soziales_kapital
Cordula Hinterholzer. Kompetenzen der Sozialen Arbeit für die Beratung von homosexuellen
Jugendlichen. soziales_kapital, Bd. 27 (2023). Rubrik: Junge Wissenschaf. nnsbruck. Printversion:
27. Ausgabe 2023
Akademisierung Sozialer Arbeit
Kompetenzen der Sozialen Arbeit
für die Beratung von homosexuellen Jugendlichen
Cordula Hinterholzer
Zusammenfassung
Homosexualität im Jugendalter ist eine Thematik, die noch nicht in der Mitte von Sozialarbeitstheorie
und -praxis angekommen ist. Dadurch entsteht eine Lücke im Beratungssystem, welche dazu
führt, dass Sozialarbeiter_innen durch ihr Studium nicht adäquat auf die Arbeit mit homosexuellen
Jugendlichen vorbereitet werden. Das kann dazu führen, dass in der Praxis die Qualität der Beratung
darunter leidet. Der vorliegende Beitrag basiert auf meiner Bachelorarbeit und liefert eine Übersicht
über notwendige Kompetenzen im sozialarbeiterischen Umgang mit homosexuellen Jugendlichen.
Gegliedert werden diese Kompetenzen anhand des Modelles von Erpenbeck und Heyse in Fach-,
Methoden-, Personale-, Sozial- und Handlungskompetenzen. Eine Erweiterung dieser Einteilung
erfolgt durch die Regenbogenkompetenz von Ulrike Schmauch sowie die Gender- und Diversity-
Kompetenz nach Ewers und Schallert.
Schlagworte:Homosexualität, HomosexualitätimJugendalter, sexuelleOrientierung, Kompetenzen
für die Soziale Arbeit, LGBTQ+, Gender- und Diversity
Abstract
Homosexuality in adolescence is a topic that has not yet reached the center of social work theory
and practice. This creates a gap in the counseling system, which means that social workers are
not adequately prepared to work with homosexual adolescents during their studies. As a result, the
quality of counselling may suffer in practice. This article is based on my bachelor thesis and provides
an overview of the skills that social workers need to work with homosexual adolescents. These
skills are categorized according to Erpenbeck and Heyse’s model into professional, methodological,
personal, social and action skills. This categorization is extended by Ulrike Schmauch’s rainbow
competence and Ewers and Schallert’s gender and diversity competence.
Keywords: homosexuality, homosexuality in adolescence, sexual orientation, competences for
social work, LGBTQ+, gender and diversity
1
Einleitung
In der Beratung der Sozialen Arbeit wird Homosexualität im Jugendalter oftmals nicht
wahrgenommen oder nur als Nischenthema betrachtet (vgl. Ewers/Schallert 2014: 12). Das führt
dazu, dass Sozialarbeiter_innen häufig unvorbereitet für die Arbeit mit dieser Zielgruppe sind (vgl.
Craig/Dentato/Messinger/McInroy 2016; Nagy 2016; Schirmer 2017; Wagaman/Shelton/Carter
2018; Marenke 2019). Infolgedessen wird in der Beratung sehr häufig ein potenziell wichtiger
Entstehungsfaktor oder aufrechterhaltender Faktor für diverse Problematiken der jungen Menschen
nicht mitgedacht. Letztendlich kann das dazu führen, dass keine adäquate Hilfestellung geleistet
werden kann.
Der vorliegende Artikel basiert auf der Bachelorarbeit Notwendige Kompetenzen in
der Beratung von homosexuellen Kindern und Jugendlichen (Hinterholzer 2022), verfasst am
Management Center in Innsbruck im Studienlehrgang Soziale Arbeit. Ziel der Untersuchung war
es, ein allgemeines Kompetenzprofil zu erarbeiten, welches angehenden und bereits tätigen
Sozialarbeiter_innen vermittelt werden kann, um sie für das Thema Homosexualität im Kindes-
und Jugendalter zu sensibilisieren und für die Arbeitspraxis zu schulen. Zudem beschäftigt sich
die Arbeit mit der Frage, warum es bisher in der Sozialen Arbeit weitestgehend nicht gelungen ist,
Sozialarbeiter_innen auf die Arbeit mit dieser Zielgruppe vorzubereiten. Im Folgenden werden die
wichtigsten Erkenntnisse aus der Bachelorarbeit dargestellt. Dabei wird zunächst auf die aktuelle
Situation von LGBTQ+ Personen in der EU eingegangen, in weiterer Folge wird sich jedoch auf
die spezifische Situation von homosexuellen Jugendlichen als Zielgruppe beschränkt. Zudem
werden gesellschaftliche Prozesse aufgezeigt, die Auswirkungen auf die Alltagserfahrungen der
Zielgruppe haben. Anschließend wird näher auf den Kompetenzbegriff eingegangen. Anhand des
Kompetenzmodells von John Erpenbeck und Volker Heyse werden benötigte Fach-, Methoden-,
Personale-, Sozial- und Handlungskompetenzen für die Arbeit mit homosexuellen Jugendlichen
herausgearbeitet. In einem letzten Schritt wird das Modell um die Regenbogenkompetenz von
Ulrike Schmauch und die Gender- und Diversity-Kompetenz von Karin Ewers und Daniela Schallert
erweitert.
