soziales_kapital
Dagmar Fenninger-Bucher, Gabriele Kronberger. Soziale Arbeit unter Druck. Zu den Auswirkungen
des Fachkräfemangels mit Fokus auf das Studium der Sozialen Arbeit. soziales_kapital, Bd. 27 (2023).
27. Ausgabe 2023
Akademisierung Sozialer Arbeit
Soziale Arbeit unter Druck
Zu den Auswirkungen des Fachkräftemangels mit Fokus
auf das Studium der Sozialen Arbeit
Dagmar Fenninger-Bucher & Gabriele Kronberger
Zusammenfassung
Die Praxiskoordination und -lehre in den Studiengängen der Sozialen Arbeit an den österreichischen
Fachhochschulen fungiert als Brücke zwischen Lehre und Praxis. In diesem Beitrag werden die
Auswirkungen und Implikationen des Fachkräftemangels in der Sozialen Arbeit mit Fokus auf das
Studium und die damit verbundenen Entwicklungen untersucht. Aufgrund fehlender statistischer
Daten wird der Referenzbereich Pflege zur Verdeutlichung der Situation herangezogen. Weiters
werden die Ergebnisse einer Gruppendiskussion mit Praxiskoordinator*innen und Praxislehrenden
aus den FH-Bachelorstudiengängen Soziale Arbeit aller neun Bundesländer präsentiert, die mittels
qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet wurde. Eine Frequenzanalyse des Portals Jobverteiler
ermöglicht quantitative Aussagen zur Rekrutierung von Studierenden in Arbeitsfeldern der Sozialen
Arbeit. Die qualitativen Forschungsergebnisse machen zum einen erhöhten Arbeitsstress und
Vereinbarkeitsprobleme von Studierenden der Sozialen Arbeit sichtbar und verdeutlichen zum
anderen die Belastungen, denen Sozialarbeiter*innen aufgrund des bestehenden Personalmangels
in der Praxis ausgesetzt sind. Auch die quantitative Auswertung von Stellenangeboten lässt
diesbezügliche Rückschlüsse zu. Abschließend werden Empfehlungen zur Behebung der oben
genannten Problematik diskutiert, wie zum Beispiel eine rasch durchzuführende umfassende
Evaluierung des Bedarfs an Fachkräften der Sozialen Arbeit in Österreich.
Schlagworte: Berufsanfänger*innen, Deprofessionalisierung, Fachkräftemangel, Personalsuche,
Praxiskoordination, Praxislehre, Studierende, Vereinbarkeitsprobleme
Abstract
Fieldwork coordination and education in social work programs at Austrian universities of applied
sciences act as a bridge between education and practice. This article examines the effects and
implications of the shortage of social work professionals with a focus on intrinsic developments
in study programs. Due to the lack of statistical data, the nursing system is used as a frame of
reference to illustrate the situation. Methodically, a group discussion with coordinators and
educators from all bachelor programs of universities of applied sciences across the nine federal
states is presented by means of a qualitative content analysis. A frequency analysis of the portal
“Jobverteiler” allows quantitative statements on the recruitment of students in various fields of
social work. The qualitative research results reveal both increased work stress and compatibility
problems of social work students, as well as stresses that social workers are exposed to in practice
due to the existing shortage of personnel, which is also reflected in the quantitative evaluation of
job offers. Finally, recommendations are made to solve the problems discussed above, such as a
comprehensive evaluation of the need for social workers in Austria, which should be carried out as
soon as possible.
Keywords: entry-level professionals, deprofessionalization, professional shortage, personnel
search, fieldwork coordination, fieldwork education, students, compatibility problems
1
Einleitung
AktuellbesteheninÖsterreichkeinevalidenDatenüberinderSozialenArbeitbeschäftigteFachkräfte
oder über den konkreten aktuellen und künftigen Bedarf. Laut einer Schätzung des Österreichischen
Berufsverbandes Sozialer Arbeit (OBDS 2023), die im Auftrag des Bundesministeriums für Soziales,
Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) durchgeführt wurde, kann lediglich
festgestellt werden, dass im Erhebungszeitraum 1990–2021 gesamt 42.883 Sozialarbeiter*innen und
Sozialpädagog*innen österreichische Ausbildungsstätten für Soziale Arbeit erfolgreich absolviert
haben (vgl. OBDS 2023: 11). Von dieser Zahl kann jedoch nicht abgeleitet werden, wie viele Personen
tatsächlich im Bereich der Sozialen Arbeit tätig sind. Die Situation am Arbeitsmarkt ist angespannt,
in drei Bundesländern (Oberösterreich, Salzburg, Vorarlberg) gilt Soziale Arbeit (angeführt als
„FürsorgerInnen, SozialarbeiterInnen“) als Mangelberuf (vgl. BMAW/BMI/BMEIA o.J.). Mit Blick auf
Vergleichswerte aus dem Pflegebereich muss auch in der Sozialen Arbeit von einer Verschärfung
des Fachkräftemangels und einer, wenn auch leicht zeitverzögerten, so doch ähnlichen Entwicklung
ausgegangen werden. Der vorliegende Beitrag untersucht die Anzeichen eines Fachkräftemangels
in der Sozialen Arbeit im Rückgriff auf die Einschätzungen der Praxiskoordination und -lehre in den
Bachelorstudiengängen der Sozialen Arbeit an österreichischen Fachhochschulen, da diese als
Brücke zwischen Sozialarbeitsstudium und den Praxisfeldern der Sozialen Arbeit fungieren, und
fokussiert dabei insbesondere die Situation der Studierenden der Sozialen Arbeit.
Um die Brisanz der Entwicklung der Arbeitssituation und Versorgungslage im Sozialbereich
zu verdeutlichen, wird in einem ersten Schritt der bestehende Fachkräftemangel in den
Gesundheitsberufen der bislang wenig erforschten Lage im Sozialbereich gegenübergestellt.
Im Anschluss daran werden die methodische Vorgehensweise der quantitativ und qualitativ
ausgerichteten Forschung dargelegt und deren Ergebnisse aufbereitet. Diese weisen auf eine
verschärfte Lage für Studierende, Berufsanfänger*innen und im Sozialbereich beschäftigte
Sozialarbeiter*innen hin, was mit unmittelbaren Auswirkungen auf die Versorgungsqualität und
damit auf die Adressat*innen Sozialer Arbeit verknüpft ist.
