soziales_kapital
Nikolaus Nee
. “
Aufwachsen in Pernitz. Perspektiven für eine neue Jugendarbeit am Land.
” soziales_kapital, no. 26
(2022). Rubrik „Junge Wissenscha“. Wien. Printversion:
http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/
article/view/767/1405.pdf
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Aufwachsen in Pernitz
Perspektiven für eine neue Jugendarbeit am Land
Nikolaus Nee
Soziale Innovation
26. Ausgabe Juni 2022
Zusammenfassung
Die Lebenswelten der Landjugend haben sich gewandelt. Moderne Technologien wie Internet und
Smartphone, erweiterte Möglichkeiten der Mobilität und strukturelle Veränderungen in Gemeinden bieten
heute für das Aufwachsen im ländlichen Raum neue Rahmenbedingungen. Am Beispiel von Pernitz, einer
niederösterreichischen Gemeinde, beschreibt dieser Artikel einen Sozialraum, der von diesem Wandel
betroen ist. Ausgehend von einer sozialräumlichen Forschung, die im Zuge einer Masterarbeit durchgeführt
wurde, werden verschiedene Einsichten in die Lebenswelten der lokalen Jugend oengelegt. Neben
diesen Einblicken in das Leben der heutigen Landjugend bietet dieser Artikel eine Sozialraumanalyse einer
ländlichen Gemeinde sowie eine sozialanthropologische und sozialräumliche Perspektive auf die Phase
der Jugend. Die Verbindung dieser verschiedenen Themen ermöglicht Schlussfolgerungen für eine neue
Jugendarbeit am Land. Über die Fokussierung auf den Sozialraum Pernitz hinaus können die Überlegungen
auch anderen Gemeinden dienen, welche der heutigen Jugend bei all den modernen Veränderungen eine
adäquate Unterstützung bieten möchten.
Schlagworte:
ländlicher Raum, sozialräumliche Jugendarbeit, regionales Dorf, regionale Identität, regionale
Sozialraumentwicklung, liminale Jugendphase, Gemeindestudie, Sozialraumanalyse
Abstract
Rural areas have been undergoing various transformations due to modern technologies, expanded
possibilities in mobility as well as structural changes. This also aects the way young people grow up in
the countryside nowadays. Drawing on Pernitz, a village in Lower Austrian, this article describes a case
study on the contemporary living conditions of the rural youth. It is based on the research of a master’s
thesis, in which the socio-spatial characteristics of the village were analyzed on various levels. Additionally,
it oers a social-anthropological perspective on adolescence, which opens new ways of perceiving youth
work in the countryside. By describing the social space of Pernitz and the lives of the local youth, and by
conceptualizing the process of adolescence, the article outlines an innovative approach to youth work in
rural areas. Thereby it adds new perspectives to the discourse on adequate support for today’s rural youth.
Keywords:
rural space, community studies, socio-spatial youth work, liminal phase of
adolescence, regional village, rural development, regional identity, analysis of social space
1 Eine
Erönung
„[Das] Land ist einfach viel besser!“ (Stefan, 13 Jahre)
Vorbei ist die Zeit der ländlichen Rückständigkeit. Moderne Technologien wie Automobilität und
Telekommunikation verwischen heute die Grenzen zwischen Stadt und Land, zwischen den vermeintlich
fortschrittlichen Zentren und der „hinterländlichen“ Peripherie. Je nach Lage, Geschichte und Einwohnerschaft
nehmen Dörfer heute verschiedenartige Formen an, ebenso wie die Lebenswelten jener Jugend, die in
diesen neuartigen Sozialräumen aufwächst. Ein Beispiel für die Vermischung von urbanen und ländlichen
Einüssen ist die niederösterreichische Gemeinde Pernitz. Diese Ortschaft wurde im Zuge der Masterarbeit
Aufwachsen in Pernitz – ein sozialräumlicher Blick (2021) mittels einer qualitativen Sozialforschung untersucht.
Ziel der Forschungsarbeit war es, ein Verständnis für den Sozialraum ebenso zu entwickeln wie für die
Lebenswelten der jungen Menschen, die darin aufwachsen: Was bedeutet es, in Pernitz aufzuwachsen?
Welche Zukunftsperspektiven enthält dieser Sozialraum?
Mittels Sozialraumbegehungen, ExpertInneninterviews und Gruppendiskussionen sowie weiterer
Methoden und Analysen wurde über sechs Monate diesen oenen Forschungsfragen nachgegangen.
Dabei wurden einerseits die sozialräumlichen Verortungen jugendlicher Identitäten sichtbar gemacht und
herausgearbeitet, wo sich junge Menschen in Pernitz aufhalten und welche Räume für ihre jugendlichen
Identitäten Bedeutung haben. Auf der anderen Seite erönete die Forschung Ausblicke, wie eine zukünftige
Jugendarbeit am Land gestaltet werden sollte, um den aktuellen Herausforderungen gerecht zu werden und
vorhandene Potentiale der Jugend zu unterstützen. Im Folgenden werden die Ergebnisse meiner Forschung
dargestellt. Dafür gebe ich zuerst Einblicke in die Gemeinde, um ein Gefühl für den sozialräumlichen Kontext
zu vermitteln. Am Beispiel Pernitz werden daraufhin die Lebenswelten einer gegenwärtigen Landjugend
charakterisiert, die von modernen Entwicklungen geprägt ist. Indem anschließend die Adoleszenz als eine
Übergangsphase beschrieben wird, in der sich jugendliche Identitäten vom Kindsein zum Erwachsenen
transformieren, önen sich Perspektiven, die zum Abschluss für eine zukünftige Jugendarbeit am Land
fruchtbar gemacht werden.
