soziales_kapital
Ernest Aigner, Hanna Lichtenberger, Judith Ranfler, Sonja Schmeißl „Es ist wie in einer Sauna“ Die
Betroffenheit armutsbetroffener Kinder und ihrer Familien durch die Klimakrise und sozialpolitische
Antworten. soziales_kapital, Bd. 27 (2023). Rubrik: Sozialarbeitswissenschaf. ien. Printversion:
27. Ausgabe 2023
Akademisierung Sozialer Arbeit
„Es ist wie in einer Sauna“
Die Betroffenheit armutsbetroffener Kinder und
ihrer Familien durch die Klimakrise und
sozialpolitische Antworten
Ernest Aigner, Hanna Lichtenberger, Judith Ranftler & Sonja Schmeißl
Zusammenfassung
Die spezifischen Belastungen armutsbetroffener Kinder durch die Klimakrise in Ländern mit
hohem Durchschnittseinkommen sind bisher kaum Thema der Forschung gewesen. Im Folgenden
werden diese durch die Zusammenführung von zwei explorativen Befragungen mit Fokus auf
die Dimensionen Gesundheit, Materielles und Teilhabe untersucht. Es zeigt sich, dass in allen
drei Bereichen durch die Klimakrise bestehende Ungleichheiten vertieft werden bzw. neue
Herausforderungen entstehen. Dargestellt werden die unterschiedlichen Strategien der Familien,
um ihre Kinder vor Hitze zu schützen, die jedoch abhängig von den strukturellen und individuellen
Handlungsspielräumen sind. Deutlich wird, dass Betroffene neben technischen Hilfsmitteln bzw.
Strategien in der Wohnung auch kompensatorische Netzwerke und die vorhandene öffentliche
Infrastruktur zum Schutz vor Hitze nutzen. Zugleich finden sich gerade in diesen Bereichen auch
Bedarfe.HierauswerdensozialpolitischeAbleitungengetroffen,diestrukturellgegendiespezifischen
Belastungen armutsbetroffener Kinder und Jugendlicher wirken können. Abschließend wird nach
den Möglichkeiten und Aufgaben des politischen Mandats der Sozialen Arbeit hinsichtlich der
sozialökologischen Transformation von Gesellschaft gefragt.
Schlagworte: Klimakrise, Sozialpolitik, Kinderarmut, Infrastruktur, Klimawandelanpassung, Teil-
habe, Green Social Work
Abstract
Poverty-stricken children and their challenges resulting from the effects of the climate crisis in
high-income countries have not yet received sufficient attention in research. Our contribution draws
on two exploratory surveys (quantitative and qualitative) with special focus on health, material
conditions, and participation. The findings illustrate several burdens faced by families in all three
categories, underscoring that the climate crisis exacerbates pre-existing inequalities or creates
new challenges. Families use various strategies to protect their children from heat, relying on the
available individual and structural options. Such strategies include technical devices and home
strategies, as well as compensatory networks and public infrastructure. However, there are specific
requirements that need to be addressed in these areas. Consequently, we present social policy
conclusions to mitigate the specific hardships experienced by children and adolescents affected
by poverty. Finally, the paper explores the political mandate of social work with regard to the socio-
ecological transformation of society.
Keywords: Climate Crisis, Social Policy, Child poverty, Social Infrastructure, Climate Change
Adaptation, Green Social Work
1
Einleitung
DieweltweitenAuswirkungenderKlimakrisesindauchinÖsterreichlängstspürbar.DieBedingungen,
unter denen kommende Generationen auf diesem Planeten leben, hängen von entschlossenen
Maßnahmen gegen die Erderhitzung ab, die bisher jedoch auf sich warten lassen. Die Kinder von
heute werden länger mit den Folgen der Klimakrise und einer enormen Zunahme an Hitzeperioden
leben (vgl. IPCC 2023). Die negativen Folgen treffen aber nicht alle gleich: Jene, die am meisten
CO2 emittieren, sind weniger stark von den Auswirkungen betroffen bzw. verfügen über die meisten
Möglichkeiten, sich vor den zunehmend gefährlichen Umweltbedingungen zu schützen – das
gilt sowohl für das Gefälle zwischen globalem Norden und globalem Süden als auch zwischen
Einkommensgruppen innerhalb von Regionen und Ländern (vgl. Armutskonferenz/Attac/Beigewum
2021).
ArmutisteinerderRisikofaktorenfüreinestärkereBetroffenheitvondenFolgenderKlimakrise.
In Österreich waren 2022 mehr als 1,3 Millionen Menschen von Armut gefährdet, unter ihnen rund
316.000 Kinder (vgl. Statistik Austria 2023; vgl. zur Definition der Armutsgefährdungsschwelle Till/
Till-Tentschert 2014). Besonders stark armutsgefährdet sind im österreichischen Wohlfahrtsregime,
das auf den Säulen Lohnarbeit und Familie aufbaut (vgl. Talós 2006), Menschen, deren Einkommen
zum größeren Teil aus Transferleistungen besteht, Ein-Eltern-Haushalte, alleinlebende Menschen,
Menschen, die eine Drittstaaten-Staatsbürger:innenschaft besitzen und Haushalte, in denen
Menschen mit Behinderung leben (vgl. Statistik Austria 2023). Ein Aufwachsen in Armut bedeutet
viele Benachteiligungen und Hürden in allen Bereichen, die insbesondere die Kinder ein Leben lang
begleiten (vgl. Laubstein/Sthamer/Volf 2019).
