soziales_kapital  
Hubert Höllmüller, Simone Tillian. „Geh dich ritzen, Elefant“ 2.0. soziales_kapital, Bd. 27 (2023).  
Rubrik: Einwürfe/Positionen. Feldkirchen. Printversion: http://www.soziales-kapital.at/index.php/  
27. Ausgabe 2023  
Akademisierung Sozialer Arbeit  
„Geh dich ritzen, Elefant“ 2.0  
Hubert Höllmüller & Simone Tillian  
Zusammenfassung  
ImJahr2015wurdeindiesemJournalderBeitrag‚Gehdichritzen,Elefant!AktuelleErfahrungswelten  
vonalsbesondersschwierigetikettiertenJugendlicheninderKinder-undJugendhilfeveröffentlicht.  
Der Artikel, welcher sich auf eine qualitative Erhebung zum subjektiven Erleben der Nutzer*innen/  
betroffene Personen des Kinder-, und Jugendhilfesystemes bezog, erregte vor allem im Bundesland  
Kärnten großes Aufsehen. Es kam sogar zu einer Klagedrohung durch eine Einrichtung und zur  
Übermittlung des Beitrags an die Staatsanwaltschaft durch die zuständige Landesbehörde. Acht  
Jahre später wurden in einem vergleichbaren Kontext Interviews mit demselben Leitfaden geführt.  
Ziel der Folgestudie war es, herauszufinden, ob in den vergangenen acht Jahren signifikante  
Veränderungen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe stattgefunden haben.  
Schlagworte: Jugendobdachlosigkeit, Kinder- und Jugendhilfe, Veränderung  
Abstract  
In 2015, the article „‚Geh dich ritzen, Elefant!‘ Aktuelle Erfahrungswelten von als ‚besonders  
schwierig‘ etikettierten Jugendlichen in der Kinder- und Jugendhilfe“ was published in this journal.  
The article referred to a qualitative survey of the subjective experiences of users/affected people of  
the children and youth welfare system. It caused controversy, particularly in the state of Carinthia.  
One organization made a threat of legal action, and the responsible state authority forwarded the  
article to the public prosecutor’s office. Eight years later, interviews were conducted under the  
same guideline and in a similar context. The aim of the follow-up study was to determine significant  
changes that might have occurred in the field of child and youth welfare over the past years. The  
findings of this second investigation are presented below.  
Keywords: youth homelessness, child and youth services, change  
1
Einleitung  
„Geh dich ritzen – Elefant“, so lautete der Titel des Artikels, welcher im Jahr 2015 in der Zeitschrift  
soziales_kapital veröffentlicht wurde. Der Titel bezieht sich auf die Aussage eines Betreuers,  
erzählt von einer Jugendlichen. Er schickte sie mit der Aussage ins Zimmer: „Geh dich ritzen, dann  
kann ich dich wieder in die Psychiatrie einweisen.“ Der „Elefant“ wurde dazugefügt, weil dieses  
Mädchen bei allen Widrigkeiten, die sie erlebte, eine dicke Haut entwickelt hatte. Von solchen  
und ähnlichen Vorfällen berichtet der Artikel, in dem die Ergebnisse einer Erhebung, welche  
im Jahr 2015 durchgeführt wurde, vorgestellt werden. Für diese Forschung wurden über einen  
Zeitraum von zwei Jahren elf Jugendliche, welche zum Zeitpunkt der Befragung Nutzer*innen der  
Jugendnotschlafstelle Klagenfurt waren, zu ihren Erfahrungen mit dem Hilfesystem interviewt. Auf  
die Veröffentlichung folgte die Klagsdrohung einer Einrichtung wegen möglicher Erkennbarkeit und  
die Weiterleitung des Beitrags durch den Kinder- und Jugendhilfeträger an die Staatsanwaltschaft,  
die wegen der Anonymisierung keinen Handlungsbedarf sah. Auf die Veröffentlichung folgte aber  
auch die konsequente Einführung des Konzepts sozialpädagogischer Diagnosen durch eine große  
Kärntner Trägerorganisation.  
Nach einem Praktikum der Ko-Autorin in der Jugendnotschlafstelle Klagenfurt 2021 entstand  
die Idee, das Studiendesign zu wiederholen und einen Vergleich anzustellen. Im Unterschied zur  
früheren Studie waren diesmal nicht alle befragten Jugendlichen zum Zeitpunkt der Befragung  
Nutzer*innen der Jugendnotschlafstelle Klagenfurt. Vier der Interviewpartner*innen waren, als  
die Interviews durchgeführt wurden, in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe untergebracht.  
Gemeinsam waren und sind Exklusionserfahrungen im Setting der stationären Kinder- und  
Jugendhilfe.  
Im Kontext der Kinder- und Jugendhilfe wird zwar ständig mit Kindern und Jugendlichen  
gesprochen. Bei Entscheidungsprozessen, die sie betreffen, wird jedoch hauptsächlich in Zirkeln  
von Experten*innen über sie verhandelt und befunden. Hier geht es darum, Jugendliche, die als  
„besonders schwierig“ identifiziert bzw. etikettiert werden, erzählen zu lassen. Durch einen Leitfragen  
angeregt sollten sie in Interviews ihre Sicht(en) auf ihre Jugendhilfebiographie darlegen. Besonders  
diese Gruppe von Betroffenen kommt in der Forschung immer noch viel zu wenig vor.  
Auch wenn das Sampling dieser Forschung klein und in der Zusammensetzung nur  
bedingt verallgemeinerbar ist, lassen sich im Vergleich klare Schlüsse ziehen. Zusätzlich hat die  
Fachliteratur zum Thema Jugendhilfebiographien im letzten Jahrzehnt deutlich zugenommen,  
weshalb empirische Ergebnisse weit besser theoretisch rückgebunden werden können. Es lässt  
sich damit die Hypothese erhärten,  
„dass heute in den stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe Kinder  
und Jugendliche zu einem signifikanten Prozentsatz ‚Verletzungen, Enttäuschungen,  
Isolation und Ungerechtigkeit‘ erfahren, die neben anderen Faktoren zu negativen  
Jugendhilfebiografien führen.“ (Höllmüller 2015: 169–170)  
Anders als vor acht Jahren ist die derzeitige Personalsituation in der stationären Kinder- und  
Jugendhilfe sehr problematisch, wobei „[z]wischen Überforderung des Personals […] auf der einen  
Seite und der Gefahr von Menschenrechtsverletzungen auf der anderen“ laut Volksanwaltschaft  
(2022) ein „direkter Zusammenhang“ besteht.  