2
Der Sozialraum Pernitz
Um ein Verständnis für die niederösterreichische Gemeinde zu gewinnen, führte ich über sechs
Monate eine mehrdimensionale Sozialraumanalyse durch. Vor allem die geschichtliche
Auseinandersetzung erönete mir dabei Einblicke in die gegenwärtige sozialräumliche
Beschaenheit des Ortes. Während die Binnenmodernisierung einiger ländlicher Regionen erst in den letzten
Jahrzehnten vorangetrieben wurde (vgl. Herrenknecht 2009: 94; vgl. May 2011: 17), transformieren städtische
Einüsse Pernitz bereits seit 1800. War die Ortschaft zuvor noch eine auf Forstwirtschaft und Viehzucht ausgelegte
Landgemeinde, wurde sie nun durch eine verkehrstechnische Anbindung an Wiener Neustadt und Wien für
industrielle Entwicklungen interessant (vgl. Nee 2021: 15f.). Die Piesting, die schon zuvor für Wasserkraft genutzt
wurde, zog die Ortmanner Textilwerke an, welche sich in der anliegenden Ortschaft Neusiedl niederließen.
Industrielle und wirtschaftliche Entwicklung waren die Folge. Die früheren Arbeitsformen der BewohnerInnen
wurden durch Schicht- und Fabrikarbeit ergänzt und ersetzt, zahlreiche Arbeitskräfte immigrierten aus der
heutigen Slowakei und es entstand, mitten im ländlichen Raum, eine ArbeiterInnenkultur – ein „Industrievolk
am Lande“ (Ast 1992: 3). Dabei ging von der jüdischen Besitzerfamilie der Textilwerke ein besonderes
sozialpolitisches Engagement aus, welches das döriche Sozialleben entscheidend prägte. Neben
günstigen Arbeiterwohnungen und kostenfreier Kinderbetreuung durch die Fabrikleitung organisierte sich
die Arbeiterschaft in Sport- und Kunstvereinen ebenso wie in Lebensmittelkooperativen (vgl. ebd.: 318.).
Diese sozialdemokratische Haltung ist auch heute noch, wie in vielen Erzählungen spürbar wird, Teil des
Selbstverständnisses vieler PernitzerInnen.
Die topographischen Gegebenheiten der Gemeinde bedingen, zusammen mit ihrer geo-
graphischen Nähe zum Ballungsraum Wiener Neustadt bzw. Wien, also ganz spezielle historische
Entwicklungen, durch welche Pernitz heute für die 2.500 EinwohnerInnen eine vergleichsweise
überdimensionale Infrastruktur aufweist. Neben Post, Polizei, Apotheke, zwei Banken und Traken,
neben einer Volks-, Sonder- und Neuen Mittelschule, ärztlicher Versorgung, einer Kirche und einer
Moschee gibt es in der Ortschaft vier Supermärkte sowie zahlreiche kleinere Einkaufsgeschäfte.
Dadurch stellt Pernitz seit geraumer Zeit einen wichtigen Bezugspunkt für die etwa 10.000
Menschen der umliegenden Gemeinden dar. Trotz der geringen Größe sowie der peripheren Lage am Ende
des Oberen Piestingtales werden in Pernitz somit urbane Einüsse sichtbar, weshalb es als ein ländliches
Zentrum in der Peripherie bezeichnet werden kann.