2
Fachkräftemangel in den Arbeitsfeldern Gesundheit und Soziales
Im Referenzbereich Pflegesektor wird der bestehende Fachkräftemangel seit 2017 statistisch
erhoben und daraus können klare Prognosen bis zum Jahr 2030 erstellt werden. Eine Studie der
Gesundheit Österreich aus dem Jahr 2019, die im Auftrag des BMSGPK erstellt wurde, zeigt bei
aktuell rund 127.000 in der Pflege und Betreuung Beschäftigten (100.600 Vollzeitäquivalente) bis
zum Jahr 2030 einen Zusatz- und Ersatzbedarf von rund 76.000 zusätzlich benötigten Pflege-
und Betreuungspersonen. Der Zusatzbedarf ergibt sich aus der demografischen Entwicklung, der
Ersatzbedarf entsteht aufgrund von Pensionierungen (vgl. Schönherr 2021).
Um dem Fachkräftemangel in der Pflege entgegenzuwirken, wird seitens des BMSGPK im
Rahmen einer Pflegereform mit insgesamt 20 Maßnahmen und einem Volumen von einer Milliarde
Euro unter anderem ein monatlicher Gehaltsbonus für alle Pflegefachkräfte ausgeschüttet und eine
zusätzliche Entlastungswoche eingeführt. Umsteiger*innen und Wiedereinsteiger*innen werden
konkret gefördert, Personen in Ausbildung erhalten für die Zeit der Ausbildung/Praktika mindestens
600 Euro monatlich. Zusätzlich wird ab 2023 vom Arbeitsmarktservice ein Pflegestipendium
angeboten, für bestimmte Berufsgruppen kommen Kompetenzerweiterungen zum Tragen und es
werden Erleichterungen für Nostrifikationen sowie für die Zuwanderung ausgebildeter Fachkräfte
eingeführt (vgl. Schönherr 2021).
Im Gegensatz zur Pflege konnten in der Sozialen Arbeit bislang keine vergleichbaren
Bestrebungen ausgemacht werden, der Zuspitzung des Fachkräftemangels und damit einer
Versorgungskrise für strukturell benachteiligte Personengruppen auf sozialpolitischer Ebene
entgegenzuwirken. Zum aktuellen Zeitpunkt sind trotz finanziell ungünstiger Studien- und
Arbeitsbedingungen, einem belastenden Arbeitsalltag, geringer Aufstiegschancen und teilweise
fehlenderAnerkennunginderöffentlichenWahrnehmungmehrBewerber*innenfürdieStudiengänge
der Sozialen Arbeit zu verzeichnen, als Studienplätze angeboten werden können. Im Wissen über
den zunehmenden Fachkräftemangel und um dieser Entwicklung zeitgerecht entgegenzuwirken,
wurde 2022 seitens der FH-Studiengänge, der Österreichischen Gesellschaft für Soziale Arbeit
(ogsa) und des Österreichischen Berufsverbandes für Soziale Arbeit (OBDS) in einem ersten
Schritt gegenüber dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF)
ein deutlicher Ausbau der Studienplätze gefordert. Im vorliegenden Entwurf des FH-Entwicklungs-
und Finanzierungsplans des BMBWF (2023) wurde jedoch deutlich gemacht, dass aktuell und bis
zum Jahr 2025 kein Ausbau der Studienplätze im Bereich der Sozialen Arbeit vorgesehen ist – der
Schwerpunkt liegt bei den MINT-Fächern.
Ein Ausbau der Studienplätze wäre eine erste Maßnahme, um dem Fachkräftemangel im
Sozialbereich entgegenzuwirken, da damit das Momentum noch ausbildungswilliger Personen
wahrgenommen würde, das im Pflegebereich über Jahrzehnte verabsäumt wurde. Zugleich sollten
auch im Sozialbereich Planungsschritte hin zu einer Finanzierung von Ausbildung und Praktika
und (auch finanziellen) Steigerung der Attraktivität der Berufsfelder in Angriff genommen werden.
Denn auch in der Sozialen Arbeit ist der Fachkräftemangel – je nach Arbeitsfeldern und Regionen
– bereits sichtbar und wird auch medial thematisiert. So lieferte Gudrun Ostermann vor rund einem
Jahr ein Stimmungsbild aus der Sozialen Arbeit in DerStandard:
„Der Kinder- und Jugendhilfe droht der Kollaps, Sozialarbeiterinnen klagen über eine
wachsende Belastung, es gibt kaum Bewerbungen auf offene Sozialarbeitsstellen,
die Personalsuche ist langwieriger und mühsamer – der Fachkräftemangel ist im
Bereich der sozialen Arbeit an vielen Ecken spürbar.“ (Ostermann 2022)
Untermauert werden Ostermanns Überlegungen unter anderem durch eine im Jahr 2020
veröffentlichte Studie zum Personalmangel im öffentlichen und sozialen Sektor. An der Studie
nahmen 216 Führungskräfte aus den Bereichen Sozialwirtschaft, Gesundheitsdienstleistung und
öffentliche Verwaltung teil. Als schwerwiegende Auswirkung des Personalmangels wird hier eine
Verdichtung des Arbeitseinsatzes für bestehende Mitarbeiter*innen genannt (41%), und dass es
zunehmend schwieriger werde, aktuelle Leistungen abzurufen (28%) oder auch neue Leistungen
entwickelnundanbietenzukönnen(16%)(vgl.Bodenstorfer/Horak2020:9).Gesundheitsdienstleister
setzen verstärkt monetäre Anreize ein (50%), was für die Sozialwirtschaft nicht in dem Ausmaß
leistbar ist (36%) (vgl. ebd.: 15). Hohe Einigkeit (78%) besteht auch in der Wahrnehmung, dass
die Personalrekrutierung schwieriger als vor 10 Jahren sei (vgl. ebd.: 9), 92% der befragten
Führungskräfte gehen von einer weiteren Verschärfung des Personalmangels aus (vgl. ebd.: 23). Als
Gegensteuerung wären unter anderem deutlich flexibilisierte neue Arbeits- und Fördermodelle zu
entwickeln, die gerade im Sozialbereich als notwendig erachtet werden, um Vereinbarkeitsprobleme
zu reduzieren und Perspektiven zu eröffnen (vgl. Gehrlach/von Bergen/Eiler 2022: 8–9).
