soziales_kapital
Barbara Unterlerchner, Bojana Bonić, Anna Aszódi. Frauen*spezifische Wohnungslosigkeit und
Gewalt gegen Frauen*. Perspektiven und Entwicklungsvorschläge aus eorie und Praxis. soziales_
27. Ausgabe 2023
Akademisierung Sozialer Arbeit
Frauen*spezifische Wohnungslosigkeit und
Gewalt gegen Frauen*
Perspektiven und Entwicklungsvorschläge
aus Theorie und Praxis
Barbara Unterlerchner, Bojana Bonić & Anna Aszódi
Zusammenfassung
Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen*
und häuslicher Gewalt, die sogenannte Istanbul-Konvention, erkennt Gewalt gegen Frauen* als
Menschenrechtsverletzung und Form der Diskriminierung an. Ihre Ratifizierung 2013 stellte einen
großen Schritt für Frauenrechte in Österreich dar. Zehn Jahre später ist Männer*gewalt gegen
Frauen* nach wie vor ein weit verbreitetes und tagesaktuelles Phänomen. Dies gilt auch für Gewalt
gegen wohnungslose und obdachlose Frauen*, die häufig genauso unsichtbar ist wie weibliche*
Wohnungslosigkeit selbst. Wohnungslose Frauen* sind aufgrund von strukturellen Ausschlüssen aus
den Hilfesystemen, prekären Lebensumständen und den Auswirkungen mehrfacher Diskriminierung
besonders gefährdet für geschlechtsspezifische Gewalt. Der folgende Artikel ist eine Aufforderung,
über Maßnahmen innerhalb und außerhalb der Fachwelt zu reflektieren, durch die betroffenen
Frauen* Zugang zu Schutz und Unterstützungssystemen gewährt wird und die wirksame Strategien
zur Beendigung der Gewalt gegen wohnungs- und obdachlose Frauen* darstellen.
Schlagworte: Gewalt gegen Frauen*, Wohnungslosenhilfe, frauen*gerechte Qualitätsstandards,
frauen*spezifische Wohnungslosigkeit, Positionspapier, Intersektionalität, feministische Soziale
Arbeit, Exklusion
Abstract
The Istanbul Convention on violence against women, adopted by the Council of Europe, recognizes
violence against women* as a violation of human rights and a form of discrimination. Its ratification
in Austria in 2013 marked a significant step for women’s rights. However, even ten years later,
male violence against women* remains a prevalent phenomenon, including gender-based violence
against homeless women*. These women* live under precarious circumstances and experience
various forms of discrimination, particularly being excluded from social services, which makes them
highly susceptible to violence. Their vulnerability often remains as invisible as homelessness of
women* itself. The following article is an invitation to reflect on solutions for integrating all women*
impacted by gender-based violence into a needs-based support system and to implement strategies
that effectively put an end to gender-based violence against homeless women*.
Keywords: violence against women*, homeless services, gender-informed quality standards,
female* homelessness, statement, intersectionality, feminist social work, exclusion
1
Eine Einführung anhand eines Fallbeispiels
Frau L., 37 Jahre, lebt mit ihrem gewalttätigen Partner in prekären Verhältnissen. Sie wohnen zeitweise
in einem Zimmer ohne Mietvertrag, kommen bei Bekannten unter oder schlafen in Stiegenhäusern.
Frau L. lebt seit drei Jahren ohne Meldung in Wien, davor lebte sie in Ungarn. Sie arbeitete anfangs
als Reinigungskraft, wurde allerdings wegen unentschuldigter Fehlzeiten – sie wollte aus Scham
nicht mit sichtbaren Verletzungen in die Arbeit gehen – nach drei Monaten gekündigt. Auch ärztlich
wollte sie sich aus Angst, dass das medizinische Personal Anzeige gegen ihren Partner erstattet,
nicht versorgen lassen. Sie hat mittlerweile durch die erlittenen Verletzungen chronische Schmerzen
in den Knien. Ihr Partner konsumiert illegalisierte Suchtmittel, auch Frau L. erhält solche von ihm,
sie helfen ihr die Schmerzen zu lindern. Obwohl sich die Gewalt durch ihren Partner zunehmend
verschlimmert, wendet sich Frau L. nicht an die Polizei. Sie hat Angst, aufgrund der fehlenden
Anmeldebescheinigung ausgewiesen zu werden. Nach einem massiven Gewaltvorfall ruft sie beim
Frauennotruf an. Dort wird sie an ein frauen*spezifischesi Tageszentrum der Wohnungslosenhilfe
verwiesen. Am Weg dorthin hat Frau L. Angst, von Bekannten ihres Partners oder ihm selbst gesehen
zu werden. Im Tageszentrum schildert sie ihre Situation einer Sozialarbeiterin. In ein Frauenhaus
kann sie wegen ihrer Suchtthematik nicht. Nach Ungarn zurück kann sie auch nicht – dort würde sie
weitere Gewalt und Obdachlosigkeit erwarten. In der „Szene“ kennen viele Frau L. und ihren Partner
als Paar – sie kann sich im öffentlichen Raum kaum aufhalten, ohne erkannt zu werden. Daher kann
Frau L. nirgends in der Wohnungslosenhilfe nächtigen, ohne dass ihr Partner davon erfährt. Sie weiß
nicht, was sie tun soll.ii
Gewalt an Frauen* ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen und betrifft Frauen* unabhängig von
ihrem sozioökonomischen Hintergrund, Herkunft und Alter. Laut einer Prävalenzstudie erlebten im
Untersuchungszeitraum von Oktober 2020 bis März 2021 23,47% der Frauen* zwischen 18 und
74 Jahren in Österreich körperliche Gewalt innerhalb oder außerhalb von intimen Partnerschaften;
15,25% waren von Androhungen körperlicher Gewalt betroffen (vgl. Statistik Austria 2021: 23).