Um einen derartigen dörichen Sozialraum zu erfassen, in dem sich ländliche mit urbanen
Entwicklungsmustern überschneiden, ist das Konzept des regionalen Dorfes hilfreich. Albert
Herrenknecht beschreibt das regionale Dorf als eine besondere sozialräumliche Konguration,
die durch die Modernisierung bzw. Transformation des dörichen Lebens vielerorts im Entstehen
begrien ist (vgl. Herrenknecht 2000: 93f.). War das Dorf früher eine Form der (Arbeits-
Gemeinschaft, führen heute die (Auto-)Mobilität sowie die Veränderungen in der Arbeitswelt zu einem
Rückgang dieses geteilten Sozialraumes. In Pernitz bewirkte etwa die zunehmende Automatisierung der
Textilfabrik Ortmann in den letzten Dekaden einen Abbau der Arbeitsplätze um 70% (vgl. Ast 1992: 325). Die
Folge ist, dass wie in anderen regionalen Dörfern auch in Pernitz das arbeitsbedingte Pendeln zum Alltag
vieler Menschen gehört. Dies fördert eine Art der „Ent-dörichung“, d.h. den Bedeutungsverlust des Dorfes
für das Leben der EinwohnerInnen (vgl. Herrenknecht 2009: 96). Aufgrund verschiedenartiger Arbeitsformen
und Mobilitäten existieren daher heute in ein und demselben Dorf ganz unterschiedliche Lebensrealitäten:
„Das heutige ‚regionale Dorf‘ ist eine Dorfgesellschaft unterschiedlicher Lebensstile und Kulturkreise
geworden, die in sozialer Konkurrenz neben- und gegeneinander herleben.“ (Herrenknecht 2000: 49)
Diese Heterogenität bzw. Gleichzeitigkeit verschiedener Lebensformen wurde mir auch bei
sozialräumlichen Begehungen von Pernitz bewusst. Alte Sägewerke und Weideächen benden sich
unmittelbar neben einer modernen Busstation sowie einer Ladestation für Elektroautos; neben dem Pfarramt,
dem ältesten Gebäude des Dorfes, steht ein riesiger neuer Supermarkt; angrenzend an Einfamilienhäuser
mit umzäunten Gärten benden sich Kleinsiedlungen, die an städtische Gemeindebauten erinnern. Da dem
Straßendorf Pernitz darüber hinaus ein wirklicher Dorfkern bzw. -platz fehlt, an dem sich die EinwohnerInnen
begegnen können, stellte sich im Zuge meiner Forschung schließlich die Frage, ob bei dieser lokalen
Heterogenität überhaupt noch von einer (Dorf-)Gemeinschaft gesprochen werden kann – oder ob es sich,
wie Herrenknecht beschreibt, lediglich um nebeneinanderher lebende „Kulturkreise“ handelt. Inwieweit
identizieren sich EinwohnerInnen noch mit dem Sozialraum ihrer Gemeinde, der nach Außen einerseits als
Industrie- und Wirtschaftszentrum der Umgebung dargestellt und andererseits als „Perle“ des idyllischen
Piestingtales vermarktet wird?
3
Die moderne Landjugend im Piestingtal
Um die Lebenswelten der Jugend zu verstehen, kamen im Laufe der Forschung verschiedene qualitative
Methoden zum Einsatz. Neben ExpertInneninterviews mit SozialarbeiterInnen, politischen Akteuren und
LehrerInnen führte ich mit den Jugendlichen Gruppendiskussionen, die teilweise durch Methoden der
Autofotograe oder subjektive Landkarten angeregt wurden. Auf diese Weise bekam ich einen Eindruck
davon, was es heutzutage bedeutet, in Pernitz aufzuwachsen. Dabei fanden sich eine Vielfalt jener
Kennzeichen, die auch Herrenknecht der „modernen Landjugend“ eines regionalen Dorfes zuschreibt.
Besonders die Heterogenität der jugendlichen Lebenswelten, die Herrenknecht als „breite sozio-kulturelle
Ausdierenzierung innerhalb der ländlichen Jugend“ (Herrenknecht 2009: 96) bezeichnet, trat eindrücklich
hervor. Für den 13-jährigen Stefan bietet Pernitz beispielsweise alles, was er in seinem Leben braucht.
In seiner Freizeit ist er mit seinem Fahrrad unterwegs, er spielt Schlagzeug, Klavier, Tennis und geht mit
seinen Eltern Skifahren. Laut seinen Aussagen kann man am Land, verglichen mit der dicht besiedelten
Stadt, viel mehr machen: „[Das] Land ist einfach viel besser!“ (Nee 2021: 97) Auch den beiden 15-jährigen
Gregor und Andreas fehlt es in Pernitz an nichts. Sie beide spielen im Fußballverein und wissen bereits,
wo sie nach der Neuen Mittelschule ihre Lehre machen wollen. Neben einem hohen Anteil zufriedener und
angepasster Jugendlicher zeigen sich im Laufe der Forschung jedoch auch andere Stimmen. Es sind jene
Jugendlichen, für die die vorgefundenen (Vereins-)Angebote und lokalen (Beschäftigungs-)Möglichkeiten
keinen Anschluss bieten. So fragt etwa die 15-jährige Aliya in einem Gruppengespräch: „Was machen wir,
die nicht Fußballspielen?“ (ebd.: 98)
Je nach soziokulturellem und familiärem Hintergrund erfahren die Heranwachsenden ein und
denselben Sozialraum auf vollkommen unterschiedliche Weise. Der Bezug zu Pernitz und der Umgebung
variiert ebenso stark wie die individuellen Lebensweisen der Jugendlichen. Ihre Identitäten verorten sie
dementsprechend in verschiedenen Räumen. Einige von ihnen treen sich häug am Funpark in Neusiedl,