AuchimRahmenderregelmäßigstattfindendenVernetzungstreffenderPraxiskoordinator*innen
und -lehrenden aller Fachhochschul-Bachelorstudiengänge Sozialer Arbeit in Österreich als
Brücke zwischen Praxisstellen und Hochschule werden zunehmend Signale für einen Mangel an
Fachkräften wahrgenommen und diskutiert. Die Autorinnen dieses Artikels untersuchen ausgehend
von ihrer Tätigkeit als Praxiskoordinatorinnen in Bachelorstudiengängen der Sozialen Arbeit an den
Fachhochschulen FH Campus Wien und FH Burgenland die Auswirkungen des Fachkräftemangels
aufStudierendederSozialenArbeitausderPerspektivevonPraxiskoordinator*innenund-lehrenden.
Das methodische Vorgehen orientiert sich am Forschungsinteresse mit der Fragestellung, wie sich
der Fachkräftemangel in der Sozialen Arbeit auf Studierende der Sozialen Arbeit auswirkt.
FürdieErhebungwurdeeinMixed-Method-Ansatzausgewählt.NebeneinerLiteraturrecherche
stützt sich der qualitative Teil der Forschung auf eine leitfadengestützte Gruppendiskussion mit
Vertreter*innen der öffentlichen österreichischen Fachhochschulen. Dabei interessierte, wie
Praxiskoordinator*innen und -lehrende an österreichischen Fachhochschulen die Zusammenarbeit
mit Sozialen Organisationen als Praktikumsstellen und deren Personalsituation wahrnehmen und
mit welchen Herausforderungen Studierende der Sozialen Arbeit in Bezug auf die Praxis konfrontiert
sind. Ausgehend von der damit verbundenen Hypothese, dass Studierende vermehrt als Fachkräfte
eingesetzt werden, bildet eine Frequenzanalyse von Stellenangeboten auf der Plattform Jobverteiler
über einen Zeitraum von sechs Monaten den quantitativen Teil der Forschung. In diesem Teil wird
der Frage nachgegangen, in welchem Ausmaß Studierende der Sozialen Arbeit in Inseraten für
Jobs im Sozialbereich angesprochen werden.
3
Gruppendiskussion mit Praxislehrenden
Im Zuge der Praxislehrenden-Vernetzung in den Studiengängen der Sozialen Arbeit der
österreichischen Fachhochschulen wurde im April 2023 eine leitfadengestützte Gruppendiskussion
nach Flick (2007) mit 20 Teilnehmer*innen durchgeführt. Die teilnehmenden Diskutant*innen sind
Praxiskoordinator*innen und -lehrende an öffentlichen Fachhochschulen in Österreich und sie sind in
Summe für rund 1000 Studierende pro Jahrgang in Bachelor- und Masterstudiengängen der Sozialen
Arbeit zuständig. Es handelt sich daher um eine homogene, reale Gruppe mit einer gemeinsamen
Interaktionsgeschichte und bereits entwickelten Handlungsformen (vgl. Flick 2007: 252). Es haben
FH-Vertreter*innen aus allen neun Bundesländern an der Gruppendiskussion teilgenommen, alle
haben sich mit einer anonymisierten Verwendung der Daten einverstanden erklärt.
3.1 Methodisches Vorgehen
Die Daten wurden mittels Audioaufnahme gesichert und entsprechend der inhaltlich-semantischen
Transkription nach Kuckartz, Dresing, Rädiker und Stefer (2008) verschriftlicht (GD) sowie mit
einer Zeilennummerierung versehen, wodurch eine Fokussierung auf die semantischen Inhalte
der Redebeiträge erfolgen kann (vgl. ebd.: 27). Die Analyse folgt methodisch der qualitativen
InhaltsanalysenachMayringineinemdeduktiv-induktivenWechsel.DiededuktiveHerangehensweise
umfasst kategorisierende Fragestellungen in zwei Blöcken. Der erste Diskussionsblock ist der
Vernetzung, Kooperation und Akquise von adäquaten Praxisstellen und dem bestehenden Wissen
über die Personalsituation in der Praxis gewidmet. Im zweiten Block wird der Frage nachgegangen,
inwiefern Studierende bereits zu Beginn des Studiums im Sozialbereich beschäftigt sind, direkt aus
den Praxislernphasen für Jobs rekrutiert werden und welche Herausforderungen eine Berufstätigkeit
im Sozialbereich während des Studiums mit sich bringt.
Der diskussionsanregende und impulsgebende Charakter der Fragestellungen ohne Eingriffe
in den sequenzierten Diskussionsverlauf erlaubt eine schrittweise induktive Kategorienbildung aus
dem Material heraus, die computergestützt mit dem Softwareprogramm QCAmap erfolgt. Der
interaktive Charakter des Methodentools folgt dem Ablaufmodell der qualitativen Inhaltsanalyse und
stellt dieses sicher (vgl. Mayring 2019: 12–13). Damit verbunden ist eine erste Abstraktion von den
und Subsumtion unter die bereits entwickelten Kategorien sowie eine Kategorienneubildung. Nach
derBearbeitungvon10–15ProzentdesDatenmaterialsimerstenDurchgangwirdeineÜberarbeitung
der Kategorien durchgeführt, darauf folgen der vollständige Durchgang der Daten, eine zweite
Abstraktion, Auswertung und Hauptkategorienbildung. Als Kodiereinheiten werden Phrasen oder
Wortfolgen verwendet, die Kontexteinheiten beziehen sich auf relevante Situationsdarstellungen und
Erklärungsmodelle. Die qualitative Inhaltsanalyse arbeitet nicht mit gänzlich offenen, explorativen
Verfahren, sondern leitet aus dem übergeordneten Forschungsinteresse die textanalytischen
Fragestellungen ab (vgl. ebd.: 3).
3.2 Forschungsergebnisse
3.2.1 Soziale Organisationen erhöhen Akquise-Aktivitäten für Praktikums-
stellen
Der Koordinations-, Organisations- und Betreuungsbedarf in den Praxislernphasen der
Studierenden wird seitens der Praxiskoordinator*innen und -lehrenden als anhaltend hoch
eingeschätzt. Dabei handelt es sich um eine aktive Zusammenarbeit mit Praktikumsstellen, die
Organisation von offenen Lehrveranstaltungen, Exkursionen, Practice Days, Praktikumsbörsen und
ähnlich ausgerichteten Aktivitäten (vgl. GD: Z65–69). Diese dienen zum einen der Orientierung der
Studierenden in den Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit und zum anderen sind sie der praxisnahen
Ausrichtung Sozialer Arbeit als Handlungswissenschaft geschuldet. In diesem Kontext werden
auch vermehrt Stellenausschreibungen Sozialer Organisationen an Studierende weitergeleitet (vgl.