WährendsolcheStudienAufschlussüberdieHäufigkeitvonGewaltgegenFrauen*liefern,gibteskeine
quantitativen Untersuchungen zur Prävalenz von Gewalt gegen Frauen* in prekären Lebenslagen,
insbesondere wenn sie wohnungs- oder obdachlos sind. Die Praxis zeigt jedoch, dass Fälle wie
der oben geschilderte keine Ausnahme sind. Von Wohnungslosigkeit und geschlechtsspezifischer
Gewalt betroffene Frauen* bekommen keinen adäquaten Schutz vor Gewalt in den vorhandenen
Hilfesystemen. Sie erfahren Ausschlüsse und werden selten mitgedacht, wenn es um die Errichtung
von Angeboten oder Schutzmaßnahmen geht, die Gewalt verhindern oder dieser vorbeugen sollen.
Zudem erreichen vorhandene Hilfesysteme betroffene Frauen* schwer bzw. wenden sie sich oftmals
nicht an diese.
In diesem Artikel diskutieren die Autorinnen* Hürden in den Hilfesystemen und schlagen
Verbesserungen und Strategien vor, um den betroffenen Frauen* einen leichteren Zugang zu
Unterstützung bei und Schutz vor Gewalt zu gewähren. Impulsgebend ist das Positionspapier der
Bundesweiten Frauen*vernetzung zum Thema Gewalt gegen wohnungs- und obdachlose Frauen*,iii
bei welchem die Autorinnen* als Verfasserinnen* mitgewirkt haben. Dieses enthält Forderungen an
Trägerorganisationen der Wohnungslosenhilfen sowie an politische Entscheidungsträger_innen und
Fördergeber_innen, um frauen*gerechte Qualitätsstandards zu erreichen und Versorgungslücken zu
schließen.iv
2
Frauen*spezifische Wohnungslosigkeit und geschlechtsspezifische
Gewalt – ein Blick auf die aktuelle Forschung
Studiendaten zeigen geschlechtsspezifische Unterschiede in den Armutsrisiken und strukturelle
Diskriminierung von Frauen* – Österreich nimmt im EU-Vergleich den drittletzten Platz beim
Gender-Pay-Gap ein (vgl. Europäische Kommission 2022). Frauen* verdienten demnach im Jahr
2020 pro Stunde brutto 18,19% weniger als Männer*. Damit liegt Österreich deutlich über dem
EU-Durchschnitt (13%). Die Daten der EU-SILC 2022 zu Armut und Armutsgefährdung zeichnen
ebenfalls ein Bild der Ungleichheit. Frauen* sind überproportional oft von erheblichen materiellen
und sozialen Benachteiligungen betroffen (vgl. Statistik Austria 2023). Steigende Wohnkosten (vgl.
Statistik Austria 2022: 47ff.) erhöhen das Risiko der Wohnungs- und Obdachlosigkeit zusätzlich.
Erfahrungen aus der Praxis mit frauen*spezifischer Wohnungslosigkeit und Forschungsergebnisse
(vgl. u.a. Bonić 2022: 98–107; Bretherton/Mayock 2021: 5–6) zeigen einen direkten Zusammenhang
von Abhängigkeitsbeziehungen, Gewaltdynamiken und Armutsrisiken. Gleichzeitig wird die
Überschneidung von Wohnungslosigkeit und geschlechtsspezifischer Gewalt nur wenig diskutiert
(vgl. Gerull/Österreich 2003: 28). Weibliche Wohnungslosigkeit stößt erst seit den 1990er Jahren
auf das Interesse der Forschung. Erklärungsansätze hierfür sind u. a. die gesellschaftliche
Marginalisierung von Frauen* (vgl. Steinert 1997: 23).
Erfahrungen, die von Gewalt betroffene Frauen* in der Wohnungslosigkeit machen, sind von
verschiedenenFormenvonDiskriminierungenunddarausresultierendenMultiproblemlagengeprägt.