einer Ortschaft die unmittelbar an Pernitz angrenzt. Dort gibt es die Möglichkeit zu skaten, Fuß-, Basket-
und Beachvolleyball zu spielen, BMX zu fahren und einen großen Kinderspielplatz zu nutzen. Nachdem es
in Pernitz selbst keinerlei Angebote für Jugendliche gibt, besuchen sie neben dem „Skaterplatz“ auch das
Freibad bzw. den Fußball- und Tennisplatz, die ebenfalls in Neusiedl liegen. Sprechen diese Sozialräume
aus unterschiedlichen Gründen die jungen Menschen nicht an, halten sie sich vorzugsweise Zuhause auf,
vor allem in ihrem eigenen Zimmer. Diese Tendenz, die Herrenknecht bei der modernen Landkindheit als
„Raum-Privatisierung“ oder „Verhäuslichung“ (Herrenknecht 2009: 95) beschreibt und die Individualisierung
der Dorfjugend weiter verstärkt, trat auch in meiner Forschung deutlich hervor. Fühlen sich junge Menschen
in den vorhandenen Sozialräumen nicht wohl, weil sie sich weder mit den dort möglichen Tätigkeiten
identizieren noch sozial zugehörig fühlen, ziehen sie sich ins Private zurück – es sei denn, auch das eigene
Zuhause stellt aufgrund der familiären Situation keinen passenden Rückzugsort dar, wie etwa bei dem
15-jährigen Manuel: „Also ich bin wirklich lieber draußen als Zuhause.“ (Nee 2021: 85)
Manuel ist ähnlich wie andere Pernitzer Jugendliche ständig unterwegs, sei es nun zu Fuß, mit dem
Fahrrad, Moped oder Zug. Denn, so beschreibt auch Herrenknecht, die heutige Landjugend weist einen
hohen Grad an Mobilität auf. Jugendliche, die sich weder in den „zonierten Spielräumen“ (Herrenknecht 2009:
95) des Dorfes aufhalten, wie etwa Skater-, Fußball- oder Tennisplatz, noch Zuhause sein wollen, nutzen
wie Manuel und seine Freunde den öentlichen Raum, wie etwa die Sitzgelegenheiten am lokalen Bahnhof.
Verhalten sie sich an diesen öentlichen Orten unangebracht, sind sie zu laut oder fallen sie unangenehm
auf, werden sie von AnwohnerInnen oder PassantInnen vertrieben. Dann erönen die topographischen
Gegebenheiten der Gemeinde den Jugendlichen noch eine letzte Möglichkeit des Rückzugs, nämlich die
umliegende Waldlandschaft. Während der Wald so vor allem als Rückzugsort wahrgenommen oder als
sozialer Trepunkt genutzt wird, fehlt bei beinahe allen jungen Menschen, die ich interviewte, der Bezug
zum Wald als Naturraum, also zu der lokalen Panzen-, Insekten- und Tierwelt. Diesen Verlust einer früheren
Verbundenheit des ländlichen Lebens mit den umliegenden Naturräumen bezeichnet Herrenknecht als „Ent-
Ländlichung“ der modernen Landkindheit (vgl. ebd.). Auf die Spitze treibt es die Aussage der 13-jährigen
Elisabeth: „Ich mag keinen Wald. Da sind viele Insekten.“ (Nee 2021: 83)
Stattdessen ist Elisabeth nach der Schule meistens Zuhause und laut eigener Aussage eigentlich
immer an ihrem Handy. Sie benutzt regelmäßig elf verschiedene Applikationen, um Bilder, Videos, Bücher
oder Musik zu konsumieren. Smartphones, über die ständig das Internet und soziale Medien verfügbar sind,
verstärken in den letzten Jahren die „Medialisierung der Jugendkulturen“ am Land (vgl. Herrenknecht 2009:
96). Ohne zeitliche Verzögerungen hat die moderne Dorfjugend heutzutage uneingeschränkten Zugang zu
medialen Inhalten aus der ganzen Welt. In den sechziger Jahren, so erklärt mir der 75-jährige Hermann in einem
Gespräch, kamen über das Radio und Fernsehen erstmals soziokulturelle Einüsse aus Amerika ins Obere
Piestingtal. Lange Haare, Jeans, Rock’n’Roll und ein Kino führten dabei zu starken Auseinandersetzungen
mit der älteren Generation (vgl. Nee 2021: 46). Heute nden globale Trends und kulturelle Einüsse über
das Internet aus der ganzen Welt nach Pernitz, und das ununterbrochen. 13-jährige Jugendliche hören
koreanische Pop-Musik, schauen Anime-Filme und sind am letzten Stand der Sex/Gender-Debatte, mit
Selbstbeschreibungen als bi-, pansexuell oder Demi-Girl. Vorbei ist die Zeit der ländlichen Rückständigkeit
(vgl. ebd.: 93f.).
Die moderne Landjugend ist aufgrund der technologischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte
der Stadtjugend gleichgezogen. Die vielfältigen soziokulturellen Identitätsangebote durch neue Medien
verstärken die Heterogenität der Dorfjugend, wodurch die Segmentierung eines gemeinsam erfahrenen
Sozialraums ebenso zunimmt wie Individualisierung und Vereinzelung (vgl. Herrenknecht 2009: 96f.). Durch
Internet und Smartphone beschränkt sich die Raumwahrnehmung der Dorfjugend nicht mehr auf den
physischen Raum der Gemeinde. Die jungen Menschen sind über neue Medien mit transregionalen oder
globalen Trends unmittelbar verschränkt, ihre lokale Lebenswelt wird fortlaufend von virtuellen Räumen
beeinusst, zu denen die Erwachsenen oft keinen Bezug haben. Dadurch, so schildern mir alle erwachsenen
InterviewpartnerInnen, geht das Verständnis zwischen Jung und Alt im Dorf zunehmend verloren.
