungsstrategie anhand eines oder mehrerer Beispiele. Dabei werden sowohl aktuelle politische Geschehnisse, beispielsweise das Attentat auf eine Synagoge in Halle, als auch Persönliches, wie Perkos Heimatbegri und der eigene Kärtner slowenische Hintergrund, in die Betrachtung aufgenommen. Indem jedes Kapitel einen eigenen thematischen Schwerpunkt setzt, lässt es sich auch als eigenständiger, abgeschlossener Beitrag lesen. Um einen besseren Einblick in das Werk sowie zur sozialarbeiterischen Relevanz zu bieten, wird im Folgenden knapp auf die einzelnen Kapitel eingegangen. Das zweite Kapitel „Armative Sprache“ werde ich ausführlicher besprechen, weil die dort vorgestellte Theorie von jeder Person in fast jedem Moment anwendbar ist, da Sprache allgegenwärtig ist. Dies macht für mich diese Strategie und damit das Kapitel am greifbarsten. Das erste Kapitel dreht sich um die zwei Handlungsstrategien Verbündet-Sein und Positionierung in der Nicht-Positionierung, wobei Verbündet-Sein nur zu Beginn kurz erwähnt wird und überwiegend selbsterklärend ist. Hauptsächlich wird die Strategie der Positionierung in der Nicht-Positionierung beispielhaft erklärt, wobei eine vertiefte Auseinandersetzung dadurch nicht stattndet. Vereinfacht gesagt wird mit der Strategie vorgeschlagen, identitätspolitische Kategorien in Situationen zu benutzen, in denen sie nicht gerne gesehen sind – auch wenn es nicht immer der Realität entspricht. So solle zum Beispiel in einem Bewerbungsschreiben an eine heteronormative Institution zu Beginn geschrieben werden, dass man lesbisch sei. Dies soll irritieren. Das zweite Kapitel heißt „Sagbarkeitserweiterung und Sprach/Handlung“, wobei hierbei Sprache als Handlung verstanden wird, da Worte bei unserem Gegenüber immer auch weiterführende Bilder, Gedanken oder auch Handlungen auslösen und damit jede Aussage auch etwas tut. Im Hintergrund klingen die Sprechakttheorie von John Searle und spätere feministische Aktualisierungen an, wobei Perko diese nicht nennt. Nach Perko hat Sprache das Potential, als Instrument gegen Diskriminierung wirksam zu werden, da Sprache zwar einerseits normativ und polarisierend wirken kann – und damit exkludierend. Andererseits lässt sie aber auch Raum für Mehrdeutigkeit und kann damit, je nach Nutzung, antidiskriminierende Eekte haben. Die polarisierende und damit negative Seite von Sprache beschreibt Perko etwa anhand des Begris Gendergerechtigkeit. Vor allem in der extremen Rechten wird das Konzept nur als „Genderwahn“ bezeichnet, womit jeglicher Raum für (positive) Mehrdeutigkeit genommen wird, wie es beim Begri Gendergerechtigkeit möglich ist. Die Salonfähigkeit von diskriminierenden Begrien, die im politischen Geschehen durch Akteur*innen wie die FPÖ oder die AfD vorangetrieben werden, wird ebenso thematisiert wie die Tragweite von Worten wie Gutmensch. Der Begri wurde im Kontext der Debatte um das Thema Flucht negativ umgekehrt und erhielt eine abwertende Bedeutung. Zugleich werden auch assoziierte Begrie wie z.B. Hilfsbereitschaft diamiert. Anhand des rechtsextremen Diskurses wird die Macht der Sprache beispielhaft und greifbar dargestellt. Demgegenüber werden die positiven Auswirkungen von geschlechtergerechter Sprache anhand von Studienergebnissen belegt. Die Gesamtaussage des Kapitels ist, dass Sprache ein mächtiges Instrument ist und gleichzeitig ein Veränderungs- und Handlungspotenzial hat, um der Verwirklichung von Radical Diversity näher zu kommen. Umgelegt auf die Soziale Arbeit bedeutet das, dass Sprache hilfreich ist, um soziale Gerechtigkeit zu fördern, um Klient*innen sichtbarer zu machen, um sie zu empowern und vieles mehr. Gleichzeitig kann Sprache auch abwertend und benachteiligend wirken, was immer mitgedacht werden sollte. Im dritten Kapitel zur Strategie Desintegration geht es darum, dass marginalisierte