2
Aktuelle Situation und Problemlagen von homosexuellen Jugendlichen
In Umfragen der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA), in denen LGBTI (lesbian,
gay, bisexual, transgender, intersex) Personen zu ihrer aktuellen Lebenslage befragt wurden, stellte
sich heraus, dass sich LGBTI Personen aus Angst vor Diskriminierung, Gewalt etc. noch immer
alarmierend oft dazu gezwungen fühlen, ihre sexuelle Orientierung oder Genderidentität geheim zu
halten (vgl. FRA 2020: 19). Über die Hälfte der Befragten gab an, fast nie oder kaum offen darüber zu
sprechen. Bei jungen LGBTI Personen sind die Zahlen sogar noch niedriger: nur 12% aller Befragten
im Alter von 18–24 Jahren und 5% im Alter von 15–17 Jahren gehen offen mit ihrer sexuellen
Orientierung oder Genderidentität um. Ein Großteil der Befragten (61%) meidet immer oder oft
simple Zuneigungsbekundungen wie zum Beispiel Händchen halten. Eine von drei Personen (33%)
vermeidet es immer oder oft, bestimmte Orte zu besuchen, in der Angst dort angegriffen, bedroht
oder belästigt zu werden. Trans- oder intersexuell zu sein, erhöht die Wahrscheinlichkeit, physische
oder sexuelle Übergriffe zu erleben im Vergleich zum Durchschnitt aller Befragten (vgl. ebd.).
EinewesentlicheHürdebeiderGleichstellungundAkzeptanzvonLGBTQ+Personen(lesbian,
gay, bisexual, transgender, queer) in der Gesellschaft ist die bestehende „Heteronormativität“.
Darunter versteht Nina Degele ein
„binäres, zweigeschlechtlich und heterosexuell organisiertes und organisierendes
Wahrnehmungs-,Handlungs-undDenkschema,dasalsgrundlegendegesellschaftliche
InstitutiondurcheineNaturalisierungvonHeterosexualitätundZweigeschlechtlichkeit
zu deren Verselbstverständlichung und zur Reduktion von Komplexität beiträgt bzw.
beitragen soll“ (Degele 2005: 19).
Heteronormativität hat zur Folge, dass von der „Norm“ abweichendes Verhalten mehr oder
weniger stark sanktioniert wird, was Vorurteilen, Intoleranz, Gewalt an und Ausgrenzung von
LGBTQ+ Personen die Türe öffnet. Für homosexuelle Jugendliche können sich aufgrund der
heteronormativ ausgerichteten Gesellschaft vielschichtige Problemlagen ergeben: Diskriminierung,
Alkohol- und Drogenkonsum, Depression, Suizidalität usw. (vgl. Meanley/Flores/Listerud/Chang/
Feinstein/Watson 2021: 41; Schmauch 2008: 76). Eine große Herausforderung für die Mehrheit
der homosexuellen Kinder und Jugendlichen stellt immer noch das Coming-out dar. Dieses ist
nicht nur geprägt von einem inneren Konflikt und dem Bewusstwerden über die eigene Sexualität,
sondern auch von der – häufig realen – Befürchtung, von der eigenen Familie oder dem sozialen
Umfeld deswegen abgelehnt, ausgeschlossen, physisch angegriffen oder diskriminiert zu werden
(vgl. Schmauch 2008: 76). Erschwert wird ihr Coming-out zusätzlich dadurch, dass es kaum einen
Schutzraum für queere Kinder und Jugendliche gibt. Diskriminierung aufgrund der sexuellen
Orientierung oder LGBTQ+ Identität kann in jeglichen Bereichen des täglichen Lebens stattfinden
(vgl. Schirmer 2017: 179).