GD: Z61–63). Zeitgleich wird die Notwendigkeit, Praktikumsplätze zu akquirieren und Studierende
bei der Identifizierung geeigneter Praktikumsstellen zu unterstützen, seitens der Praxislehre und
-koordination an den Fachhochschulen als abnehmend beschrieben: „Ahm, also ich hab jetzt
nicht den Eindruck, dass Akquise notwendig ist.“ (GD: Z50) Dies hängt unter anderem mit einer als
neu bewerteten Entwicklung zusammen, nämlich dass soziale Organisationen erhöhte Aktivitäten
und offensivere Techniken zur Bewerbung ihrer Praktikumsstellen einsetzen. Die Bereitschaft, in
Praktikumsangebote zu investieren, zeigt sich in einer erhöhten Dichte an Angeboten und darin, dass
Organisationen an die Fachhochschulen herantreten und die Erstellung eines eigenen Konzepts
anbieten, um von Studierenden stärker wahrgenommen zu werden und deren Interesse zu wecken
(vgl. GD: Z48–60). Dies beschränkt sich nicht nur auf originäre Sozialarbeitsfelder, sondern erstreckt
sich zunehmend auch auf sozialarbeitsnahe Bereiche (vgl. GD: Z81).
Die beschriebene Entwicklung ist damit zu begründen, dass soziale Organisationen in
Praktika ein hohes Potenzial für die Jobakquisition sehen und über Praktikumsstellen Bindung
herstellen (vgl. GD: Z78–80). Dies wird unter anderem dadurch evident, dass viele Studierende
„sofort und aus dem Praktikum heraus Jobangebote“ (GD: Z81–82) und oftmals die Information
erhalten, dass sie „ab Absolvierung von 50% des Studiums angestellt werden können“ (GD: Z152).
3.2.2 „Da sieht man schon die Verzweiflung in der Praxis dahinter“
(GD: Z95–96)
In Zusammenhang mit erhöhten Anfrage- und Angebotsaktivitäten seitens sozialer Organisationen
wird auch die Bezahlung von Praktikumszeiten vermehrt thematisiert. Von einzelnen Organisationen
wird diese auch bereits angeboten, im Sinne von „wir bezahlen etwas, bitte leitet das weiter“
(GD: Z79). Die Entgeltangebote einzelner Organisationen führen zu einer Ungleichstellung
der Praktikumsstellen und mitunter zu Irritationen bei den Studierenden (vgl. GD: Z104–106)
Diesbezüglich wird eine bundesweit einheitliche Regelung angeregt (vgl. GD: Z170).
Der erhöhte Druck aufgrund des Personalmangels in den Arbeitsfeldern der Sozialen
Arbeit wird teilweise an die Praxiskoordinator*innen an den Fachhochschulen adressiert und ist
mit hohen Erwartungen verbunden. Dies zeigt sich in Bestrebungen, die eigene Organisation
in Lehrveranstaltungen präsentieren zu dürfen und vermehrt im Vorwurf, dass zu wenige
Sozialarbeiter*innen ausgebildet werden (vgl. GD: Z117–122). Bei geringen Rücklaufquoten
auf Jobausschreibungen ist mit Rückfragen zu rechnen, ob Stellenausschreibungen seitens der
Fachhochschule tatsächlich weitergeleitet worden sind und ob Studierende hinsichtlich des
Arbeitsfeldes oder der Organisation seitens der Fachhochschule negativ beeinflusst würden (vgl.
GD: Z141–144).
3.2.3 Besetzung offener Sozialarbeitsstellen erschwert
Als Ursachen für einen erhöhten Personalbedarf in den Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit werden
zum einen die Zunahme an Arbeitsstellen und der Ausbau neuerer Bereiche wie beispielsweise
die Schulsozialarbeit und Gewaltpräventionsberatung genannt. Zum anderen werden vermehrt
Teilzeitstellen angeboten oder aufgrund persönlicher Anforderungen in Anspruch genommen,
wodurch ein erhöhter Personalbedarf und -aufwand entsteht (vgl. GD: Z 221–225): „[D]a wird
um jede Stunde gefeilscht.“ (GD: Z273) In manchen Bundesländern sind soziale Organisationen
damit konfrontiert, dass die Arbeitsplätze in Nachbarländern wie beispielsweise der Schweiz
höher dotiert sind. Angebote aus der Praxis, die diesen Parametern und der bereits beginnenden
Pensionierungswelle Rechnung tragen würden, fehlen weitgehend (vgl. GD: Z215–218).
Soziale Organisationen versuchen über Dauerausschreibungen, über Social Media, über
Vernetzung und enge Kooperation mit den Fachhochschulen den Personalmangel zu kompensieren
(vgl. GD: 229–236). „Wo früher 20 Bewerbungen waren, sind jetzt null.“ (GD: Z196) Der massive
Rückgang an Bewerbungen führt zu laufender Personalsuche, Nachbesetzungen können erst nach
einem halben Jahr Suche oder länger durchgeführt werden (vgl. GD: Z276–278). „Als Supervisorin
merke ich das in Teams, dass das massiven Druck birgt, einfach auch niemanden nachbesetzen
zu können.“ (GD: Z302–303) Diese Entwicklung führt dazu, dass auch Personen mit anderen oder
fehlenden Ausbildungen eingestellt werden (vgl. GD: Z263), womit die Gefahr einhergeht, dass
professionelle Identität und Berufsethik verlorengehen, die gerade für die Arbeit mit marginalisierten
Gruppen von erhöhter Bedeutung ist (vgl. GD: Z289–295). Eine weitere Folge dieser Entwicklung
stellt eine erhöhte Personalfluktuation dar; in diesem Zusammenhang fällt der Begriff „Drehtür-
System“ (vgl. GD: Z229–234). Dies fußt unter anderem auf der Wahrnehmung, dass sich manche
Berufsanfänger*innen bereits nach kurzer Zeit in der Sozialen Arbeit gegen die Profession
entscheiden und in ihre Ursprungsberufe zurückkehren. Die Gesamtentwicklung fördert zudem die
Konkurrenz zwischen Organisationen (vgl. GD: 244–247).
