soziales_kapitalSabine Maria Scharf-Buchner.„Who cares?“Sorgetätigkeiten in ländlich peripheren Räumen.” soziales_kapital, no. 26 (2022). Rubrik „Junge Wissenscha“. Wien. Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/view/768/1407.pdf_Soziale Innovation 26. Ausgabe Juni 2022ZusammenfassungDer Beitrag bietet einen Einblick in meine Masterarbeit ‚Who cares?‘ Sorgetätigkeiten in ländlich peripheren Räumen. Eine qualitative Erhebung mit Frauen aus dem nördlichen Waldviertel (2019). In der Arbeit wurden die Lebenswelten von Frauen in ländlichen, von Peripherisierung betroenen Räumen untersucht, deren (Erwerbs-)Biograen von unbezahlten und bezahlten Sorgetätigkeiten geprägt sind. Die Ergebnisse zeigen einerseits, dass geschlechtsspezische Rollenbilder und die damit einhergehende Arbeitsteilung oft unbewusst reproduziert werden. Andererseits verdeutlichen sie die Heterogenität der kollektiven Subjektkategorie Frau in (ländlich peripheren) sozialen Räumen. Diese beruht auf alters- und klassenspezischen Dierenzen, welche die Anerkennungs(spiel)räume von Frauen und schließlich deren Handlungsmacht maßgeblich beeinussen. Ausgehend von den Befunden der Erhebung werden die professionsspezische (politische) Haltung und die damit verbundene Handlungskompetenz einer sozialraumorientierten Sozialen Arbeit innerhalb dieses bisher nur marginal berührten Diskursfelds um Care, Gender und rural geprägte Räume diskutiert.Schlagworte: Care-Arbeit, ländlich-periphere Räume, sozialer Raum und Geschlecht, hermeneutische Inhaltsanalyse, Soziale Arbeit im ländlichen RaumAbstractThe paper provides an overview of my master thesis ‚Who cares?‘ Care Work in remote rural areas. A qualitative survey with women in the northern region of Lower Austria (2019). The thesis examines the living conditions of women in rural areas aected by peripheralization, whose (employment) biographies are shaped by unpaid and paid care activities. On the one hand, the results show that gender-specic role models and the associated division of labor are often reproduced unintentionally. On the other hand, they illustrate the heterogeneity of the collective subject category woman in (rural peripheral) social spaces. This heterogeneity is based on dierences in age and class that signicantly inuence women’s space of recognition and their agency. Based on the ndings of the research, the article discusses the professional (and political) attitude and the related agency of social space-oriented social work in this hitherto little touched discourse on care, gender and rural spaces.Keywords: care work, social space and gender, hermeneutic content analysis, social work in rural areas1 EinleitungSorge- bzw. Care-Tätigkeiten zählen zu jenen Leistungen, die unsere tägliche Reproduktion und unser Dasein erst möglich machen. Sie werden gesellschaftlich und geschlechtsspezisch organisiert, d.h. dass mehrheitlich Frauen in unbezahlten und bezahlten Care-Arbeitsbereichen tätig sind und damit die aktuell vorherrschende kapitalistische Marktökonomie stabilisieren. Gleichsam sind die Betroenen dadurch auch mehrheitlich von einer gleichberechtigten Teilhabe an gesellschaftlichen Ressourcen (Kapital, Mitsprache, Entfaltungsmöglichkeiten etc.) abgeschnitten. Auch Soziale Arbeit ist in ihrer Praxis von sorgenden Tätigkeiten geprägt und einem unterdurchschnittlichen Lohnniveau unterworfen. Eine Zuspitzung weisen diese Umstände in ruralen, von Peripherisierung betroenen Regionen wie beispielsweise jener des nördlichen Waldviertels, auf.In meiner Masterarbeit ‚Who cares?‘ Sorgetätigkeiten in ländlich peripheren Räumen (2019) unternahm ich den Versuch, den hier skizzierten Sachverhalt anhand einer qualitativen Erhebung und hermeneutischen Inhaltsanalyse mit fünf Frauen aus dem nördlichen Waldviertel konkreter zu beleuchten. Zentral war dabei die Frage nach den Auswirkungen der geschlechtsspezischen Arbeitsteilung, mit Fokus auf bezahlte und unbezahlte Care-Arbeit, auf die Lebenssituation von Frauen in ländlich-peripheren Regionen. Daran gekoppelt war die Frage, wie sich eine zeitgemäße sozialraumorientierte Soziale Arbeit im Kontext Care-Arbeit (in peripherisierten ländlichen Räumen) verhalten kann oder muss, wenn sie nicht Gefahr laufen will, mit ihrer eigenen Praxis geschlechtsspezische Ungleichverhältnisse zu reproduzieren und somit aufrechtzuerhalten. Im Folgenden werden die Ergebnisse der Masterarbeit vorgestellt und zu Beginn eine kontextuelle Verortung und Abgrenzung der Konzepte Care, Raum, sozialraumorientierte Soziale Arbeit und Gender unternommen. Dem folgt eine grobe Skizzierung des Forschungszugangs und exemplarische Darstellung der Forschungsergebnisse sowie eine Diskussion der Implikationen für eine sozialraumorientierte Praxis Sozialer Arbeit. 