Abhängigkeits- und Gewaltdynamiken verstärken sich durch soziale Ausgrenzungserfahrungen, die
Frauen* wegen ihrer nationalen und sozialen Herkunft, fehlenden finanziellen Ressourcen sowie
aufgrund von Sucht- oder psychischen Erkrankungen erleben (vgl. Bonić 2022: 98). Mangels
Perspektiven und Unterstützungsmöglichkeiten bedeutet die erlittene Gewalt für viele betroffene
Frauen* entweder Wohnungslosigkeit oder das Verbleiben in einer Abhängigkeitsbeziehung (vgl.
ebd.).SowohlinderPraxisalsauchinderFachliteraturwirdoftmalsbeschrieben,dasswohnungslose
Frauen* für Hilfesysteme „schwer erreichbar“ sind (vgl. u.a. Aszódi/Bonić/Unterlerchner 2023: 3–5;
Mayock/Bretherton 2016: 278–280; Bonić 2022: 100). Selbst wenn sie von Gewalt betroffen sind,
sind sie mit Zugangsbarrieren zu Hilfesystemen konfrontiert und nehmen aus Scham oder aus
Angst vor (bereits erlebter) Ablehnung und Stigmatisierung eher spät oder gar keine institutionelle
Unterstützung an. Das Zusammenspiel von Ausschlüssen aus den Hilfe- und Sozialsystemen,
fehlenden Angeboten und Perspektiven sowie dominierenden patriarchalen Machtstrukturen führt
dazu, dass Frauen* vielfach verdeckt wohnungslos leben und folglich „unsichtbar“ bleiben (vgl. u.a.
Bodenmüller 2020: 364; Bretherton/Mayock 2021: 4–5,). Dazu kommt, dass die Hürden zum Zugang
zu Hilfesystemen umso größer werden, je mehr Diskriminierungserfahrungen sich überschneiden
und einander beeinflussen (vgl. Bonić 2022: 99). Besonders vulnerable Gruppen sind Frauen* mit
Migrationsgeschichte, Frauen* mit Sucht- oder psychischen Erkrankungen, Frauen* mit Kindern
oder trans* Frauen u.a. (vgl. Fellinger/Schiller 2020: 33–34).
3
Gewaltschutz und Aufenthaltsrecht: Rechtliche Rahmungen für die
Bedarfe wohnungsloser, gewaltbetroffener Frauen*
3.1 Gewaltschutz in Österreich und die Verortung wohnungsloser Frauen*
In Österreich gibt es zahlreiche spezialisierte Opferunterstützungsdienste. Betroffene von
Gewalt in der Familie oder weibliche* Betroffene von Sexualdelikten können in Österreich auf ein
engmaschiges Netz an Unterstützungsleistungen zurückgreifen (vgl. Nachbaur/Unterlerchner 2016:
149). Zudem war die Umsetzung des ersten und mehrfach novellierten Bundesgesetzes zum Schutz
vor Gewalt in der Familie (GeSchG, BGBl. Nr. 759/1996) ein wichtiger Meilenstein und läutete einen
Paradigmenwechsel ein. Seither müssen Gewalttäter_innen bei einer Gefährdung die gemeinsame
Wohnung für eine bestimmte Zeit verlassen, unabhängig von Eigentumsverhältnissen. Auch wenn
nicht explizit im Gesetz angeführt, war die Betroffenheit von Frauen* und Kindern von Männer*gewalt
der Ausgangspunkt für das Gesetz, welches sich jahrzehntelangen politischen Kämpfen verdankte,
die auf die Gleichstellung der Frauen* abzielten. Während in Österreich die Frauenhausbewegung
erreichte, dass die Stellung der Frau* im Gesetz verbessert wurde,v gab es von Seiten der UNO
und des Europarates mehrere Deklarationen und Übereinkommen, denen entsprechend Gewalt an
Frauen* als Menschenrechtsverletzung anzuerkennen ist und denen zufolge Staaten für den Schutz
der Opfer und die Beendigung der Gewalt Verantwortung tragen.vi
Die letzte große Errungenschaft im Gewaltschutz ist das von Österreich ratifizierte
Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und
häuslicher Gewalt 2011, die sogenannte Istanbul-Konvention. Die Istanbul-Konvention enthält
neben dem Begriff „Gewalt gegen Frauen“ auch eine Definition der häuslichen Gewalt. Diese
umfasst körperliche, sexuelle, psychische und wirtschaftliche Gewalt, die innerhalb der Familie, im
Haushalt und zwischen verheirateten und geschiedenen Personen vorkommt. Es braucht keinen
gemeinsamen Wohnsitz, um der Definition der häuslichen Gewalt zu entsprechen (vgl. Art 3 lit.b).
Das Übereinkommen bestimmt außerdem ein Nicht-Diskriminierungsgebot in Artikel 4, demzufolge
Maßnahmen zum Schutz der Rechte der Opfer auf nichtdiskriminierende Weise umzusetzen sind.
Genannt werden hierbei bestimmte Merkmale von Personen, die keine Diskriminierung nach
sich ziehen dürfen, wie etwa das biologische oder soziale Geschlecht, die nationale oder soziale
Herkunft, die Geschlechtsidentität, das Vermögen oder auch ein Migrations-, Geflüchteten- oder
sonstiger Status. Frauen*, die von Obdachlosigkeit betroffen sind, werden explizit im erläuternden
Bericht zum Übereinkommen als besonders schutzbedürftige Personen genannt (vgl. Europarat
2011:58).viiDasbedeutet,dasssichMaßnahmenundSchutzstandardsbesondersandenBedürfnissen
jener Frauen* orientieren sollten, die sich außerhalb gesellschaftlicher Normvorstellungen bewegen
und gerade deswegen einem besonderen Gewaltrisiko ausgesetzt sind.