In hochschwelligen Bereichen wie der Kinder- und Jugendhilfe sind mittlerweile überwiegend
Berufsanfänger*innen tätig, weshalb psychische Belastungen und Stressfaktoren zunehmend
thematisiert werden (vgl. GD: Z196–199). Zudem kann es durch Unterbesetzung zu „inadäquaten
Praktikumsverhältnissen“ (GD: Z237) und zur Qualitätsminderung in der Versorgung kommen,
indem auf sozialarbeiterische Berufserfahrung verzichtet werden muss und Praktikant*innen als
interimistische Arbeitskräfte eingesetzt werden.
Weitere Implikationen des Fachkräftemangels sind die erschwerten Bedingungen für
Weiterentwicklungen und Berufsfelderweiterungen der Sozialen Arbeit. Die Sinnhaftigkeit der
Positionierung neuer Projekte wird in Frage gestellt, wenn Jobs nicht besetzt werden und damit
Qualität und Versorgung nicht gewährleistet werden können. „Wäre es nicht klüger, solche Konzepte
[zum Beispiel sozialgeriatrische Projekte] momentan nicht rauszugeben, zu warten, bis man mehr
Sozialarbeiter*innen ausbildet?“ (GD: Z345–346) Zurückhaltung wird in diesem Kontext als sinnvoll
und realitätsbezogen identifiziert und ist zugleich mit dem Wissen verbunden, dass es dadurch
zu Rückschritten in der Professionalisierung und verminderten Chancen einer umfassenden
psychosozialen und kooperativen Arbeit sowie Weiterentwicklung kommen kann (vgl. GD: Z347).
Die zunehmende Schwierigkeit der (Nach-)Besetzungen offener Sozialarbeitsstellen führt zur
Überforderung der beschäftigten Sozialarbeiter*innen, zu Versorgungsmängeln und -lücken im
psychosozialen Bereich, die sich unmittelbar auf Adressat*innen auswirken. Letztlich leistet der
EinsatzwenigerqualifizierterArbeitskräfteeinerDeprofessionalisierungderSozialenArbeitVorschub,
wovon auch Studierende und Berufsanfänger*innen maßgeblich betroffen sind. Die Rolle des
Arbeitsmarktservices (AMS) in Bezug auf die Arbeitssuche und -vermittlung von Sozialarbeitsstellen
wird in diesem Zusammenhang als kaum wahrnehmbar beschrieben, da Stellenausschreibungen
direkt im Sozialbereich gestreut und über Fachhochschulen (Rekrutierung von Studierenden)
sowie über Jobportale, organisationsinterne Websites und Social Media lanciert werden (vgl. GD:
Z378–381). Damit ist die Problematik verbunden, dass Fachkräftemangel in einer Branche und die
Ausweisung von Mangelberufen über die Meldungen beim AMS definiert wird – während dieses die
Personalsituation in Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit weder statistisch erfasst noch entsprechend
wahrnimmt (vgl. GD: Z440–445).
3.2.4 Studierende und Berufsanfänger*innen in belastendem Arbeitsstress
Der Personaldruck in Einrichtungen der Sozialen Arbeit kann sich für Studierende dahingehend
auswirken, dass sie im Zuge der Praktikumszeiten als Arbeitskräfte gesehen und eingesetzt
werden. Dies passiert mitunter auf Kosten der Qualität in den Praxislernphasen und kann zu
Überforderungssituationen führen (vgl. GD: Z298–302). „Also das ist für die Studierenden, die
auch sehr fit sind, frustrierend.“ (GD: Z368–369) Sind die Berührungen mit der Arbeitswelt
negativ aufgeladen, kann sich gerade bei jüngeren Studierenden die Intention verstärken, weiter
zu studieren und den Arbeitsmarkt noch zu meiden und/oder die Wochenarbeitszeit möglichst
gering zu halten (vgl. GD: Z370–371). Es kann auch dazu führen, dass Studierende nach einem
absolvierten Praktikum die Wahl der Studienrichtung in Frage stellen, weil sie sich nicht zutrauen,
den Arbeitsdruck und das hohe Arbeitspensum unter anhaltendem Personalmangel bewältigen zu
können (vgl. GD: Z280–286).
Aufgrund der Praktikumserfahrungen sind Studierende der Sozialen Arbeit über
Personalengpässe im Sozialbereich gut informiert. Die angespannte Personalsituation zeigt sich
unter anderem auch in der mittlerweile hohen Nebenbeschäftigungsquote im Vollzeitstudium:
Vielfach arbeiten Studierende bereits vor Studienbeginn und spätestens nach Absolvierung des
Orientierungspraktikums in Sozialeinrichtungen (vgl. GD: Z394–405). Das wirft für sie vermehrt
die Sinnfrage nach einem einschlägigen Studium auf, da die Chancen hoch sind, auch ohne
entsprechende Ausbildung in den Jobs ihrer Wahl arbeiten zu können (vgl. GD: Z149–150). Diese
Frage wird auch vermehrt an Hochschullehrende adressiert: „Warum studiere ich das überhaupt?
Ich könnt sowieso einen Job kriegen jetzt.“ (GD: Z:278–279)
Die hohe Beschäftigungsquote im Vollzeitstudium der Sozialen Arbeit ist zurückzuführen auf
eineexistenzielleNotwendigkeitfürStudierendeaufgrundallgemeinerhöhterLebenserhaltungskosten
einerseits und andererseits auf den verstärkten Personaldruck in den Arbeitsfeldern der Sozialen
Arbeit und die damit zusammenhängenden vermehrten Rekrutierungen. Dies wirft neue
Spannungsfelder im Studienbetrieb auf:
„Das heißt für uns – und dieses Bild haben wir derzeit in der Vollzeit-Form – immer
mehr Studierende, die eigentlich gar nimmer studieren können, weil sie so viel
arbeiten. Und wir kommen total ins Strudeln und das fangt schön langsam an:
kommissionelle Prüfungen, negative Arbeiten, massenhaft plötzlich Einreichungen
bei Anrechnungen auch in der Vollzeit-Form, wo wir jetzt überlegen müssen, wie
gehen wir damit um? Und das machts ein bisschen schwierig, [...] dass die Qualität
gleich bleibt. Und das macht mir Sorgen.“ (GD: Z152–159)
Auch die Vereinbarkeit von Studium, Job und verpflichtenden Praktika wird von Studierenden
zunehmend problematisiert. Eine der aktuell großen Herausforderungen stellt die Finanzierbarkeit
des täglichen Lebens dar, die neben dem Studium eine Erwerbstätigkeit notwendig macht und
von mehrwöchigen, großteils unbezahlten Praktikumszeiten konterkariert wird. Vielfach kommt es
zu Überforderungen aufgrund der Angst, „ich kann mir kein Praktikum leisten, ich muss arbeiten
gehen“ (GD: Z483). Studierende thematisieren vermehrt ihr Bedürfnis, ihre private und existenzielle
Lebenssituation entsprechend zu berücksichtigen, wodurch die Erfüllung der Mindestanforderungen
imStudiumerschwertwird.Eswirdwahrgenommen,dasssichdiegenanntenVereinbarkeitsprobleme
und Anzeichen von Überforderung während des Studiums in den letzten Jahren verstärkt haben
(vgl. GD: Z545–550).