2
Die Interviews  
Design  
2.1  
Um Vergleichbarkeit zwischen den Studien zu gewährleisten, wurde derselbe Interviewleitfaden wie  
vor acht Jahren verwendet. Die Auswahl der Interviewpartner*innen erfolgte per unverbindlicher  
Anfrage, teilweise wurde über die Netzwerke der Jugendlichen Kontakt zu Jugendlichen in anderen  
Einrichtungen hergestellt. Die Dauer der Interviews betrug durchschnittlich dreißig Minuten und sie  
wurden zum größten Teil in den Räumlichkeiten der JUNO Klagenfurt im Zeitraum von eineinhalb  
Jahren durchgeführt. Sie wurden mittels Tonbandes aufgezeichnet, transkribiert und zu einem  
Gesprächsprotokoll zusammengefasst. Bereits in den Jahren von 2013–2015 wurden spezifische  
Erfahrungen von obdachlosen Jugendlichen mit der Kinder- und Jugendhilfe erfasst, die aktuelle  
Forschung soll eine Vergleichsstudie zum Vorgänger darstellen.  
Die Auswahl der Jugendlichen richtete sich danach, ob ihre Lebensgeschichte Ähnlichkeiten  
mitanderenJugendlichenaufweist,damitdieBefragteneinen(soweitdiesmöglichist)repräsentativen  
Querschnitt der Nutzer*innen der Notschlafstelle darstellen. Die Gruppe von Jugendlichen, die nur  
kurz, beispielsweise aufgrund einer akuten familiären oder institutionellen Krise, die Notschlafstelle  
beanspruchten, ist hier nicht vertreten. Zusätzlich wurde regelmäßig erfragt, welche*r Jugendliche  
sich für ein Interview bereit erklären würde und für wie repräsentativ das Team der Einrichtungen die  
Biographie des*der Jugendlichen einschätzt.  
Die narrative Dimension der Interviews wurde durch eine strukturierende ergänzt: Zuerst  
wurden die Stationen in den Jugendhilfebiographien rekonstruiert. Anschließend wurden Fragen  
zur Beziehung zu den betreuenden Personen, zuständigen Sozialarbeiter*innen, den Eltern und  
den anderen Nutzer*innen gestellt. Die Interviews wurden zum großen Teil narrativ geführt. Durch  
die neutrale Rolle der Interviewer*innen ist die Wahrscheinlichkeit für sozial erwünschte Antworten  
sehr gering. Zudem waren mit der Teilnahme keinerlei Vorteile verbunden und die Interviews  
wurden weder im Beisein von Mitarbeiter*innen durchgeführt noch wurden sie später für diese  
zugänglich gemacht. Für die Auswertung wurde keine qualitative Inhaltsanalyse betrieben, sondern  
wurden Inhalte nach denselben Themen wie im Bericht aus dem Jahr 2015 geclustert und kurz  
zusammengefasst. Die Interviews wurden sprachlich adaptiert. Im Folgenden werden einige der  
geclusterten Kategorien dargestellt.  
Generell ist zu sagen, dass es ihre persönlichen Erfahrungen sind, die diese Jugendlichen in  
ihren Jugendhilfebiographien beschreiben. Es ist systemgemäß ihre eigene Realität, durchsetzt von  
Übertreibungen, Verharmlosungen, Erfindungen und Auslassungen, dies soll aber die Bedeutung  
ihrer Aussagen nicht relativieren. Die jungen Menschen erzählen uns von guten, überwiegend aber  
von schlechten Erfahrungen, welche unter anderem auch strafrechtliche Relevanz nach dem §92  
StGB („Quälen oder Vernachlässigung unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen“) haben.  
2.2 Durchlaufene Stationen im Helfersystem  
Jugendliche/r  
Einrichtungen  
mehrere  
J1  
2
J2  
3
J3  
3
J4  
3
J5  
1
J6  
4
J7  
4
J8  
2
J9  
3
Ja  
Ja  
Ja  
Nein Nein Ja  
Nein Nein 1 längerer  
Aufenthalt  
Psychiatrieaufenthalte  
Jugendliche/r  
Einrichtungen  
mehrere  
J10 J11  
J12  
2
1
1
Ja  
1 längerer Nein  
Aufenthalt  
Psychiatrieaufenthalte  
2.3 Die Eltern  
Zu den Eltern wurden die Jugendlichen nicht dezidiert befragt, es gab lediglich einzelne Nachfragen  
über den Kontakt zu Eltern während Aufenthalten in Einrichtungen. Offensichtlich ist, was die  
Bindungsforschung bestätigt, nämlich dass Jugendliche, auch wenn sie als Kinder massiv  
vernachlässigt und/oder misshandelt wurden, den Kontakt zu ihren Eltern nicht dauerhaft abbrechen.  
J1: […] bei der Gerichtsverhandlung, wo es um meine Vergewaltigung gegangen  
ist, wo ich vom Stiefvater missbraucht worden bin über Jahre und es wurde mir beim  
Gericht nicht geglaubt, meine Mutter hat beim Gericht gegen mich geredet.  
I: Hattest du während deiner Aufenthalte Kontakt zu deinen Eltern?  
J2: Nein, die Mama hat immer wieder versucht, Kontakt aufzubauen. Aber ich wollte  
das nicht und habe sie blockiert. Es hat immer wieder Kontakte gegeben, weil sie  
mich gesucht hat, aber ich habe abgeblockt. Kontakt hatte ich zu niemanden, auch  
zu meinem Bruder nicht. Kurz vor dem Auszug aus [nennt Einrichtung], nach dem  
Auszug habe ich versucht, mit der Mama wieder mal zu treffen, aber das war immer  
sehr schwierig. Da hat es eigentlich nicht wirklich einen Kontakt gegeben.  
