soziales_kapital Ramona Iberer. “Institutioneller Pegebedarf älterer Drogenkonsument*innen in Wien. Klinisch- sozialarbeiterische Perspektiven einer umfassenden Altersversorgung.” soziales_kapital, no. 26 (2022). Rubrik „Junge Wissenscha“. Wien. Printversion: https://soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/view/766/version/1131/1437_Soziale Innovation 26. Ausgabe Juni 2022ZusammenfassungDurch den Ausbau des Drogenhilfesystems und die damit einhergehenden verbesserten Betreuungs- und Behandlungsbedingungen, insbesondere durch schadensminimierende Maßnahmen, verbessern sich zunehmend die Lebensbedingungen und Überlebenschancen älter werdender Drogenkonsument*innen. Damit korrespondiert aber auch die steigende Anzahl hilfsbedürftiger Drogenkonsument*innen, welche aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage sind, sich allein zu versorgen. In Anbetracht dessen stellt sich die Frage nach einer angemessenen Pegeversorgung für das Klientel. Im folgenden Beitrag werden die Ergebnisse einer Untersuchung zum Thema Sucht im Alter unter Berücksichtigung aktueller wissenschaftlicher Forschung sowie zur bedarfsgerechten Weiterentwicklung diverser Hilfesysteme dargestellt. Mittels eines mehrstugen Erhebungsverfahrens wurde der Versorgungsbedarf sowohl aus Sicht der denierten Zielgruppe als auch auf der Grundlage multiprofessioneller Expertisen evaluiert. Basierend auf den Ergebnissen wird im Beitrag ein Entwurf für ein Konzept als passgenaues Unterstützungsangebot in der Langzeitbetreuung für ältere Drogenkranke präsentiert. Ausgezeichnet wurde diese Forschung im Jahr 2021 durch die Windhag Stipendienstiftung des Lands Niederösterreichs sowie durch das Erika-Stubenvoll-Stipendium der Volkshilfe Wien.Schlüsselwörter: Alter, Sucht/Abhängigkeit, ältere Drogenkonsument*innen, Pegeversorgung, pass- genaue Angebote, Klinische Soziale Arbeit, Conjoint AnalyseAbstractAs a result of the expansion of the drug help system and the associated improvement in care and treatment conditions, particularly through harm reduction measures, the living conditions and chances of survival of ageing drug users are increasingly improving. However, this is accompanied by a growing number of drug users in need of help, who are no longer able to care for themselves for health reasons. Therefore, the question of appropriate care for this clientele arises. The following article presents the results of a study on addiction in old age, which considers current scientic research as well as the need-based further development of various help systems. By means of a multi-stage survey procedure, the need for care was evaluated both from the perspective of the dened target group and on the basis of multiprofessional expertise. Based on the results, the article presents a concept for a support service in long-term care for older drug users. This research was awarded in 2021 by the Windhag Scholarship Foundation of the Province of Lower Austria and the Erika Stubenvoll Scholarship of Volkshilfe Wien.Keywords: age, addiction, elderly drug consumers, nursing care, tailored oers, clinical social work, conjoint analysis1 Ausgangslage Verschiedenen „Studien zufolge ist die Anzahl der älteren Drogenabhängigen in den letzten 10 Jahren in vielen Ländern trotz schwieriger Lebensumstände systematisch angestiegen“ (Ho/Kuhn/Kuhn/Isfort 2016: 100). In den vergangenen Jahren wurde zudem von Vertreter*innen des Wiener Sucht- und Drogenhilfenetzwerks, der Alten- und Pegehilfe und des Psychosozialen Dienstes beobachtet, dass die Zahl der Langzeitkonsument*innen von Drogen und die Zahl älterer substituierter Personen in Wien immer weiter ansteigt. Dadurch kommt dem gesundheitlich- sozialen Angebot der Versorgungshilfen für älter werdende Drogenkonsument*innen in Wien immer mehr Bedeutung zu (vgl. Stöver/Jamin/Padberg 2017: 7). Das bedeutet, dass die Themen Alter und Sucht1 vermehrt Gegenstand der beruichen Alltagspraxis von Mediziner*innen und Sozialarbeiter*innen sein werden. Dies