Wie sich Kinderarmut vor dem Hintergrund der Klimakrise darstellt, ist Gegenstand dieses
Textes.MittelsBefundenausdemKontextderSozialenArbeitwerdenspezifischeHerausforderungen
armutsbetroffener Kinder und ihrer Familien in der Klimakrise herausgearbeitet und wird nach
sozialpolitischen Antworten darauf gesucht. Wir gehen davon aus, dass sich Belastungen und
(eingeschränkte)HandlungsspielräumewechselseitigverstärkenundaufdieBedarfederBetroffenen
wirken (siehe Abbildung 1). Die Soziale Arbeit ist selbst mit klimainduzierten Herausforderungen
konfrontiert: zunehmende Gesundheitsfolgen, besonders für vulnerable Gruppen, die mangelnde
Vorbereitung auf Katastrophen in Einrichtungen der Sozialen Arbeit, zunehmend erschwerte
Arbeitsbedingungen durch neue Krankheitsbilder, veränderte Wirksamkeit von Medikamenten,
Hitze und damit einhergehende Anstrengungen und die Bedrohung durch langsame, oft nicht
wahrgenommene Katastrophen (z.B. Hitze, Krankheiten). Angesichts der Verletzung grundlegender
Menschenrechte durch die Folgen der Klimakrise ist deren Thematisierung in der Sozialen Arbeit
heute unumgänglich (vgl. Dörfler 2022; Dominelli 2012). Zusätzlich erhält die Frage eines aktiv
verstandenen, klimasozialen politischen Mandats der Sozialen Arbeit Relevanz.
Abb. 1: Belastungen, Handlungsstrategien und Bedarfe armutsbetroffener Familien
bei Hitzewellen (eigene Darstellung).
Für die Analyse von Belastungen, Strategien und Bedarfen diskutieren wir die Ergebnisse der
folgenden drei Studien vor dem Hintergrund aktueller Literatur im Themenkomplex Klimakrise und
armutsbetroffene Kinder:
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Studie 1: Eine fragebogengeleitete Befragung von 99 armutsbetroffenen Haushalten
mit 190 Kindern zwischen null und zehn Jahren durch Sozialarbeiter:innen mit
Blick auf Belastungen, Strategien und Bedarfe im Kontext von Hitzewellen. Die
Befragung wurde mit deskriptiven Methoden ausgewertet und mithilfe von
meteorologischen Daten validiert. Die hier diskutierten Ergebnisse wurden bereits in
Aigner, Lichtenberger, Brugger & Schmidt (2023) veröffentlicht.
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Studie 2: Eine qualitative Befragung von 359 armutsbetroffenen Eltern zur Hitze-
belastung. Die Einstiegsfrage zur Narration: „Ist Ihre Wohnung im Sommer so
heiß, dass Sie sich nicht oder ungern darin aufhalten?“ Die Erzählungen wurden
methodisch entlang der fokussierten Inhaltsanalyse ausgewertet (vgl. Kuckartz
Rädiker 2020). Abgesehen von bereits veröffentlichten Ergebnissen einer kleineren
Stichprobe (vgl. Lichtenberger/Ranftler 2022a) werden im Folgenden erstmals die
Ergebnisse dieser Studie präsentiert.
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Studie 3: Zusätzlich greifen wir auf bisher unveröffentlichte Ergebnisse einer
quantitativen Befragung von 564 Fachkräften der Sozialen Arbeit zurück, die von der
Volkshilfe Österreich 2022 durchgeführt wurde.
Im Folgenden werden die Ergebnisse zuerst mit Blick auf materielle, gesundheitliche und soziale
Belastungen, Strategien sowie Bedarfe besprochen. Anschließend werden sozialpolitische
Ableitungen dargelegt, um in einem letzten Schritt Anforderungen an ein sozial-ökologisches
politisches Mandat der Sozialen Arbeit zu reflektieren.
2
Belastungen durch die Klimakrise
2.1 Gesundheitliche Dimension
2.1.1 Aktuelle Literatur
IndergesundheitlichenDimensionzeigensichzahlreicheUngleichheiten,mitdenenarmutsbetroffene
Kinder und Jugendliche konfrontiert sein können. Die Datenerhebung der Studie zur Gesundheit
von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (vgl. KiGGS Welle 2), die vom deutschen Robert-
Koch-Institut in den Jahren 2014 bis 2017 durchgeführt wurde, zeigt einen deutlichen Einfluss
des sozioökonomischen Status (SES) der Eltern auf den allgemeinen Gesundheitszustand (vgl.
Lampert/Hoebel/Kuntz/Müters/Kroll 2018), die Ernährung (vgl. WHO 2020; Lichtenberger/Ranftler
2022b), die Zahn-/Mundgesundheit (vgl. Krause/Kuntz/Schenk/Knopf 2018) oder etwa auch die
Möglichkeiten von Sport und Bewegung (vgl. Kuntz et al. 2018). Auch im Bereich der physischen
Gesundheit zeigten sich in KIGGS Welle 2 bei Mädchen deutliche sozioökonomische Unterschiede
(vgl. Fendt/Hölling/Lampert/Waldhauer 2023).