LGB (lesbische, schwule, bisexuelle) Personen suchen Beratungsstellen bis zu fünfmal so
häufig auf wie Nicht-LGB-Personen (vgl. Craig et al. 2016: 2). Die Wichtigkeit, dass Sozialarbeiter_
innen in ihrer Ausbildung Wissen, Fertigkeiten und Handlungsfähigkeiten erlernen, welche sie für
die Arbeit mit dieser Zielgruppe schult, wird dadurch evident. 41% der Studierenden der Sozialen
Arbeit fühlen sich jedoch oftmals inadäquat auf die Beratung dieser Personen vorbereitet (vgl. ebd.:
13). In einer nordamerikanischen Online-Studie gaben Studierende an, dass spezifische Inhalte
zu LGBTQ+ Themen nur relativ eingeschränkt in ihrer Ausbildung miteinbezogen werden. 44,8%
behaupteten, dass Leseaufgaben oder Beispiele zur sexuellen Orientierung nur manchmal in ihre
Vorlesungen inkludiert werden. Nur 19,1% der Studierenden konnten Beispiele und Leseaufgaben
zur Genderidentität in ihren Vorlesungen wiederfinden (vgl. ebd.: 8). In einer Befragung von 64
Programmdirektor_innen der Sozialen Arbeit an italienischen Universitäten wurde der Frage
nachgegangen, warum LGBTQ+ Themen so selten in den Curricula der Sozialen Arbeit behandelt
werden. Die vorherrschende Meinung war, dass andere Minderheiten, mit denen sich die Soziale
Arbeit beschäftigt, wichtiger wären und daher eher angesprochen werden müssten. Es sei, so die
Direktor_innen, kein Platz mehr für ein weiteres „Minderheitsthema“. Eine weitere Begründung war,
dass das explizite Benennen der LGBTQ+ Community im Ausbildungsprogramm einem Labeln
gleichkommen und sie pathologisieren würde (vgl. Nagy 2016: 62).
Grundsätzlich steht die Soziale Arbeit bei der LGBTQ+ Thematik vor zwei großen
Herausforderungen: Das erste Problem ergibt sich dadurch, dass die Soziale Arbeit in ihrer
Alltagspraxis häufig „Herrschafts- und Diskriminierungsverhältnisse und deren Auswirkungen auf
die Lebenslagen ihrer Adressat_innen ignoriert und ausblendet“ (Schirmer 2017: 182). Dadurch trägt
sie „in weiten Teilen zur Reproduktion heteronormativer, binärer Geschlechterverhältnisse und der
damit verbundenen Hierarchisierungen und Diskriminierungen bei“ (ebd.). Sie beteiligt sich somit
an einer Verschleierung der problematischen Konstruktion der Gesellschaft. Das zweite Problem
wird im Umkehrschluss erkennbar, wenn die Soziale Arbeit LGBTQ+ Personen als „Abweichung
vom Normalen“ annimmt, um sie als Zielgruppe erfassen und Ansprüche auf den Zugang zu
Regelfördersystemen geltend machen zu können (vgl. ebd.).
Einerseits besteht also die Notwendigkeit, die spezifischen Problemlagen von LGBTQ+
Personen sichtbar zu machen. Infolgedessen bekommen Sozialarbeiter_innen institutionalisierte
Hilfen und können Unterstützung anbieten, sie sind also finanziell abgesichert. Andererseits
werden durch die Konstruktion einer Zielgruppe ebendiesen Personen bestimmte Eigenschaften
zugesprochen, welche problemfokussiert und Defizit-orientiert sind (vgl. Schirmer 2017: 182). Das
führt zu einem „Dilemma der gleichzeitigen Unvermeidbarkeit von Kategorien und ihrer notwendigen
Dekonstruktion“ (ebd.: 183). Was hier eine wesentliche Rolle spielt, ist deswegen die Erklärung
für die Problemsituation der Zielgruppe: ob „pathologisierende […] Zuschreibungen“ (ebd.: 182)
verwendet oder die Problemlagen im Kontext „gesellschaftliche[r] Diskriminierungsverhältnisse“
gesehen werden (ebd.). Wichtig ist aber vor allem eines: dass sich Sozialarbeiter_innen ein „queeres
Bewusstsein“ aneignen. Mit diesem Begriff beschreibt Andrea Nagy
„ein Konzept, das Konstruktionsbedingungen von sexueller Ungleichheit und die
heterosexuelle Norm als eine unterdrückende Norm offen legt, der wir alle unterworfen
sind. Queer Consciousness zielt auf die Zurückweisung, bzw. Verweigerung dieser
Norm ab, die von vielen sozialen Institutionen gestützt und aufrechterhalten wird.“
(Nagy 2016: 63)
3
Der Kompetenzbegriff
Der Kompetenzbegriff rückte in den 60er Jahren in den Fokus. Der Sprachwissenschaftler Noam
Chomsky war einer der Vorreiter im Bestreben, eine Definition dafür zu finden. Später wurde
diese von Jürgen Habermas aufgegriffen und erweitert (vgl. Erpenbeck/von Rosenstiel/ Grote/
Sautner 2017: 15,18). Während sich diese beiden Definitionen von Kompetenz jedoch auf den
Fachbereich Sprachwissenschaft beschränkten, beschäftigte sich später Robert W. White im
Bereich der Motivationspsychologie mit dem Begriff. Er verstand Kompetenzen als etwas, was
nicht durch die Geburt erlangt oder durch den Reifungsprozess einer Person ohne weiteres
Zutun gebildet wird. Stattdessen entstehen Kompetenzen durch das Individuum selbst, und zwar
durch Handlungsfähigkeiten, welche es selbst hervorbringt und welche es selbstmotiviert in der
Auseinandersetzung mit ihrer_seiner Umwelt entwickelt (vgl. Erpenbeck 2009: 7). Die „Fähigkeit
zu selbstorganisiertem Handeln“ (Erpenbeck et al. 2017: 16) ist dabei als maßgeblicher Faktor
anzusehen, da sie den Kompetenzbegriff von ähnlichen Begriffen, wie beispielsweise „Fertigkeiten“,
„Wissen“ und „Qualifikationen“ abgrenzt.