MöglicherweisePandemie-bedingteSensibilisierungenundVerunsicherungenhinsichtlichder
Selbstwirksamkeit und der Bewältigbarkeit von Herausforderungen verschärfen die Lebenssituation
von Studierenden und schwächen ihr Selbstvertrauen in fordernden Praktikumssituationen (vgl.
GD: Z537–541). Diese Ausgangssituation bedarf verstärkter Rücksichtnahme im Rahmen der
Studiengangs-Organisation und erhöht wiederum das Konfliktpotenzial in Bezug auf die Praktikums-
und Berufsanforderungen in der Praxis (vgl. GD: Z567–575, Z577–589).
Während das Wissen, aktuell viele Beschäftigungsmöglichkeiten als Sozialarbeiter*in zu
haben, Studierenden der Sozialen Arbeit auch Sicherheit vermitteln kann, birgt der Personaldruck
in der Praxis zugleich Gefahren. Der drängende Markt und damit verbundene rasche Einstellungen
von Personen, die sich noch in Ausbildung befinden, bedeuten mitunter unausgereiftes Onboarding,
Mentoring und verkürzte Einschulungsphasen (vgl. GD: Z365–367). Sie können dazu führen, dass
Neuzugänge „relativ schnell wieder hinausfallen aus diesen Systemen“ (GD: Z365–368). Diese
Ausgangssituation führt auch zu raschen Karriereaufstiegen und hoher Verantwortungsübernahme
in Leitungspositionen innerhalb kürzester Zeit, die ebenso wie die Kompensation fehlender
Mitarbeiter*innen in Überforderung münden kann (vgl. GD: Z201–206). In diesem Zusammenhang
werden Aussagen von Berufsanfänger*innen wie, „Ich mach einen Job für drei Leute, weil es fehlt“
(GD: Z207), zitiert.
4
Analyse von Stellenausschreibungen im „Jobverteiler“
Die Plattform „Jobverteiler“ (Sozialarbeit.job – Jobangebote fuer SozialarbeiterInnen) ist ein seit
2004 ehrenamtlich geführter Emailverteiler (ursprünglich nur von DSA für DSA),i bei dem sich
Jobsuchende registrieren können und Jobangebote von Einrichtungen im Sozialbereich per E-Mail
an alle registrierten Personen (laut Website sind das seit Bestehen über 7000) weitergeleitet werden.
In dieser Forschung geht es nicht darum, die Menge an Jobangeboten im Sozialbereich bzw.
die Veränderungen über den untersuchten Zeitraum aufzuzeigen – dafür wären die untersuchten
Stellenangebote auch nicht repräsentativ –, sondern darum, mittels Analyse von Jobangeboten
die aufgestellte Hypothese zu überprüfen, dass Bachelor-Studierende der Sozialen Arbeit bedingt
durch den Fachkräftemangel als mögliche Mitarbeiter*innen angeworben werden.
a.
Methodisches Vorgehen
Ausgehend von den im Jobverteiler ausgeschriebenen Stellen im Sozialbereich wurde eine
Frequenzanalyse anhand des Merkmals „in Ausbildung“ über den Zeitraum von sechs Monaten
durchgeführt. Die Jobangebote beziehen sich fast ausschließlich auf Wien und Niederösterreich,
vereinzelt auch auf das Burgenland und selten auf Gesamtösterreich. Im untersuchten Zeitraum von
01. Februar 2023 bis 31. Juli 2023 wurden 631 Emails verschickt. Manche Stellenausschreibungen
waren auf nicht mehr aktive Websites verlinkt und konnten somit nicht berücksichtigt werden. Wenn
eine E-Mail mehrere Jobangebote beinhaltete, wurden alle verwertet. Da sich die Forschung auf
Bachelor-Studierende der Sozialen Arbeit bezieht und das Interesse dem Anforderungsprofil gilt,
wurden jene Ausschreibungen ausgeschlossen, in denen dezidiert und ausschließlich nach anderen
Professionen, wie beispielsweise administrativen Kräften, Trainer*innen mit Lehrabschluss, DPGKP,
Jurist*innen oder Hochschullehrenden, gesucht wurde oder die eine sehr spezifische Zielgruppe,
z.B. Peerberatung, ansprachen. Letztendlich wurden 634 Stellenangebote einer genaueren Analyse
unterzogen. Im Verlauf des Beobachtungszeitraums von sechs Monaten wurden vereinzelt völlig
identeJobangebotegestelltbzw.lanciertenmanche(sehrgroße)TrägereheroffeneAusschreibungen
und bezogen sich nicht auf spezifisch zu besetzende Positionen. Idente Stellenausschreibungen
könnten die Hypothese des Fachkräftemangels in der Sozialen Arbeit untermauern, sie können aber
auch Aufschluss über die Häufigkeit der Nutzung des Jobverteilers einzelner Einrichtungen geben.
Für die Überprüfung der Hypothese war das nicht von Belang.