2 Care-Arbeit, feministische Ökonomie und die Rolle des WohlfahrtsstaatsBezahlte und unbezahlte Sorgetätigkeiten oder die Sorge um und für andere werden im deutschsprachigen Kontext zunehmend unter dem englischen Begri Care oder Care-Arbeit thematisiert. Damit werden jene Tätigkeiten beschrieben, die im Kontext der „Umsorgung des Menschen stehen“ (Bleckmann 2016: 4). Dies umfasst Haus- und Familienarbeit für andere als auch für sich selbst, Kindererziehung, Pege von älteren oder kranken Menschen oder, wie die Expertin für die Ökonomie von Care-Arbeit Mascha Madörin (2006: 283) zusammenfasst: „Leben erhaltende lebensnotwendige Tätigkeiten, ohne die Gesellschaften nicht existenzfähig wären und wirtschaftliches Wachstum unmöglich wäre.“ In der Care-Ökonomie, ein in den 1990er Jahren etabliertes Forschungsfeld der feministischen Ökonomie, wird der Frage nachgegangen, wie Care-Arbeit bzw. reproduktive Tätigkeiten – unter der Prämisse einer anhaltenden Frauenunterdrückung – gesellschaftlich und staatlich organisiert sind (vgl. Haug 2013: 90). Ganz zentral ist dabei die Auseinandersetzung mit der Unsichtbarkeit von unbezahlter (Frauen-)Arbeit und der weiblichen Sozialisation, die oftmals dazu führt, dass Frauen viel mehr Arbeit unbezahlt verrichten als Männer (vgl. Madörin 2010: 81). Der Wohlfahrtsstaat basiert überwiegend darauf, dass wesentliche gesellschaftliche Aufgaben der Fürsorge unentgeltlich oder vergleichsweise gering abgegolten werden. Analog zur Funktionsweise des kapitalistischen Systems stützt sich seine innere Logik und sein Funktionieren auf der Annahme, dass die Reproduktion von Leben im Privaten, also außerhalb seines Zuständigkeitsbereiches stattndet. Seit der Industrialisierung wurde Arbeit in einen produktiven und einen reproduktiven Bereich unterteilt. Erstere wird auch Erwerbsarbeit genannt und ist ein zentraler Referenzpunkt des wohlfahrts- oder sozialstaatlichen Handelns. Im wohlfahrtsstaatlichen Regime werden somit die Rollen des erwerbstätigen Allein- und Familienernährers und der fürsorgenden Frau rechtlich vereint und in der sogenannten Versorgungsehe zementiert (vgl. Auth 2009: 216). Für eine sozial und ökologisch nachhaltige Gesellschaftsentwicklung, die ein „Gutes Leben für alle“ (Stichwort: Capability Approach) ins Visier nimmt, spielt eine wohlfahrtsstaatliche Perspektive, die auch eine gerechte Organisation von Gesellschaft und Arbeit als Leitziel betrachtet, eine zentrale Rolle (vgl. Bomert/Landhäußer/Lohner/Stauber 2022: 228).3 „Das tangiert mich nur peripher.“ Rural geprägte Räume am Rande der gesellschaftspolitischen Aufmerksamkeit?In den letzten Jahren zeigt sich eine medial zunehmende Romantisierung des Ländlichen oder des Landlebens, beispielsweise in Spiellmen, Zeitschriften (Landleben), Fernsehsendungen (Servus TV), der Populärmusik (z.B. bei Andreas Gabalier) oder bei sogenannten „Wiesn“-Veranstaltungen im urbanen Raum. Die Inszenierung des Dorebens lässt sich dabei als Ausdruck für die Sehnsucht nach einem ländlichen Idyll verstehen, das es so vermutlich nie gegeben hat, und fernerhin als Reaktion auf eine unübersichtlicher, komplexer und somit entgrenzt wirkende Welt. Dieser Wunschprojektion stehen real und strukturell jedoch andere Tatsachen gegenüber (vgl. Schmitt/Seiser/Oedl-Wieser 2015: 346). Die in vielen Diskursen scheinbar unüberwindbare Gegenüberstellung von Stadt und Land entstand ursprünglich analog zu Ideen von Fortschritt und Evolution im Zuge der Industrialisierung. Ab diesem Zeitpunkt fand ein zunehmender Rückgri auf das Zentrum-Peripherie-Konzept1 statt, das bis ins 20. Jahrhundert als Leitbild zur Analyse gesellschaftlicher Entwicklung dienen sollte (ebd.: 340). Städtische Räume wurden dabei mit Attributen wie Macht, Dynamik, Rationalität und Prosperität verknüpft, während ländliche Regionen mit „Stabilität, Traditionalität, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Rückständigkeit, Religiosität und Naturverbundenheit“ (ebd.) gleichgesetzt wurden. Kluschatzka umschreibt den Peripherisierungsprozess und seine weitreichenden Auswirkungen wie folgt: „Die Peripherie, das sind Orte mit langsam verschwindender Wohnbevölkerung, mit fortschreitender Überalterung, mit langen Wegen zur sozialen, medizinischen, ökonomischen Infrastruktur – Dörfer ohne die Möglichkeit, Güter des täglichen Bedarfs einzukaufen, ohne ein Wirtshaus als Ort der Begegnung und Selbstorganisation. Im Europa des beginnenden 21. Jahrhunderts entstehen zahlreiche periphere Regionen, in denen die Negativspirale der Ausdünnung der Infrastruktur, der Abwanderung von Arbeitsgelegenheiten anhält und sich altbekannte Probleme verschärfen, unter denen vor allem die ökonomisch schwächsten Schichten zu leiden haben.