J2: (seufzt) Nicht gut. Mein Vater hat nichts davon gewusst, ich meine dem ist es eh  
egal, ob ich leb oder stirb, ähm, meine Mutter hat so Kommentare gemacht wie,  
beim dritten Mal hat sie gesagt: „Mach‘s beim vierten Mal bitte gescheit, weil dass  
du nochmal in die Psychiatrie kommst, halte ich nicht aus.“  
J3: Also mit der Mama habe ich keinen Kontakt mehr. Mit‘n Papa ah wenig.  
J2: Ja, jetzt habe ich wieder Kontakt, nachdem ich den Kontakt abgebrochen habe.  
Es ist nach wie vor schwierig. […] Es ist halt schwierig, da meine Mutter sehr  
altmodisch und auf ihren Ruf versessen ist. Und ein Transkind mit psychischen  
Problemen, das nicht arbeitet, ist halt das Gegenteil von dem, was sie haben will. Es  
ist halt schwierig, aber sie gibt sich Mühe, es besser zu machen.  
J4: Ja Besuchszeiten waren immer von 7 bis 15 Uhr, Mittagszeit und ja. Und wir  
haben uns gut verstanden.  
I: Das heißt als du acht warst, war sie sechzehn, also schon eine große Jugendliche.  
Das heißt die Schwester hat es sich nicht mehr gefallen lassen, hat dich deine Mama  
dann noch gehaut oder nicht?  
J7: […] Meine Mutter hat die Türe zugeschlagen und alles ging auf meine Schwester.  
Meine Schwester hatte Glasscherben drin stecken gehabt wegen meiner Mama.  
Ich wollte ihr helfen. Da haben wir die Oma angerufen und die Oma ist herspaziert und  
hat mit der Mama geschrien und was das soll, dass sie immer auf mich geht. Da  
hat meine Mama gesagt, dass ich mich nicht zusammenreißen kann und sie mir das  
Benehmen beibringen muss. Oder wo ich mir als Kind oft wehgetan habe, hatte ich  
Angst, mich von meiner Mutter verbinden zu lassen, weil ich wusste, dass ich Schläge  
bekomme. Ich bin dann zu meiner Oma gegangen, meine Oma war immer für mich  
da.  
I: Wie war das Verhältnis zu deinen Eltern während des Aufenthalts?  
J9: Anfangs durfte ich sie nur einmal im Monat sehen und bis es dann so weit war,  
bis ich 14-tägig heimdurfte. Ich hatte immer guten Kontakt. Mein größter Wunsch  
war immer heim – und dass so circa über 10 Jahre!  
2.4 Die üblichen Betreuungspersonen  
Die Mehrheit der Betreuungspersonen ist den befragten Jugendlichen negativ in Erinnerung  
geblieben, zum Teil berichten sie von körperlichem und psychischem Missbrauch sowie  
grenzüberschreitendem Verhalten der Betreuungspersonen. Im Unterschied zu 2015 nennen drei  
Interviewte gar keine Betreuungsperson mit positiven Aspekten.  
J1: Ich war die meiste Zeit alleine im Zimmer und habe mich mit mir selbst beschäftigt.  
J2: Es hat viele gegeben, wo ich mir dachte: Warum sind die in einen Sozialberuf?  
Die sind schon so richtig reingekommen, dass man gesehen hat, sie haben keinen  
Bock auf dich. Wenn du sie was gefragt hast, helfen sie dir nicht, sondern: „Nein,  
komm ich später.“ Oder jemand hat sich geschnitten: „Ja, komm ich gleich, ich habe  
grad Pause.“ […] Ein paar, da hast du dich echt gefragt, warum die in dem Beruf  
sind. Die kommen in die Arbeit, schauen schon richtig beschissen drein, fahren dich  
an, schreien dich an, verkriechen sich im Büro. Wenn du was brauchst, hast du Pech  
gehabt.  
J2: Ich mein, wenn eine Zwölfjährige drinnen sagt, dass sie geschlagen wird, und  
weint so dahin und die Betreuer im [nennt Einrichtung] nur sagen: „Geh in dein  
Zimmer.“ Aach, also da hab ich, da war ich so Art Psychologe da drinnen.  
J3: So, so zu Silvester haben wir, haben wir echt viel verschiedene Drogen genommen  
oder so, dann war ich, war ich so am Koks ziehen und der Betreuer kommt rein,  
schaut mich an und sagt gar nichts.  
J9: Am Anfang hatte ich viele Probleme mit denen. Weil ich heim wollte und sie mich  
nicht gelassen haben. Die [Betreuer*innen] spielen mit dem Jugendamt mit, das hat  
michangezipft. Die14-tägigenHeimfahrten. AmAnfangdurfteichjedesWochenende,  
dann wie aus dem Nichts heraus 14-tägig.  
I: Haben dir die Betreuer*innen auch nicht geglaubt? [Frage aufgrund der Information,  
dass es eine Vergewaltigung durch zwei weitere Bewohner*innen in der  
Wohngemeinschaft gab.]  
J9: Die haben mir auch nicht geglaubt, die haben gesagt: „Die lügt.“  
I: Wie sind die Betreuer damit umgegangen? [deviantes Verhalten seitens der*s  
Jugendlichen]  
J4: Ja, ich soll es nicht tun, mir auf die Finger geklatscht. Nicht körperlich, halt leicht  
auf die Hand geklatscht. Ich hab schon geweint, weil es mich verletzt hat, aber  
danach haben sie mich getröstet. Des ist normal, nur bei den kleinen. Wenn man  
einmal den Fehler macht, reden sie mit dir, dass ma des nicht tun soll. Wenn‘s dann  
wieder passiert, geben sie dir einen kleinen Patscher auf die Hand. Nur bei den  
Kleinen.  
I: Hast du das Gefühl, dass sie dich nicht ausreden lassen?  