Kompetenzen können einer Person nicht direkt beigebracht werden. Sie können jedoch
gezielt erlernt und trainiert werden (vgl. Erpenbeck 2009: 9). Beim Lernen selbst beginnt ein
„aktiver Konstruktionsprozess“ (Erpenbeck et al. 2017: 14) bei dem die lernende Person ihr_sein
ganz eigenes Bild von der Welt entwirft (vgl. ebd.: 13–14). Letztendlich sind Kompetenzen damit
etwas, was mit der Persönlichkeit eines Menschen verschmilzt und in den Handlungen einer Person
ersichtlich wird. Im Lauf der Zeit gab es immer wieder Versuche, Kompetenzen einzuteilen. Für die
Erarbeitung spezifischer Kompetenzen bei der Beratung von homosexuellen Jugendlichen wird
hernach der Kategorisierung von Erpenbeck und Heyse gefolgt.
4
Kompetenzen für die Beratung von homosexuellen Jugendlichen
Bei dem Versuch, Kompetenzen zu kategorisieren, entwickelten Erpenbeck und Heyse ein Modell,
welches Kompetenzen in Fach-, Methoden-, Personal-, Sozial- und Handlungskompetenz einteilt
und das Ewers und Schallert (2014) zum Ausgangspunkt ihrer weiteren Überlegungen machen.
4.1 Fachkompetenzen
Bei den Fachkompetenzen handelt es sich grundsätzlich um fachliches Wissen und Kenntnisse
(vgl. Ewers/Schallert 2014: 14). In Hinblick auf das vorliegende Thema werden Fachkompetenzen
als „Wissen über die heterosexuelle Mehrheitsgesellschaft, über sexuelle und geschlechtliche
Minderheiten, ihre Lebenslagen, Diskriminierungen und Ressourcen“ (Schmauch 2020: 309)
definiert.
Mit homosexuellen Jugendlichen zu arbeiten, bedeutet für viele Fachkräfte, sich mit einer
anderen als der eigenen Lebensweise auseinanderzusetzen. Vor allem wenn man sich selbst als
heterosexuell identifiziert, ist es umso wichtiger, sich dem Privileg bewusst zu sein, damit Teil einer
Mehrheitsgesellschaft zu sein, welche auf Heteronormativität fußt, und diese bevorzugt. Indem sie
dieser Norm nicht entsprechen, weil sie nicht nach den sozialen Zuschreibungen oder Erwartungen
der Mehrheitsgesellschaft handeln, erfahren homosexuelle Jugendliche immer noch häufig
Ausgrenzung, Diskriminierung, Gewalt, Ablehnung und Intoleranz. Für Fachkräfte bedeutet das,
dieses bestehende System der Ab- bzw. Ausgrenzung bestimmter Personen kritisch zu hinterfragen.
Das beinhaltet beispielsweise die Auseinandersetzung mit verschiedenen handlungstheoretischen
Ansätzen, wie beispielsweise „Ansätze der Geschlechterforschung“, „der Gleichstellungspolitik“,
„Diversity“, „Intersektionalität“ oder „Inklusion“ (Ewers/Schallert 2014: 16) sowie mit diversen
Theorien, beispielsweise der Queer Theorie, welche einen wichtigen Beitrag zur Sichtbarmachung
in diesem Bereich geleistet hat.