“ (Kluschatzka/Wieland 2009: 9)Schmitt/Seiser/Oedl-Wieser (2015: 347) kritisieren ferner die Dichotomisierung von Stadt und Land. Die im westlichen Denken häug angewandte Bildung von binären Oppositionen, wirke einer dierenzierten Analyse entgegen und ist vor allem der Reproduktion des Grundmusters einer stereotypen Stadt-Land-Hierarchisierung dienlich. Sozialwissenschaftlich quantizierende Untersuchungen sorgen zudem durch ihre Erzeugung von Durchschnittswerten dafür, dass regionsspezische Unterschiede nivelliert werden und somit eine „geringere Passgenauigkeit“ (vgl. ebd.: 337) für die jeweiligen lokalen Lebenswelten gegeben ist. Da aber politische Entscheidungen mehrheitlich auf quantitativen Indikatoren und errechneten Bedarfen basieren, hat dies für viele strukturschwache Regionen weitreichende Konsequenzen (vgl. ebd.). Darüber hinaus laufen viele Entscheidungen auf regionalpolitischer Ebene überwiegend unter dem Prädikat geschlechtsneutral, ohne die noch immer vorherrschenden geschlechtsspezischen Rollenaufteilungen und die damit verbundenen heterogenen Lebenssituationen und Bedarfe im Blick zu haben. Damit korreliert zum einen die Unterrepräsentanz von Frauen in lokalen und regionalen Entscheidungsgremien (vgl. Schmitt/Seiser/Oedl-Wieser 2015: 337). Zum anderen wurden die sogenannte „Krise der Reproduktionsarbeit“ (Gubitzer/Mader 2011: 7) oder Fragen nach der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Reproduktionsarbeit bisher kaum als Probleme in (lokal-)politischen Agenden oder Regionalentwicklungsprogrammen identiziert. Nach wie vor lassen sich hinsichtlich des (Aus-)Bildungsniveaus, der Beschäftigungsmöglichkeiten bzw. -quote sowie der kulturellen und sozialen Versorgungsstrukturen etc. beträchtliche Unterschiede zwischen ruralen und urbanen Räumen konstatieren. Strukturelle Versorgungsasymmetrien in ruralen Gebieten manifestieren sich vor allem für Frauen nachteilig. Dies wiederum resultiert in einer signikant höheren Abwanderungsrate von jungen und gut ausgebildeten Frauen (vgl. Aufhauser/Herzog/Hinterleitner/Oedl-Wieser/Reisinger 2003: 117; Handlbauer 2017). Kessl und Reutlinger (2010: 12) gehen davon aus, dass Raum und Räumlichkeit im Kontext Sozialer Arbeit als „ständig (re)produzierte Gewebe sozialer Praktiken“ zu verstehen sind und verweisen damit auf die Bedeutung von Raum als Sozialraum und die Notwendigkeit, diesen als solchen wahrzunehmen und zu gestalten. Aus Sicht einer lebensweltlich und sozialraumorientierten Sozialen Arbeit erscheint daher die Frage von besonderer Relevanz, welche sozialräumlichen Potenziale allen vermeintlichen regionalen Entwicklungshemmnissen zum Trotz dennoch oder gerade deswegen auszumachen sind. Daran anschließend ist zu fragen, wie sich eine zeitgemäße sozialraumorientierte Soziale Arbeit zum Spannungsfeld von Raum, Arbeit und Gender verhalten kann, soll oder letztlich muss. Dabei bedarf es einer Sozialen Arbeit, die (soziale) Räume nicht nur „auf ihre materiale Qualität (etwa bauliche Strukturen als gegebene Voraussetzungen) oder nur auf ihre uide oder de-materialisierte Qualität reduziert (das Individuum als autonome Entwicklungseinheit)“ (Kessl/Maurer 2019: 165). Ein relationales Verständnis von Räumlichkeit bietet den passenden Anknüpfungspunkt für die Soziale Arbeit, die durch ihr Tun eine wesentliche Akteurin von (reexiver) Raum(re)produktion darstellt (vgl. Kessl/Reutlinger 2019: 335). Gemäß Bourdieu bedeutet der soziale Raum nichts anderes als eine Metapher für die Gesellschaft (vgl. Kühne 2018: 18), deren Konstruktion im Wechselspiel von sozialen Praxen (Habitus) und strukturellen Gegebenheiten (Kapitalsorten) erfolgt und damit maßgeblich über die Art der (sozialen) Raumkonstitution und -nutzung bestimmt ist (vgl. Bourdieu 1983:183–198). Den relevanten Kapitalsorten (ökonomisch, kulturell, sozial) zur Positionierung eines Individuums im sozialen Raum fügt Margareta Steinrücke (2006: 75) die Subjektkategorie Frau hinzu. In ihrer Klassengeschlechtshypothese geht sie davon aus, dass den beiden Ungleichheitskategorien Klasse und Geschlecht eine maßgebliche Bedeutung bei der Verortung von Frauen im sozialen Raum zukommt. Frau-Sein kann gemäß Steinrücke je nach Klassenzugehörigkeit sehr viel Unterschiedliches bedeuten, sodass nicht von einem einheitlichen und gemeinsamen Erfahrungshorizont hinsichtlich der qualitativen und quantitativen Ausprägung von Benachteiligungen – und somit einer gemeinsamen Solidarisierungsbasis – die Rede sein kann (vgl. ebd.). Vor diesem Hintergrund bedürfen weibliche Lebenswelten einer dierenzierten Betrachtung, was letztlich auch die Ausgestaltung und Wahrnehmung von sozialarbeiterischen Angeboten betrit. Beim Blick zurück in die vergleichsweise junge Geschichte sozialraumorientierter Sozialer Arbeit bzw. Gemeinwesenarbeit im ländlichen Raum stößt mensch unweigerlich auf die Eigenständige Regionalentwicklung (ERE). Das in den 1980er Jahren entwickelte gemeinwesenorientierte Konzept war als Stärkung und wichtiger Impuls für strukturschwache, ländliche Regionen gedacht. Verfolgt wurde ein integrativer Ansatz, der nicht nur die ökonomische, sondern auch