Die Realisierung dieser Standards lässt eine Orientierung an besonders vulnerablen Frauen*
vermissen, wie das Monitoring der Umsetzung der Istanbul-Konvention zeigt. Bisher wurden
Einrichtungen für wohnungslose Frauen* nicht von der Expert_innengruppe des Europarats, der
Group of Experts on Action against Violence against Women and Domestic Violence (GREVIO), die
für die Überwachung der Umsetzung der Konvention durch die Vertragsparteien verantwortlich
ist, in die Evaluierung miteinbezogen (vgl. GREVIO 2017: 85–86). Bei der Erstellung des NGO-
Schattenberichts über Maßnahmen zur Umsetzung der Istanbul-Konvention waren Organisationen
der Wohnungslosenhilfe ebenfalls nicht beteiligt (vgl. NGO-Koalition GREVIO-Schattenbericht
2016: 3). Während der Bericht auf drohende Obdachlosigkeit von Frauen* nach einer Trennung
oder Scheidung als eine Folge von fehlenden Wohnprogrammen und leistbarem Wohnraum
hinweist, stehen diejenigen Frauen*, die bereits ihre Wohnungen verloren haben und gleichzeitig
von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind, nicht im Fokus (vgl. ebd.: 64).
Die Gewaltschutzgesetze in Österreich regeln Schutzmaßnahmen durch Polizei,
Schutzverfügungen im Zivilrecht, strafrechtliche Maßnahmen sowie die Rechte von Betroffenen
in gerichtlichen Straf- oder Zivilverfahren. Kernstück des Gewaltschutzes ist das Betretungs-
und Annäherungsverbot zum Schutz vor Gewalt (§ 38a SPG).viii Diese sicherheitspolizeiliche
Schutzmaßnahme erfolgt nach oder vor einem wahrscheinlichen, gefährlichen Angriff auf
Leben, Gesundheit oder Freiheit, insbesondere in einer Wohnung, in der die gefährdete Person
lebt. Wenngleich eine Wohnung keine Voraussetzung für die Anwendung der polizeilichen
Schutzmaßnahme ist, gilt diese dennoch als potentieller Ort der Gewaltausübung. Die Anzahl der
jährlichen Betretungsverbote in Wohnungen zeigt, dass dies durchaus berechtigt ist: Im Jahr 2022
wurden der Wiener Interventionsstelle 4.247 polizeiliche Betretungs- und Annäherungsverbote von
der Polizei gemeldet (vgl. Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie 2023: 9).ix
EineWohnungbzw.einWohnortistfolglichwesentlichfürdieidealtypischeInterventionskette:
Ein Betretungs- und Annäherungsverbot für den „Gefährder“ durch die Polizei, anschließend ein
Antrag der gefährdeten Person auf die zivilrechtliche einstweilige Verfügung zum Schutz vor Gewalt
in Wohnungen (§382b EO) beim Zivilgericht, um dieses Verbot für bis zu sechs Monate zu verlängern;
Unterstützung hierbei bieten dafür errichtete Gewaltschutzzentren. Solche Interventionsketten, die
einen lückenlosen Schutz für von Gewalt betroffene Frauen* gewährleisten sollen, lassen sich also
nur dann effektiv realisieren, wenn es einen Ort gibt, an dem Schutzzonen definiert werden und
wo sich die Betroffenen dauerhaft aufhalten können. Für wohnungs- und obdachlose Frauen* ist
es schwierig, durch dieselben sicherheitspolizeilichen Maßnahmen einen solchen Schutzraum zu
erhalten.
Auch im Strafprozessrecht werden „Opfer von Gewalt in Wohnungen“ denjenigen
Opfergruppen zugeordnet, die als besonders schutzbedürftig gelten und folglich eine Reihe von
strafprozessualen Schutz- und Schonungsrechten in Anspruch nehmen können, die anderen
Opfergruppen nicht zukommen.x Der Ort der Gewalt als zentrales Element für eine Beurteilung
der besonderen Schutzwürdigkeit eines Opfers war wohl der Versuch, Bestimmungen der EU-
Opferschutz-Richtlinie (12/29/EU), die im Zuge des Strafprozessrechtsänderungsgesetz I 2016
umgesetzt wurde, mit schon etablierten Standards der Gewaltschutzgesetze in Einklang zu bringen.
Im Gegensatz zur nationalen Norm wird in der Richtlinie allerdings die Beziehung und Abhängigkeit
des Opfers vom Täter hervorgehoben (Art. 22, Abs. 3). Gelungen ist die Umsetzung der Richtlinie ins
österreichische Strafprozessrecht somit nicht, denn die Opfergruppen sind nicht deckungsgleich.
Nicht jede Form von Gewalt gegen Frauen* geschieht in einer Wohnung (vgl. Nachbaur/Unterlerchner
2016: 147).
3.2 Aufenthaltsrecht und soziale Folgen
Migrantische Frauen*, die von Obdach- und Wohnungslosigkeit betroffen sind, haben aufgrund
aufenthaltsrechtlicher Schranken häufig kaum Zugang zu existenzsichernden Leistungen und
leistbarem Wohnraum. Das betrifft nicht nur Drittstaatsangehörige ohne aufrechten Aufenthaltstitel,
sondern auch EU- und EWR-Staatsbürgerinnen*, die ohne dokumentierte Erwerbstätigkeit vom
Zugang zu sozialen Unterstützungsleistungen ausgeschlossen sind. Grundlage dafür ist die EU-
Richtlinie 2004/38/EG über das Recht der EU-Bürger_innen und ihrer Familienangehörigen. Sie
ermöglicht EU-Bürger_innen, sich innerhalb der EU frei zu bewegen und aufzuhalten, sie erfordert
bei einer Aufenthaltsdauer von mehr als drei Monaten in einem anderen EU-Mitgliedstaat aber
auch, dass sie entweder angestellt oder selbstständig erwerbstätig sind oder für sich und
Familienangehörige über ausreichende Existenzmittel verfügen und während ihres Aufenthalts
keine Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen.xi Außerdem müssen sie über einen aufrechten
Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen.
