Andreas Bengesser, Andrea Fritsche, Hemma Mayrhofer & Christoph Stoik. Wie wirkt
Gemeinwesenarbeit? Potenziale, Grenzen und Praxisrelevanz von Wirkungsforschung im Kontext
der Begleitung von Transformationsprozessen im öffentlichen Raum. soziales_kapital, Bd. 28 (2024).
28. Ausgabe 2024
Soziale Arbeit, Staat und Zivilgesellschaft
Wie wirkt Gemeinwesenarbeit?
Potenziale, Grenzen und Praxisrelevanz von
Wirkungsforschung im Kontext der Begleitung von
Transformationsprozessen im öffentlichen Raum
Andreas Bengesser, Andrea Fritsche, Hemma Mayrhofer & Christoph Stoik
Zusammenfassung
Das Forschungsprojekt community work‘s – Gemeinwesenarbeit als Sicherheitsfaktor im öffentlichen
Raum: Wirkerkenntnisse und Erfolgsfaktoren untersuchte von 2020 bis 2022 die Wirkweisen
verschiedener Ansätze der Gemeinwesenarbeit (GWA) in Österreich. Im Rahmen der Studie wurden
mittels quantitativer und qualitativer Methoden sechs heterogene Sozialräume beforscht, in denen
unterschiedliche GWA-Interventionen gesetzt wurden. Wie folgend dargelegt wird, kann das
Forschungsprojekt Wirkbereiche, Wirkungen, Wirkmechanismen und Erfolgsfaktoren von GWA in
sowohl urbanen als auch peripheren öffentlichen Räumen empirisch gestützt benennen und es zeigt,
dass GWA u.a. in Transformationsprozessen zum Einsatz kommt. Im Beitrag findet darüber hinaus
eine Auseinandersetzung mit interner Wirkungsevaluation in der GWA statt. Mögliche Zugänge der
Selbstevaluation bzw. ein aus der Forschung resultierendes Tool zur Erfassung und Reflexion von
Wirkungen werden zur Diskussion gestellt.
Schlagworte:
Gemeinwesenarbeit,
öffentliche
Räume,
Transformationsprozesse,
Wirkungsforschung, Sicherheit
Abstract
From 2020 to 2022, the research project Community Work’s – Community Work as a Safety Factor
in Public Spaces: Knowledge of Effects and Success Factors examined the effects of various
community work approaches (GWA) in Austria. As part of the study, six heterogeneous social spaces
where different GWA interventions have been implemented were researched using quantitative
and qualitative methods. The research project empirically identifies areas of impact, effects,
mechanisms of action, and success factors of GWA in both urban and peripheral public spaces. It
demonstrates that community work is used, among other things, in transformation processes The
article also addresses internal impact evaluation within community work. Potential approaches to
self-evaluation as well as an empirically deduced tool for recording and reflecting effects will be
discussed.
Keywords: community work, public spaces, transformation processes, impact research, safety
1
Einleitung
Dieser Artikel fasst zentrale Ergebnisse des Forschungsprojektes community work’s –
Gemeinwesenarbeit (GWA) als Sicherheitsfaktor im öffentlichen Raum: Wirkerkenntnisse und
Erfolgsfaktoreni zusammen.AufBasiseinesmultimethodischangelegtenForschungsdesignswurden
zwischen 2020 und 2022ii die Wirkweisen verschiedener GWA-Ansätze in Österreich untersucht.
Der inhaltliche Fokus der KIRAS-Forschungsförderung hat die Ausrichtung des Forschungsprojekts
vordefiniert: Es sollten Wirkungen der GWA in Bezug auf die Sicherheit im öffentlichen Raum
untersucht werden. Da GWA nicht in erster Linie darauf ausgerichtet ist, Sicherheit herzustellen,
wurde der Forschung ein weit definierter Sicherheitsbegriff zugrunde gelegt, der sich auch auf
soziale Sicherheit und insbesondere das subjektive Sicherheitsgefühl bezieht: (Un-)Sicherheit wird
nicht als „objektiv feststehender Begriff“ (Reutlinger 2020: 42) verstanden, sondern vielmehr als
intersubjektiv und teils aktiv hergestelltes Konstrukt (vgl. Miko-Schefzig 2019: 129ff.) Fragen der
Versicherheitlichung und nach individuellen und sozialen bzw. gesellschaftlichen Einflüssen auf das
subjektive Sicherheitsempfinden werden ebenso relevant wie solche nach räumlichen Bedingungen
von (Un-)Sicherheit bzw. messbaren Sicherheitsphänomenen. Schlussendlich beziehen sich
Bedingungen einer so verstandenen „umfassenden Sicherheit“ auch auf „die dauerhafte
Gewährleistung eines hohen Niveaus an Lebensgrundlagen und Entfaltungsmöglichkeiten für alle
Mitglieder der Gesellschaft“ (FFG o.J.).