die soziale, kulturelle und demokratiepolitische Entwicklung im Visier hatte. Aufklärerische Bildungsarbeit und gezielte Projekte zu Erwachsenenbildung, bei denen auch Themen wie Geschlechtergerechtigkeit erstmals Raum bekamen (vgl. Stoik 2013: 77–78), stellten den Ausgangspunkt dieser emanzipatorisch ausgerichteten Regionalentwicklung dar. Mit dem Auslaufen der Finanzierungen auf staatlicher und supranationaler (EU) Ebene, endete dieses Projekt Anfang der 1990er Jahre (vgl. ebd.). Die bei den Projekten gewonnenen Erfahrungen wirkten, zumindest zum Teil, später in Programmen wie der Stadt- und Dorferneuerung NÖ, der Lokalen Agenda 21 (vgl. ebd.) oder in den EU-LEADER-Programmen fort (vgl. Rohrmoser 2018: 1–6). Sozialraumorientierte Soziale Arbeit in ländlich-peripheren Regionen steht aktuell immer noch vor der Herausforderung, trotz Personal- und Ressourcenknappheit und eines überregional ausgerichteten Sozialwesens, ebenso auf partikuläre und lokale Bedarfe in einzelnen Landstrichen bestmöglich einzugehen (vgl. Pantucek 2009: 7). Pantucek (2004) verweist in diesem Zusammenhang auf „die Ökonomie der langen Wege“, die eine ganzheitlichere Herangehensweise, also eine Aktivierung von vorhandenen, nicht-spezialisierten Ressourcen nahelegt. Rural geprägte Räume zeichnen sich durch eine kleinräumigere, engmaschigere und lokal verwaltete politische Organisation aus, die stärker im Alltagsleben präsent ist. So sind der Kontakt zu Bürgermeister:innen und die aktive Unterstützung von Gemeinderät:innen für Professionist:innen unerlässlich. Fürderhin bedeutet dies auch, dass bereits bestehende Ressourcen der zivilgesellschaftlichen Selbstorganisation des Gemeinwesens (Pfarre, Musik- und Sportvereine, Freiwillige Feuerwehr etc.) einbezogen werden müssen. Die sozialräumliche Selbstorganisation stellt einen essenziellen Anknüpfungspunkt dar, der auch einen leichteren Zugang zum Gemeinwesen als in urbanen Räumen bedeuten kann (vgl. ebd.). Gleichzeitig wittert Katrin Pollinger in ruralen sozialräumlichen Prozessen, wie jenem der kommunalen Selbstorganisation, die Gefahr, dass das Gros der unbezahlten Arbeit auf Frauen zurückfällt, weil sie beispielsweise seltener einer Vollerwerbstätigkeit nachgehen und dadurch im lokalen Sozialraum präsenter sind: „Diese Frauen müssen ihre Arbeitskraft ohnedies für viele Aktionen der Dorfgemeinschaft zur Verfügung stellen: für den Verschönerungsverein, das Pfarrcafé, die Seniorenrunden. Eine gute Aufgabenverteilung zwischen allen Beteiligten des Prozesses ist daher besonders angeraten. Das kann nur eine Arbeitsteilung sein, die auch der Verführung standhält, Aufgaben in ‚typisch männlich‘ und ‚klassisch weiblich‘ einzuteilen: Nicht nur Frauen sollten die Protokolle schreiben, und es sollten nicht nur Männer mit Politikerinnen verhandeln.“ (Pollinger 2009: 130) Der bisherige Themenabriss verdeutlicht aufgrund seiner Vielschichtigkeit die Komplexität der Forschungsmaterie. Die folgende schematische Eigendarstellung versteht sich daher als visuelle Unterstützung zum Einstieg in den Forschungskontext. Das Forschungsvorhaben wurde entlang der Analysedimensionen Gender/Raum/Arbeit entwickelt, wobei deren Schnittmengen bzw. reziproke Wirkungen von zentraler Bedeutung waren. Abb. 1: Die drei Analysefelder des Forschungsvorhabens und ihre Schnittmengen(eigene Darstellung).4 Forschungszugang und MethodeDie Forschungshypothese meiner Untersuchung war, dass Frauen in ländlichen, von Peripherisierung betroenen Räumen als zumeist unbezahlt und bezahlt Care-Arbeitende eine mindestens dreifache Benachteiligung entlang der Analysekategorien Raum/Gender/Arbeit erleben: Diese dreifache Peripherisierung ergibt sich aus der Verortung in einer ebenso peripherisierten ruralen Gegend, der Ungleichbehandlung qua Geschlecht in einer binär und heteronormativ ausgerichteten Mehrheitsgesellschaft und schließlich über bezahlte oder unbezahlte Tätigkeit in einem Bereich, der hinsichtlich sozialem Status bzw. Entlohnung peripher angesiedelt ist. Die dreifache Benachteiligung geht mit der Unsichtbarkeit der konkreten Lebenssituationen von Frauen einher, ebenso wie der limitierten politischen Teilhabe und Gestaltungsmacht bezüglich der eigenen Lebensverhältnisse. Daher wurde mit der Arbeit versucht, Frauen mit Hilfe qualitativer Befragungen eine Stimme zu geben und mittels einer hermeneutisch geleiteten Inhaltsanalyse Einsichten in bisher nicht bekannte oder (wenig) beachtete Bedeutungs- und Sinnzusammenhänge zu bieten. Um möglichst lebenswelt- und alltagsnahe Aussagen zu subjektiven Wahrnehmungs-, Bedeutungs-, und Handlungsmustern der Befragten zu erhalten, wurde auf eine hybride Interviewform, bestehend aus leitfadengestützten, biographischen und narrativen Elementen, zurückgegrien. Das für die Auswertung entwickelte schematische Modell (siehe Abb. 1) fungierte als thematischer Bezugsrahmen. Der