EU-Bürger_innen,diedieseVoraussetzungennichterfüllen,sindvomVersorgungsangebotfür
obdach-undwohnungslosePersonen,abseitsvonniederschwelligenBasisversorgungseinrichtungen,
ausgeschlossen (vgl. Kühne/Füchslbauer 2021: 236–238). Zudem haben EU-Bürger_innen nur dann
einen uneingeschränkten Anspruch auf die Mindestsicherung, wenn sie sich als Arbeitnehmer_
innen in Österreich aufhalten oder schon länger als fünf Jahre rechtmäßig in Österreich
wohnen.xii Dasselbe gilt für den Zugang zu Gemeindewohnungen der Stadt Wien sowie einer
Förderung im Rahmen der Wiener Wohnungslosenhilfe.xiii Die Folge sind häufig prekäre
Lebensumstände, die sich aus der engen Verwobenheit von fehlenden Arbeitsmöglichkeiten und
Aufenthaltstiteln, fehlender materieller Grundsicherung und Versicherungsschutz ergeben und
nicht selten Obdachlosigkeit als Folge haben (vgl. VWWH 2022: 13). Eine „freiwillige Rückkehr“ ins
HerkunftslandistfürvielebetroffeneFrauen*keineOption,dasieGewalt-undDiskriminierungsrisiken
sowie Perspektivenlosigkeit ausgesetzt wären. Die fehlenden langfristigen Unterstützungsleistungen
bei Arbeitslosigkeit und ein Mangel an leistbaren Wohnmöglichkeiten verhindern häufig,
dass betroffene Frauen* einen adäquaten Gewaltschutz bekommen (vgl. Kühne/Füchslbauer
2021: 239).
4
Zugänge zu den Hilfesystemen und deren Bedeutung für die
Soziale Arbeit
Imanfangsbeschriebenen,fiktivenFallvonFrauL.gibtesaufgrundihrerHerkunft,ihrerSuchterkrankung
und ihres sozialen Status’ kaum Unterstützungsmöglichkeiten und Schutzperspektiven. Die
HandlungsoptionenvonFrauL. undihrenbetreuendenSozialarbeiterinnen*sindstarkeingeschränkt.
Eine adäquate Unterstützung, die ihr den Ausstieg aus ihrer Gewaltbeziehung und prekären
Lebenslage ermöglicht, ist unter den gegebenen Voraussetzungen kaum realisierbar.
In Hilfesystemen gibt es eine klare Trennung zwischen der Wohnungslosenhilfe und dem
Gewaltschutzbereich (vgl. Bretherton/Mayock 2021: 43). Trotz der Anerkennung in der Fachliteratur,
dass frauen*spezifische Wohnungslosigkeit und geschlechtsspezifische Gewalt eng miteinander
zusammenhängen, werden die Problemlagen häufig getrennt voneinander betrachtet, was zur Folge
haben kann, dass betroffene Frauen* keine adäquate Unterstützung bekommen (vgl. ebd.). Durch
Bewertungen und Gewichtungen der jeweiligen Problemlagen – Wohnungslosigkeit und Gewalt
– wird teilweise entschieden, inwiefern betroffene Frauen* Unterstützung in den Hilfesystemen
finden. Diese Gewichtung erfasst die Erfahrungen betroffener Frauen* nicht adäquat, denn die
Problemlagen bedingen sich gegenseitig und beeinflussen einander (vgl. Bonić 2022: 102). Für eine
bedarfsgerechte Unterstützung müssen Hilfesysteme komplexe Zusammenhänge zwischen den
sich überschneidenden, wechselwirkenden Diskriminierungen erkennen und sichtbar machen. Eine
feministisch-intersektionale Perspektive ist dabei essenziell (vgl. Mayock/Bretherton/Baptista 2016:
146).FeministischeSozialeArbeitfördertdurchihreAnsätzeaufinstitutionellerundindividuellerEbene
Empowerment-Prozesse von betroffenen Frauen*. Es geht darum, die Problemlagen betroffener
Frauen* nicht zu individualisieren, sondern diese im Kontext gesellschaftlicher Ungleichverhältnisse
zu denken (vgl. Dietz 2000: 374).
Wohnungslose und von Gewalt betroffene Frauen* werden durch Zugangsbarrieren
und diskriminierende Erfahrungen in den Hilfesystemen, in Ämtern und Behörden, in
Gesundheitseinrichtungen und sonstigen Institutionen stigmatisiert, abgelehnt und häufig nicht
ernst genommen. Als Reaktion nehmen betroffene Frauen* Angebote der Hilfesysteme oft nicht
an (vgl. Bretherton/Mayock 2021: 6). Um solchen Ausschlusserfahrungen zu begegnen, eignen
sich niederschwellige Angebote. Wesentlich dabei ist eine einladende, akzeptierende Haltung,
die einen hohen Grad an Selbstbestimmung und Gestaltung des Betreuungsrahmens zulässt.