Zu Beginn des folgenden Artikels wird das Verständnis von GWA skizziert und die Problematik
von Wirkungsforschung im Kontext diskutiert. Der Beschreibung des Forschungsdesigns folgt die
zusammenfassende Darstellung zentraler Ergebnisse hinsichtlich Wirkungen und Erfolgsfaktoren
von GWA. Abschließend werden Potenziale und Herausforderungen einer wirkungsorientierten
Betrachtung der GWA behandelt.
2
Gemeinwesenarbeit
Bei Gemeinwesenarbeit (Englisch: community work) handelt es sich um eine international anerkannte
soziale Interventionsmaßnahme zur nachhaltigen Bearbeitung von Problemen und Konflikten
in sozialräumlichen Kontexten (vgl. Oelschlägel 2001). Die Auseinandersetzung damit, welche
Bedeutung einer Community bei der Bearbeitung gesellschaftlicher Problem- und Fragestellungen
zukommen kann, fand erstmals in den USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts statt; Pionier*innen
der GWA sind u.a. Jane Adams (vgl. Staub-Bernasconi 2013) und Saul Alinsky (vgl. Alinsky
1999 [1946]). Im deutschsprachigen Raum wurde community work in den 1970er Jahren unter
der Bezeichnung „Gemeinwesenarbeit“ eingeführt. Darunter wurde ein Konzept verstanden, das
auf die Verbesserung der Lebenssituation von Menschen eines Gemeinwesens abzielt und dabei
auf die Partizipation der Betroffenen selbst setzt (vgl. u.a. Hinte/Lüttringhaus/Oelschlägel 2011;
Stövesand/Stoik/Troxler 2013: 21; May 2017). Das Gemeinwesen bzw. die Community wird als
ein wichtiger Ausgangspunkt dieser Verbesserungen angesehen. GWA „fördert Handlungsfähigkeit
und Selbstorganisation im Sinne von kollektivem Empowerment sowie den Aufbau von Netzwerken
und Kooperationsstrukturen“ (Stövesand et al. 2013: 21).
Das GWA-Konzept hat sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt und diversifiziert. Aktuell
finden sich in der Praxis neben klassischen Ansätzen der Gemeinwesenarbeit auch international
beeinflusste Ansätze des „community-buildings“ bzw. der „community-education“ oder der
„community based participatory research“ (vgl. u.a. Campfens 1999; Minkler/Wallerstein 2008;
Israel/Eng/Schulz/Parker 2013; Branom 2012; Csiernik/Birnbaum/Pierce 2010); darüber hinaus
entwickelten sich sozialräumliche Ansätze, die sich sowohl auf Siedlungsgebiete als auch öffentliche
Räume beziehen (vgl. u.a. Bingel 2011; Kessel/Reutlinger 2007).
3
Wirkungsforschung und Gemeinwesenarbeit
Ausgangspunkt für das Forschungsprojekt war der Befund, dass fundierte Wirkerkenntnisse zu
bereits implementierten GWA-Ansätzen bzw. wissenschaftliche Wirkungsevaluationen zu GWA
im öffentlichen Raum im deutschsprachigen Kontext fehlen. Auch wenn einzelne Forschungen
versuchen, sich den Wirkungen von GWA-Interventionen empirisch anzunähern (vgl. Becker 2008;
Maier/Sommerfeld 2005), fehlt eine systematische, methodisch elaborierte Wirkungsforschung (vgl.