Zugang zu den Befragten erfolgte mittels Schneeballprinzip (vgl. Zepke 2016: 36). Durch persönliche Beziehungen, aber auch über Vertreter:innen von Vereinen, Sozial- und Bildungseinrichtungen im Untersuchungsraum kam der Kontakt mit potenziellen Gesprächspartnerinnen zustande. Die beruichen Hintergründe der befragten Frauen umfassen die (mobile) Pege, Hauskrankenpege, Tätigkeit im Pegeheim und mobile Frühförderung. Zu unterschiedlich starken Anteilen gehen sie zudem unbezahlten Tätigkeiten im Haushalt, für Kinder und zu pegende Angehörige (Schwiegereltern, Kinder mit Behinderung) und ehrenamtlichem Engagement nach, z.B. in der Kirchengemeinde oder in selbstgegründeten Vereinen, die u.a. regionale Versorgungslücken im sonder- und heilpädagogischen Bereich abdecken.5 Empirische Impressionen – ein exemplarischer Abriss 5.1 Von geschlechtsspezischen AutomatismenGeschlechtsspezische Automatismen zeigen sich in der Geringschätzung des eigenen Tuns, vor allem in Hinblick auf weiblich konnotierte Tätigkeiten, wie das ehrenamtliche Engagement in der Pfarre, Kindererziehung, sowie Haushaltsführung und Kochen. Eine der Interviewpartner:innen spricht beispielsweise von ihren Verpichtungen im Haushalt nur als „das normale Hausfrauending“ (Scharf 2019: 54). Unterstützung für unbezahlte Sorgetätigkeiten wird mehrheitlich bei anderen weiblichen Verwandten oder Bekannten gesucht bzw. deren Hilfe erwartet: bei Müttern (vgl. ebd.: 61), Großmüttern, Schwiegermüttern (vgl. ebd.:78), Schwägerinnen (vgl. ebd.: 79). Damit reproduzieren die Befragten jene Mechanismen, denen sie selbst unterliegen. „Ich bin arbeiten gegangen und die Oma war da. Also die war eigentlich im Kindergarten, die hat ihn vom Kindergarten abgeholt, das war so immer mit der Oma. Die Oma war da schon viel Mamaersatz, muss ich sagen. Rückwirkend betrachtet, das tut mir heute noch weh, die ersten Schritte vom Markus hat meine Mama gesehen.“ (Scharf 2019: 73) Zudem ist eine Verschiebung festzustellen: Zwar sind die Frauen nicht mehr abhängig vom Mann als Alleinernährer, doch sie kümmern sich weiterhin um alle klassischen Sorgetätigkeiten zu Hause bzw. im sozialen Nahbereich und versuchen zudem als Dazu-Verdienerin oder auch vollerwerbstätig das Haushaltseinkommen aufzubessern. Die oftmals zitierte Emanzipation der Frau durch Erwerbstätigkeit avanciert mitunter zum täglichen Spießrutenlauf: „Das war am Anfang schon sehr hektisch, als ich einen 6-Tagesjob gehabt hab. Da bin ich heimgekommen, habe den Opa zu betreuen gehabt, ich meine mein Mann hat eh auch viel gemacht, aber da habe ich viel zum Waschen und viel zum Zusammenräumen gehabt und ja Haus und Garten haben wir auch einen großen, ich meine Garten war dann immer eine Art Ausgleich für mich [...].“ (Scharf 2019: 65)5.2 Von intergenerativen DierenzenDas Unterscheidungsmerkmal spielt Alter eine gewichtige Rolle hinsichtlich der Rollenvorstellungen und -erwartungen. Begonnen bei lokalen Autoritätsguren, wie einem pensionierten Pfarrer, der den angestammten Platz von Frauen zu Hause bei ihren Kindern sieht und ihre Erwerbstätigkeit zudem als unökonomisch erachtet. Der (an)sozialisierten Haltung, „Einem Pfarrer widerspricht man nicht“, konnte eine Befragte auch im fortgeschrittenen Alter nicht entkommen. Die innerliche Verteidigungshaltung ndet keinen Ausdruck im Außen: „[S]o puuh hab ich mir gedacht, was ist das jetzt, ich hab mich irgendwie gar nicht wehren können, weil erstens einmal haben wir gelernt, einem Pfarrer widerspricht man nicht […] ich meine ich hätte dann vielleicht sagen können, ‚Ja aber dann kriege ich wahrscheinlich keine Pension nicht, wenn ich nur daheim Kinder gehabt hätte und die Schwiegereltern betreut hätte‘.“ (Scharf 2019: 66)Im bezahlten Sorgebereich wie der Pege gibt es unterschiedliche Auassungen hinsichtlich der Durchführung. Während jüngere Kolleg:innen darauf pochen, den zeitlichen Rahmen samt Stundensatz strikt einzuhalten, versuchen sich ältere Kolleg:innen ihre Freiräume zu schaen, um der aektiven Beziehungsarbeit mehr Raum zu geben. Teilweise herrscht Erstaunen darüber, dass ein männlicher jüngerer Kollege von der Vorgesetzten zu einem Termin geschickt wird, wo auch er Reinigungsarbeiten durchzuführen hat: „Ich hab das dann irgendwie lernen müssen, dass das Männer heutzutage eh auch können und ich hab ihn dann einmal gefragt: ‚Macht dir das nichts aus, dass du da zusammenräumen musst?‘ Er: ‚Na wieso, das muss ich eh auch zu Hause machen‘.“ (Scharf 2019: 69) Zu beobachten waren auch Konikte zwischen Müttern und Töchtern, beispielsweise wenn nicht mehr selbstverständlich ist, dass die Tochter die Mutter irgendwann pegen wird, oder wenn die Tochter noch mit Ende 30 einen neuen Ausbildungsweg einschlagen möchte. „Meine Mama wäre sofort der Meinung, ich müsste sie pegen. Da sind wir auch schon mal aneinander gekracht, weil ich gesagt habe ‚Mach ich nicht‘. Für sie ist das unvorstellbar, ‚weil das gehört sich so‘.