ist eine neue Herausforderung für die Sucht- und Drogen- hilfe, aber auch für den Alten- und Pegebereich. Die Versorgungssituation von älteren Drogenkonsument*innen ab 40 Jahren gewinnt immer mehr an Bedeutung.2 In seiner Auseinandersetzung mit der Versorgungslandschaft stellt Georg Preitler von der Sucht- und Drogenkoordination Wien fest, dass „in Wien heute die überwiegende Mehrheit der älteren Suchtkranken mit Pegebedarf in den bereits vorhandenen Angeboten der Pege und Betreuung versorgt werden“ (Preitler zit.n. Stöver/Jamin/Padberg 2017: 285f.). Doch was ist mit dem kleinen Teil, der nicht versorgt und/oder erreicht wird? Professionist*innen der Sozialen Arbeit dürfen sich nicht damit zufriedengeben, denn, so heben auch Stöver et al. (2017: 241) hervor, „[d]ie erheblichen Eintrittsbarrieren in die Versorgung für diese kleine Gruppe zeigen auch einen Handlungsbedarf auf, der über Vernetzung alleine nicht zu bewältigen ist“. Sucht im Alter zieht somit „einen dringenden Handlungsbedarf nach sich […], eine Thematik, die auch angesichts der demograschen Entwicklung zunehmend an Bedeutung gewinnt“ (Fachstelle für Suchtprävention 2017a: 3). Es besteht dringender Bedarf, die interdisziplinäre Angebotsvielfalt für diese spezische Zielgruppe auszubauen, um bedürfnisadäquate Betreuung und Behandlung auf allen Ebenen zu ermöglichen. Ziel dieses Artikels ist daher, auf die bestehenden Versorgungslücken hinzuweisen und den Bedarf der Zielgruppe aufzuzeigen. Der Beitrag basiert auf den Forschungsergebnissen der an der FH Campus Wien entstandenen Masterarbeit Institutioneller Pegebedarf älterer Drogenkonsument*innen in Wien. Klinisch-sozialarbeiterische Perspektiven einer umfassenden Altersversorgung – Institutional care-needs of elderly drug consumers in Vienna. Clinical-social perspectives of a comprehensive pension provision (2019). Zunächst werden das forschungsstrategische Vorgehen sowie die Ergebnisse der Untersuchung vor- gestellt. Im Anschluss wird ein zielgruppenspezisches Versorgungsangebot vorgeschlagen sowie dessen Übertragbarkeit auf das Wiener Versorgungssystem kritisch reektiert.2 ForschungskonzeptÄlter werdende, abhängigkeitserkrankte Menschen sind mit komplexen Problemlagen konfrontiert; über ihre Erwartungen gibt es in Wien noch keine empirischen Erhebungen. Auch fehlt es an zielgruppenspezischen Angeboten im stationären Langzeitbetreuungssetting, was auf eine Lücke der Versorgungsstrukturen verweist. Zudem sind die Rahmenbedingungen für das Handeln der Klinischen Sozialen Arbeit (noch) nicht auf diese spezische Gruppe angepasst. Ausgehend von diesen Beobachtungen wurden für die Untersuchung folgende Hypothesen formuliert: 1) Erwartungen an eine suchtbezogene Pegeversorgung älterer Drogenkonsu- ment*innen weichen vom derzeitigen Versorgungsangebot des FSW ab. 2) Es gibt zentrale Eigenschaften stationärer Pegeeinrichtungen, die die Akzeptanz bei älteren Drogenkranken beeinussen. In Anbetracht der dargestellten Sachverhalte stellt sich die Frage nach einer angemessenen Pegever- sorgung für das Klientel. Wird das derzeitige stationäre Pegeangebot von den alternden Drogenkranken in Wien akzeptiert? Welche Kernmerkmale dieser stationären Pegeeinrichtungen beeinussen die Akzeptanz? Fragen nach konkreten Vorstellungen der Betroenen im Falle von Krankheit und/oder Pegebedürftigkeit in Bezug auf eine bedürfnisadäquate, suchtbezogene Pegeversorgung sind von besonderer Relevanz. Auch die Einschätzung von Professionist*innen hinsichtlich der Adäquatheit des stationären Pegeversorgungsangebots für die Zielgruppe ist zentral für die Untersuchung. Analog zu den zentralen Fragestellungen basierten die empirischen Erhebungsverfahren auf verschiedenen methodischen Ansätzen, um die Bedarfe und die Erwartungen der denierten Zielgruppe zu erfassen. Dies geschah aufbauend auf Ergebnissen eines standardisierten Fragebogens (Vorerhebung). Anschließend wurden leitfadengestützte Expert*innen-Interviews geführt sowie durch einen vignettenbasierten Fragebogen