u.a. Hubauer/Kirsch-Soriano da Silva/Ritter 2014; Pollak/Stoik 2016). Dies ist wenig verwunderlich,
stellt doch solch ein Evaluationsvorhaben ein sehr anspruchsvolles Unterfangen dar. Hinsichtlich
der Anwendung des Konzepts der evidenzbasierten Praxis (EBP) und seiner methodischen
Standards auf Wirkungsforschung in der Sozialen Arbeit bestehen wesentliche Einschränkungen, da
Wirkungserfassung in der Sozialen Arbeit durch eine Reihe von Strukturmerkmalen des Arbeitsfeldes
erschwert wird (vgl. u.a. Borrmann/Thiessen 2016; May 2011; Micheel 2013; Schneider 2011;
Mayrhofer 2017b: 24). In der GWA im öffentlichen Raum ist angesichts der flexiblen, kontextsensiblen
Arbeitsweise und der immer unterschiedlichen sozialräumlichen Kontexte die Wirkungserfassung
besonders schwierig. Selbst wenn eine Maßnahme prinzipiell wiederholbar wäre, würde sie immer
auf andere Rahmenbedingungen stoßen (vgl. Otto 2007: 58ff.; Albus/Ziegler 2013: 167f.; Menold
2007: 38). Gefordert wird deshalb in den einschlägigen Fachdiskursen eine gegenstandsadäquate
method(olog)ische Fundierung und Umsetzung, die auch rekonstruktive Verfahren bzw. generell
qualitative Forschungsansätze umfassen und komplexe Wirkzusammenhänge mit Kontextfaktoren
erfassen können (vgl. u.a. May 2011; Otto 2007; Schneider 2011; Mayrhofer 2017b: 25). Wie solch
ein komplexes, methodisch fundiertes Forschungsdesign aussehen kann, über das eine Annäherung
an kausale Wirkzusammenhänge erreicht wird, zeigte z.B. das KIRAS-Projekt JA_SICHER für
Angebote der mobilen Jugendarbeit (vgl. Mayrhofer 2017a).
4
Forschungszugang
Um den Herausforderungen der Wirkungserfassung in der sozialräumlichen Sozialen Arbeit gerecht
zu werden, wurden im Forschungsprojekt mehrere methodische Ansätze kombiniert. Konkret
wurden sechs, nach theoretischen Sampling-Kriterien ausgewählte Projekte unterschiedlicher
Einrichtungen im öffentlichen Raum hinsichtlich ihrer Wirkungen evaluiert: Berücksichtigt wurden
sowohl großstädtische (Wien), mittelstädtische (Salzburg) und kleinstädtische bzw. ländliche
Standorte (Tirol). Sozioökonomisch bzw. -kulturell diverse Sozialräume wurden ebenso abgebildet
wie eine Vielfalt an Zugängen von GWA, d.h. unterschiedliche Positionen auf den Kontinuen Bottom-
up- vs. Top-down-Ansätze, staatliche vs. zivilgesellschaftliche Verankerung, emanzipatorische
vs. wohlfahrtsstaatliche, tendenziell konsensorientierte Ausrichtung. Integriert wurde auch eine
Einrichtung, die aufsuchende Soziale Arbeit (vgl. Diebäcker/Wild 2020) mit Ansätzen von GWA
verknüpft.
In ausgewählten räumlichen Settings (Straßenzüge, Parks etc.) wurden zwischen April
und November 2021 qualitative sozialräumliche Fallstudien durchgeführt. Der ethnographisch
geprägte methodische Zugang umfasste unterschiedliche Formen (teilnehmender)
Beobachtungen, Leitfadeninterviews mit unterschiedlichen Akteursgruppen (wie GWA-Fachkräfte,
Netzwerkpartner*innen der Einrichtungen, Nutzer*innen des öffentlichen Raums), Netzwerk-
Gespräche und -Mappings. Dabei wurden die Erhebungen in allen interessierenden Räumen nicht
punktuell, sondern über einen längeren Zeitraum begleitend durchgeführt, wodurch in Ansätzen
auch prozessbezogene Veränderungen – v.a. Teilinterventionen betreffend – erfasst werden konnten.