Aus der Intersektion Alter und Armut im Kontext der Klimakrise resultieren zahlreiche Risiken
für eine verstärkte gesundheitliche Belastung armutsbetroffener Kinder und Jugendlicher. So wird
ein Anstieg der hitzebedingten Krankenhauseinweisungen von Kindern während Hitzewellen
beobachtet (vgl. Brugger/Schmidt/Delcour 2022). Insbesondere Kleinkinder unter fünf Jahren gelten
als gefährdete Gruppe, was unter anderem am höheren Risiko der Austrocknung und der noch
nicht ausgereiften Fähigkeit zur Temperaturregulierung des kindlichen Körpers liegt sowie an der
höheren Belastung durch Luftverschmutzung aufgrund der weniger entwickelten Atemwege. Auch
Fieber oder Durchfall treten bei Kindern während Hitzewellen häufiger auf (vgl. BMSGPK 2021: 42;
Böse-O’Reilly/O’Reilly/Roeßler 2023). Bereits vor der Geburt, d.h. in der Schwangerschaft, kann
Hitze zu Komplikationen führen (vgl. Lorenz et al. 2023). Seebauer et al. betonen in ihrer Studie im
Auftrag des Sozialministeriums (vgl. BMSGPK 2021: 21), dass Kinder mit Atemwegserkrankungen
durch Hitzewellen besonders gefährdet sind, da die Pollenbelastung durch die Hitze und stärkere
Gewitter steigt (vgl. auch Luschkova/Traidl-Hoffmann/Ludwig 2022). Hier kann ein Bezug zu sozialen
Ungleichheiten hergestellt werden, denn hinsichtlich der Prävalenz von Asthma wurde bereits ein
Einfluss des sozioökonomischen Status der Eltern festgestellt (vgl. Thamm/Roethko-Müller/Hüther/
Thamm 2018: 6).
Hitze in den Wohnungen führt also bei Kindern zu physischen und psychischen Belastungen,
etwa hinsichtlich der Schlafqualität, des Wohlbefindens, der Bewegungsintensität. Auch hier fallen
negative gesundheitliche Effekte durch ein Aufwachsen in Armut und die verstärkte Betroffenheit
während Hitzeperioden zusammen. Diese ist laut der HBSC-Studie bei Schüler:innen aus der
niedrigsten Wohlstandsgruppe deutlich stärker (vgl. Felder-Puig/Teutsch/Winkler 2023a; 2023b). Die
Schlafschwierigkeiten werden von den Familien auch explizit erwähnt: „Tagsüber wars schon sehr
heiß und nachts auch – so heiß, dass die Kinder kaum schlafen konnten tageweise“ (IV/2208/10).
2.1.2 Gesundheitliche Belastungen aus Sicht aktueller Studien
Studie 1 und Studie 2 zeigen, dass Gesundheitsfolgen für armutsbetroffene Kinder bereits
beobachtet werden können. Neben einer eigenen sehr starken oder starken Belastung durch Hitze,
beobachten Eltern in Studie 1 auch konkrete gesundheitliche Veränderungen in Hitzephasen bei
ihren Kindern:
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mehr Durst (85%)
schlechteres Schlafen (67%)
Unruhe, Unwohlsein und vermehrtes Weinen (62%)
geringere Motivation, sich zu bewegen (54%)
aggressives Verhalten (51%)
über 40 Prozent beschreiben Übelkeit, Ausschlag, Kopfschmerzen und Schwindel
(45%) oder einen Rückzug der Kinder (43%)
Ein Abgleich der Daten mit tatsächlich beobachteter Hitze an den jeweiligen Orten zeigt einen
signifikanten Zusammenhang mit der Nennung dieser Hitzefolgen und der 2022 beobachteten
Anzahl von Hitzetagen am jeweiligen Wohnort – was die Einschätzung der Eltern validiert.
Auch in der qualitativen Studie 2 sind gesundheitliche Belastungen Thema: „Unsere
Wohnung ist sehr, sehr heiß. Wir haben einen kleinen Ventilator, der verteilt nur die heiße Luft. Alles
andere wäre zu teuer. Eines der Kinder hatte bereits einen Hitzeschlag.“ (IV/1107/1a) Aber nicht nur
für die Kinder, auch für die Eltern führt Hitze zu Herausforderungen. Eine Mutter erzählt: „Ich leide
an Migräne, die durch die Hitze verstärkt wird.“ (IV/2107/3)
Um die gesundheitlichen Belastungen zu mindern, werden in den Familien Strategien in der
materiellen als auch der sozialen Dimension angewandt und Bedarfe in diesen beiden Bereichen
artikuliert, wie im Folgenden vorgestellt wird.
2.2 Materielle Dimension
2.2.1 Aktuelle Literatur
Neben der Ernährung und der Bekleidung zeigt sich in der materiellen Dimension, dass auch die
Wohnverhältnisse armutsbetroffener Kinder häufiger prekär sind. 2022 lebten 254.000 Kinder
und Jugendliche bis 17 Jahre – das heißt jedes dritte armutsgefährdete Kind – in überbelegten
Wohnungen, 175.000 Kinder und Jugendliche in feuchten Wohnungen, 263.000 in lauten
Wohnverhältnissen (vgl. Statistik Austria 2023). In Folge fehlt es an geeigneten Plätzen, um die
Hausübungen zu erledigen, und Orten des Rückzugs. Zusätzlich wird für das Wohnen in dieser
Gruppe anteilig mehr ausgegeben.