Neben dem Unterwegssein in virtuellen Welten und auf sozialen Plattformen weist die Jugend am
Land heutzutage eine hohe Mobilität im physischen Raum auf. Selbstverständlich bewegen sie sich in ihrem
Alltag über Gemeindegrenzen hinweg. Verstreute Familien und Freundeskreise lassen junge Menschen
ebenso mobil werden wie entfernte Konsumangebote. Der 13-jährige Patrick, der leidenschaftlich mit dem
Downhill-Fahrrad unterwegs ist, zeichnet auf seiner subjektiven Landkarte ganze vierzig Orte ein, die in
seinem Leben von Bedeutung sind. Neben Einkaufsmöglichkeiten in Wiener Neustadt oder Wien sind es
unzählige Standorte im Piestingtal, die er aus unterschiedlichen Gründen regelmäßig aufsucht (vgl. Nee
2021: 91). Aufgrund der guten Zugverbindung, der Eigenmobilität mit Fahrrad bzw. Moped sowie aufgrund der
hohen Automobilität der Eltern weisen einige der Pernitzer Jugendlichen eine Art Regionalorientierung auf.
Nicht mehr das Dorf oder die Gemeinde, sondern die umliegende Region sind dann für ihre sozialräumliche
Identität von Bedeutung (vgl. Böhnisch/Funk 1989: 173). Ob diese regionale Mobilität durch das moderne
Mobilitätsangebot oder den Mangel an lokalem Angebot für Pernitzer Jugendliche gesteigert wurde, ist
schwierig zu beantworten. Der Sozialraum der eigenen Gemeinde verliert jedenfalls an Bedeutung. Und es
entwickelt sich eine neue regionale Lebensweise, für die es keine dörichen Traditionen gibt (vgl. ebd.).
Die technologischen Möglichkeiten durch Internet und Smartphone sowie die erhöhte Mobilität
lassen bei den Jugendlichen von Pernitz jedenfalls ein Selbstbewusstsein spürbar werden, welches weit
entfernt ist vom Bild der „rückständigen Dorfjugend“. All die Konsum- oder Freizeitangebote der Stadt, sind
sie nun in Wien oder Wiener Neustadt, liegen für die meisten Jugendlichen in Reichweite, wenn sie diese
aufsuchen wollen. Das Großwerden in der Stadt, unter all dem Lärm und den vielen Menschen, ist für die
meisten unvorstellbar. Sie schätzen vielmehr die Ruhe und die Naturnähe, die ihnen ihre eigene Lebenswelt
bietet (vgl. Nee 2021: 97f.). Im Vergleich zu den vorherigen Generationen wachsen die Jugendlichen heute
in Pernitz mit neuartigen Einüssen und unter anderen Rahmenbedingungen auf. Wie und wer sie in ihrer
jugendlichen Identitätsentwicklung begleiten könnte und welche Form diese Unterstützung annehmen
sollte, wird im Folgenden diskutiert.
4
Jugend als Übergangsphase
Für eine lange Zeit der Geschichte nahm sich in Pernitz die Pfarre der lokalen Jugend an. Seit der
Entstehung einer ArbeiterInnenkultur innerhalb der Gemeinde widmete sich neben der katholischen Kirche
auch die sozialistische bzw. sozialdemokratische Gewerkschaft den jungen Menschen vor Ort. So gab es
die Roten Falken, eine Sozialistische Jugend, und bis in die 70er Jahre ein eigenes Gewerkschaftsheim,
welches laut Erzählungen einem heutigen Jugendtre glich (vgl. Nee 2021: 20f.). Doch nachdem für die
Lebenswelten heutiger Pernitzer Jugendlicher weder die Pfarre noch die sozialdemokratische Partei einen
relevanten Bezugspunkt darstellen, führte meine Forschung schließlich zu der Frage, wer sich heute für die
Unterstützung und Begleitung der lokalen Jugend noch verantwortlich fühlt.
Um Antworten auf die Frage nach möglichen VerantwortungsträgerInnen zu nden, ist es aus meiner
Sicht wichtig, sozialanthropologische und sozialräumliche Perspektiven auf die Jugendphase miteinzubinden.
Die Jugend soll hier als eine Übergangsphase begrien werden, in der Kinder ihren Status innerhalb einer
Gemeinschaft verlassen, um in weiterer Folge als vollständiges, d.h. erwachsenes Mitglied wieder darin
aufgenommen zu werden (vgl. Schlegel/Barry 1991: 8). Wie dieser Übergang gestaltet wird, wie lange er
dauert und wer die Jugendlichen durch diesen Zwischenraum begleitet, variiert je nach soziokulturellem
Kontext (vgl. ebd.: 9f.). Während in indigenen Gemeinschaften mehrmonatige Initiationsrituale den Vollzug
dieses Übergangs markieren, benden sich Jugendliche in industrialisierten Regionen über mehrere Jahre
in einer Art Kulturpubertät, die durch Schule und Ausbildung verlängert wird (vgl. Fend 1996 30). Aufgrund
des Bedeutungsverlustes von Übergangsritualen, wie der Firmung, Matura oder Sponsion, ist es schwierig
zu sagen, wann heute die liminale Jugendphase mit der Aufnahme in die Erwachsenenwelt endet.