Rund 70 Beobachtungsprotokolle und 40 Interview-Transkripte wurden mittels inhaltsanalytisch
strukturierender und reflexiv deutender Methoden ausgewertet (vgl. Haberhauer/Mayrhofer/
Neuburg 2017: 176ff.). In Anlehnung an die Frageformulierungen des Sicherheitsmonitors bzw. der
SUSI-Erhebung (Subjektive Sicherheit) wurden für vier ausgewählte Settingsiii zwischen Juni und
Dezember 2021 standardisierte Face-to-Face-Befragungen im öffentlichen Raum durchgeführt. Für
die Erfassung der Wirkungen von GWA auf die objektive Sicherheitslage wurden für Teilräume Daten
desSicherheitsmonitors(SIMO)analysiert,einbundesweitesDatensystem,dasExekutivbeamt*innen
zur Aufklärung und Prävention von Straftaten dient. Auf dieser Basis konnten auf unterschiedlichen
Ebenen Wirkweisen von GWA identifiziert und zueinander in Bezug gesetzt werden (vgl. Fritsche/
Bengesser/Stoik/Mayrhofer 2024: 49).
5
Ergebnisse: Wirkungen der GWA
Zuerst werden die Ergebnisse der quantitativen Forschung beschrieben, die in die Auswertung
der qualitativen Fallstudien einbezogen wurden. In einem weiteren Schritt werden anhand von
Fallbeispielen zentrale Erkenntnisse der qualitativen Erhebungen dargestellt. Anhand der Beispiele
können ausgewählte Erkenntnisse der fallspezifisch durchgeführten Detailrekonstruktionen für die
einzelnen sozialen Räume, die in weiterer Folge vergleichend interpretiert wurden, zusammengefasst
werden (vgl. Fritsche/Mayrhofer/Bengesser/Stoik 2023). Im Rahmen der qualitativen Analyse und
Interpretationsarbeit wurden zum einen die jeweiligen sozialen Räume hinsichtlich ihrer physischen,
institutionellen und sozialen und damit auch akteursbezogenen Einbettung beschrieben. Zum
anderen wurden die beobachteten Interventionen im Detail rekonstruiert und in Bezug gesetzt zu
den dokumentierten Veränderungen, aber auch zu mittels Interviews erfassten Wahrnehmungen und
(Be-)Wertungen. So gewonnene Erkenntnisse wurden mit den vor allem aus Dokumentenanalysen
und Interviews abgeleiteten Wirkungszielen, -dimensionen sowie -indikatoren kontrastiert. In
ZusammenschauderqualitativenundquantitativenForschungkönnenunterschiedlicheWirkaspekte
in ihrer Komplexität beleuchtet werden.
5.1 Quantitative Forschung
Mittels der standardisierten Befragung wurden u.a. die sicherheitsrelevanten Wirkungen der
Anwesenheit von GWA-Mitarbeiter*innen im öffentlichen Raum erfasst. Um dem Ideal einer
repräsentativen Stichprobe möglichst nahe zu kommen, wurde ein Quotenplan erstellt, der,
gesondert nach Räumen, die je spezifische soziodemografische Zusammensetzung der lokalen
Bevölkerung der untersuchten Projekte berücksichtigte. Grundlage bilden die Daten von insgesamt
185 Befragten (93 Männer, 90 Frauen, 2 „divers“), von denen etwa 70% intensive, d.h. zumindest
mehrmals wöchentlich aufhältige, Nutzer*innen der jeweiligen Sozialräume waren.iv
Die Mitarbeiter*innen von GWA-Einrichtungen wurden durch die Raumnutzer*innen
eingeschränkt wahrgenommen. Letztere wurden gefragt, ob „Sozialarbeiter*innen,
Jugendarbeiter*innen, Streetworker*innen oder ähnliche Berufsgruppen“ wahrgenommen wurden.
Aufgrund welcher Merkmale diese Funktion zugeschrieben wurde, war somit subjektiv bestimmt.