Untersuchungenzeigendeutlich,dassgeradeimBereichderWohnbedingungen–hinsichtlich
der Gebäudequalität, Wohngegend, Lärmbelastung, verfügbaren Freiflächen und der Lage der
Wohnung –Verschränkungen zwischen Armut und Hitzebelastungen vorliegen (vgl. Seebauer/
Friesenecker/Eisfeld 2019). Dabei fehlen den Familien die rechtlichen und/oder die finanziellen
Möglichkeiten, sich vor der Hitze durch bauliche Veränderungen oder Anschaffungen im Wohnraum
zu schützen (vgl. BMSGPK 2021). Die Haushalte mit geringen finanziellen Ressourcen können die
baulichen Schutzmaßnahmen oder Instandsetzungen von Schäden nach Unwetterereignissen nicht
finanzieren (vgl. Cutter/Boruff/Shirley 2003; BMSGPK 2021: 3; APCC 2018: 285). Kann aufgrund
der Hitze in den Wohnungen nicht mehr der ganze (kleine) Wohnraum genutzt werden, fehlt es an
Spiel- bzw. Rückzugsmöglichkeiten, die für Kinder eine wichtige Rolle spielen und die auch bei der
Bewertung der Wohnqualität von Kindern und Jugendlichen in der Literatur als relevant erachtet
werden (vgl. Butterwegge 2017: 13).
2.2.2 Belastungen aus Sicht aktueller Studien
Die Studien zeigen, dass Hitze im Wohnraum stark belastend wahrgenommen wird. So halten
sich insgesamt ca. 45% der Respondent:innen der Studie 1 bei Hitze nur ungern in der Wohnung
auf (30% ungern und 15% eher ungern). Auf die gleichlautende Eingangsfrage der qualitativen
Befragung in Studie 2 antworten 98 Befragte mit „Nein“, 50 mit „Eher nein“, also 148 der 359
Familien (41,23%). 136 Familien antworten mit Ja (37,88%) und 66 mit „Eher ja“ (18,38%), das sind
zusammen 56,27%. Die anderen Befragten wollten/konnten keine Angaben machen.
Es gibt zahlreiche unterschiedliche Belastungsfaktoren. In 53 von 71 relevanten Fragmenten
der qualitativen Studie 2 werden diverse Wohnprobleme thematisiert:
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●
Dachgeschosswohnungen oder höhere Etagen, die sich stark aufheizen, oder
die südseitige Ausrichtung der Wohnungen
bauliche Probleme: fehlende Isolierung und undichte Fenster, die im Sommer dazu
führen, dass sich die Wohnung aufheizt, und im Winter die Kälte eindringen
lassen: „Wir wohnen im Altbau, der nicht isoliert ist. Es wird sehr warm, im
Winter ist es kalt.“ (IV/1710/5)
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Überbelag als belastender Faktor während Hitzeperioden: „Wir haben keinen
auf den wir ausweichen können. Wenn ich koche, heizt sich die Wohnküche noch
mehr auf. Die Wohnung ist eigentlich zu klein und zu eng und dadurch auch zu
heiß, aber wir können uns gerade nichts Größeres leisten.“ (IV/2007/1)
fehlende, nicht leistbare oder defekte Abkühlungsmöglichkeiten wie Klimaanlagen
oder Ventilatoren
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hohe Wohnkosten, die dazu führen, dass ein Umzug keine Handlungsoption ist
Kühle Wohnräume (z.B. im ersten Stock oder im Erdgeschoss) als auch persönliche Präferenzen – „I
love summer. I don’t love winter.“ (IV/3009/2) – werden als mindernde Faktoren bei Hitzebelastung
beschrieben. Auch die Wohnumgebung ist Thema: Einige Familien berichten, dass sie vor allem
nachts oder in den frühen Morgenstunden lüften, dann aber z.B. mit Luftverschmutzung oder
Lärm kämpfen: „In der Wohnung ist es sehr heiß. Wir wohnen am Gürtel, weshalb es beim Lüften
außerdem sehr laut wird.“ (IV/1309/1)
2.2.3 Strategien und Bedarfe
Um sich insbesondere im Bereich Wohnen vor der Hitze zu schützen, setzen die Familien eine Reihe
von Maßnahmen:
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Lüften: 9 von 10 befragten Familien (91%) in der Studie 1 geben an, die Wohnung zu
lüften, um weniger stark durch Hitze belastet zu sein.
Abdunkeln: 7 von 10 Befragten dunkeln ihre Wohnungen ab, um das Aufheizen des
Wohnraums zu mildern, weniger als einem Fünftel (19%) stehen Außenrollos zur
Verfügung, deutlich mehr Familien haben Innenjalousien (71%) (vgl. Aigner et al.
2023).
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Umbau: In den qualitativen Interviews berichtet z.B. ein Vater über seinen Versuch,
die Hitze mit einer „Standwand vom Flohmarkt, die die Hitze ein bisschen abhält“
aus der Wohnung zu halten, „aber es bringt nicht sehr viel“ (IV/2607/1).