“ (Scharf 2019: 58)5.3 Vom Bedürfnis nach AnerkennungVerinnerlichte geschlechtsspezische Rollenbilder und die damit verbundenen Anerkennungsfelder sind für Frauen prägend und bestimmen maßgeblich, durch welche Tätigkeiten bzw. in welchen Bereichen sie ihren „eigenen Nutzen“ wahrzunehmen vermögen und somit ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und Anerkennung erhalten. In klassisch weiblich konnotierten Bereichen, wie im Ehrenamt der Pfarre oder im sozialen Bereich, fühlen sich die Befragten am ehesten gebraucht und zugehörig. Gleichzeitig besteht die Tendenz einer Relativierung der Bedeutung dieser Aktivitäten, vor allem wenn sie als unbezahlte Tätigkeiten verrichtet werden. Denn Tätigkeiten rund um den Haushalt, die Pege Angehöriger oder die Betreuung von Kindern werden, wenn überhaupt, erst dann als anerkannte Arbeitsfelder wahrgenommen, wenn sie im Kontext der Erwerbsarbeit verrichtet werden: „Ja da [zu Hause, Anm. der Verfasserin] hab ich auch gearbeitet, aber Anerkennung oder so hats ja da nicht gegeben, weil das war selbstverständlich. ‚A wengl wos kanns jo a toan‘, vom Schwiegervater her und der Schwiegermutter.“ (Scharf 2019: 84) Dies führt dazu, dass gewohnte bzw. (an)sozialisierte Rollenerwartungen auch als Orientierung für die Berufswahl wirkmächtig werden. Viele Frauen nden dadurch in Berufsfelder, die bereits davor üblicherweise unbezahlt von Frauen getätigt wurden und daher auch zumeist im niedrigeren Lohnsegment angesiedelt sind. 5.4 Vom anderen Geschlecht: Zwischen Spaltung und Solidarität?Rommelspacher (2005: 104) betont die Heterogenität der Kategorie Frau, da „Frauen eben nicht nur Frauen sind, sondern zugleich jeweils auch einer sozialen Klasse, ethnischen Kollektiven und anderen sozialen Konstellationen angehören“. Sie unterstreicht damit die Tatsache, dass Emanzipationsdiskurse in ihrer Aussagekraft weit über die Auseinandersetzung mit den Geschlechterverhältnissen hinausreichen, da sie gleichzeitig auf andere Machtverhältnisse verweisen. In den Befragungen zeigen sich diese Unterschiede u.a. beim Bildungsstand, den sozio-ökonomischen Möglichkeiten, der nationalen Herkunft und dem Alter. Die beiden befragten Frauen XX und XZ sind miteinander bekannt. Beide haben zahlreiche Aufgaben im unbezahlten und bezahlten Sorgebereich, doch sie sind hinsichtlich ihrer Herkunftsbiographien und der damit verbundenen Ressourcenausstattung (ökonomisches und soziales Kapital) sehr unterschiedlich. Frau XX unterstützt gegen Bezahlung Frau XZ im Haushalt. Erstere ist Mutter von zwei Kindern, verheiratet und war jahrelang nicht erwerbstätig, zweitere ist ebenso Mutter zweier Kinder, geschieden, akademisiert und war jahrelang berufstätig im sozialen Bereich. Frau XZ ist sehr dankbar für die zusätzliche Unterstützung im Haushalt, die ihr auch die Ausübung ihres Berufs als Heilpädagogin erleichtert. Sie beginnt alsbald Frau XX darin zu bestärken, nach mehr zu streben und animiert sie schließlich dazu, eine Ausbildung als Pegeassistentin zu absolvieren: „Karin hat ma geholfen zusammenräumen, wie sie noch bei den Kindern daheim war und ich noch arbeiten gangen bin: ‚du i brauchat irgendjemanden, der mir einmal in der Woche owawoscht, gar net weiß Gott wie oder bügeln oder was weiß ich, sondern die Böden aufwascht‘ und das hat sie mir gemacht und dann hab ich mal gesagt, ‚Karin du kannst mehr‘, und dann hat sie das wirklich gemacht, diese Ausbildung […].“2 (Scharf 2019: 77)Diesem Beispiel der Solidarisierung sei im Folgenden eine Situation gegenübergestellt, die deutlich macht, wie strukturelle Missstände und deren frustrierende Wirkung Spaltungen begünstigen. So berichtet Frau XY über die Herausforderung, der eigenen Mutter ein kompetentes Pegesetting zu ermöglichen. Ausländische Pegekräfte seien zwar leistbar, jedoch schlecht bis gar nicht ausgebildet und könnten kein Deutsch, was eine qualitativ hochwertige Pegebeziehung und einen Austausch mit Angehörigen über wichtige Pegedetails erschweren würde. Frau XY ergänzt diese Eindrücke mit den Erfahrungen aus der eigenen beruichen Tätigkeit in der mobilen Pege, wo oft Pegemängel kompensiert werden müssten. Das Gefühl, von einem staatlich nicht ausreichend geförderten Pegesystem allein gelassen zu werden, entsteht; die Ressourcen, um die eigene Mutter oder die eigenen Klient:innen adäquat zu betreuen, fehlen. Das wiederum ist der Ausgangspunkt für Schuldzuweisungen an Gruppen, die sich in weniger privilegierten Lebensverhältnissen benden. Im konkreten Fall resultiert es im Vorwurf, rumänische 24h-Peger:innen würden die Situation der Österreicher:innen ausnutzen (vgl. Scharf 2019: 77).5.5 Von den Möglichkeiten der SelbstermächtigungTeilhabe an gesellschaftlichen Ressourcen ist eng verknüpft mit der individuellen Ressourcenausstattung. Durch die Art und Weise, wie die Befragten von