Um Auswirkungen von GWA auf das Sicherheitsempfinden der Befragten im konkreten Sozialraum
präzise zu bewerten, reicht ein Vergleich des durchschnittlichen subjektiven Sicherheitsempfindens
zwischen den Menschen, die GWA-Mitarbeiter*innen wahrnahmen, und denen, die diese nicht
wahrnahmen, nicht aus. Für die Untersuchung kausaler Zusammenhänge wurden daher möglichst
ähnliche Vergleichsgruppen mithilfe des Propensity-Score-Matchings bestimmt (vgl. Rosenbaum/
Rubin 1983): Für den Vergleich einer Veränderung des Sicherheitsempfindens, wurden nur
Personen herangezogen, die GWA-Mitarbeiter*innen mit gleicher Wahrscheinlichkeit wahrnehmen
könnten, sich jedoch in der tatsächlichen Wahrnehmung unterschieden. Dies erlaubt die Simulation
experimenteller Untersuchungen mithilfe von nicht-experimentell erhobenen Daten. Um das Problem
einer Konfundierung möglichst gering zu halten, wurden bei der anschließenden Regressionsanalyse
verschiedene Kontrollvariablen berücksichtigt: soziodemografische Merkmale; das allgemeine
Sicherheitsempfinden der Befragten in der Stadt; die Beurteilung des Platzes bezüglich der
sozialen Dynamik, der Attraktivität sowie Vertrautheit; erlebte negative Ereignisse am Platz und die
Häufigkeit eines Aufenthalts am Platz. Die Ergebnisse der Regressionsanalyse zeigen, dass sich
das Sicherheitsempfinden bei Befragten durchschnittlich um etwa einen Bewertungspunkt auf der
zehnstufigen Skala erhöht, wenn sie Fachkräfte der GWA bzw. – allgemeiner – der Sozialen Arbeit
im betreffenden öffentlichen Raum wahrnehmen.
In einem weiteren Schritt wurde mithilfe von Daten des SIMO überprüft, ob während der
Aktivitätszeiträume der untersuchten Projekte Veränderungen in den polizeilich erfassten Straftaten
als eine Messdimension der objektiven Sicherheitslage festgestellt werden konnten. Für die
kausale Wirkungsanalyse wurde die „synthetische Kontrollmethode“ (Abadie/Gardeazabal 2003)
angewendet. Diese Methode bildet eine Art ‚künstliche‘ Vergleichsgruppe für eine ausgewählte
Region, basierend auf Vergleichen mit einer gewichteten Kombination aus anderen Kontrollregionen.
Dies ist besonders nützlich, wenn keine ideale, reale Kontrollregion verfügbar ist.
Im Unterschied zu den Ergebnissen der standardisierten Befragung weichen in der SIMO-
Analyse die Entwicklungen der Regionen mit GWA-Interventionen statistisch nicht signifikant von
jenen in den jeweiligen synthetischen Kontrollregionen ab. Einerseits scheinen diese Befunde die
Wirkungen von GWA auf die objektive Sicherheitslage in Frage zu stellen, andererseits bestätigen sie
jene hinsichtlich des subjektiven Sicherheitsgefühls. Darüber hinaus erklären sie aber nicht die Art
und Weise, in der GWA wirkt. Gleichzeitig verweisen sie auf die Komplexität nicht notwendigerweise
kausal bestimmbarer Zusammenhänge zwischen objektiver und subjektiver Unsicherheit (vgl. z.B.
Hirtenlehner/Hummelsbacher 2015: 459ff.). Erst die Analyse der qualitativen Daten ermöglicht
ein Verständnis für die konkreten, komplexen Einflüsse von GWA auf öffentliche Räume. Die
nachfolgenden Fallbeispiele zeigen die Wirkweisen der projekt- und sozialraumabhängig sehr
unterschiedlich gestalteten Maßnahmen und Eingriffe.
5.2 Fallbeispiel 1: Aufsuchende Soziale Arbeit und urbane Gelassenheit
Räumlicher Bezugspunkt dieser Fallstudie waren urbane öffentliche Räume wie öffentliche Parks und
Verkehrsknotenpunkte, an denen sich Personen mit teils gegensätzlichen Raumnutzungsinteressen
aufhalten, u.a. auch Menschen, die von gesellschaftlichen Ausschlüssen wie Wohnungslosigkeit
oder Armut betroffen sind. Medial, politisch, aber auch von Anrainer*innen und Nutzer*innen werden
diese Menschen und deren Verhalten (z.B. Alkohol- und Suchtmittelkonsum) zumeist problematisiert
bzw. als Gefahr für die Sicherheit gesehen. Gleichzeitig sind diese von Marginalisierung betroffenen
Menschen infolge mangelnder privater Rückzugsmöglichkeiten in hohem Maße auf öffentliche
Räume angewiesen. Der öffentliche Raum ist dabei nicht nur ein wichtiger Ort des sozialen Kontakts,
sondern auch ein Ort, an dem Unterstützung durch Soziale Arbeit angeboten werden kann. Das
untersuchte Projekt der aufsuchenden Sozialen Arbeit setzt sich zum Ziel, die Zugänglichkeit
des öffentlichen Raums für alle Nutzer*innen zu verbessern und eine konfliktfreie Nutzung zu
unterstützen. Trotz unterschiedlicher Nutzungsinteressen soll ein verbessertes Miteinander bzw.