J5: Ja oder nicht glauben oder generell alles. Weil wenn ich was rede, ich mag nicht  
lügen. Ich hasse Lügen und wenn jemand Lügen benutzt, denke ich mir, ja hätte ich  
lügen müssen. Weil es bringt ja nichts, wenn ich die Wahrheit sage. Lügen habe ich  
nicht erzählt, aber ich denke, wenn ich lüge, ist es eh das gleiche wie wenn ich die  
Wahrheit sag. Oder sie glauben das, aber denen is es egal oder können dir nicht  
weiterhelfen. Die helfen dir nicht weiter.  
I: Hast du mit den anderen Betreuern drüber gesprochen, dass du Weh gehabt hast?  
J5: Ja, ich habe es gesagt und die haben gesagt: „Ja, schlaf.“ Und so Sachen, die  
generell sinnlos sind.  
J5: Ja, dann bin ich in die [nennt Einrichtung] gekommen. Und weil er zuerst da war  
und erklärt hat, dass ich ihn geschlagen habe, obwohl er anfing. Das Problem war,  
sein Gesicht war blutig und meines nicht, deshalb hat mich der Betreuer aus der  
[nennt Einrichtung] rausgeschmissen. Einen ganzen Tag. Ich durfte bis 23Uhr nicht  
mehr in die [nennt Einrichtung]. Es war nicht meine Schuld, er wohnt ja nicht mal  
in der [nennt Einrichtung] und die Schlägerei war nicht mal in der [nennt Einrichtung],  
sondern am Bahnhof.  
J6: Dann war mit mir halt die Streiterei und Eskalation. Sie haben Kibara angerufen,  
obwohl nit mal wirklich Grund da war. Die Kibara haben mir dann grundlos als  
13-Jährigem die Hand verdreht.  
I: Ok, du meinst, das haben die Betreuer absichtlich gemacht, damit du schikaniert  
wirst!?  
J6: Jo, mir is schon vorgekommen. Die haben halt einfach keinen Bock gehabt, mir  
zu helfen oder so.  
I: Also du meinst, die hätten mit dir besser umgehen sollen?  
J6: Mit ollen hätten de besser umgehen miassn, nit nur mit mir – das hot nix mehr mit  
pädagogisch zu tuan, das is…  
J8: Sie sperrt die Speis zu, dass keiner zum Essen kommt, sperrt die Tür zu, dass  
keiner rausgehen kann.  
J12: 2015 waren wir in einer Therme, die heißt Lutzmannsburg, dort wurden  
wir gezwungen, dass wir in die Sauna gehen mit den Betreuern, das war sehr peinlich  
mit den Erwachsenen, also es waren zwei Betreuer, mit denen mussten wir in die  
Sauna, und wir wollten nicht, weil uns das unangenehm war, aber sie haben gesagt,  
wenn wir nicht gehen, dann gibt’s in den nächsten Tagen auch nichts mehr.  
J12: Ok, wir sind jedes Jahr Urlaub gefahren […] und wir mussten jedes Mal im  
Urlaub im Zimmer sein, wenn wir zum Beispiel nichts gegessen haben, weil sie dann  
gesagt haben, dann können wir auch nicht schwimmen oder wenn wir zum Beispiel  
frech waren […].  
J12: Der Herr [nennt Name] und die Frau [nennt Name] haben mir gesagt, dass mein  
Vater Alkoholiker ist, und sie haben gesagt, dass wenn ich so weitermach, genauso  
sein werde wie mein Vater und meine Mutter. Darauf wurde ich dann halt sehr oft  
traurigundwusstenicht, wemichdaserzählensoll, undhabdasdannhaltniemandem  
erzählt […].  
J12: Dann, die Erzieher waren sehr unfair zu den Schwarzen Leuten, die wir in der  
WG hatten. Wir hatten nämlich Geschwister, die waren halt dünkler. Zum Beispiel  
wenn der jüngste angefangen hat zu weinen, haben sie gesagt: „Hör auf zu weinen.“  
Und wenn der nicht aufgehört hat, haben sie ihn auch genommen und aus der Küche  
rausgeschliffen und der musste dann halt auch rausgehen, weil da war so eine  
Verbindungstür zur Küche und zur Garderobe und da haben sie halt zugemacht,  
damit er nicht mehr rein konnte. […] Den [nennt Name] haben sie immer stiller  
[nennt Name] oder schweigender [nennt Name] genannt und mich haben sie mit dem  
Marienkäfer verarscht.  
J12: Bezugsbetreuer, nein das gabs nicht. Und wenn zum Beispiel die Erwachsenen  
schuld waren, weil sie zum Beispiel mit den Kindern gestritten haben, hat die Frau  
[nennt Name] gesagt, sie will von den Kindern nix hören, sondern nur die  
Erwachsenenmeinung. Was die Kinder sagen, das interessiert sie nicht. Das hat sie  
immer wieder gesagt.  
J12: Nein, es gab niemanden, wo ich das Gefühl hatte, dass ich ihm vertrauen kann.  
Eigentlich haben alle unter einer Decke mit den [nennt zwei Namen] gesteckt.  
I: Du bist ja auch transsexuell. Wie gingen die Betreuer*innen damit um?  
J2: Zu diesem Zeitpunkt war es mir nicht ganz bewusst. Was sie halt gemacht haben,  
wir hatten einen Pool dabei und ich habe mir Männerbadehosen angezogen und  
meine Beine nicht rasiert, dann habe ich von den Betreuern so Sachen gehört wie  
„Du bist ja eine Frau, rasier dich“, weil ‚warum laufe ich mit haarigen Beinen rum, das  
tut man nicht als Frau‘. Oder Achselhaare, die sollte ich rasieren, ‚das tut man ja  
nicht als Frau‘.  
J10: Viele WG‘s haben oft mit mir Erstgespräche gehabt. Und meistens hats mir den  
Vogel rausgehängt und ich hab‘ sie gefragt, wie sie reagieren würden, wenn ich mit  
einer Klinge vor ihnen stehe. […] Da ist die Meldung gekommen: „Ja, dann weisen  
wir dich gleich zur Psychiatrie.“  
I: Was hätten sie denn deiner Meinung nach antworten sollen?  