Dadurch könnten Frauen* verlässliche Beziehungen an einem Ort ohne Verbindlichkeiten und
Erwartungsdruck erfahren (vgl. Steckelberg 2016: 453). Dies ermöglicht Reparaturarbeit an
gescheiterten Beziehungen zum Hilfesystem (vgl. Mayrhofer 2012: 153).
5
Verbesserungen und Lösungen – der Blick aus der Praxis
Das Positionspapier der Bundesweiten Frauen*vernetzung zum Thema Gewalt gegen wohnungs-
und obdachlose Frauen* formuliert eine Reihe an Verbesserungsvorschlägen, die auf bereits
vorhandenen Hilfssystemen aufbauen. Die Autorinnen* greifen in diesem Artikel drei Ansätze
heraus, die eine starke Hebelwirkung für die operative Arbeit der Wohnungslosenhilfe und von
Gewaltschutzeinrichtungen haben können:
1. Wohnungs- und obdachlose Frauen* sind derzeit keine explizite Zielgruppe von
gewaltschutzbezogenen Maßnahmen und Initiativen. Das zeigt sich einerseits an
ihrer fehlenden Sichtbarkeit im Diskurs der letzten Jahre, wenn es um die hohe
Anzahl an Gewaltvorfällen und Femiziden in Österreich geht. Andererseits sind bis
dato noch keine Wohnungsloseneinrichtungen aktiv bei der Kontrolle der Umsetzung
von geltenden menschenrechtlichen Standards beteiligt. Es gilt, dieses Versäumnis
nachzuholen und Risiken und Bedarfe wohnungs- und obdachloser Frauen* an
die Expert_innengruppe des Europarats (GREVIO) zu berichten. Auch im NGO
Schattenbericht über Maßnahmen zur Umsetzung der Istanbul-Konvention sollten
diese durch Vertreter_innen der Wohnungslosenhilfen sichtbar gemacht werden.
Frauen*spezifische Einrichtungen – auch solche der Wohnungslosenhilfe – müssen
auf allen Ebenen in die politische Maßnahmen(findung) eingebunden werden, um bei
der Prävention von Gewalt gegen Frauen* mitzuwirken.
2. Eine langfristige, sichere Wohnmöglichkeit ist eine grundlegende Voraus-
setzung, um betroffenen Frauen* einen Schutzraum zu ermöglichen und aus
Gewalt- und Abhängigkeitsverhältnissen auszusteigen. Gewaltbetroffene Frauen*
sollen daher immer, unabhängig von aufenthaltsrechtlichen Regulierungen, als
Härtefall behandelt und im Rahmen der Wohnungslosenhilfe gefördert bzw. finanziert
werden. So müssen sie möglichst rasch eine Notwohnung bis zur Stabilisierung ihrer
Lebenssituation erhalten oder eine Wohnung im Rahmen von Housing First (mit
dem Angebot einer mobilen sozialarbeiterischen Betreuung) erhalten. Dafür ist es
notwendig, dass ausreichend leistbarer Wohnraum für Housing First Wohnungen
vorhanden ist und davon mindestens 50% den speziellen Bedarfen von Frauen*
entsprechen(vgl. Aszódietal. 2023:7). EinrichtungendesstationärenGewaltschutzes
müssen mit ausreichenden Kapazitäten und Ressourcen zur Verfügung stehen, um
hochgefährdeten Frauen* in Multiproblemlagen einen Zugang sowie einen
temporären Schutz vor weiterer Gewalt zu gewährleisten, unabhängig von Sucht-
oder psychischen Erkrankungen.
3. Auf der Ebene der Hilfseinrichtungen selbst sind regelmäßige Vernetzungen und
die Verbesserung der Schnittstellenarbeit zwischen Wohnungslosenhilfe und
Gewaltschutz erforderlich, mit dem Ziel einer bedarfsgerechten Versorgung und
Beratung wohnungsloser Frauen*, die von Gewalt betroffen sind. Denkbar wären
gegenseitige Schulungen zu den Risiken und Folgen von weiblicher* Wohnungs- und
Obdachlosigkeit und geschlechtsspezifischer Gewalt, die Entwicklung neuer
Standards und Interventionen sowie Fallkonferenzen mit weiteren relevanten
Akteur_innen bei besonders gefährdeten Frauen*.
6
Conclusio
Die in diesem Artikel dargestellten Zusammenhänge und Verschränkungen von Problemlagen,
die weibliche* Wohnungslosigkeit und Gewalt gegen Frauen* begünstigen, zeigen deutlich, dass
Lösungen und Verbesserungsmaßnahmen auf unterschiedliche Ebenen ansetzen müssen. In einem
ersten Schritt müssen betroffene Frauen* als Trägerinnen* von Rechten anerkannt werden, aus
denen Ansprüche auf Schutz vor Gewalt abgeleitet werden, und zwar unabhängig von Herkunft,
Aufenthaltsstatus, Meldestatus, gesundheitlicher Verfassung sowie sozioökonomischer Lage.