Hilfsgeräte: Ventilatoren werden von vielen Familien als Entlastung erlebt, von
anderen weniger: „Wir haben einen Ventilator. Aber der bläst nur die warme Luft
herum.“ (IV/3009/5)
Anschaffungskosten&rechtlicheBarrieren:HinsichtlichKlimagerätwirdsowohldie
Anschaffung als auch der Betrieb von Familien als nicht finanzierbar beschrieben:
„Eine Klimaanlage wäre sowieso nicht leistbar. Da ist es wichtiger, Lebensmittel und
Kleidung zu sichern.“ (IV/1509/3)
Hinsichtlich der Veränderungen im Bereich Materielles zeigen sich verschiedene Bedarfe der
Familien:
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Im Bereich des Wohnens braucht es neben leistbarem Wohnraum eine Verbesserung
der Bausubstanz, die Möglichkeit zur Verdunkelung, die Erneuerung der Fenster und
Ähnliches. Aber auch die (Nicht-)Verfügbarkeit von kühlen (Miet-)Wohnungen wird
häufig genannt, wie dieses Beispiel zeigt: „Ich suche nun eine Wohnung, die im
Sommer nicht so heiß wird, das ist sehr ausschlaggebend bei der nächsten
Wohnungssuche.“ (IV/3009/1) Auch wird explizit der Wunsch nach einer Wohnung
im öffentlichen Wohnbau angesprochen: „Wir bitten die Stadt Graz um eine
Gemeindewohnung.“ (IV/0408/1) Auch Wohnungen mit Freiflächen werden von den
Familien genannt: „Ich hätte gerne einen Balkon, um auch ein Kinderplanschbecken
aufstellen zu können.“ (IV/0707/1)
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Klimafreundliche Kühlmethoden, wie etwa Außenrollos oder Kältepumpen, sind für
die Familien nicht leistbar. So geben 30% der Familien bei der Studie 1 an, dem
Bedarf nach Außenrollos (30%) aus finanziellen Gründen nicht nachzukommen.
Hinsichtlich größerer Veränderungen und Investitionen kommt dazu, dass
armutsbetroffene Familien meist in Mietverhältnissen sind und somit auch nicht die
rechtlichen Möglichkeiten dafür hätten.
2.3 Soziale Dimension
2.3.1 Aktuelle Literatur
Mit Blick auf die soziale Dimension von Kinderarmut wird in der Literatur häufig auf die stärkere
Isolation sowie Mobbing- und Gewalterfahrungen verwiesen (vgl. Holz/Laubstein/Seddig 2016).
Die vergleichsweise eher mittleren bis kleinen Freundschaftsnetzwerke können zu geringerem
Selbstbewusstsein führen (vgl. Butterwegge/Holm/Imholz/Klundt/Michels 2003) und hängen
mitunter an der Reziprozität von Einladungen. 103.000 Kinder und Jugendliche (7%) konnten sich
2022 die Teilnahme an mit Kosten verbundenen Freizeitaktivitäten nicht leisten (vgl. Statistik Austria
2023: 106). Bei der Befragung der Studie 3 geben 81,73% der Sozialarbeitenden an, dass sich eine
mangelnde soziale Teilhabe bereits in der frühen Kindheit (unter sechs Jahre) bemerkbar macht. Auf
die Frage, in welchen Bereichen der sozialen Teilhabe armutsbetroffener Kinder und Jugendlicher
die größten Einschränkungen wahrgenommen werden, sagen bei Mehrfachauswahl 72,1% der
Befragten, dass insbesondere die mit Kosten verbundenen Freizeitaktivitäten relevant sind. 51,0%
geben an, dass armutsbetroffene Kinder weniger Entscheidungsfreiheit in der Freizeit haben, dass
sie also besonders auf öffentliche Infrastruktur und Angebote angewiesen sind.
Hitze hat auch einen wesentlichen Einfluss auf die Nutzung unterschiedlicher Räume und in
Folge auch unterschiedlicher sozialer Räume – etwa Hitzeinseln wie z.B. Betonwüsten ohne Schatten
(vgl. APCC 2018), die gemieden werden, oder Freibäder, die im Sommer stark frequentiert werden.
Forschung dazu, wie sich die soziale Teilhabe armutsbetroffener Kinder während Hitzeperioden
verändert, ist den Autor:innen nicht bekannt.
2.3.2 Belastungen aus Sicht aktueller Studien
Die Studien zeigen, dass Hitze von armutsbetroffenen Familien und insbesondere den Kindern
als Belastung auch außerhalb der Wohnung wahrgenommen wird, weshalb sie bestimmte soziale
Räume meiden. 36% der Kinder der befragten Eltern klagen über Hitze im öffentlichen Raum, wie
etwa auf dem Spielplatz oder im Park (36%), auf der Straße oder während der Erledigungen mit
Eltern (24%). Mehr als die Hälfte der befragten Familien sucht öffentliche Orte wie beispielsweise
Einkaufszentren auf (56%), um sich vor Hitze zu schützen. 45% der Haushalte sagen, dass sie mit
Kosten verbundene Freizeitaktivitäten wie etwa den Besuch eines Schwimmbades oder auch einen
Ausflug zu einem See gerne machen würden, das aber zum Zeitpunkt der Befragung nicht leistbar
ist. Zugleich geben 16% der Befragten an, aufgrund von Hitze die Wohnung nicht zu verlassen,
weitere 4% geben an, aus diesem Grund teilweise auf soziale Kontakte zu verzichten. Ein ähnlich
geringer Anteil (5%) gibt an, aufgrund von Hitze andere Personen besucht zu haben.