ein sozial verträgliches Nebeneinander ermöglicht werden. Dabei ist die Soziale Arbeit einerseits
gefordert, den marginalisierten Menschen Hilfe anzubieten, andererseits hat sie gemäß ihrem
Auftrag auf die subjektive Sicherheit aller Menschen im öffentlichen Raum zu achten.
Die Forschungsergebnisse zeigen, wie aufsuchende Soziale Arbeit das subjektive
Sicherheitsgefühl in öffentlichen Räumen sowohl erhöhen als auch verringern kann: Die
Dienstkleidung der GWA-Mitarbeiter*innen kann dazu führen, dass Menschen, die von Armut bzw.
Wohnungslosigkeit betroffen sind, für Nutzer*innen und Anrainer*innen erst sichtbar werden (vgl.
Diebäcker 2014: 211; Luimpböck/Wild 2020). Insbesondere wenn öffentliche Räume weniger stark
genutzt werden, kann ein zurückhaltendes Intervenieren (möglichst ohne erkennbare Dienstkleidung)
die Sicherheit hilfsbedürftiger Menschen erhöhen, ohne weitere Stigmatisierungsprozesse zu
verschärfen; gleichzeitig kann ihnen Hilfe angeboten werden. Die Erkenntnisse aus der qualitativen
Fallstudie präzisieren also die Ergebnisse der quantitativen Forschung. Die Sichtbarkeit von Sozialer
ArbeiterhöhtzwarfürvieleNutzer*innenderöffentlichenRäumedassubjektiveSicherheitsempfinden,
aber nicht für alle und nicht in allen Situationen.
Anders stellt sich die Intervention von GWA in stark genutzten öffentlichen Räumen dar,
an denen Armut oder Suchterkrankung ohnehin augenfällig sind. Die Forschung zeigt, dass in
diesen Fällen die Anwesenheit von durch Dienstkleidung erkennbaren Fachkräften einen positiven
Einfluss auf das subjektive Sicherheitsgefühl der Nutzer*innen bzw. Anrainer*innen haben kann: Von
Marginalisierung betroffenen Menschen kann direkt geholfen werden, deren objektive Sicherheit
erhöht sich. Gleichzeitig kann Aufklärungsarbeit bei anderen Raumnutzer*innen zur Erhöhung des
subjektiven Sicherheitsgefühls beitragen, z.B. wenn Anrainer*innen verstehen, dass den betroffenen
Menschen keine geeigneten privaten oder öffentlichen Räume (z.B. für den Suchtmittelkonsum)
zur Verfügung stehen. Gleichzeitig wurde in der Forschung sichtbar, dass Informationsvermittlung
nicht notwendigerweise zu mehr Verständnis für die Lebenssituation der von Armut betroffenen
Menschen führt, sondern Wirkungen hinsichtlich einer „urbanen Gelassenheit“ relevanter sind:
Nutzer*innen und Anrainer*innen sehen, dass sich die Soziale Arbeit um die marginalisierten
Menschen „kümmert“, sich für diese „verantwortlich“ zeigt. Durch diese Repräsentanz und die
Vermittlung von Zuständigkeit kann mit subjektiv erlebten Verunsicherungs-Effekten gelassener
umgegangen werden.
DasFallbeispielszeigt,dassGWAaufdieVermittlungzwischenAkteur*innenunterschiedlicher
Interessen wirkt und – auch niederschwellige, lebensweltnahe – Bildungsprozesse fördert. Durch die
GWA können Menschen Bedürfnisse und Lebenssituationen anderer Menschen besser verstehen.
Aber GWA stärkt auch die Interessen von Menschen, die von Marginalisierung betroffen sind. Die
GWA „ergreift“ Partei und wird zur Repräsentantin marginalisierter bzw. diskriminierter Interessen.