Jugendliche erleben in dieser Phase ihres Lebens auf körperlicher und psychischer Ebene ebenso
Transformationen wie auf sozialer und kultureller. Ein wesentlicher Anhaltspunkt für die personale und kollektive
Identitätsbildung ist dabei das Bezugssystem Raum (vgl. Lindner 1994: 113). Jene Sozialräume, die sich
Individuen durch ihr Handeln aneignen und die für die jeweiligen Lebenswelten von Bedeutung sind, prägen
die individuelle und kollektive Identität der AkteurInnen. Genau wie Herrenknecht beschreibt, wurde auch in
meiner Forschungsarbeit sichtbar, dass heutzutage der Sozialraum Dorf als Ganzes für jugendliche Identitäten
kaum mehr von Bedeutung ist (vgl. Herrenknecht 2009: 95). Aufgrund ihrer Mobilität und den neuen Medien
identizieren sich Pernitzer Jugendliche weniger mit ihrer Gemeinde als mit einzelnen Funktionsräumen
(z.B. Skater- oder Fußballplatz), der umliegenden Region oder virtuellen Räumen von Computerspielen
oder sozialen Plattformen. Der Einuss dieser vielfältigen und diversen soziokulturellen Räume führt bei
der heutigen Jugend zu einer „inneren Persönlichkeitsmultiplizierung“ (ebd.: 98). In einer global vernetzten
und hochmobilen Welt stehen junge Menschen vor der Herausforderung, diese unterschiedlichen und
teils widersprüchlichen Identitätsangebote in Einklang zu bringen. So muss beispielsweise die 13-jährige
Lacy ihr uides Verständnis von Gender und Sexualität mit lokalen Denkweisen anderer SchülerInnen und
Familienmitglieder alltäglich ausverhandeln (vgl. Nee 2021: 94f.). Diese Multiplizierung sozialräumlicher
Bezüge durch Mobilität und Internet stellt eine besondere Herausforderung für die moderne (Land-)Jugend
dar.
Versteht man die Jugend als eine identitätsprägende Übergangsphase, benden sich Jugendliche aus
sozialräumlicher Sicht in einer Art third space, in einem Zwischenraum zwischen Kind- und Erwachsensein.
Um diese vulnerable Transition von kindlicher zu erwachsener Identität zu vollziehen, braucht es aus meiner
Sicht Unterstützung durch bereits erwachsene Bezugspersonen. Nachdem die Jugend das Ende der Kindheit
und somit eine erste Loslösung von der eigenen Familie bedeutet, können die eigenen Eltern nur bedingt diese
Funktion übernehmen. Dies wurde im Rahmen der Forschung insofern sichtbar, als sich die Jugendlichen
Rückzugsräume wünschten, in denen sie allein sein können bzw. in Ruhe gelassen werden. Gleichzeitig
suchen sie nach Sozialräumen, in denen sie mit Gleichaltrigen oder älteren Heranwachsenden in Interaktion
treten können, um neue Formen der Zugehörigkeit zu erfahren und ihre soziale Identität zu entwickeln.
Die mehrfache Schilderung von psychischer und körperlicher Gewalt, sowohl in der Schule als auch am
Skaterplatz, zeigte jedoch, dass Heranwachsende Unterstützung im Umgang mit ihren oftmals heftigen
Emotionen brauchen, um für alle Beteiligten sichere Räume der Identitätsbildung zu kreieren. Aus diesem
Grund erscheint eine professionelle Betreuung dieser Jugendräume als sinnvoll. Zuletzt trat in der Forschung
das jugendliche Bedürfnis nach kreativem Ausdruck und der Erfahrung von Selbstwirksamkeit hervor (vgl.
Nee 2021: 111). Das freie Bemalen von Wänden, das Ausprobieren unterschiedlicher Kleidungsstile sowie
das Weiterentwickeln sportlicher Fähigkeiten, sei es nun beim Computerspielen, Skaten oder Fußballspielen
– all dies zeigte, wie sich junge Menschen in Pernitz selbst entfalten möchten. Der Sozialraum Schule schien
für dieses Bedürfnis nach kreativem Ausdruck keinen Raum zu bieten. Beinahe alle der dreißig befragten
Kinder und Jugendlichen empnden die Schule als eine belastende Verpichtung, als ein notwendiges Übel
für ihren weiteren Werdegang.