Gruppen sichtbarer werden, selbstbestimmt Haltung zeigen und Position beziehen. Konkret geht Perko hier auf das Attentat auf die Synagoge in Halle ein, in dessen Folge in den Medien vorrangig davon geredet wurde, dass dieser ein Angri „auf uns alle“ sei – womit die jüdische Perspektive untergraben wurde. Im Kapitel zu Pluralisierung setzt sich Perko mit ihrem bzw. dem Heimatbegri auseinander und grenzt sich dabei von den identitätsideologischen Wir und Ihr klar ab. Bei Pluralisierung in Perkos Sinne geht es um ein „Undoing Identity“ (S. 49), was auch bei diesem Thema möglich ist.Im darauf folgenden Kapitel plädiert Perko für kollektives Handeln und positioniert sich gegen identitätspolitische Partikularisierung. Sie ruft zur Bündnisarbeit auf und votiert gegen interne Kämpfe innerhalb einer Bewegung. Ein streitbares Beispiel, das Perko hier anführt, ist der Aufruf zu mehr Bündnisarbeit in der LGBTIQ*-Community: Trans*-Personen und so genannte TERFS (Trans* Exclusionary Radical Feminists) sollen sich nicht weiter gegenseitig bekämpfen, sondern Bündnisse miteinander eingehen. Die beiden abschließenden Kapitel sind weniger handlungsorientiert. Im vorletzten Kapitel stellt Perko Magmalogik als bessere Alternative der Identitätslogik gegenüber und bezieht sich dabei auf Aristoteles. Magmalogik soll pluralistisches Denken ermöglichen, insofern die Binarität A–B – beispielsweise A = Mann und B = Frau oder A = Deutsch und B = Nicht-Deutsch – aufgelöst und A und B nicht mehr als logische Gegenteile verstanden werden. Besonders relevant ist dabei, dass A in der Identitätslogik immer der Ausgangspunkt oder das Original ist, aus dem B als sekundäres Element hervorgeht. Perko stattdessen versteht A und B entsprechend der Magmalogik als unabhängig voneinander und eigenständig für sich stehend. Das letzte Kapitel ist ein Manifest zur konkreten Utopie und wirft in aller Kürze die Frage auf: „Wie soll der öentliche Raum […] gestaltet werden, dass alle in ihrer radikalen Verschiedenheit daran teilnehmen können?“ (S. 93) Gleichzeitig ruft Perko zu Bündnissen auf, die radikale Verschiedenheit und gesellschaftliche Pluralität abbilden. Insgesamt bietet Social Justice und Radical Diversity. Veränderungs- und Handlungsstrategien von Gudrun Perko einen spannenden und zugleich greifbaren Einstieg zu den Praxen des Bildungskonzeptes „Social Justice und Diversity“ an. Die philosophische Betrachtungsweise sowie die literarischen Zäsuren durch Haikus erzeugen (bewusste) Irritationsmomente beim Lesen, die zur Reexion ethischer Fragen und zur vertiefenden Auseinandersetzung anregen. Dabei bieten die einzelnen Veränderungs- und Handlungsstrategien wertvolle Ansätze für die Soziale Arbeit, um soziale Gerechtigkeit zu fördern. Sie umfassen sowohl konkrete Vorschläge für die Praxis, wie z.B. die Bündnisarbeit oder die armative Sprache, als auch Reexionsmöglichkeiten, wie z.B. das Durchdenken der Magmalogik. Perko bietet einen Einblick in das Bildungskonzept „Social Justice und Diversity“, es umfasst aber auch Bezüge zum Alltag und spannende Anekdoten. Das Buch befriedigt somit sowohl fachliche als auch alltägliche Reexionsbedürfnisse. Es gibt Denkanstöße und ist zugleich informativ, weshalb das Buch sowohl mit als auch ohne Vorkenntnisse empfehlenswert ist. In jedem Fall ist es eine Einladung zur weiteren Auseinandersetzung mit Diversitätsthemen. Verweise1 Institut für Social Justice & Radical Diversity: https://institut-social-justice.org/LiteraturCzollek, Leah Carola/Perko, Gudrun/Kaszner, Corinne/Czollek, Max (2019): Praxishandbuch Social Justice und Diversity. Theorien, Training, Methoden, Übungen. 2. Au. Weinheim / Basel: Beltz Juventa.Leonie Schmidtleonieschmidt1@gmx.dePerko, Gudrun (2020):Social Justice und Radical Diversity.Veränderungs- und Handlungsstrategien. Weinheim: Beltz Juventa.