Methodisch besteht die Herausforderung darin, dass eine nicht abgeschlossene Ausbildung
im Anforderungsprofil unterschiedlich bezeichnet wird. Das reicht von „vorzugsweise eine
abgeschlossene Ausbildung“, über „Überzahlung bei abgeschlossener Ausbildung“ bis zu „im
Ausbildungsfinale“ oder „Student*in der Sozialen Arbeit“. Somit konnte bei der Quantifizierung
nicht „losgelöst vom Gegenstand und seiner Bedeutung vorgegangen werden“ (Früh 2017:
41). Viele Ausschreibungen im Sozialbereich richten sich nicht nur an Absolvent*innen eines
Studiums Sozialer Arbeit. Trotz der Breite der angesprochenen Professionen erfolgt allerdings eine
Differenzierung bei der Einstufung in Kollektivverträge. In dieser Forschung konnten monetäre
Unterschiede abhängig von Berufsfeldern und Aufgabengebieten nicht berücksichtigt werden, auch
wenn diese Differenzierung ein wichtiger Indikator für die Anerkennung und die unterschiedlichen
Rahmenbedingungen Sozialer Arbeit sein kann.
b.
Forschungsergebnisse der Frequenzanalyse
Für die Auswertung wurden alle Stellenangebote nicht nur nach Berufsfeld, sondern parallel dazu auf
die Bezeichnung der Jobposition hin untersucht. In den 50 Stellenangeboten für Leitungsfunktionen
(in unterschiedlichen Hierarchieebenen, auch stellvertretende Leitung, teilweise gekoppelt mit
Basisarbeit) werden wenig überraschend keine Bewerber*innen in Ausbildung angesprochen. Dafür
richten sich neun Sommerjobs und geringfügige Jobs dezidiert auch an Personen in Ausbildung,
wobei überrascht hat, dass eine Trägerorganisation für diese bezahlte Tätigkeit auch gleich eine
Praktikumsbestätigung verspricht.
Insgesamt 194 Stellenausschreibungen haben dezidiert nach Sozialarbeiter*innen
gesucht (auch wenn vereinzelt auch andere Professionen angeführt wurden), viele davon aus der
behördlichen Sozialarbeit, aber auch aus der Wohnungslosenhilfe, dem Zwangskontext oder dem
Suchtbereich. In keiner dieser Ausschreibungen wird erwähnt, dass sie sich auch an Personen
in Ausbildung richten würden. 54 der untersuchten Angebote sind dem sozialpädagogischen
Bereich zuzuordnen. Die Anforderungen sind hier komplexer, was auch die Ausbildungslandschaft
der Sozialpädagogik widerspiegelt. Auf der anderen Seite wurde häufig auf die entsprechenden
gesetzlichen Bestimmungen in den Kinder- und Jugendhilfegesetzen Bezug genommen. In acht
Ausschreibungen wird in unterschiedlicher Formulierung eine nicht abgeschlossene Ausbildung
erwähnt. Nicht klar interpretiert werden konnte die Klammer bei „(abgeschlossene) einschlägige
Ausbildung“ und wird somit nicht dazu gezählt. Die 88 Jobangebote der Jugendarbeit nennen als
Anforderung häufig Aus- und Fortbildungen, verlangen also kein abgeschlossenes Studium der
Sozialen Arbeit, in neun wird die Formulierung „in Ausbildung“ bzw. „anderweitige Erfahrungen“
verwendet. Auch hier findet sich eine nicht zuordenbare Bezeichnung mit „(abgeschlossen)“ in
Klammer und eine weitere mit „ausreichende Kenntnisse […] erwünscht“.
In der Auswertung am herausforderndsten waren die 239 Jobangebote mit nicht klaren
Berufsbezeichnungen, wie z.B. Berater*in, Betreuer*in, aber auch Coach, Assistent*in etc. Sie waren
auch entsprechend breit im Anforderungsprofil, haben unterschiedliche Professionen angesprochen
und mögliche Ausbildungen angeführt. Auch wenn es nicht Gegenstand dieser Forschung ist, gab
es in dieser Gruppe die stärksten Schwankungen in den angeführten Gehältern und Einstufungen.
Die Ergebnisse werden hier geordnet nach Berufsfeldern dargestellt:
•
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23 sind der Wohnungslosenhilfe zuzuordnen, davon ist in acht Ausschreibungen die
Rede davon, dass eine einschlägige Ausbildung ideal bzw. von Vorteil wäre.
In einer der fünf Anzeigen der Stadtteilarbeit werden keine Anforderungen an die
Ausbildung gestellt und somit auch Personen in Ausbildung angesprochen.
Bei den 72 Anzeigen aus dem Bereich Menschen mit Behinderungen sind 51 von
demselben Träger, bei allen stellt die „laufende Ausbildung“ eine mögliche
Anforderung dar. Auch von den restlichen 21 sind acht an Personen „in Ausbildung“
als Option adressiert, eine ist ohne konkrete Angaben.
•
•
Im Bereich Asyl/Migration wird bei manchen von „vorzugsweise eine abgeschlossene
Ausbildung“ gesprochen, diese werden nicht als „in Ausbildung“ gewertet. In einer
Ausschreibung wird dezidiert „in Ausbildung“ als Option gegeben, zwei weitere
richten sich auch an Studierende im 2. Abschnitt mit abgeschlossenen Praktika.
Arbeitsmarktpolitischer Kontext: von 46 Jobangeboten ist bei zweien eine abge-
schlossene Ausbildung „von Vorteil“ bzw. „erwünscht“, alle anderen verlangen
eine abgeschlossene Ausbildung, wenn auch in unterschiedlichen Bereichen.
Gewaltschutz: die 11 Angebote für die Arbeit im Frauenhaus (ein Träger) haben alle
als Option „oder im Ausbildungsfinale“.
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43 Jobs sind aus dem Bereich der Arbeit mit psychisch Erkrankten. Zweimal wird
eine Ausbildung als „von Vorteil“ bezeichnet, 24 Ausschreibungen kommen vom
selben Träger, der bei 20 ausgeschriebenen Positionen zwar eine Ausbildung
verlangt, bei der Entlohnung aber von einer freiwilligen Überzahlung bei einer
Ausbildung schreibt.
•
Die restlichen 15 Stellenausschreibungen fallen unter „Sonstige Berufsfelder“;
auch wenn sie unterschiedliche Professionen ansprechen, findet sich nirgends „in
Ausbildung“ als mögliche Anforderung.