Ergebnisse generiert. Aufgrund der Komplexität der Thematik wurde eine triangulative Vorgehensweise auf Basis einer systematischen Integration qualitativer und quantitativer Forschungsmethoden forciert, deren Zugang in Abbildung 1 visualisiert ist:Abbildung 1: Mixed-Methods-Forschungsdesign (eigene Darstellung).Der Ausgangspunkt der Untersuchung war eine qualitative Exploration zielgruppenspezischer Bedürfnis- und Bedarfslagen. Eigenschaften eines möglichen zukünftigen Pegeversorgungs- konzepts wurden theoriegestützt und auf Basis der Vorerhebung herausgearbeitet und optimiert. Bezüglich der forschungsmethodischen Zugangsweise konnte sich auf die Forschungsergebnisse einer vorhergehenden Bedarfserhebung zielgruppenspezischer Bedürfnislagen hinsichtlich pegerischer Versorgungsangebote älterer Drogenkonsument*innen in Wien gestützt werden. Diese wurde mit der Forschungsgruppe vorab im Rahmen einer Lehrveranstaltung durchgeführt.3 Auf den hier erhobenen empirischen Ergebnissen (siehe Ergebnisteil 3.1) konnte aufgebaut werden.Die Basis für das weitere Vorgehen wurde mittels Literaturrecherche und qualitativer Methodik durch die zehn Expert*innen-Interviews geschaen. Die leitfadengestützten Expert*innen-Interviews umfassen Einschätzungen von Professionist*innen der gerontologischen sowie psychiatrischen Pege, der Psychotherapie sowie der Sozialen Arbeit im suchtspezischen Kontext. Die Auswertung erfolgte mittels Kategoriensystem inhaltsanalytisch nach Mayring (vgl. Mayring 2010: 13). Darauf aufbauend wurden institutionelle Kernmerkmale entworfen, um Eckpunkte einer bedürfnisadäquaten, suchtbezogenen Pegeversorgung abzubilden. Dieses mögliche Spezialangebot wurde mittels Vignettentechnik erfragt. Die Befragten sollten die vorgelegten Karten mit diversen Eigenschaftskombinationen in eine Rangfolge bringen, bevor die Conjoint-Analyse mittels SPSS durchgeführt wurde. Bei einer Conjoint-Analyse werden „Eigenschaften von Produkten auf ihre Attraktivität [untersucht]. Dabei werden den dazu befragten Personen ausgewählte Eigenschaftskombinationen vorgelegt, die sie anhand ihrer persönlichen Präferenz in eine Rangfolge bringen sollen“ (Bühl 2014: 935). Dafür wurden 31 drogenkranke Personen der Institution Change partizipativ miteinbezogen,4 um deren zielgruppenspezische Nutzenstruktur zu ermitteln, damit eine neue soziale Dienstleistung an die Bedürfnisse angepasst werden kann. Dazu mussten Attraktivitäts- eigenschaften gesammelt und überschaubar und entsprechend den individuellen Interessen und Bedarfen geltert werden. Die folgende quantitative Datenerhebung liefert hinsichtlich der Dienstleistungs- bzw. Sozialplanung essentielle Anhaltspunkte.3 ErgebnisseWie muss ein stationäres Pegeversorgungskonzept, mit suchtspezischer und psychiatrischer Wissensgrundlage aussehen, damit dieses den Bedürfnissen älterer Drogenkonsument*innen gerecht wird? Politiker*innen sowie zahlreiche Expert*innen entscheiden darüber, welcher Versorgungsansatz verfolgt wird und legen die Angebotslandschaft fest. Aber entspricht das auch dem Willen der Betroenen? Die folgenden Ergebnisse tragen zur Erweiterung des Wissenstands zur Lebenssituation älter werdender Drogenkranker in Wien bei. Die Erhebung ergab, dass für eine kleine Gruppe älterer Drogenkonsument*innen dringende Notwendigkeit eines bedürfnis- adäquaten und passgenauen Versorgungsangebots besteht.3.1 Anforderungen an die Pegeversorgung aus Klient*innen-PerspektiveAuch im Alter ist die drogenspezische Versorgung bedeutend. Viele der Befragten können und/oder wollen sich ein konsumfreies Leben nicht vorstellen und möchten auf ihren (Bei-)Konsum nicht verzichten. Das zeigt, dass der Drogenkonsum als Teil des Selbstkonzepts und fester Bestandteil der Identität unentbehrlich für die Betroenen ist. Ähnlich dazu argumentieren Stöver et al. (2017) und Vogt (2011): Es ist keineswegs so, dass langjährige, ältere Drogenkonsument*innen keine Wünsche mehr haben und resignieren (vgl. Stöver et al. 2017: 196). Die Sucht ist das Lebensthema und „begleitet sie bis zum Lebensende“ (Vogt 2011: 55). Daraus ergeben sich aber auch spezische Erwartungen und Wünsche hinsichtlich der Altersvorsorge im Falle von Krankheit und/oder Pegebedürftigkeit. So hebt Vogt (2011: 201f.) hervor: „Zugangskriterien sollten nicht zu hoch angesetzt sein, wie z.B. durch Inakzeptanz bestehenden Beikonsums anderer Substanzen, verpichtendes Existieren einer Sub- stitutionsbehandlung, Altersmindestgrenzen, eine Mindesthöhe an Pegestufe oder lange Wartezeiten.