Um die jugendlichen Bedürfnisse nach Rückzug, Zugehörigkeit und Selbstwirksamkeit zu erfüllen,
braucht es auf der einen Seite Sozialräume, d.h. Räumlichkeiten, in denen die Jugend sich zurückziehen,
zusammenkommen und frei ausdrücken kann. Gleichzeitig bedarf es einer professionellen Begleitung auf
emotionaler und sozialer Ebene, um die Entwicklung der Identitäten in der jugendlichen Übergangsphase
adäquat zu begleiten. Der Kernfamilie, der primären Organisationsform in Pernitz, ist es in dem jugendlichen
Loslösungsprozess nur bedingt möglich, die Heranwachsenden zu unterstützen. Das lokale Vereinsangebot
erreicht aufgrund der neuen soziokulturellen Einüsse nur mehr einen Teil der Jugendlichen. Politische
Parteien scheinen ebenso wenig wie die Pfarre einen Zugang zu den Jugendlichen zu nden. Zumindest
in sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzungen ist diesbezüglich klar, „dass sich das gesamte
Gemeinwesen mit den lebensweltlichen Phänomenen der enttraditionalisierten und sich neu orientierenden
Jugendlichen auseinandersetzen sollte“ (Binder/Rieder 2012: 347). Die Jugend betrit das gesamte
Gemeinwesen. Sie ist ihre eigene Zukunft. Nur geeignete sozialräumliche Rahmenbedingungen werden
es schaen, der Abwanderung entgegenzuwirken und der modernen Landjugend zu ermöglichen, trotz
neuartigen Herausforderungen ihre Potenziale zu entfalten.
5
Drei Ebenen einer neuen Jugendarbeit am Land
Das Leben im Dorf ging früher aufgrund der eingeschränkten Mobilität und homogener soziokultureller
Einüsse bei den BewohnerInnen mit einer geteilten Erfahrung des lokalen Sozialraums und damit einer
gemeinsamen sozialräumlichen Identität einher. Diese Interdependenz von Raum und kollektiver Identität
(vgl. Bormann 2001: 289) hat sich aufgrund der Automobilität und dem Internet transformiert, sodass die
sozialräumlichen Identitäten innerhalb eines regionalen Dorfes wie Pernitz fragmentierter und vielfältiger
erscheinen. Die Folge ist der Verlust einer (Dorf-)Gemeinschaft, mit der sich junge Menschen abseits
ihrer (Kern-)Familie identizieren können. Fehlt Jugendlichen aufgrund ihrer familiären Situation oder ihrer
andersartigen Interessen der Bezug zu dem Sozialraum Pernitz, entfernen sie sich nach und nach aus der
Gemeinde, sei es nun durch die Flucht in Rauschmittel, virtuelle Welten oder durch den Wegzug aus dem
Tal selbst (vgl. Nee 2021: 103f.). Durch das Abhandenkommen der (Dorf-)Gemeinschaft fehlt in Pernitz
gleichzeitig ein gemeinsamer Sozialraum von Erwachsenen, die Heranwachsenden als lokale Vorbilder
dienen und sie nach Abschluss der Jugend als vollständige Mitglieder in der Gemeinschaft anerkennen.
Um jugendlichen Identitäten in Pernitz also einen Bezug zu ihrem eigenen lokalen Sozialraum anbieten
zu können, bedarf es aus meiner Sicht in einem regionalen Dorf wie Pernitz einer Art Gemeinwesenarbeit.
Indem Räume geschaen werden, in denen sich die verschiedenen Kulturkreise von Pernitz begegnen und
austauschen können, soll mit sozialarbeiterischer Unterstützung das lokale Gemeinschaftsgefühl gefördert
werden. Dadurch soll es möglich werden, die Verantwortung für die Jugend, d.h. für die Zukunft der eigenen
Gemeinde, kollektiv zu übernehmen. Eine Kombination aus freiwilligem Engagement von EinwohnerInnen
und einer professionellen Koordination sowie Moderation scheint dabei ideal, um sich als Gemeinwesen der
Aufgabe ländlicher Jugendarbeit anzunehmen. Neben der aktiven Stärkung der Dorfgemeinschaft sollen auch
Austauschräume zwischen Jung und Alt kreiert werden, um ein Verständnis zwischen den unterschiedlichen
Lebenswelten zu fördern.
In einem regionalen Dorf wie Pernitz, in dem Individualisierung, Raum-Privatisierung und
Verhäuslichung zunehmend den gemeinsamen Sozialraum des Dorfes auftrennen, braucht es oene Räume,
in denen unterschiedliche junge Menschen wieder zusammenkommen können. Besonders jene, die aufgrund
ihrer Andersartigkeit bereits in der Schule oder am Skaterplatz als AußenseiterInnen gelten, benötigen
Angebote und Zuwendung, um in der Gemeinde soziale Zugehörigkeit zu erfahren. Damit sich jugendliche
Identitäten in diesen Jugendräumen auf eine geschützte Art und Weise ausprobieren und entfalten können,
ist eine professionelle Begleitung notwendig, welche die sozialen und emotionalen Dynamiken zwischen
den Jugendlichen bei Bedarf unterstützt. Nur so wird sichergestellt, dass exkludierende Mechanismen wie
psychische Gewalt oder Mobbing sozial schwächere Jugendliche nicht weiter in die Isolation führen. Derartige
geschützte Freiräume bieten schließlich die Möglichkeit, sich ohne Anforderungen kreativ auszuprobieren
und zu entfalten. So wirken sie als lokale Identitätsangebote, die jungen Menschen dabei helfen, wieder
einen persönlichen Bezug zu dem Sozialraum Pernitz aufzubauen.