persönlichen Herausforderungen und der Bewältigung dieser bzw. ihrem Alltag generell berichten, erzählten sie gleichsam von sich selbst und wie sie sich selbst in die Welt stellen bzw. gestellt sehen. Einige der Befragten schreiten aus ihrem Selbstverständnis heraus in schwierigen Situationen zur Tat und fordern beispielsweise nicht existente Betreuungsangebote aktiv ein. Durch ihr Urgieren bei staatlichen Institutionen setzen sie Dinge in Bewegung oder schaen Betreuungsangebote selbst, die es vorher nicht gegeben hat, und die auch eine wichtige Ressource für andere darstellen: „[U]nd da habe ich auch dieses Ausbildungsprojekt gemacht ‚Eltern beraten Eltern‘, was ich dann eh in unserem Verein angeboten habe. Da haben wir eben den Elternerfahrungsaustausch gehabt.“ (Scharf 2019: 87) Anders stellt sich die Situation für Frau XY dar. Sie berichtet von ihrer Unzufriedenheit hinsichtlich der geschlechtsspezischen Arbeitsteilung und ihrem peripheren Platz in der familiären Hierarchie, der sie jedoch nur mit Konformität zu begegnen wusste: „[U]nd das war halt meine Arbeit, da ist nicht darüber geredet worden, das war halt so. Aber das war schon oft ein wenig…, aber das war so. Das war so vorgegeben.“ (Scharf 2019: 68) Bei den befragten Frauen zeigt sich eine Korrelation zwischen dem Ausbildungsgrad und der eigenen Handlungsfähigkeit. Vor allem die Befragten, die ein Studium bzw. eine fachliche Ausbildung abgeschlossen hatten, agierten selbstbestimmter und proaktiver als jene, die dies nicht vorweisen konnten. Ein höherer Bildungsabschluss sowie soziales und kulturelles Kapital unterstützen somit einerseits die eigene Handlungsfähigkeit positiv und beeinussen andererseits die Erwerbsbiograe maßgeblich. Externe Unterstützungssysteme hinsichtlich Kinderbetreuung oder Haushalt werden zum einen bewusster wahrgenommen und sind zum anderen auch nanzierbar(er). Ein selbstbewusster Umgang in Hinblick auf soziale Anerkennungsprozesse wird möglich. 6 Ergebnisse und Implikationen für die Soziale ArbeitDie Interpretation des Materials zeigt, dass die Verinnerlichung und Reproduktion von geschlechtsspezischen Rollenbildern und die damit einhergehende geschlechtsspezische Arbeitsteilung eine starke Wirkmächtigkeit entfalten. Dies zeigt sich in der Selbstverständlichkeit der Zuordnung von bezahlten und unbezahlten Sorgetätigkeiten qua Geschlecht und der damit einhergehenden Hierarchisierung. Die unbewusste Verinnerlichung einer geschlechtsspezischen Arbeitsteilung führt dazu, dass Sorgetätigkeiten nicht nur vom sozialen Umfeld verlangt werden oder aufgrund struktureller Gegebenheiten (Versorgungslage, gesetzliche Bestimmungen, soziale Infrastruktur) den Frauen zufallen. Stattdessen wird diese Arbeitsteilung auch von den Betroenen selbst – aus Unwissenheit, Gewohnheit, ökonomischer Notwendigkeit, schlichtweg Pragmatismus oder, gemäß Fortin (2005: 420), aufgrund des bloßen Willens, hineinzupassen – reproduziert. Die von feministischer Seite geforderte Emanzipation der Frauen durch deren Erwerbstätigkeit nützt vor allem jenen Frauen, deren Lebensverhältnisse den Zukauf von sozialen Dienstleistungen zulassen. Für alle anderen stellt die Erwerbstätigkeit überwiegend ein Mehr an Arbeit dar, die zusätzlich zu den unbezahlten Tätigkeiten verrichtet werden muss. Darüber hinaus lässt sich aus dem Material klar erkennen, dass Anerkennungsprozesse eng verknüpft sind mit der Erfüllung geschlechtsspezischer Erwartungen und Normen. Die Ausübung bezahlter und noch viel mehr unbezahlter Sorgetätigkeiten wird immer noch mit Frauen assoziiert. Die Erfüllung dieser geschlechtsspezischen Rollenvorgabe ist sozial erwünscht und entspricht somit einem unhinterfragten weiblichen Anerkennungsfeld. Aus diesem engen Rollenkorsett auszubrechen, gelingt vor allem jenen Frauen, die über soziales, ökonomisches und kulturelles Kapital (Bildungsgrad, eigenes Frauenbild, Auslagerung von Sorgetätigkeiten an Dritte gegen Bezahlung etc.) verfügen. Die Heterogenität hinsichtlich der Ressourcenausstattung kann in Folge entweder einen Mechanismus der Spaltung oder Solidarität in Gang setzen. An diesem Punkt (und zweifelsohne an vielen weiteren) kann eine reexive sozialraumorientierte Soziale Arbeit ansetzen, „[d]enn nur Soziale Arbeit orientiert grundständig auf die Verknüpfung individueller Bedürfnisse und Lebensbewältigung mit sozialräumlicher Vernetzung und sozialpolitischen Perspektiven“ (Rerrich/Thiessen 2015: 20–22). Weiters plädiert Barbara Thiessen (2015:39) für eine „Entgenderung“ von „(heimlich) weibliche[n] Kulturlandschaften im Feld von Care“, um das Berufsfeld auch für Männer attraktiver zu machen. Gleichzeitig warnt Thiessen davor, diesen Schritt im Sinne eines Post-Gender-Ansatzes zu vollziehen, solange entlang der Geschlechterlinie benachteiligt wird (vgl. ebd.). Ein Versuch, lokale sozialräumliche Ressourcen in rural geprägten Räumen