“Zudem ist es wichtig, Probleme, die mit dem Drogenkonsum einhergehen, in der Versorgungs- praxis zu berücksichtigen. Der Fokus sollte auf Angeboten liegen, die nah an der Lebensrealität von Personen mit langer Drogenkonsumerfahrung liegen. Eine akzeptanz- und bedarfsorientierte Grundhaltung ist hierbei essentiell, um die Würde und Selbstbestimmung älter werdender Drogenkranker zu erhalten (vgl. Iberer 2019: 112). Entsprechend der Angaben der Befragten wird mehrheitlich ein Zusammenleben mit Personen in einer ähnlichen Lebenssituation gewünscht und bevorzugt. Herkömmlichen Alten- und Pegeheimen, mit Bewohnenden mit anderen Lebenserfahrungen sowie keiner oder wenig Erfahrung mit illegalen Drogen, stehen die Befragten sehr ambivalent gegenüber. Gewünscht wird sich im Falle einer stationären Unterbringung mehrheitlich eine auf Sucht/Abhängigkeit spezialisierte Einrichtung oder Station, welche Individualität zulässt. Diese sollte bestenfalls in einer eher ruhigen Lage innerhalb der Stadt oder in einer naturnahen ländlichen Umgebung, jedoch mit guter Infrastruktur liegen. Präferiert wird ein altershomogenes, der konkreten Zielgruppe entsprechendes Betreuungskonzept. Die Wünsche der Drogensenior*innen beziehen sich vor allem auf einen akzeptanzorientierten Umgang, eine vorurteilsfreie Begegnung, einen respektvollen Umgang sowie oene Kommunikation und Menschlichkeit in der Art und Weise der Betreuung. Weitere Anliegen betreen diverse Rahmenbedingungen bezüglich Individualität, Entfaltungsmöglichkeiten, Privatsphäre und Selbstbestimmung, beispielsweise durch das Vorhandensein von Einzelzimmern, die Erlaubnis, Haustiere halten zu dürfen, das Zurverfügung- stellen eines Konsumraums, Einzeltherapie, die Möglichkeit des Bezugs verschreibungspichtigen Heroins und ein entspanntes Umfeld.Abbildung 2: Spezielle Wünsche der Drogensenior*innen (eigene Darstellung).3.2 Versorgungsbedarf aus Sicht der Expert*innenInsgesamt ist Drogenabhängigkeit ein wesentliches Thema für die stationäre Altenpege. Der Umgang mit den Betroenen ist allerdings seitens der Pege aufgrund rudimentärer Ausbildung erschwert. Mittels der Expert*innen-Interviews wurde festgestellt, dass ältere Drogenkranke einen erhöhten Unterstützungsbedarf aufweisen, welcher mit zunehmendem Alter und damit verbundener Multimorbidität steigt. Die Multimorbidität dieser spezischen Klientel wird von den Expert*innen übereinstimmend als Herausforderung für die professionellen Helfer*innen beschrieben. Erfahrungen zeigen, dass diese Personengruppe deutlich betreuungsintensiver ist als die klassische Regelklientel in der Pege- und Altenhilfe. Unterschiede zwischen Menschen ohne Abhängigkeitsproblematik und Menschen mit drogenspezischen Störungen werden mehrheitlich evident erfasst. Klassische Pegeheimangebote werden überwiegend als ungeeignet für die Zielgruppe befunden. Oen- sichtlich fehlt es an bedürfnisadäquaten Strukturen, insbesondere für drogenerkrankte Menschen, die illegale Substanzen konsumieren, da es laut den Expert*innen zu verschiedenen Problem- stellungen in zu strikten Hilfsstrukturen kommen kann. Einrichtungsspezisch variiert der Umgang hinsichtlich des Problemkomplexes. Der verstärkte Einsatz von Expert*innen-geleiteten Arbeitsgruppen sowie die Entwicklung von Handlungsleitlinien zeigen das Bewusstsein in Bezug auf die Thematik, wenngleich ein Bedarf politischer Modikationen und institutioneller Neuerungen besteht. Einen Ausblick dazu bietet das Wiener Strategiekonzept, welches das Pege- und