J10: Das sie einfach dann ein Gespräch mit mir suchen, das wäre mal eine Möglichkeit  
gewesen.  
J10: Die Betreuer gehen nicht mehr richtig auf die Jugendlichen ein. […] Es interessiert  
keinen Betreuer, was mit uns los ist. Es ist egal, was ist oder aus heiterem Himmel  
verschwindest du, es interessiert keinem mehr. Früher war das anders, da haben die  
Betreuer viel, sehr viel mit uns geredet.  
2.5 Die guten Betreuungspersonen  
Einzelne Betreuungspersonen schafften es, eine Beziehung zu den Jugendlichen aufzubauen. Von  
diesen berichten die Jugendlichen positiv.  
J1: Ähm, ich bin daheim schon durch eine FIB-Betreuung betreut worden, ich kann  
mich nicht erinnern, wann die genau gekommen ist, aber mit der bin ich sehr gut  
zurechtgekommen. Ähm, die war dann leider von einem auf den anderen Tag einfach  
weg. Ichbinhintennachdraufgekommen, dasssieaufgrundderGerichtsverhandlung,  
wo es um meine Vergewaltigung gegangen ist, wo ich vom Stiefvater missbraucht  
worden bin […], die einzige Betreuerin hat für mich gesprochen und die wurde dann,  
der wurde dann vom Jugendamt direkt der Kontakt zu mir verboten, sie durfte mich  
nicht mehr kontaktieren.  
J2: Was mir in der [nennt Einrichtung] so gefällt – es ist nicht so zwanghaft. Die  
Bezugsbetreuerin und Stellvertreterin kannst du dir aussuchen, es ist einfach im  
ergleich zu allen Einrichtungen, in denen ich war, viel lockerer aber auch viel  
freundlicher. Man ist einfach gern da, weil man nicht wieder weggeschoben wird, es  
wird auf einen geschaut.  
J9: Meine Bezugsbetreuung ist voll nett, die hilft mir viel. Ja, die passt einfach.  
J4: Ich hatte dort eine eigene Betreuerin, die immer für mich da war. 24 Stunden. Mit  
ihr habe ich von A bis Z alles geredet, was los war und so.  
J5: Und ja, was soll ich sagen, eine Betreuerin von den ganzen Betreuern hat mir gut  
geholfen, hat mich verstanden. Sie war die einzige, die mich verstanden hat und  
richtig geholfen hat. Deswegen haben andere Betreuer mit ihr geschimpft  
J7: Der war ein guter FIB. Er hat mir und meiner Mama gut geholfen und mit mir  
Sachen erledigt.  
J8: Ja, jetzt hören mir die Betreuer auch zu, wenn ich Schwierigkeiten hab‘, nicht so  
wie die anderen Betreuer ja, ja, ja, und dann wieder weggehen.  
2.6 Gründe für den Rauswurf/Ausstieg  
In den meisten Fällen erfolgte die Beendigung der Maßnahme durch die Einrichtung.  
J1: Der Auszug war für mich total schrecklich, ähm, ich habe wieder massive  
Rückschläge mit der Sucht gehabt, für mich war das einfach viel zu früh, es ist mir  
vorgekommen wie ein Rauswurf. Ich wollte nicht ausziehen, ich hab‘ mich einfach  
nicht bereit gefühlt, ich war überfordert damit.  
I: Und wieso bist du dort weggekommen?  
J3: Weil es nicht mehr funktioniert hat. Weil ich dauernd ausgerastet bin.  
J9: Ja, die [nennt Einrichtung] nimmt Kinder nur ein, zwei Jahre auf, dann müssen sie  
in eine WG oder Pflegefamilie.  
I: Wie findest du es, dass du nicht mehr in der Einrichtung schlafen kannst?  
J5: Ja schon schlimm, schlecht. Ja. Ich komme trotzdem alle Tage so…  
2.7 Die anderen Jugendlichen  
In der Peer-Group kristallisiert sich ein deutlicher Zusammenhalt heraus.  
J2: Ähm, dass sehr viele zu mir gekommen sind und sich an mich gehängt haben,  
weil sie eine Bezugsperson gebraucht haben und die Betreuer eben keine waren  
[…]. Was die Betreuer als negativ aufgefasst haben, weil ich bin ja suizidal, ich kann  
deshalb ja mit anderen Menschen keinen Kontakt haben, weil ich stecke sie ja an  
damit (ironisch), was ja nicht so war […].  
J3: Na es waren alles chillige Leute, mit denen habe ich immer gekifft.  
J4: Ich habe mich gleich mit den anderen verstanden, weil die so ähnlich wie ich bin.  
[…] Ja, es sind sehr viel Drogen im Umlauf, Alkohol, Spritzen und so, das ist kein  
guter Umgang für einen 15/16-jährigen Bersch.  
J5: Ja, eigentlich, ja, die haben mich irgendwie cool gefunden und wollten mit mir  
halt befreundet sein und wollten Spaß mit mir haben, und, ja.  
J11: In der [nennt Einrichtung] habe ich Anschluss gefunden, es hat eine Woche  
gebraucht, bis ich ankommen konnte, aber…ich kann sagen, dass jeder, der hier  
wohnt, zu meinen Freunden gehört. Ich versteh mich super, es gibt da gar nichts,  
also ich fühle mich wie zuhause.  
2.8 Die Psychiatrie  
Sieben der insgesamt zwölf befragten Jugendlichen waren im psychiatrischen Kontext und geben  
an, dass dieser ihre Situation verschlimmert hat.  
J1: Ich hasse die Psychiatrie. […] Ich kann mich noch ans Gurtenbett erinnern […].  
Ich habe panische Angst, wenn was eng ist, wegen diesem Gurtenbett […].  
J1: Der Aufenthalt hat mir nichts gebracht, außer dass ich noch mehr Angststörungen  
und Panikattacken und einen Haufen Medikamente bekommen habe. Es hat alles  
noch verschlimmert […].  
J2: Die Oberärztin, die [nennt Namen], ich hasse sie, war ein richtiges Arschloch zu  
mir. Ich bin nämlich gar nicht krank, ich bin nur zu faul zum Arbeiten. Ich fake das  
alles nur.  