Für die Kinder fällt die Hitzeperiode häufig mit den Sommerferien zusammen, in denen keine
oderdeutlichwenigerreguläreaußerhäuslicheBetreuungstattfindet.DerBesuchdesSchwimmbads,
aber auch Urlaube oder die Teilnahme an einem Sommercamp sind Formen sozialer Teilhabe, die
kostenintensiv sind. In Zeiten der Klimakrise werden sie besonders wichtig, wenn im öffentlichen
Raum zu wenig Trinkwasser, Schatten, Wasserspiele und Möglichkeiten der körperlichen Abkühlung
vorhanden sind. Ein:e Sozialarbeitende:r der Studie 3 erzählt hinsichtlich der Folgen fehlender
sozialer Teilhabe: „Urlaube sind finanziell kaum möglich – Kinder werden noch immer in der Schule
vor allen anderen gefragt, was sie in den Ferien/am Wochenende unternommen haben...Druck und
Scham wird erzeugt, wenn nichts spannendes zu erzählen da ist.“ (A2/87) Armutsbetroffene Kinder
sind von der wohnortnahen, leistbaren und kindgerechten sozialen Infrastruktur abhängig, wenn es
darum geht, sich von der Hitze im Wohnraum zu erholen.
2.3.3 Strategien und Bedarfe hinsichtlich sozialer Teilhabe
Um sich vor der Hitze zu schützen, weichen Familien in den öffentlichen Raum aus. Genannt werden
insbesondere folgende Orte:
●
Parks & Spielplätze: Die Flucht aus der heißen Wohnung führt viele Familien
in nahegelegene Parks und auf Spielplätze: „Ich gehe mit den Kindern oft raus,
spazieren im Schatten oder in Parks mit Bäumen zum Spielen“ (IV/1710/2). Besonders
SpielplätzemitWasserspielmöglichkeitenwerdenvonFamilien, diedieseInfrastruktur
in der Nähe haben, gerne genutzt.
●
Schwimmbäder: Schwimmbad-Besuche sind für einige Familien ebenfalls eine
willkommene Abkühlung: „Im Sommer gehen wir gerne ins Schwimmbad oder in den
Park. In der Wohnung kann man nicht bleiben.“ (IV/3009/5) Hinsichtlich der Bedarfe
im Bereich der öffentlichen Infrastruktur zur Umsetzung von sozialer Teilhabe haben
die Studien 1 und 2 folgende Ergebnisse gebracht:
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●
Drei von vier Haushalten benötigen Abkühlplätze mit Wasser. Etwa ein Drittel
der Befragten führt Bedarf nach leistbaren (66%) oder kostenlosen (63%) Schwimm-
bzw. Bademöglichkeiten oder Wasserspielplätzen (62%) an.
Auch ein Bedarf an gekühlten Innenräumen wie Einkaufszentren, Geschäften
(30%) oder auch Cafés (14%) wird in Studie 1 angemerkt, ebenso ein Bedarf an
konsumfreien geschlossenen Räumen wie Büchereien, Gemeindezentren oder
Vereinsräumlichkeiten (unter 10%) (vgl. Aigner et al. 2023).
●
Wünsche für soziale Infrastruktur werden nur selten erwähnt, leiten sich aber
indirekt aus der Verneinung von Leistbarkeit ab: „Ich kann in der Freizeit nicht viel
rausgehen. IchkannnuraufdenSpielplatzgehen, daichmirandereFreizeitaktivitäten
nicht leisten kann.“ (IV/1307/4) Interessant war hier auch eine Beobachtung, die eine
Familie teilte: „Im [Name des Bezirks; Streichung H.L.] gibt es einen Wasserpark, in
dem sich die Kinder manchmal abkühlen. Früher hatte er bis 19 Uhr geöffnet, jetzt
nur noch bis 17 Uhr. Ich glaube, dass die Stadt Wien sparen möchte.“ (IV/1807/9)
Hier wird explizit die städtische Infrastruktur angesprochen, die von den Kindern zur
Abkühlung genutzt wird.
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Eintritt: Für viele Familien sind (regelmäßige) Besuche in Schwimmbädern, die
nicht frei zugänglich sind, finanziell nicht möglich, wie das Zitat einer Mutter zeigt:
„Tagsüber kühlt sich meine Tochter manchmal bei einer Wasserstelle am Spielplatz
ab. Besuche im Schwimmbad können wir uns derzeit nicht leisten.“ (IV/1107/4)
3
Sozialpolitische Ableitungen
Sozialpolitisch ergeben sich aus den Belastungen und Strategien folgende Ableitungen: Vor dem
Hintergrund der dargestellten spezifischen Belastungen aufgrund von Einkommensarmut muss die
Überwindung von Familienarmut vor der verbesserten finanziellen Absicherung sozialpolitische
Priorität haben, um die Familien in der Klimakrise zu stärken bzw. damit diese weniger vulnerabel
für die Effekte der Klimakrise sind.