Eine kritische Auseinandersetzung mit bestehenden Strukturen und das Eintauchen in die
Lebenswelt von homosexuellen Jugendlichen fördert nicht nur die persönliche Kompetenzbildung
der Fachkräfte, sondern hat im besten Fall auch Einfluss auf die Rahmenbedingungen der
Institution oder Einrichtung, in der die Beratung stattfindet. Es ist ein Anstoß für Veränderung und
eine innovative (Neu-)Gestaltung. Das Ziel soll es sein, Rahmenbedingungen zu schaffen, welche
die Diversität und Vielfalt aller miteinschließt (vgl. Ewers/Schallert 2014: 16).
Ebenso wichtig ist es, sich ein „Basiswissen“ über die Lebenswelt von homosexuellen
Jugendlichen anzueignen. Kurz gesagt: Was bedeutet Homosexualität und LGBTQ+ und
warum ist diese Terminologie eigentlich so wichtig? Welche Stigmata gibt es in Bezug auf diese
Community? Was bedeutet es in der heutigen Gesellschaft, nicht heterosexuell zu sein und wie
sieht die Lebenssituation homosexueller Personen in Bezug auf Diskriminierung, Gewalt und
Gleichbehandlung aus? Welche Rechte gibt es für diese Personen und welche Gesetze bieten
ihnen Schutz oder bieten auch keinen?
Durch die Auseinandersetzung mit dem Thema Homosexualität können Fragen geklärt, die
persönliche Perspektive erweitert, (kritische) Reflexionen über die eigene Lebenswelt und die eigene
Sexualität angeregt werden und letztendlich hilft es dabei, die Adressat_innen besser zu verstehen.
Und was noch viel wichtiger ist: im besten Fall hilft es den Adressat_innen, sich verstanden zu
fühlen.
4.2 Methodenkompetenzen
Methodenkompetenzen werden von Ewers und Schallert als „Fähigkeiten und Kenntnisse“
verstanden, „für die jeweiligen Ziele und Zielgruppen die geeigneten Methoden zu kennen
und auszuwählen“ (Ewers/Schallert 2014: 17). Bezogen auf die Beratung von homosexuellen
Jugendlichen bedeutet das: „Handlungsfähigkeit und Verfahrenswissen im Bereich sexueller
Orientierung und geschlechtlicher Identitäten“ (Schmauch 2020: 310).
Damit eine Beratung erfolgreich sein kann, sollten Berater_innen ein ausgewähltes Repertoire
an Methoden mitbringen (vgl. Ewers/Schallert 2014: 17). Im besten Fall werden bereits im Zuge der
Ausbildung zur_zum Sozialarbeiter_in solche Methoden erlernt. Neben diesen erlernten Methoden
ist es jedoch auch wichtig, das Methodenrepertoire fortwährend selbständig und selbstmotiviert zu
erweitern. Methoden zu verwenden, zeugt von Professionalität – ebenso wie die damit verknüpfte
Auseinandersetzung mit verschiedenen Theorien oder handlungstheoretischen Ansätzen.
Andernfalls ist das beraterische Tun mitunter von Willkür geprägt, was einem kompetenten und
professionellen Handeln nicht entspricht.
Mit Theorien verknüpfte Methoden in der Arbeit mit homosexuellen Jugendlichen zeigen
sich beispielsweise in einem breitgefächerten Repertoire an Gesprächs- und Beratungsmethoden,
verbunden mit diskriminierungsfreier Sprache und einer Sensibilität dafür, wie das Beratungssetting
gestaltet werden muss, damit sich die Adressat_innen sicher fühlen können. Es ist nicht zwingend
notwendig für die Arbeit mit dieser Zielgruppe, neue Methoden zu entwickeln. Auch bereits bekannte
und bewährte Methoden können unter einer heteronormativitätskritischen Perspektive für die Arbeit
mit homosexuellen Jugendlichen adaptiert und unter Umständen erweitert werden. Hilfreich ist
dabei, diese Methoden nicht nur aus der Position des Beraters_der Beraterin kennenzulernen,
sondern auch einmal die Perspektive der Adressat_innen einzunehmen. Durch dieses „Erfahren am
eigenen Leib“ kann nicht nur erfühlt werden, wie diese Methode auf einen selbst wirkt. Durch das
Hineinversetzen in die Rolle des Gegenübers können auch Reflexionsprozesse angestoßen und ein
besseres Verstehen der möglichen Bedürfnisse der Adressat_innen erreicht werden. Dies wiederum
erleichtert es, die geeignetsten Methoden für die Zielgruppe auszuwählen.