Auch wenn durch Frequenzanalysen der Nachweis empirischer Zusammenhänge oft schwach
ist (vgl. Schnell/Hill/Esser 2013: 404), zeigen die Ergebnisse, dass Stellenausschreibungen im
Sozialbereich durchaus auch Personen in Ausbildung ansprechen. Dies geschieht am häufigsten
in der zuletzt untersuchten Kategorie, den nicht klaren Berufsbezeichnungen. Die im dritten Kapitel
beschriebenen Ergebnisse der Gruppendiskussion bestätigen dies. Die Frequenzanalyse kann
nicht beantworten, ob Bewerbungen von Menschen in Ausbildung bei Einrichtungen, die eine
abgeschlossene Ausbildung verlangen, dennoch berücksichtigt werden und lässt außer Acht, dass
Personalrekrutierung nicht nur über Stellenausschreibungen läuft, sondern Studierende vielfach im
Rahmen ihrer Praktika in Kontakt mit ihren künftigen Arbeitgeber*innen kommen.
5
Fazit
Soziale Arbeit gerät zunehmend unter Druck. Bei weiterhin mangelnder sozialpolitischer
Gegensteuerung ist mit einer Reduktion der Leistungsmengen und einer Gefährdung der
Versorgung zu rechnen, was insbesondere Randgruppenarbeit betrifft. Weiters ist von einer
Deprofessionalisierung auszugehen, wenn Qualitätsstandards redimensioniert bzw. wenn Personen
mit nicht einschlägiger Ausbildung in Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit eingesetzt werden
müssen. Wie die Frequenzanalyse zeigt, sind Stellenausschreibungen hinsichtlich der Qualifikation
potenzieller Bewerber*innen oft breit formuliert. Wenngleich unterschiedliche Professionen in
einem Team durchaus eine Bereicherung darstellen können, wird es problematisch, wenn durch
den Fachkräftemangel die Perspektive der Sozialen Arbeit aus Berufsfeldern verdrängt wird, weil
Stellen nur noch mit Personen aus anderen Professionen besetzt werden können (z.B. Jurist*innen
in der Erwachsenenvertretung, Psycholog*innen in der psychosozialen Beratung, Absolvent*innen
freizeitpädagogischer Ausbildungen in der Jugendarbeit). Auch wenn in Stellenangeboten nur
vereinzelt dezidiert in Ausbildung befindliche Personen angesprochen werden, nehmen die
Praxislehrenden ein vermehrtes Recruiting durch soziale Einrichtungen während des Studiums
wahr, dies trifft auch auf hochschwellige Arbeitsbereiche zu.
Aufgrund der hohen Beschäftigungsrate und der von Arbeitgeber*innen erwarteten
Flexibilität geraten Studierende auch in den Vollzeit-BA-Studiengängen zunehmend unter Druck
hinsichtlich der Absolvierung der studienspezifischen Leistungserfordernisse. Sichtbar wird dies
im Anstieg der Studienunterbrechungen und anhand der Wiederholungen von Studienjahren. Auch
die Absolvierung der zeitlich festgelegten und großteils unbezahlten Praktika von durchschnittlich
600 Arbeitsstunden während des BA-Studiums werden von Studierenden der Sozialen Arbeit
zunehmend als Belastung und Herausforderung hinsichtlich der Vereinbarkeit mit bestehenden
Erwerbsarbeitsverpflichtungen wahrgenommen.
Da Stellenausschreibungen und -vermittlungen meist nicht über das Arbeitsmarktservice,
sondern innerhalb der Community, über entsprechende Portale wie den untersuchten Jobverteiler
sowie über Websites der sozialen Organisationen und über Fachhochschulen lanciert werden, fehlen
statistische Daten über die tatsächliche Dimension des Fachkräftemangels in der Sozialen Arbeit.
Die Forderungen nach einem deutlichen Ausbau an Ausbildungsplätzen und einer Attraktivierung
der Studien- und Arbeitsbedingungen gehen deshalb vielfach ins Leere. Dies zeigt sich unter
anderem auch darin, dass trotz jahrzehntelanger Bestrebungen nach wie vor ein Berufsgesetz für
Sozialarbeiter*innen fehlt.
Ausgehend von den Forschungsergebnissen werden die folgenden Empfehlungen
ausgesprochen: In einem ersten Schritt sollte der Bedarf an Fachkräften der Sozialen Arbeit,
ähnlich wie im Pflegebereich, umfassend evaluiert werden, damit es möglich wird, ergebnisbasiert
entsprechende Maßnahmen zu entwickeln und zu implementieren. Dazu braucht es eine Analyse der
derzeitigen Besetzung von Stellen im Sozialbereich, um eine mögliche Verdrängung der Profession
in manchen Berufsfeldern, oder auch die Ausdifferenzierung nach Qualifikation/Verwendung und die
damit oft einhergehende schlechtere Bezahlung sichtbar zu machen. Des Weiteren und unabhängig
davon wäre es sinnvoll, sowohl im Rahmen der Arbeitssuche als auch in der Angebotslegung das
AMS verstärkt einzubeziehen, da so der Fachkräftemangel in der Sozialen Arbeit auch in dieser
staatlichen Institution sichtbar gemacht werden kann und Entscheidungsträger*innen Argumentation
und Handlungsgrundlage für die künftige Gestaltung des Studiums und der Profession erhalten.
In weiterer Folge sollten Studienplätze der Sozialen Arbeit möglichst rasch ausgebaut werden.
Darüber hinaus sind Studium und Praktikumszeiten leistbar zu gestalten, um Studierenden die
Deckung ihrer Lebenserhaltungskosten zu ermöglichen, wie es im Pflegebereich bereits umgesetzt
wird. Abschließend sei auf die Notwendigkeit hingewiesen, auch die finanziellen Bedingungen in
den Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit attraktiver zu gestalten.
Verweise
i
DSA steht für „Diplomierte Sozialarbeiter*in“, eine Bezeichnung für Absolvent*innen einer Sozialakademie, die Ausbildungsform für
Sozialarbeit bis zur Einführung der akademischen FH-Studiengänge.
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Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK). https://
broschuerenservice.sozialministerium.at/Home/Download?publicationId=784 (21.08.2023).
Über die Autorinnen
FH-Prof.in Gabriele Kronberger, MA MSc
Praxiskoordination, Lehre und Forschung an der FH Campus Wien; Supervisorin in freier Praxis;
Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Soziale Arbeit (ogsa).
Dagmar Fenninger-Bucher, MA
Hochschullehrende und Praxiskoordinatorin FH Burgenland, Campus Eisenstadt; Nebenberuflich
Lehrende FH Campus Wien; Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Soziale Arbeit
(ogsa).