Auch die Dringlichkeit wohnpolitischer Maßnahmen ist zu unterstreichen – hinsichtlich der
Verfügbarkeit von öffentlichem, leistbarem und klimafittem Wohnraum sowie der Umsetzung von
Maßnahmen zur thermischen Sanierung, die nicht den Mieter:innen zur Last gelegt werden. Dass
zahlreiche Fragmente zu hohe Mieten und Wohnprobleme thematisieren, kann mit Blick auf die
Entwicklungen des Wohnungsmarktes insgesamt mit Butterwegge (2020) kontextualisiert werden:
„Um die Jahrtausendwende haben viele Großstädte ihren Kommunalen
Wohnungsbestand, dem neoliberalen Zeitgeist gehorchend, zu Spottpreisen an
private Investoren verkauft, die damit hohe Profite erzielen, und sich auf diese
Weise selbst der Möglichkeit beraubt, eine zielgerichtete Stadtentwicklungspolitik
zu machen und die Wohnungsversorgung einkommensschwacher Bevölkerungs-
gruppen zu sichern.“ (Butterwegge 2020: 281)
Die lokale Infrastruktur beeinflusst auch die Gesundheit armutsbetroffener Kinder. Relevant
sind etwa die Beschattung von Spielflächen im öffentlichen Raum oder bei Freiflächen von
Kinderbildungseinrichtungen. Grünräume in Städten fördern die körperliche und kognitive
Entwicklung von Kindern und tragen zum sozialen Austausch bei, sofern sie für alle sozialen Milieus
zugänglich sind (vgl. Nesshöver et al. 2017; APCC 2018).
Auch die Gesundheitsversorgung steht vor neuen Herausforderungen. Im Bereich der
Kindergesundheit gibt es Handlungsbedarf, etwa bei der Versorgung in der niedergelassenen,
kassenvertraglichen Kinder- und Jugendheilkunde, aber auch hinsichtlich der psychischen
Gesundheit von Kindern und Jugendlichen (vgl. Culen 2022). Zudem bedarf es zusätzlicher
Maßnahmen, um die Gesundheit von Kindern vor den Folgen der Hitzebelastung zu schützen
(vgl. z.B. aus pädiatrischer Perspektive Böse-O’Reilly et al. 2023: 128). Eine Wahrnehmung von
Hitze als gesundheitliche Bedrohung legt nahe, auch konsumfreie Innenräume (z.B. Bibliotheken,
Museen, Vereinsräumlichkeiten, Nachbarschaftszentren) mit entsprechender Temperaturregulierung
öffentlich und für armutsbetroffene Familien ansprechend zur Verfügung zu stellen. Dies umfasst
auch Bildungseinrichtungen (z.B. Schulen, Kindergarten). Wesentlich ist hierbei, bei der Planung
und Umsetzung zunehmende Hitze(wellen) mitzubedenken und die Angebote frei von direkten und
indirekten Kosten anzubieten.
Sozialpolitisch ist aus den Belastungen, Strategien und Bedarfen der Familien abzuleiten,
dass die lokale Infrastruktur ein essentieller Bestandteil für soziale Teilhabe ist. Spätestens seit der
austeritätspolitischen Ausrichtung von Städten und Gemeinden ist teilhaberelevante Infrastruktur
kommodifiziert, eingeschränkt oder gestrichen worden. Dies trifft jene besonders stark, die auf
sozialstaatliche Infrastruktur angewiesen sind (zur Bedeutung lokaler Infrastruktur für Kinder
und Jugendliche vgl. Baum 2020: 311). Es gilt, „lebensweltnahe, attraktive Freizeit-, Förder-,
und Bildungsangebote [zu] entwickeln, mit denen die Kinder erreicht werden können, die von
den herkömmlichen Vereinen und kommerziellen Angeboten keinen Gebrauch machen können“
(Chassé/Zander/Rasch 2007: 342–343).
Hierzu sind neben öffentlichen Abkühlungsmöglichkeiten im Freien auch konsumfreie
öffentliche Innenräume zur Abkühlung essentiell. Museen, Bibliotheken oder Vereinsräumlichkeiten
könnten kinderfreundlich gestaltet werden und so nicht nur im Sommer vor Hitze, sondern auch
im Winter vor Kälte schützen (vgl. auch Aigner et al. 2023). Dafür müssen diese nicht nur auf
ihre finanziellen, sondern auch auf ihre kulturellen und sozialen Hürden hin reflektiert werden,
um als armutssensibel gelten zu können, u.a. im Hinblick auf die Faktoren Zeit (Öffnungszeiten,
Anfahrten, organisatorische Hürden) und familiäre Ressourcen. Aus der Forschung ist bekannt,
dass Kulturangebote von nicht armutsbetroffenen Kindern weitaus öfter besucht werden, während
Armutsbetroffene eher kostenfreie Angebote nutzen (vgl. Richter 2000). Neben finanziellen
Gründen führen auch Erfahrungen sozialer Stigmatisierung und Ausgrenzung zu einer verringerten
Inanspruchnahme der Angebote. Ein:e Respondent:in der Studie 3 meint dazu: „Kein Geld bedeutet
weniger Teilnahme an kostenpflichtigen Veranstaltungen und auch weniger cooles Gewand und
Ausrüstung, selbst wenn ein Angebot nichts kostet. Daher Schamgefühl und dadurch weniger
Teilnahme auch bei kostenlosen Veranstaltungen.“ (A227) Gerade wenn Hitze zu weiteren
Einschränkungen der Nutzung privater und öffentlicher Infrastruktur führt, müssen aktuelle Angebote
neu reflektiert werden.