4.3 Personale Kompetenzen
Personale Kompetenzen sind „Fähigkeiten zu selbstkritischem und reflexivem Arbeiten“ (vgl. Ewers/
Schallert 2014: 22). Bezogen auf Homosexualität bedeutet dies die „Reflexion eigener Gefühle, Werte
und Vorurteile in Bezug auf sexuelle Vielfalt“ (Schmauch 2020: 310). Sensibilisierung für das Thema
Homosexualität spielt in der Beratung homosexueller Personen eine zentrale Rolle. Dazu gehört
auch, sich regelmäßig in diesem Kontext weiterzubilden und Gelerntes zu reflektieren bzw. es auf
die Eignung für den Beratungsprozess zu überprüfen. Es ist wichtig, sich zu fragen, inwiefern die
persönliche Haltung und Einstellung sowie die eigenen Werte, Motive und Überzeugungen in Bezug
auf das Thema Homosexualität die Beratung möglicherweise negativ einschränken und inwiefern
dadurch die Profession – der Auftrag als Fachkraft – vielleicht in den Hintergrund gerät. Dann ist
es notwendig, sich zu überlegen, wie diese Einschränkungen wieder erweitert werden können (vgl.
Ewers/Schallert 2014: 21–22). Ebenso sollte ein zu enger – oder eventuell persönlicher – Bezug zur
Thematik reflektiert werden, um zu verhindern, dass die Grenzen zwischen privaten Erfahrungen und
professionellem Wissen und Handeln verschwimmen. Erfahrungswerte im Handlungsfeld können
eine Bereicherung sein, wenn sie reflektiert in die Arbeitspraxis einfließen und diese ergänzen – sie
können diese jedoch nicht ersetzen.
Für Fachkräfte ist es sehr wichtig, mit Komplexität umgehen zu können und handlungsfähig
zu bleiben (vgl. ebd.: 20). In einer heteronormativen Gesellschaft stellt sich Sexualität sehr einfach
dar: das sexuelle Begehren eines Mannes richtet sich auf eine Frau und umgekehrt. Sexualität ist
jedoch weitaus komplexer und vielfältiger. In der Arbeit mit homosexuellen Jugendlichen (sowie mit
LGBTQ+ Jugendlichen allgemein) benötigen Fachkräfte deshalb eine gewisse „Ambiguitätstoleranz“
(Watzlawik 2020: 35), d.h. sie müssen anerkennen, dass es mehr als nur eine Form von sexuellem
Begehren, Anziehung und Liebe gibt. Andernfalls kann die Auseinandersetzung mit diesem Thema
im Beratungskontext bei Fachkräften zu Widerstand führen, schwer nachvollziehbar sein oder gar
inakzeptabel erscheinen. An solch einem Punkt ist es für Sozialarbeiter_innen entscheidend, wie
sie darauf reagieren. Wichtig ist, bestimmte Sachverhalte nicht von vornherein als absolut negativ
oder positiv zu bewerten und sich damit selbst in der eigenen Handlungsfähigkeit einzuschränken
(vgl. Ewers/Schallert 2014: 21). Bei der Beschäftigung mit Homosexualität ist es zudem wichtig,
dass sich die Berater_innen mit der eigenen Sexualität auseinandersetzen und diese kritisch
reflektieren. Ein ebenso kritischer Blick sollte auf bestehende Vorurteile sowie Stereotypisierung
und Kategorisierungen von homosexuellen Personen geworfen werden (vgl. Ewers/Schallert 2014:
21).
Die personale Kompetenz ist für die Einschätzung zentral, ob und welche Unsicherheiten bei
der Auseinandersetzung mit diesem Thema bestehen und ob die eigene Unsicherheit Auswirkungen
auf die Arbeit mit der Zielgruppe hat. Im Extremfall kann sie dazu führen, dass der Kontakt mit
LGBTQ+ Personen gar nicht erst aufgenommen, vermieden oder gar verweigert wird. Es ist wichtig
zu differenzieren und persönlich zu reflektieren, woher diese Unsicherheit kommt und wodurch
sie entsteht. Hier hilft es, sich die Frage zu stellen: Ist mir dieses Thema eventuell unangenehm?
Habe ich zu wenig Erfahrungswerte und Wissen in diesem Bereich? Hat meine eigene Unsicherheit
Einfluss darauf, wie ich einer bestimmten Zielgruppe begegne?