Betreuungssystem bis 2030 „als inklusives Angebot, das sich an alle gesellschaftlichen Gruppen wendet“ (Gesundheits- und Sozialplanung Stadt Wien o.J.: 19), gestalten will. „Zielgruppen, die bisher Pege-und Betreuungsangebote der Stadt kaum in Anspruch genommen haben, sollen durch neue Wege erreicht werden“ (ebd.: 25). Insgesamt ergänzen die Aussagen der befragten Expert*innen die Sichtweise der Ziel- gruppe. Die Erkenntnisse korrespondieren in allen durchgeführten Erhebungen. Versorgungs- probleme gibt es bei all denjenigen Personen, die aktiv konsumieren. Die klassischen Versorgungsangebote sind nicht altersgerecht und bedürfnisadäquat gestaltet; Angebote sind nicht (mehr) geeignet und Strukturen können aufgrund der Drogenerkrankung nicht genutzt werden. Derzeit gibt es einige Einrichtungen, die die Gruppe der älteren Drogenkonsumierenden nicht ausschließen. Aktiver Drogenkonsum steht allerdings den Zugangsvoraussetzungen diverser Hilfsstrukturen entgegen. Grundsätzlich sind die Betroenen gezwungen, sich notgedrungen mit dem zu arrangieren, was die Versorgungslandschaft bietet – passgenau ist es jedoch für dieses spezische Klientel nicht. Expert*innen plädieren entsprechend für eine stärkere Ausrichtung am höheren Pege- und Betreuungsbedarf, wodurch eine bessere Abstimmung der Maßnahmen erreicht werden könnte: Die Bedürfnisse und Bedarfe müssen die Leistungsstruktur bestimmen. Konzeptionellen Herausforderungen könnte durch neue Finanzierungsformen wie durch die Kombination verschiedener Leistungsbestandteile begegnet werden (vgl. Iberer 2019: 105f.).3.3 Versorgungsangebot für ältere Drogenkonsument*innen ab 40 JahrenDie Integration älterer Drogenkonsument*innen in bereits bestehende Strukturen medizinischer Versorgung stellt die einzelnen Versorgungssysteme durch den veränderten Hilfebedarf vor enorme Herausforderungen. Folgendes Versorgungsangebot könnte zu einer Veränderung in der Pege- und Betreuungslandschaft beitragen und das Betreuungspotenzial für die denierte Zielgruppe sichern:Abbildung 3: Bestes Angebot (eigene Darstellung).Mittels Befragung durch Vignetten wurde ein optimales Konzeptangebot für die Zielgruppe deniert. Als besonders bedeutsam haben sich die Dimensionen „Selbstbestimmung“ und „Passgenaues Setting“ bei der Zusammenstellung eines suchtbezogenen Versorgungsangebotes herausgestellt. Die zwei lebensweltlichen Dimensionen erhöhen die Akzeptanz signikant. „Privatsphäre“ und „persönliche Entfaltung“ sind die wesentlichen Faktoren, die eine Beurteilung positiv beeinussen. Dies inkludiert die Sicherstellung eines geeigneten Wohnraumes, welcher Entfaltung zulässt und persönliche Wünsche berücksichtigt. Auch die Sicherstellung personenzentrierter Leistungen im Pegekontext wird betont. Neben einer akzeptanz- orientierten Haltung sind auch engmaschige Betreuungs- und Beziehungsarbeit eines interdisziplinären Teams sowie fachspezisches Verständnis relevant. Das beliebteste Angebot inkludiert folgende Aspekte: 1) Die bedürfnisangepasste Substitution soll bei Bedarf den Bezug verschreibungspichtigen Heroins ermöglichen. Dies gewährt das benötigte Ausmaß an medizinischer Hilfe, die am Wohlbenden der Betroenen orientiert ist sowie deren Wünsche berücksichtigt, und beinhaltet zugleich Freiheit in der Wahl der medikamentengestützten Behandlungsform. 2) Um alternde Drogenkranke angemessen zu unterstützen, bedarf es suchtspezisch und psychiatrisch geschultes Fachpersonal und ein akzeptanzorientiertes Behandlungsumfeld mit interdisziplinären Betreuungskapazitäten. 3) Zur Verbesserung der Lebensqualität und zur Wahrung der Autonomie der alternden Klientel sollte versucht werden, die Behandlungssettings weitgehend auszuschöpfen. Persönliche Entfaltungsmöglichkeiten stehen hierbei im Mittelpunkt. 