J2: Wir haben untereinander mehr aufeinander geschaut als die Betreuer auf uns.  
I: Hast du eine Diagnose bekommen? Haben sie gesagt, du hast das, das, das…und  
wir geben dir jetzt die Medikamente? Weißt du, was du für eine Diagnose hast?  
J3: Nein.  
J9: Ich wollte nur noch heim, es hat sich angefühlt wie im Knast da drinnen.  
J6: I kennt mi schon genauer erinnern an olles, oba do tatma bis morgen redn, wos  
i olles Schlechtes zum Redn hätt. […] Jo vüll gmocht hobn se nit, oba ob und zua  
gwortet drei Wochn, bis sie vielleicht a Testung mochn oder so. Mhm.  
J11: Es war, also, die Anfangszeit war ziemlich schockierend, ich hab mich nirgends  
reingefunden…äh…und es…die Psychiatrie hat mir auch nicht wirklich geholfen. Es  
ist schlimmer geworden.  
2.9 Was hat es dir gebracht?  
J1: Es war gut, dass ich immer wo schlafen konnte […]. Das hat mir gutgetan. In  
dieser Zeit konnte ich mich stabilisieren und wieder etwas fangen. Ich habe auch  
versucht, mein Drogenproblem in den Griff zu bekommen […].  
J2: Es hat echt nichts gegeben, was dort drüben gut war.  
J9: Ja, was nicht gut war, es hat mir dort nicht gepasst. Hab viel geweint, weil ich  
heim wollte.  
J4: Es hat mir sehr viel gebracht, selbstständig zu leben. Bewerbungen zu schreiben,  
Lebensläufe und so. Sehr viele Termine in eigene Hände zu nehmen und selbst wohin  
zu fahren.  
J5: Ja, dass man da… halt daweil schlafen kann, bis man wieder nachhause geht  
oder Arbeit hat oder Wohnung. Aber das ist eigentlich nicht genug, das hat nicht sehr  
funktioniert, gar nicht.  
I: Was würdest du anders machen?  
J5 : Also, zu wenig, drei Monate. Für mich war die Zeit zu wenig […].  
J6: Nein, null. Es hat alles verschlimmert.  
J10: Ich habe hier herinnen gelernt, was eine Familie ist, was Zusammenhalt ist  
Das, was du jetzt da nicht mehr hast. Nicht mal mehr mit den Betreuern richtig.  
2.10 Negative Erfahrungen  
J12: Es gab des Öfteren übergriffige Vorfälle in der WG, […] da hat ein Kind ein  
Glas Wasser unabsichtlich runterfallen gelassen […] und der Herr [nennt Name] hat  
ihn genommen und einmal rund um den Tisch und dort hat er ihn dann runtergedrückt  
und hat ihm einen Fetzen gegeben, dass er das aufwischen soll. […] Dann gabs  
noch einen Vorfall, da war ein behindertes Mädchen, die hat halt zufällig gelacht […]  
und den Herrn [nennt Name] hat das halt so aufgeregt und dann wurde er übergriffig  
und hat sie genommen, das behinderte Mädchen, und hat sie von der Bank gezogen  
und von der Küche ins Zimmer. […] Und als er wieder in die Küche gekommen ist,  
hat er sie beschimpft als „So a Funzn“.  
J12: Und in der Dusche, wo ich mal duschen war, ist eine Betreuerin hereingekommen,  
da war ich aber schon 14, da ist eine Betreuerin einfach reingegangen und hat  
gesagt, sie holt die Wäsche. Aber meiner Meinung nach hätte sie auch warten können  
und die Wäsche später holen können, wenn ich fertig geduscht hätte […].  
J6: Wegen nix sofort geschrien, da war so eine Situation ähm […]. Sie hat mich dann  
angeschrien: „Ach du Drecksfratz, meinst weast du mich da verarschen“, und hat  
mich auf das Zimmer geschickt […].  
J9: Mit [nennt Name] treffen wir uns zu die Helferkonferenzen. Aber die mag ich  
nicht. Die ist einfach so falsch und verlogen! Wo ich in der Psychiatrie war, ich war  
ja im [nennt Einrichtung], da wurde ich vergewaltigt und danach bin ich in die Psyche  
gekommen, weil ich nichts mehr gegessen habe, da war aus. Ich wollte mein Leben  
beenden, weil es zu viel für mich wurde. Die hat alles abgestritten, gesagt, sie war in  
Karenz in der Zeit, sie war nicht dort.  
J2: Die Betreuer haben nicht mit sich reden lassen, das war denen egal. Ich hab sogar  
mit der neuen Chefin geredet, der das gesagt und eine Beschwerde eingereicht.  
Alles, was ich als Ergebnis bekam, war, dass meine Bezugsbetreuerin mir für eine  
Woche das Handy abgenommen hat, und sie hat mir gesagt, dass wenn ich mich  
noch einmal beschwere, das Handy ganz weg ist. So wurde mit Beschwerden  
umgegangen.  
J2: Eine Sache, die ich gelernt habe, ist, an dem hab ich leider noch sehr lange  
festgehalten, Hilfe brauchst dir nicht holen, es hilft dir eh niemand, da musst dich  
selber drum kümmern.  
J1: Ich hab sonst nie eine Hilfe bekommen, es hat mir nie jemand geglaubt, auch  
nicht das Jugendamt. Ich war dann echt kurz davor, mich umzubringen. Erst dann  
haben sie mich endlich von zuhause rausgetan und in eine WG, wo sie sich auch  
nicht gekümmert haben, ich war die ganze Zeit alleine im Zimmer.  
J1: Ganz schlimm war die Zeit als ich vom [nennt Einrichtung] rausgeflogen bin,  
wirklich obdachlos und auf der Straße, also da habe ich Sachen erlebt in der  
Prostitution.  