zu aktivieren und somit auf die dringlichen Bedarfe und die Ressourcenknappheit im Kontext Sorge auf lokaler und kommunaler Ebene zu reagieren, stellen beispielsweise Pilotprojekte des Österreichischen Roten Kreuzes in OÖ und NÖ zu sogenannten Caring Communities (vgl. Brückner 2022: 42) dar. Gegen eine sorgende Haltung in lokalen Gemeinden kann wohl kaum Einwand erhoben werden. Jedoch gilt es auch hier, einen genderreexiven Blick auf sozialräumliche Prozesse in lokalen Gemeinden in Punkto Sorgearbeit und deren tendenziell nachteilige Wirkung auf die weiblichen Lebenswelten zu richten (vgl. Pollinger 2009: 130). Seit einigen Jahren existiert, vorerst nur in urbanen Räumen, mit dem Projekt STOP – Stadtteile ohne Partnergewalt eines der wenigen gemeinwesenorientierten Projekte, die das genderspezische Machtgefälle und damit (strukturelle und physische) Gewalt an Frauen professionsspezisch und praktisch explizit zum Thema machen. Ob Projekte dieser Art auch übersetzbar für rural geprägte Regionen sind, müsste eine sozialraumorientierte Untersuchung herausnden. Über diese (lokale) Mikroebene hinaus braucht es jedoch auch Interventionen und Diskurse auf Meso- (organisationaler, institutioneller) und Makroebene (Soziale Arbeit als Profession und Disziplin). Die Dimensionen Geschlecht, Raum und Arbeit müssen auf zeitgemäße und über kapitalistische und heteronormative Prägungen hinausgehende Weise in ihrer Interdependenz betrachtet und kritisch reektiert werden, um letztlich in die weitere Ausgestaltung der Profession einießen können. Christian Spatschek (2012) spricht in diesem Zusammenhang von der „Nutzung der transformatorischen Wirkungen von Institutionen“, die er als Orte zur Realisierung sozialen Wandels beschreibt und die somit auch eine zentrale Bedeutung bei der Veränderung von Geschlechterverhältnissen haben: „Geschlechtergerecht arbeitende Institutionen und Organisationen schaen alltäglich erlebbare Orte der Verhandlung und bieten für möglichst viele Menschen zugängliche Räume zur Diskussion um die Schaung gerechter Zugangs- und Verteilungsregeln […].“ (Spatschek 2012)Dabei stellt sich jedoch die Frage, ob sich Soziale Arbeit aus ihrem professionellen Selbstverständnis heraus in den Diskurs um die Sorge-Praxis und die vielzitierte Care-Krise hineinreklamieren will. Dazu braucht es für Professionist:innen der Sozialen Arbeit einen sicheren, d.h. tariich und gewerkschaftlich langfristig geregelten Rahmen, damit diese Ressourcen für solidarische Kämpfe um Care aufbringen können. Für die konkrete Handlungspraxis könnte dies bedeuten, sich klar gegen neoliberale Tendenzen, die in unterschiedlichen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit in den letzten Jahrzehnten Einzug halten, zu positionieren und eine Adressat:innen-orientierte Beziehungsarbeit (wieder) in den Vordergrund zu stellen: „Für die Disziplin und Profession Soziale Arbeit weisen die Kämpfe um Care auf Veränderungsnotwendigkeiten sowohl auf der Ebene der Handlungskompetenz als auch auf der Ebene von Strukturvoraussetzungen hin, indem sie eine personenbezogene Beziehungsorientierung bestärken und den dazu notwendigen Ausbau institutioneller und nanzieller Rahmungen aufzeigen.“ (Brückner 2022: 40)Das bedeutet zunächst auch, für faire Arbeits- und Gehaltsbedingungen innerhalb des eigenen Professionsfeldes einzutreten und über breitere Allianzen mit anderen Care-relevanten Bereichen, wie der Elementarpädagogik, Pege, Reinigungskräften, (schul)pädagogischem Personal, mit Gesundheitsberufen, unbezahlten Care-Arbeitenden etc., die Relevanz von Care-Tätigkeiten aufs gesellschaftspolitische Tapet zu bringen. Bereits bestehende Initiativen wie Care-Revolution, Care.Macht.mehr oder Mehr für Care! machen dies bereits vor. Durch gezielte Vernetzungsarbeit in der Wissenschaft, im Non-Prot-Bereich, der Politik oder mit Einzelpersonen, mittels Workshops, Manifesten, (politischen) Aktionen auch in städtischen und ruralen Gemeinden machen sie einerseits auf die existentielle Bedeutung von Care für unsere Gesellschaft aufmerksam und erarbeiten andererseits konkrete politische Veränderungsvorschläge.Verweise1 Zur Entstehung und zum Funktionswandel von Zentren und Peripherien im Weltsystem siehe auch Wallerstein (2004).2 Name anonymisiert.LiteraturverzeichnisAufhauser, Elisabeth/Herzog, Sigrun/Hinterleitner, Vera/Oedl-Wieser, Theresia/Reisinger Eva (2003): Grundlagen für eine Gleichstellungsorientierte Regionalentwicklung. Studie erstellt im Auftrag des Bundeskanzleramtes. Wien.Auth, Diana (2009): Das Private neu denken – zur Neubestimmung der sozialen Organisation von Fürsorgearbeit. 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Derzeit Elternkarenz und Referentin am Kolleg für Sozialpädagogik, nebenberuiche Lektorin an der FH St. Pölten.„Who cares?“Sorgetätigkeiten in ländlich peripheren Räumen Sabine Maria Scharf-Buchner