4) Das Sicherheitsbedürfnis der einzelnen Betroenen soll durch die Schaung von räumlich stabilen Verhältnissen sichergestellt werden. Das heißt konkret, dass den Personen ihr Recht auf Privatsphäre und Freiraum zugesprochen wird. 5) Eine vielseitige Alltagsstruktur ist gewünscht. Ob musikalische, kreative, hauswirtschaftliche Tätigkeiten oder andere Aktivitäten: All dies fällt unter eine uneingeschränkte Angebotsvariation neben suchtspezischen pege- und betreuungsrelevanten Ansätzen. 4 Kritische ReexionWie aus den obigen Ergebnissen hervorgeht, benötigt eine kleine Gruppe chronisch Drogenkranker eine neue Hilfsstruktur. Ihrer eigenen Ansicht nach haben sie als ältere Drogenkonsument*innen sowohl aufgrund ihrer langjährigen Krankheitsgeschichte und Abhängigkeits- und Konsumerfahrung als auch durch ihre zunehmenden gesundheitlichen Beschwerden einen anderen Hilfebedarf. Auch die befragten Expert*innen betonen, dass sich mit zunehmendem Alter die Bedürfnisse und Bedarfe wandeln. Die anfangs dargestellten Hypothesen können daher bestätigt werden. Um einerseits dem erfassten Hilfebedarf gerecht werden zu können und andererseits eine möglichst hohe Behandlungs- und Betreuungsqualität bieten zu können, bedarf es einer institutionellen Speziali- sierung in Form einer wohngestützten Behandlung, Pege und Betreuung älter werdender Drogenkonsument*innen. Dies würde eine passende komplementäre Hilfe in Anschluss an bisherige Ange- bots- und Betreuungsformen des Versorgungssystems darstellen. Es ist an der Zeit, auch für Drogen- senior*innen mit langjährigem Suchthintergrund adäquate Pege- und Betreuungsangebote bereitzustellen, auch wenn sie zahlenmäßig nur einen äußerst kleinen Personenkreis ausmachen. Eine Entscheidung gegen oder für ein drogenakzeptierendes stationäres Versorgungs- konzept sollte vor dem Hintergrund einer reektierten Auseinandersetzung zwischen Abstinenz und Akzeptanz erfolgen. Das hier vorgeschlagene Konzept geht von einer homogenen Betreuungs- struktur aus, bei der eine bedürfnisorientierte und bedarfsgerechte Behandlung, Pege und Be- treuung im Zentrum steht. Leitgedanke ist es, älteren Menschen mit einer Drogenabhängig- keitserkrankung eine geschützte Wohnform bis ans Lebensende zu bieten. Das Pege- und Betreuungs- angebot schat so ein Leben in Selbstbestimmtheit mit hoher Lebensqualität bis zuletzt (vgl. Iberer 2019: 106). Es müssen zielgruppenorientierte, altersspezische und niederschwellige Angebote geschaen werden, die mit in Sucht, Psychiatrie und Gerontologie ausgebildeten Fachpersonal besetzt sind (vgl. Iberer 2019: 107). Den betroenen Personen ist dabei „eine positive und empathische Haltung entgegenzubringen“ (Kutschke 2012: 99). Darüber hinaus muss die Anerkennung des Expert*innen-Status der Betroenen selbst im Zentrum der professions- spezischen Handlungsweise stehen (vgl. Stöver et al. 2017: 60). Alle Mitarbeiter*innen der Einrichtung (WG, Pegestation etc.) sollten über Sucht im Alter sowie über weiteres benötigtes Fachwissen in anderen Professionskontexten, wie psychiatrisches und medizinisches Wissen, geschult werden. Nur so erfahren die Bewohner*innen einen profes- sionellen Umgang mit ihrer Erkrankung und den korrespondierenden Komorbiditäten. Die geschulten Fachkräfte wären dadurch in der Lage, durch professionsübergreifenden Wissens- transfer personenzentrierte Hilfsmöglichkeiten in Risikosituationen vorzuschlagen sowie motivationsfördernde Interventionen anzubieten und anzuleiten – sei es im Alltagsverhalten oder im Falle von Problemstellungen. Pegerische, medizinische und suchttherapeutische Be- handlungs-, Pege- und Betreuungsmaßnahmen sollten von einem interdisziplinären Team umgesetzt werden und auf die Stabilisierung von Beziehungs- und Koniktfähigkeit zielen. Interventionen sollten sich an dem Grundsatz orientieren, den vielfältigen Bedürfnissen und Bedarfen älterer Drogenkranker akzeptanzorientiert und lebensrealitätsnah zu begegnen. Dies impliziert den berechtigten Anspruch auf Selbstbestimmtheit und Privatsphäre der Bewohner*innen im Alltagsleben der Institution. Individuell gestaltbare Privaträume könnten den Bewohner*innen einen Rückzugsort mit Schutz und Intimität bieten. Allerdings sollte der Substanzkonsum und/ oder Beikonsum