J1: Das schlimmste war, dass ich überall, wo ich war, rausgeschmissen wurde. Ich  
wollte gar keine Hilfe mehr annehmen, denn alle sagen, sie helfen dir, und wenn dann  
etwas ist, dann wirst rausgeschmissen und einfach vor die Türe gestellt. Und dann  
ist es egal. Ich musste auch bei [nennt Einrichtung] ausziehen. Ich wollte nicht, ich  
war nicht bereit. Ich habe dann Gott sei Dank noch über meine Bezugsbetreuung  
ehrenamtliche Nachbetreuung bekommen, das wurde ihr dann von der Einrichtung  
verboten.  
I: Wie ist die Sozialarbeiterin?  
J10: Ein Grauen. Ein Grauen auf Erden. Sie wirft mir vor, dass ich nichts auf die  
Reihe bekomme, dass ich niemals in der Lage sein werde, mich um mein Kind zu  
kümmern, dass ich psychisch nichts kann […]. Ach ja, genau, du kennst ja meine  
Jugendamt Akte …Man gewöhnt sich dran. […] Ich werde ja in gewissen Sachen  
überall auf meine Akten reduziert, an das gewöhnt man sich…  
J11: Ja, tatsächlich, ich wurde mehrere Male fast vergewaltigt von meinen eigenen  
Zimmerkameraden, ich war in der Zelle mit einem anderen. Der hat das mehrfach  
versucht, ich konnte halt nichts machen, mir wurde auch nicht geglaubt. Das war ein  
sehr schlimmer…es war wirklich eine schlimme Zeit für mich. Die haben nichts  
gemacht, die haben es mir nicht abgekauft.  
2.11 Selbstkritik & Zukunftsprognosen  
J1: Ich hoffe, in zwei Jahren habe ich es hinter mir und ich im richtigen Körper bin  
und der Selbsthass aufhört. Das hoffe ich. Jetzt derweil muss ich halt damit umgehen  
lernen.  
I: Was ist denn deine Prognose über dich selber? Wenn du sagst, in drei Jahren willst  
du Tischler sein und eine Beziehung haben, wie stehen deine Chancen? Was sagst  
du denn selber?  
J3: Nix, ich weiß nicht.  
J9: Mit einer abgeschlossenen Lehre und zuhause! Zuhause wohnen und nach der  
Lehre in der Nähe von Zuhause arbeiten. Den Führerschein werde ich im April  
anfangen und dann wird das schon hinhauen.  
J4: Ich muss noch mehr mein Selbstvertrauen steigern, weil meines ist schon  
gesunken. Ich kann oft nicht mehr glauben, was richtig oder falsch ist. Ich bin so ein  
Typ, der einfach mehr Ja sagt.  
J5: Wie gesagt, ich kann halt Vieles und ich mag arbeiten. Ich will arbeiten, ich suche  
die ganze Zeit. […] Ja, und wie gesagt, ich bekomme von der Stadt seit fünf Monaten  
keinen Euro, keinen Cent und ich darf nicht arbeiten, wie soll ich mir Essen, Wohnung  
oder die Strafen leisten? Einfach alles ist geschlossen, egal welchen Weg ich  
versuche zu gehen, wird er geschlossen. […] Sterben ist für mich jetzt fast besser  
und ja. Ich hab‘ keinen Bock auf die Welt mehr.  
J7: Was ich noch lernen muss, ist, dass ich meine Aggressionen noch in den Griff  
bekommen muss. Mein Ziel ist, dass ich mich einfach ändere, dass ich der [nennt  
Name] von früher werde, der ohne Schläge oder ohne Gewalt.  
J10: In einer kleinen Wohnung mit einem Haustier. Und ich bin glücklich. Weil  
arbeitsfähig bin ich nicht.  
Resümee  
Zusammengefasst kann gesagt werden, dass es innerhalb des Kinder- und Jugendhilfesystems  
in den vergangenen acht Jahren zu keiner signifikanten Veränderung gekommen ist. Systemfehler  
sowie die erlebte Ohnmacht der betroffenen Jugendlichen spiegeln sich in beiden Studien wider.  
Neu ist das Thema Transsexualität, dieses kam in der Studie vor acht Jahren nicht vor. Drei der  
Jugendlichen sind nach dem Interview zurück ins Familiensystem gekommen. Dies war jahrelang  
ihr Wunsch, wurde in der stationären Kinder- und Jugendhilfe allerdings nicht berücksichtigt. Erst  
durch ihr nachhaltig widerständiges Verhalten kamen sie zu ihren Familien zurück. In allen drei Fällen  
ist diese Entwicklung für die Jugendlichen positiv. Neu ist auch die Geschichte einer Jugendlichen,  
die so stark stigmatisiert wurde, dass sie erst gar nicht in das Unterstützungssystem der Kinder-  
und Jugendhilfe gekommen ist.  
Im System selbst ist neu, dass von einem Fachkräftemangel gesprochen wird und die  
Volksanwaltschaft Österreich feststellt, dass rund die Hälfte der Beschäftigten in der stationären  
Kinder- und Jugendhilfe keine entsprechende Fachausbildung haben (vgl. Volksanwaltschaft 2022).  
Diesbezüglich lassen sich zur Situation vor acht Jahren nur Vermutungen anstellen, weil es keine  
Daten dazu gibt. Neu ist jedenfalls, dass darüber gesprochen wird.  