Neben einer Form von Gemeinwesenarbeit, Jugendräumen und einer professionellen Begleitung wurde
im Zuge der Forschung deutlich, dass eine neue Jugendarbeit am Land darüber hinaus noch Engagement
auf einer weiteren Ebene bedarf, und zwar aufgrund der hohen Mobilität der heutigen Landjugend sowie
der unzähligen soziokulturellen Angebote im Internet. Die heutige Jugend bewegt sich vielfach über die
eigenen Gemeindegrenzen hinaus. Ihre sozialräumliche Identität orientiert sich stark an der umliegenden
Region. Darüber hinaus benden sich Gemeinden bzw. ganze Regionen aufgrund der neuen Medien und
der globalen Vernetzung von Bildern und Waren in einem internationalen Standortwettbewerb. Wo es die
mobile Jugend also in weiterer Folge hinzieht, hängt sowohl von dem wirtschaftlichen als auch von dem
soziokulturellen Angebot der jeweiligen Standorte ab. Aus diesem Grund erscheint es mir wesentlich, nicht
nur auf der Ebene der Gemeinde attraktive Rahmenbedingungen für junge Menschen zu kreieren, sondern
ebenso auf regionaler Ebene. Durch die Kooperation von Gemeinden bei der Entwicklung wirtschaftlicher
und soziokultureller Angebote soll ein Regionalbewusstsein erzeugt werden, eine attraktive regionale
Erzählung, die den ohnehin regional orientierten Jugendlichen zur Identizierung dient. So kann sich die
Region zu einem Raum der sozialräumlichen Zugehörigkeit verwandeln, der jungen Menschen Sicherheit und
Bedeutung in ihrem Leben gibt – zwei Aspekte, welche in der Moderne zunehmend verloren gegangen sind.
Auf diese Weise vermag es eine gemeinsame Regionalentwicklung, die Potentiale der heutigen Landjugend
zur Entfaltung zu bringen.
6
Fazit
Über die sozialräumliche Forschung wurden Einblicke in das Leben der heutigen Landjugend gewonnen.
Gleich wie in anderen Gemeinden vermischen sich in dem regionalen Dorf Pernitz lokale mit urbanen und
globalen Einüssen. Die daraus resultierende Heterogenität der Lebenswelten spiegelt sich auch bei den
Jugendlichen wider, die beim Aufwachsen denselben Sozialraum auf ganz unterschiedliche Weise erfahren.
Während das Dorf für die einen alles zu bieten scheint, fehlt es anderen wiederum an Räumen, Angeboten
und Möglichkeiten zur Entfaltung. Um diese Jugendlichen zu unterstützen, wurden bereits im Laufe der
Forschung leerstehende Räumlichkeiten der Gemeinde als Jugendraum umgenutzt, unterstützt durch das
freiwillige Engagement einzelner AkteurInnen.
Obwohl die Pernitzer Jugend von diversen Lebenswelten geprägt ist, mangelt es bei den meisten
– so die Folgerungen der Masterarbeit – an einem sozialräumlichen Bezug zum eigenen Dorf. Grund
dafür ist die Abwesenheit einer unterstützenden Dorfgemeinschaft, die den Jugendlichen während ihrer
Entwicklung als Anhalts- und Orientierungspunkt dient. Gleichzeitig fehlt der mobilen Jugend ein regionales
Identitätsangebot, in dem ihre modernen Lebenswelten aufgehoben werden können.
Die Ergebnisse der Masterarbeit Aufwachsen in Pernitz sollen nun in der Gemeinde präsentiert
werden. Auf diese Weise soll einerseits ein Bewusstsein über die Situation der heutigen Jugend geschaen
und andererseits eine Diskussion über die eigene Dorfgemeinschaft angeregt werden. Erwächst in der
Gemeinde daraus die Bereitschaft, die eigene Jugend sowohl nanziell als auch mit Freiwilligenarbeit zu
unterstützen, wird es aus meiner Sicht möglich, mittels sozialräumlicher Jugendarbeit, Gemeinwesenarbeit
und Regionalentwicklung den ländlichen Sozialraum weiterzuentwickeln – durch die Kraft und Visionen der
eigenen Jugend, ganz im Zeichen der Zeit. Vorbei ist die Zeit ländlicher Rückständigkeit. Hier draußen
wartet die Zukunft.
Literaturverzeichnis
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Über den Autor
Nikolaus Nee, BA BA MA
nikinee@hotmail.com
Studierte im Bachelor Philosophie und Kultur- und Sozialanthropologie, Sozialraumorientierte
Soziale Arbeit im Master. Derzeit selbstständig tätig als Erzählkünstler sowie Kinder- und Jugendarbeiter,
Obmann des Dorferneuerungsvereins Pernitz, Projektleiter des Begegnungsraums Bach4 in Pernitz,
Mitbegründer des Gemeinschaftsprojekts „Am Wolfskogel“.