Auch wenn menschenrechtliche Übereinkommen das bereits tun, sind explizite Bekenntnisse
notwendig, die in der Folge auch umgesetzt werden müssen. Um Frauen* einen Ausstieg aus
Armut und Gewaltspiralen zu erleichtern, bedarf es eines strukturellen Wandels: bestehende
Ungleichheiten müssen in Hinblick auf die sozio-ökonomische Situation und hinsichtlich des
Zugangs zu Hilfesystemen beseitigt werden. Nationale aufenthaltsrechtliche Schranken dürfen
nicht menschenrechtliche Verpflichtungen aushebeln. Nur dann kann es gelingen, wohnungslosen
Frauen* Schutz vor und Hilfe bei geschlechtsspezifischer Gewalt zu gewähren. Besonders
vulnerable Gruppen wie sogenannte „nicht anspruchsberechtigte“ Frauen*, psychisch kranke oder
suchtkranke Frauen*, die von Mehrfachdiskriminierungen betroffen sind, müssen nachdrücklich
berücksichtigt werden.
Um wohnungslose, von Gewalt betroffene Frauen* als besonders vulnerable Zielgruppe
im Gewaltschutzdiskurs sichtbar zu machen, braucht es eine verstärkte Zusammenarbeit von
sozialen Einrichtungen. Um dies erreichen zu können, sind jedoch ein fachlicher Austausch
und Kooperation in Einzelfällen nicht ausreichend. Gewaltschutz und Maßnahmen zur
Verhinderung von Wohnungslosigkeit müssen verschränkt gedacht werden und erfordern eine
Verantwortungsübernahme auf politischer Ebene. So sind Institutionen gefordert, die in ihren
Ressorts Zuständigkeiten für Schutz und Sicherheit, Frauenangelegenheiten, soziale Sicherheit
sowie Wohnungslosenhilfe innehaben, zusammenzuarbeiten und Lösungen zu finden. Unter
Einbeziehung von sozialen Einrichtungen mit Erfahrungswissen und von Bedarfserhebungen bei
betroffenen Frauen* müssen Standards, Schnittstellen und Interventionsmechanismen erarbeitet
werden, die sowohl präventiv wirken als auch den betroffenen Frauen* ermöglichen, an das
vorhandene Hilfssystem anzudocken. Zudem sind solche Prozesse auf Bundes- und Landesebene
mit ausreichenden budgetären Mitteln auszustatten, die eine Erarbeitung und Durchführung von
Schutz- und Unterstützungsmaßnahmen nachhaltig sichern.
Um von Gewalt betroffenen, wohnungslosen Frauen* den Zugang zu Wohnversorgung
zu gewähren, müssen Zugangsbeschränkungen zum leistbaren Wohnraum sowie zu
Unterstützungsangeboten bei Wohnungsverlust gelockert werden. Nicht zuletzt ist Österreich
nicht nur dem Gewaltschutz, sondern auch dem Menschenrecht auf Wohnen verpflichtet. Vor dem
Hintergrund marktwirtschaftlicher Dynamiken ist hierbei das Zusammenspiel mehrerer Faktoren
notwendig: Es muss ausreichend leistbarer Wohnraum geschaffen und nachhaltig gesichert werden.
Dazu müssen rechtliche und strukturelle Rahmenbedingungen garantieren, dass betroffene Frauen*
Zugang zu eben diesem bekommen. Zudem muss der Zugang zu Unterstützung sichergestellt
sein, wenn individuelle Schwierigkeiten auftreten und die Gefahr besteht, etwa auf Grund von
Gewaltbeziehungen, die eigene Wohnung zu verlieren. Die jeweiligen Einflussmöglichkeiten und
Verantwortungen liegen derzeit in unterschiedlichen Zuständigkeitsbereichen. Eine enge und
koordinierte Zusammenarbeit von Akteur_innen aus Politik, Sozial- und Immobilienwirtschaft ist zur
Erreichung dieser Ziele notwendig (vgl. Lenart/Unterholzner/Unterlerchner 2023: 75).
In der Forschung zu Gewalt gegen wohnungs- und obdachlose Frauen* ist es von Bedeutung,
dass betroffene Frauen* und ihre Perspektiven und Erfahrungen sichtbar gemacht und ihre Expertise
anerkannt wird. Gleichzeitig soll die strukturell-politische sowie gesellschaftliche Dimension
ihrer Ausschlüsse und Diskriminierungserfahrungen im Blick behalten werden, um vorhandene
Missstände zu analysieren und relevante Akteur_innen in die Verantwortung zu nehmen.
Schlussendlich ist die Soziale Arbeit als Profession gefragt, betroffenen Frauen*
niederschwellige Beratung und Begleitung, basierend auf Freiwilligkeit und Lebensweltorientierung
anzubieten. Zugleich sollen Professionist_innen auf der Grundlage fachlicher Reflexion und einer
parteilichen Haltung auf die oft nicht ausreichend erfüllten Schutz- und Sicherheitsbedürfnisse
wohnungsloser, gewaltbetroffener Frauen* hinweisen. Durch eine feministisch-intersektionale
Perspektive auf Gewalt an wohnungslosen Frauen* können unterdrückende, benachteiligende
Systeme in der Sozialen Arbeit und den gesellschaftlichen Verhältnissen reflektiert und benannt
werden. Die Reproduktion von diskriminierenden Praktiken und dominanten Normen in der Arbeit
mit betroffenen Frauen* (vgl. Heite/Vorrink 2013: 247–248) müssen dabei erkannt und in einen
politischen Diskurs getragen werden. Die Soziale Arbeit kann eine federführende Rolle einnehmen,
die Interessen der betroffenen Frauen* und ihre Bedarfslagen sichtbar zu machen und ein
Bewusstsein dafür zu schaffen, dass sie Trägerinnen* von Rechten sind.