Auf der wissenschaftlichen Ebene gibt es weit deutlichere kritische Diskurse zur Kinder- und  
Jugendhilfe als noch vor acht Jahren: „Alle Beschäftigten in der Sozialen Arbeit sind mit Macht  
ausgestattet und verfügen deshalb auch über Zwangsmittel.“ (Lindenberg/Lutz 2021: 12) Dieser  
Zwang wird nach wie vor in der Profession kaum thematisiert, obwohl „‚Hilfe im Zwangskontext‘  
und damit verbunden auch das Thema ‚Arbeit mit unfreiwilligen Klientinnen und Klienten‘ […]  
maßgeblich Soziale Arbeit in der Kinder- und Jugendhilfe [bestimmt]“ (Forstner/Höllmüller/Radauer  
2021: 13). Der Fachdiskurs wüsste auch, ganz in Sinne einer handlungsbezogenen Disziplin, Abhilfe:  
„Zuzuhören, sorgfältige und aufmerksame Gespräche führen und sichere und verlässliche Orte  
für Kinder und Jugendliche schaffen, ist elementar für einen alternativen Umgang mit schwierigen  
Situationen. […] Nicht nur eine alternative Heimerziehung ist das Ziel, sondern eine Alternative zur  
Heimerziehung.“ (Degener et al. 2020: 124)  
Die Tendenz zeigt allerdings in eine andere Richtung. „Unsere These ist, dass sich auch  
in den Institutionen der ‚Schwäche und Fürsorge‘, zu denen etwa die Jugendhilfe gehört, eine  
Zwangsbereitschaft durchsetzt“ (Lindenberg/Lutz 2021: 15). So werden die als „schwierig“  
etikettierten Kinder und Jugendlichen zu „Systemsprengern“. Nicht nur, dass es zahlreiche  
wesentlich plausiblere Begriffe für das Phänomen gibt, dass für einzelne Jugendliche der Kanon der  
Hilfeformen nicht hilfreich ist. Auch wird mit dem Begriff suggeriert, ein System ließe sich sprengen  
und damit von innen aufbrechen. Systeme, das lässt sich von der Systemtheorie Luhmanns wissen,  
sind in der Regel aber sehr stabil und gehen auf zwei Arten mit Störungen um: entweder ignorieren  
sie diese oder sie machen daraus ein Systemelement. Dann treten behavioristische Stufenmodelle  
in Aktion, die Kinder und Jugendliche trivialisieren (vgl. Graßhoff 2022; Lutz/Clark 2022).  
Auch wenn die Organisationssysteme der Kinder- und Jugendhilfe schwerfälligen Tankern  
gleichen, die viel lieber konservativ als innovativ sind: strukturelle Veränderungen können auch von  
Einzelnen angestoßen werden, sofern sie entsprechende Entscheidungskompetenzen besitzen.  
Einzelpersonen in entsprechenden Positionen sind mit Entscheidungsfreiheiten ausgestattet, auch  
wenn sie in einem hierarchischen System mit paternalistischer und expertokratischer Leitkultur  
eingebettet sind. Die systemkonforme Kommunikation ist dabei von Relevanz. Und genau der  
Kommunikation muss eine Bühne geboten werden. Werden Game-Changer*innen Reflexionsräume  
eröffnet, um die Mechanismen dieses Systems zu diskutieren, können Veränderungen stattfinden.  
Zudem ist es wichtig, Räume für den Austausch zwischen der Disziplin der Sozialen Arbeit mit  
der Profession zu schaffen. Eine Veränderung des Systems zugunsten ihrer Nutzer*innen wäre  
wünschenswert und würde auf lange Sicht dem gesamten System zugute kommen.  
Literaturverzeichnis  
Degener, Lea/Kunstreich, Timm/Lutz, Tilmann/Mielich, Sinah/Muhl, Florian/Rosenkötter, Wolfgang/  
Schwagereck, Jorrit (2020): Dressur zur Mündigkeit? Über die Verletzung von Kinderrechten in der  
Heimerziehung. Weinheim/Basel: Beltz Juventa.  
Forstner, Marianne/Höllmüller, Hubert/Radauer, Hans Peter (2021): Kinder- und Jugendhilfe in  
Österreich. Wien: Österreichische Gesellschaft für Soziale Arbeit (ogsa).  
Graßhoff, Gunther (2022): Systemsprenger:innen: Eine ambivalente Diskussion in der Kinder- und  
Jugendhilfe. In: Sonderpädagogische Förderung heute, Bd. 4. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S.  
366–374.  
Höllmüller, Hubert (2022): Das Kinder- und Jugendhilfesystem in Österreich – Innovation im System  
oder Innovation des Systems? In: soziales_kapital, Nr. 26, S. 342–354.  
Höllmüller, Hubert (2015): „Geh dich ritzen, Elefant!“ Aktuelle Erfahrungswelten von als „besonders  
schwierig“ etikettierten Jugendlichen in der Kinder- und Jugendhilfe. In: soziales_kapital, Nr. 14, S.  
156–170.  
Lindenberg, Michael/Lutz, Tilman (2021): Zwang in der Sozialen Arbeit: Grundlagen und  
Handlungswissen. Stuttgart: Kohlhammer.  
Lutz, Tilman/Clark, Zoë (2022): Repressive Stufenmodelle in der Heimerziehung als Ausdruck der  
aktivierenden Re-Interpretation von Erziehung. In: Sonderpädagogische Förderung heute, Bd. 4.  
Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 401–413.  
VolksanwaltschaftÖsterreich(2022):Volksanwaltschaftprüfteschwerpunktmäßigsozialpädagogische  
Einrichtungen.  
Presseunterlage  
vom  
30.11.2022.  
Volksanwaltschaft-pruefte-schwerpunktmaessig-sozialpaedagogische-Einrichtungen?topic_  
type=aktuelles&archiv=0 (13.03.2023).  
Über die Autor_innen  
FH-Prof. Mag. Dr. Hubert Höllmüller  
Professur am Studiengang Soziale Arbeit der FH Kärnten, Schwerpunkt Kindheit/Jugend,  
internationaler Koordinator, Forschungen zur Kinder- und Jugendhilfe in Österreich, zu Slowenien  
und zum Westsaharakonflikt. Doktoratsstudium der Philosophie an der Carl-Franzens-Universität  
Graz mit Schwerpunkt Erkenntnistheorie und Wissenschaftstheorie. Aktuelle Publikationen:  
Niederschwelligkeit in der Sozialen Arbeit (Hg. mit Helmut Arnold), Juventa 2017; Erasmus goes  
Westsahara (Hg. mit Lisa Bebek und Franziska Syme), Drava Verlag 2019; „Kritik des reinen  
Konstruktivismus in der Sozialen Arbeit“, in: soziales_kapital 2021; „Schwelle“, in: Sozialraum. Eine  
elementare Einführung, Springer VS 2022.  
Simone Tillian, BA  
Gründungsmitglied des Vereins Momo Austria, Selbstvertretungsverein von jungen Erwachsenen  
mit Kinder- und Jugendhilfebiographie.