Das andere Extrem zu der Unsicherheit im Umgang mit homosexuellen Jugendlichen
ist, wenn Fachkräfte Unterschiede zwischen LGBTQ+ Personen und der restlichen Gesellschaft
leugnen. Zwar ist die Sichtbarkeit und Akzeptanz von LGBTQ+ Personen in den letzten Jahrzehnten
sicherlich gewachsen. Tatsache ist jedoch, dass sie einer Minderheit angehören und dass dieser
Umstand für die Community selbst eine große Rolle spielt, denn er hat eine reale und tiefgreifende
Auswirkung auf ihr Leben (vgl. Schmauch 2020: 311). Das vollkommen zu ignorieren und so zu tun,
als gäbe es überhaupt keine Unterschiede mehr, würde dem Beratungsprozess mehr schaden als
helfen – auch wenn es von den Fachkräften nur gut gemeint ist.
4.4 Sozialkompetenzen
Sozialkompetenzensind„kommunikativeundkooperativeFähigkeiten,dieeinediskriminierungsferne
Gestaltung des BeraterInnensystems ermöglichen“ (Ewers/Schallert 2014: 20). Dadurch können
Prozesse und Strukturen etabliert werden, welche sich an der Zielgruppe orientieren (vgl. ebd.:
14). In Hinblick auf das Thema Homosexualität bedeutet dies eine „Kommunikations- und
Kooperationsfähigkeit im Bereich sexueller und geschlechtlicher Vielfalt“ (Schmauch 2020: 309).
Bei der Arbeit mit Menschen ist ein wertschätzender und respektvoller Umgang mit
dem Gegenüber sehr wichtig. Das beinhaltet auch, die Entscheidungen der Adressat_innen zu
respektieren und ihnen die Sicherheit zu geben, dass die Gespräche vertraulich sind und eine
Verschwiegenheitspflicht besteht (vgl. Ewers/Schallert 2014: 20). Eine essenzielle Voraussetzung
in der Beratungsarbeit mit homosexuellen Personen ist es, Offenheit zu zeigen und sich auf die
Adressat_innen einlassen zu können (vgl. ebd.). Die Beratung und das Beratungssetting sollen für
die Adressat_innen ein sicherer Ort sein, an dem sie keine Diskriminierung befürchten müssen und
an dem sie ihre Homosexualität nicht verstecken müssen.
4.5 Handlungskompetenzen
Als Handlungskompetenz verstehen Ewers und Schallert die Zusammenführung und Kombination
aller zuvor erwähnten Kompetenzbereiche (Fach-, Methoden-, Personale- und Sozialkompetenz).
Es geht darum, selbstorganisiert zu handeln und diese Kompetenzen in der Praxis eigenständig,
kreativ und innovativ einsetzen zu können (vgl. Ewers/Schallert 2014: 14). Das Kompetenzmodell
von Erpenbeck und Heyse lässt sich, wenn es um das Thema Homosexualität geht, außerdem
noch um die „Regenbogenkompetenz“ von Ulrike Schmauch sowie die „Gender- und Diversity –
Kompetenz“ nach Ewers und Schallert erweitern.
Die „Regenbogenkompetenz“ nach Schmauch „bezeichnet die Fähigkeit einer sozialen
Fachkraft, mit dem Thema der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität professionell,
vorurteilsbewusst und möglichst diskriminierungsfrei umzugehen“ (Schmauch 2020: 308). Für
Sozialarbeiter_innen ist es wichtig, am „Puls der Zeit“ zu bleiben und sich mit aktuellen Themen
auseinanderzusetzen und sich daran anzupassen, auch wenn diese in der Theorie und Praxis bisher
wenig Beachtung erfahren haben oder als Tabu galten. Das Konzept der Regenbogenkompetenz
kann in Aus- und Fortbildungen verankert werden, genauso wie in Einrichtungen und in der Politik
(vgl. Schmauch 2020: 309–310).
Ähnlich wie Schmauch beschäftigten sich Ewers und Schallert im Bereich der
Bildungsberatung mit der Frage, wie Gleichstellung gefördert werden kann. Dazu gehörte auch die
Entwicklung der sogenannten „Gender- und Diversity-Kompetenz“
„als Kompetenz von BeraterInnen […], Gender/Diversity nicht nur als Merkmal von
Personen, sondern auch als Strukturmerkmal von Systemen (Lebensumwelten der
zu beratenden Person) wahrzunehmen und diese Perspektive – weil sichtbar gemacht
– veränderbar und gestaltbar zu entfalten.“ (Ewers/Schallert 2014: 12)
Diese Kompetenz soll sowohl in die „Haltungen“ und „Einstellungen“, in das „Wissen“ und die
„Handlungsmöglichkeiten“ der Berater_innen selbst einfließen als auch in den „Beratungsprozess“,
in die Einrichtungen und Institutionen und deren „Qualitätsentwicklung“ (vgl. Ewers/Schallert 2014:
11). Vor allem soll sie jedoch ein Werkzeug für die Berater_innen sein, ihre Handlungsfähigkeit in
der Arbeit mit den Adressat_innen zu erweitern und dadurch ihr professionelles Handeln und die
Qualität ihrer Arbeit zu erhöhen (vgl. ebd.).