Verweise
i Der in diesem Artikel verwendete Frauen*-Begriff umfasst alle Menschen mit der Eigendefinition Frau*.
ii Der beschriebene Fall ist fiktiv und auf Basis von Erfahrungswerten der Autorinnen* aus der Praxis gebildet worden.
iii
Die „Bundesweite Frauen*vernetzung“ entstand im Rahmen der Frauen-Vorvernetzung der BAWO-Fachtagung im Jahr 2021. Die
Frauen-Vorvernetzung findet vor dem Kernprogramm der Fachtagung statt und dient als Forum, um frauen*spezifische Themen der
österreichischen Wohnungslosenhilfe zu thematisieren sowie bundesweiten Austausch unter Fachmitarbeiter*innen zu ermöglichen. Im
Rahmen der Vernetzung fand als Jahresthema 2021–2022 ein fachlicher Austausch zum Thema Gewalt gegen wohnungslose Frauen*
sowie über Möglichkeiten und Grenzen des Gewaltschutzes inner- und außerhalb der österreichischen Wohnungslosenhilfen statt.
iv
In Österreich gibt es kein einheitliches Hilfesystem, in dem wohnungs- und obdachlose Menschen Unterstützung finden. Im vorliegenden
Artikel beschränken sich die Autorinnen* bei ihrer Analyse auf die Bundeshauptstadt Wien.
v
Ein wichtiger Meilenstein war dabei die Familienrechtsreform 1975 (BGBl. Nr. 412/197), die in weiterer Folge dazu führte, dass die
rechtliche Stellung des Ehemannes als Familienoberhaupt beseitigt wurde.
vi
Dazu gehören beispielsweise das „Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau“ (CEDAW), die „UN-
Erklärung über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen“ und die „Deklaration zur Eliminierung jeder Form von Gewalt an Frauen“
(1993), die „Peking-Deklaration“ und Aktionsplattform, 4. Weltfrauenkonferenz 1995.
vii Neben Obdachlosigkeit werden weitere Merkmale erwähnt, die auch im Zusammenhang mit Wohnungs- bzw. Obdachlosigkeit auftreten
und eine Vulnerabilität verursachen, z.B.: „Konsumenten [sic!] toxischer Substanzen, […] Angehörige einer ethnischen oder nationalen
Minderheit, Migrantinnen und Migranten – insbesondere Migrantinnen/Migranten und Flüchtlinge ohne Papiere“ (Europarat 2011: 58).
viii Vgl. 1. GeSchG, BGBl. Nr. 759/1996, 2. GeSchG, BGBl. I Nr. 40/2009, 3. GeSchG, BGBl. I Nr. 105/2019.
ix 77% der Opfer, die Schutz durch ein Betretungs- und Annäherungsverbot erhalten haben, sind weiblich*; knapp 88% der weggewiesenen
Personen sind männlich*(vgl. Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie 2023: 16).
x § 66a StPO, BGBl. I Nr. 223/2022.
xi Art 7 Richtlinie 2004/38/EG über das Recht der EU-Bürger*innen und ihrer Familienangehörigen, sich innerhalb der EU frei zu bewegen
und aufzuhalten.
xii Vgl. 2 § 5 Abs 2 Z 2 Wiener Mindestsicherungsgesetz iVm §§ 51 Abs 1 und 53a Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz.
foerderwesen_anerkennung/foerderrichtlinien/spezifische/
(Stand 20.8.2023).
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Über die Autorinnen
Mag.a Barbara Unterlerchner, MA
Juristin und Kriminologin in Wien, hat langjährige Erfahrung als Beraterin und Trainerin zu Gewalt-
schutz, Opferrechten und Gleichbehandlungsfragen. Derzeit arbeitet sie als Referentin für Grund-
lagen und Policy Arbeit mit dem Schwerpunkt Sozialpolitik und Recht bei der Sozialorganisation
neunerhaus.
Bojana Bonić, MA
Sozialarbeiterin in Wien, (frühere) Arbeitsbereiche: frauen*spezifische Wohnungslosenhilfe,
Wohnungslosenhilfe für Familien und Soziale Arbeit mit gewaltbetroffenen, jungen Frauen*;
Masterarbeit zum Thema frauen*spezifische Wohnungslosigkeit und Gewalt in Paarbeziehungen
gegen Frauen*.
Anna Aszódi, BA
Sozialarbeiterin in Wien, war als studentische Forschungsassistenz an der FH Campus Wien
tätig, im Zuge dessen Mitarbeit in diversen Forschungsprojekten des Department Soziales. Sie
arbeitet derzeit im Chancenhaus des Arbeiter-Samariterbund Wien (Wiener Wohnungslosenhilfe,
Schwerpunkt Frauen*beratung und -betreuung) und studiert Soziologie im Master.