nicht unbegrenzt möglich sein. Welche Suchtmittel in welchem Maße geduldet werden, muss auch mit Blick auf zivilrechtliche Fragestellungen beleuchtet werden. Das Konsumverhalten sollte regelmäßig erörtert werden, um risikogefährdete Konsumierende zu er- kennen und adäquate Hilfestellungen zu bieten. Dadurch wäre nicht nur die Basisversorgung gewährleistet, sondern eine engmaschige interdisziplinäre Hilfsleistung etabliert, die unter Umständen eingreift, wenn Personen gefährdet sind. Um den suchtspezischen und psychiatrischen Problemstellungen gerecht zu werden, besteht der Bedarf nach einer engen interdisziplinären Zusammenarbeit aller hilfeleistenden Personen. Neben suchtspezischen und altersgerechten Behandlungsstrategien sollten auch verhaltenstherapeutische Elemente angeboten werden, wie zum Beispiel Psychotherapie im Einzel- und Gruppensetting. Auch niederschwellige Angebote, wie Methoden zur Bewältigung von belastenden Situationen, sollten forciert werden, damit Coping-Strategien entwickelt und Re- ssourcen (re)aktiviert werden können. Die Aktivitäten sollten am individuellen Bedarf der Personengruppe orientiert sein, die Betroenen sollten in die Planung miteinbezogen werden. Die Teilnahme an den Aktivitäten sollte gefördert, nicht aber gefordert werden. Bei der Inanspruchnahme der Angebote muss die größtmögliche Autonomie der Betroenen gewahrt werden. Auch Alltagsbeschäftigungen, welche den physischen sowie psychischen Fähigkeiten der Personen entsprechen, sind zur Förderung lebens- praktischer Kompetenzen von Bedeutung. Die Stärkung individueller Fähigkeiten in Hinblick auf personenbezogene Struktur und Beschäftigungsfähigkeit sowie die Übernahme von Verantwortung sollten hierbei im Mittelpunkt stehen. Diverse Teilhabeziele können durch bedarfsgerechte Umgebungsge- staltung und bedürfnisadäquate Unterstützungsleistungen erreicht werden. Durch eine niederschwellige und akzeptanzorientierte Überlebenshilfe, wie sie hier skizziert wurde, könnte auf gewohnte Verhaltensmuster eingewirkt werden, damit klinisch-sozialarbeiterische Interventionen lebensnah und passgenau wirken und Hilfe zur Selbsthilfe bieten können. Altersspezische Bedarfe älter werdender Drogenkonsument*innen sollen so in geschützter Umgebung gedeckt werden und ein selbstbestimmtes Altern sowie letztlich auch ein Sterben in Würde möglich sein.5 Schlussfolgerungen für die Klinische Soziale Arbeit und AusblickAngesichts der gewonnenen Erkenntnisse lässt sich feststellen, dass trotz einer allgemein guten Versorgungslage und Soziallandschaft in Wien bei der hier betrachteten Zielgruppe höchst problematische Versorgungslücken bestehen. Mit Blick auf ältere Drogenkonsument*innen bedarf es exibler und kreativer Lösungsansätze aller Hilfesysteme, um die Versorgung anhaltend und ganzheitlich zu verbessern. Für langzeitabhängig Drogenkranke, welche es nicht schaen, dauerhaft abstinent zu leben, ist ein niederschwelliges und drogenakzeptierendes Umfeld erforderlich, welches ein Älterwerden in Würde unterstützt, „innerhalb und trotz der schwierigen Lebensrealität, die eine langjährige Drogenabhängigkeit mit sich bringt“ (Vogt 2011: 216). Für ältere Drogenkonsument*innen ab 40 Jahren mit frühem oder aktuellem Konsum illegaler Substanzen wird das hier entwickelte Versorgungsangebot vorgeschlagen. Für die Etablierung eines solchen ist eine Überarbeitung der rechtlichen Grundlagen für das Pege- und Betreuungsnetzwerk notwendig. Dadurch könnten Veränderungsprozesse hinsichtlich der Lebensbedingungen der Klientel initiiert werden. Selbstbestimmtes Wohnen könnte für eine kleine Gruppe älterer Drogenkranker ermöglicht werden, welche aufgrund langjähriger Abhängigkeitserkrankung sowie ihres Pege- und Betreuungsbedarfs eingeschränkt ist und einen hohen Unterstützungsbedarf aufweist. Mit dem vorliegenden Beitrag sollen Reexionsprozesse angeregt werden, die Fachdebatte erönet und dazu ermutigt werden, zielgruppenorientierte Angebote zu oerieren. Langzeitpege- und Betreuungsangebote älterer aktiv