Weder die Regenbogenkompetenz noch die Gender- und Diversity Kompetenz beziehen
sich nur auf die individuelle Ebene, da diese immer in einer Beziehung zur institutionellen und zur
politischen Ebene steht und nicht abgegrenzt von ihnen betrachtet werden kann. Alle drei Ebenen
sind wichtig, damit Fachkräfte fähig sind, professionell zu handeln. Durch deren Verbindung soll
eine Sichtbarmachung von Diskriminierungen und Benachteiligungen erreicht werden, wodurch
Veränderung möglich wird (vgl. (Ewers/Schallert 2014: 11). Sich als Fachkraft vorzubereiten und
andere Lebensweisen in der Beratung mitzudenken, zeugt von Professionalität und letztendlich –
wenn es ausreichend internalisiert ist – auch von Kompetenz.
5
Fazit
Für die Beratung von homosexuellen Jugendlichen ist eine Reihe an Grundkompetenzen
erforderlich. Erpenbeck und Heyse folgend, lassen sich diese Kompetenzen in Fach-, Personale-,
Methoden-, Sach- und Handlungskompetenzen einteilen. Ergänzt werden kann dieses Modell um
die Regenbogenkompetenz von Ulrike Schmauch und die Gender- und Diversity-Kompetenz nach
Ewers und Schallert. In jedem Fall sollten Sozialarbeiter_innen bereits in ihrer Ausbildung für das
Thema Homosexualität sensibilisiert werden, um so auch mögliche Unsicherheiten, die bei dieser
Thematik aufkommen können, zu reflektieren. Die persönliche Haltung und Einstellung zur Thematik
kann die Arbeit negativ beeinflussen und die Fachkräfte in ihrer Handlungsfähigkeit einschränken,
wenn diese nicht abgegrenzt vom Auftrag der Profession gesehen werden können.
Damit Sozialarbeiter_innen sich ein queeres Bewusstsein aneignen können, muss auch
der Ausbildung für die Arbeit mit homosexuellen Jugendlichen wesentlich mehr Raum gegeben
werden. Argumente, welche diesem Thema die Wichtigkeit absprechen und es als entbehrlich
betrachten, tragen dazu bei, dass LGBTQ+ Personen weiter in die Unsichtbarkeit gedrängt werden.
Dies führt letztendlich dazu, dass die Soziale Arbeit nicht dazu fähig ist, adäquate Hilfestellungen
zu leisten. Die Soziale Arbeit muss sich zum Thema LGBTQ+ klar positionieren und Sozialarbeiter_
innen sollten mit Kompetenzen für die Arbeit mit dieser Zielgruppe ausgestattet werden. Das
erarbeitete Kompetenzprofil stellt einen möglichen Rahmen dar, angehende und bereits tätige
Sozialarbeiter_innen auf die Arbeit mit homosexuellen Jugendlichen vorzubereiten und zu schulen.
Es wäre wichtig, Sozialarbeiter_innen diese Kompetenzen im Zuge ihrer Ausbildung zu vermitteln
oder auch Fortbildungen dazu anzubieten. Bedenkt man, wie viele Jugendliche homosexuell
sind, ist es unverständlich, warum diese Zielgruppe von der Sozialen Arbeit bisher weitgehend
vernachlässigt blieb. Worauf in diesem Artikel hingewiesen wurde, ist, dass Homosexualität im
Jugendalter ein Themenbereich ist, welcher umfassender Handlungsfähigkeiten bedarf, um wirklich
adäquate Hilfestellung bieten zu können. Dabei reicht es nicht aus, sich randständig mit dem Thema
zu beschäftigen. Viel eher muss in die Tiefe gegangen werden, um professionell zu agieren und
professionelles Handeln in der Sozialen Arbeit mit queeren Personen sicherzustellen.
Literaturverzeichnis
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Über die Autorin
Cordula Hinterholzer, BA, BSc
Studierte an der Paris Lodron Universität in Salzburg Linguistik, mit dem Schwerpunkt auf Klinische-,
Psycho- und Neurolinguistik. Anschließend absolvierte sie den Bachelor in Sozialer Arbeit am
Management Center in Innsbruck. Derzeit ist sie als Sozialarbeiterin im Verein für Obdachlose,
Bereich Betreutes Wohnen, in Innsbruck tätig.