4
Politisches Mandat der Sozialen Arbeit in der Klimakrise
Die Soziale Arbeit wird in den Studien im Kontext der Bedarfe kaum thematisiert. Studie 1 zeigt, dass
nur 2% der Befragten von der Sozialen Arbeit mit Informationen zu gesundheitlichen Hitzerisiken
von Kindern erreicht wurden. Manche Respondent:innen der Studie 2 beziehen sich indirekt auf die
Soziale Arbeit: „Wir haben ein paar Mal bezüglich Ventilatoren nachgefragt, leider standen im [Name
der Einrichtung; Streichung H.L.] keine zur Verfügung.“ (IV/1509/3) Eine andere Familie erwähnt
materielle Sicherung als Teil der Sozialen Arbeit: „Wir haben überall diese Rollos, die wir uns mithilfe
der [Name des Geschäfts; Streichung H.L.]-Gutscheine der Volkshilfe kaufen konnten. Die helfen
dabei, die Wohnung halbwegs erträglich kühl zu halten.“ (IV/1708/8) Professionsbezogene Debatten
über die praxisbezogenen Möglichkeiten der Sozialen Arbeit im Kontext Armut und Klimakrise
müssen noch gestärkt werden.
Vor dem Hintergrund der Klimakrise gewinnen Debatten zum politischen Mandat der Sozialen
Arbeit in vielerlei Hinsicht wieder an Bedeutung. Die Repolitisierung der Sozialen Arbeit muss auch
unter Einbezug von intersektionalen Ungleichheitsperspektiven in Wissenschaft und beruflicher
Praxis gedacht werden (vgl. u.a. Bütow/Chassé/Lindner 2014). Denn die negativen Effekte der
Klimakrise und ihre sozialen Folgen treffen die Adressat:innen Sozialer Arbeit besonders stark.
Soziale Arbeit ist dabei gefordert, darauf zu verweisen und ihre Klient:innen zu stärken, sich selbst
zu vertreten. Auch das Einfordern des Einbezugs der Adressat:innen, wenn es um die Planung
und Priorisierung von Prozessen der Transformation hin zu klimafreundlichen Strukturen geht,
liegt im politischen Mandat der Sozialen Arbeit. Die Debatte über eine sozialökologisch-orientierte
Soziale Arbeit, die ihr politisches Mandat auch dementsprechend versteht, setzt eine tiefgreifende
Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Rolle in der Reproduktion der imperialen Lebensweise voraus
(vgl. Schmelz 2022; vgl. für den Begriff Brand/Wissen 2017).
Liedholz appelliert an die Träger Sozialer Arbeit, Klimagerechtigkeit auch in ihren eigenen
Organisationen umzusetzen. Und er fordert weiter:
„Eine klimagerechte Soziale Arbeit müsste ihre gesellschaftspolitischen Handlungsspiel-
räume ausloten, auch wenn dies herausfordernd erscheint. Sie könnte Kooperationen mit sozialen
(Klima-)Bewegungen eingehen und sich in Klimawandelkonflikten einbringen. Sie könnte den
Klimawandel als eine soziale Frage in die Öffentlichkeit tragen [...].“ (Liedholz 2023: 193)
Dies könnte die Begleitung von Klient:innen bei Veränderungen in den Bereichen Wohnen,
Mobilität, Ernährung und Arbeit umfassen oder auch die Unterstützung bei der Inanspruchnahme
entsprechender Förderungen. Gesellschaftspolitisch muss eine solche Klimasoziale Arbeit unter
anderem auf steigende Lebenskosten für Adressat:innen und deren geringe Anpassungs- und
Handlungsmöglichkeiten hinweisen. Dominelli (2012) betont, dass Fachkräfte der Sozialen Arbeit
hier über wesentliche Kompetenzen verfügen, etwa wenn es um die Einschätzung von Bedürfnissen,
das Verständnis komplexer Machtbeziehungen, das Beraten, Mobilisieren und die Methoden und
Erfahrungen gemeinwohlorientierter Sozialer Arbeit geht.
Für die Soziale Arbeit mit armutsbetroffenen Kindern und Jugendlichen ist es aus unserer
Perspektiverelevant,(a)diespezifischenBelastungenvordemHintergrundderExpertisederSozialen
Arbeit herauszuarbeiten und einer Ausblendung der sozialen und altersbezogenen Dimension der
Klimakrise vorzubeugen, (b) diese Belastungen öffentlich zu thematisieren, (c) der Artikulation
von Forderungen und Wünschen Raum und Gehör zu geben und (d) die Involvierung von Kindern
und Jugendlichen in die Planungsprozesse sozialer Infrastruktur einzufordern und zu begleiten
(vgl. Nordström/Wales 2019). Dazu gehört auch die Kritik an Kürzungen sozialer Infrastruktur, an
Projekten der Scheininvolvierung von Kindern und vor allem an zahnlosen Klimaschutzmaßnah-
men.
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Über die Autor_innen
Ernest Aigner
Ernest Aigner ist Sozioökonom und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Kompetenzzentrums Klima
und Gesundheit der Gesundheit Österreich GmbH. Er lehrt an der Wirtschaftsuniversität Wien.
Hanna Lichtenberger
Hanna Lichtenberger ist Sozialwissenschafterin und Historikerin. Sie forscht in der Volkshilfe
Österreich zu den Themen Kinderarmut und Sozialpolitik. Sie lehrt an der Universität Wien, der FH
Campus Wien und der FH Burgenland.
Judith Ranftler
Judith Ranftler ist Sozialarbeiterin und leitet den Bereich Kinderarmut, Asyl und Migration, Kinder
und Jugend in der Volkshilfe Österreich.
Sonja Schmeißl
Sonja Schmeißl ist Politikwissenschafterin und absolviert derzeit den Masterstudiengang „Global
Change and Sustainability“ an der Universität Wien.