Drogenkonsumierender sollten nicht als Kostenfaktor gesehen werden, sondern als eine Investition, die der denierten Zielgruppe zugutekommt. Da Wohngemeinschaften oder eine zielgruppenorientierte Abteilung in einer Station sinnvoll wären, ist es nicht zwingend notwendig, eigene Pegeheime zu erönen. Stattdessen können bereits bestehende Strukturen erweitert und an unterschiedlichen Unterstützungsbedarfen neu aus- gerichtet werden. Dabei ist auf altersspezische Bedürfnisse zu achten. Der hier präsentierte Entwurf kann dabei der Orientierung dienen. Abschließend lässt sich sagen, dass für die Personengruppe der aktiv langzeitkonsumierenden älteren Drogenkranken ein zielgruppenorientiertes Versorgungsangebot in der stationären Langzeitbe- treuung in der regionalen Versorgungsstruktur professionell gesichert werden muss! Verweise1 Der veraltete Begri Sucht ist von der WHO durch den Begri der Abhängigkeit bzw. Abhängigkeitserkrankung ersetzt worden (vgl. Barsch 2010: 135f.). Dennoch wird der ältere Begri, auch in fachspezischer Literatur, weiterhin verwendet. Beide Begrie werden somit synonym verwendet.2 Begründung für die festgelegte Altersgrenze: „Drogenabhängige sind biologisch deutlich älter – [...] so beträgt die Voralterung ca. 20 Jahre“ (Vogt 2011: 84). Insbesondere bei Menschen mit Opiatabhängigkeit wird von einigen Autor*innen ab dem 40. Lebensjahr von alt gesprochen (vgl. Kutschke 2012: 48). 3 Dem Forschungsteam dankt die Autorin herzlich. Durch das Engagement des Teams und dessen Vorerhebung wurden wichtige Anhaltspunkte geliefert, um diese Sozialforschung präzisieren und umsetzen zu können. 4 Die Drogenberatungsstelle Change ist eine ambulante nach § 15 SMG anerkannte Suchthilfeeinrichtung der Wiener Drogenhilfe (https://www.suchthilfe.wien/2/change-streetwork/). LiteraturverzeichnisBarsch, Gundula (2010): Drogen und soziale Praxis. Teil 1: Menschenbilder akzeptierender Drogenarbeit und wie sie sich in Grundbegrien wiedernden. Eine Einführung für Sozialarbeiter, Lehrer, Erzieher, Eltern, Politiker und alle, die mit Drogenthemen konfrontiert sind. Leipzig: Engelsdorfer. Bühl, Achim (2014): SPSS 22. Einführung in die moderne Datenanalyse. 14. akt. Au. Hallbergmoos: Pearson. Fachstelle für Suchtprävention Berlin (2017a): Suchtsensible Pegeberatung. Suchtgefährdung erkennen und professionell intervenieren. Berlin. Fachstelle für Suchtprävention Berlin (2017b): Suchtsensible Pege. Motivierende Kurzintervention in der Altenpege. 3. überarb. Au. Berlin.Gesundheits- und Sozialplanung Stadt Wien (o.J.): Pege und Betreuung in Wien 2030. Vorausschauend und vorbereitet. Strategiekonzept. Wien.Ho, Tanja/Kuhn, Ulrike/Kuhn, Silke/Isfort, Michael (2016): Sucht im Alter – Maßnahmen und Konzepte für die Pege. Köln/Hamburg: Springer. Iberer, Ramona (2019): Institutioneller Pegebedarf älterer Drogenkonsument*innen in Wien. Klinisch-sozialarbeiterische Perspektiven einer umfassenden Altersversorgung – Institutional care-needs of elderly drug consumers in Vienna. Clinical-social perspectives of a comprehensive pension provision. Masterarbeit. FH Campus Wien.Kutschke, Andreas (2012): Sucht – Alter – Pege. Praxishandbuch für die Pege suchtkranker alter Menschen. Bern: Hans Huber. Mayring, Philipp (2010): Qualitative Inhaltsanalyse. Weinheim/Basel: Beltz. Stöver, Heino/Jamin, Daniela/Padberg, Christina (Hg.) (2017): Ältere Drogenabhängige. Versorgung und Bedarfe. Frankfurt am Main: Fachhochschulverlag. Vogt, Irmgard (2011): Auch Süchtige altern. Probleme und Versorgung älterer Drogenabhängiger. Frankfurt am Main: Fachhochschulverlag. Über die AutorinRamona Iberer, BA MAramona.iberer@gmx.atKlinische Sozialarbeiterin; ihre Schwerpunkte liegen in der biopsychosozialen Beratung und Betreuung in den Bereichen der psychiatrischen und suchtspezischen Sozialen Arbeit sowie im sozialpädagogischen Arbeitskontext.Institutioneller Pegebedarf älterer Drogenkonsument*innen in Wien.Klinisch-sozialarbeiterische Perspektiven einer umfassenden AltersversorgungRamona Iberer