5.3 Fallbeispiel 2: Demokratische „Re-Inklusion“
Ein zweites Fallbeispiel, in dem sich in einem Stadterweiterungsgebiet durch Zuzug die
Bevölkerungsstrukturveränderte, zeigt, wieAusschlüssevonJugendlichenundjungenErwachsenen
aus dem öffentlichen Raum weitreichende sozialräumliche Folgen haben können und wie GWA
hier Exklusionsprozessen entgegenwirken kann. Ausgangspunkt der GWA-Intervention war ein
Nutzungskonflikt zwischen jungen Menschen und Bewohner*innen von Wohnhäusern, die nahe
zu einem sogenannten „Ballspielkäfig“ neu errichtet wurden. Aufgrund von Lärmbeschwerden
erzeugten die neuen Bewohner*innen auf politischer Ebene Druck, der zur Entfernung des
Freizeitangebots führte, ohne Rücksprache mit den jungen Menschen oder der regional zuständigen
Sozialen Arbeit. Den jungen Menschen wurde nicht nur ein wichtiger Aufenthaltsort genommen,
sie wurden gleichzeitig auch aus den politischen Entscheidungs- bzw. Raumgestaltungsprozessen
ausgeschlossen.
Der unerwartete Abriss schuf sozialen Unfrieden im Stadtteil. Die jungen Menschen waren
frustriert. Erst über einen von GWA-Mitarbeiter*innen gestalteten und mehrere Wochen andauernden
Beteiligungsprozess konnten die Interessen der Jugendlichen gehört und diese sozialräumlich re-
inkludiert werden. Die Soziale Arbeit übernahm dabei eine wichtige intermediäre Funktion: Sie blieb
mit den jungen Menschen im Gespräch, übersetzte und gab die Wahrnehmung des Ausschlusses
und die Interessen der Jugendlichen an die Politik weiter. In von der GWA mitgestalteten
Kommunikationsräumen fand niederschwelliger Austausch zwischen unterschiedlichen
Interessensgruppenstatt,zwischenteilsgegensätzlichenBedürfnissenhinsichtlichderRaumnutzung
wurde vermittelt. Gleichzeitig wirkte die GWA darauf ein, dass alternative Orte für die jungen
Menschen im Stadtteil gesucht und gestaltet werden. Sichtbar wurde so der Beitrag von GWA für
den sozialen Frieden im Stadtteil: Nicht nur unterschiedliche Nutzungsbedürfnisse wurden bei der
Gestaltung öffentlicher Räume berücksichtigt, Konflikte reduziert und eine konkrete Verbesserung
der Situation der jungen Menschen ermöglicht; die GWA bewirkte auch, dass Jugendliche sich im
kommunalpolitischen System wieder wahrgenommen sehen und demokratisch beteiligen können.
Durch dieses Fallbeispiel wird das demokratiepolitische Wirkpotenzial von GWA sichtbar. GWA kann
Interessen von von Ausschluss betroffenen Menschen in politische Systeme transportieren. GWA
kann darauf hinwirken, dass Menschen Teil politischer und gesellschaftlicher Strukturen werden
und als gleichberechtigte Akteur*innen wahrgenommen werden.
5.4 Fallbeispiel 3: Bildungsprozesse im Kontext gesellschaftlicher
Transformationen
In mehreren Fallstudien wurden Wirkweisen der GWA in Bezug auf Transformationsprozesse
sichtbar. Dabei waren nicht die Ursachen der Veränderung (veränderter Arbeitsmarkt, Migration und
Veränderung demographischer Strukturen, Klimawandel etc.) eigentlicher Gegenstand der GWA,
sondern diese waren der Ausgangspunkt für niederschwellige, lebensweltnahe Bildungsprozesse
(im Sinne von Aneignungsprozessen nach Deinet/Reutlinger 2004). In den fokussierten Regionen
waren Auflösungsprozesse dörflicher Strukturen u.a. durch die Ansiedlung von Gewerbebetrieben
und Zuzug beobachtbar. Durch die Aufnahme von Geflüchteten entstanden generalisierte Ängste.
Von der GWA unterstützte Gemeinschaftsgärten ermöglichten über eine gelebte Praxis eine
Auseinandersetzung mit diesen abstrakten Ängsten. Begegnungsorte mit geflüchteten Menschen
oder neuen Dorfbewohner*innen wurden geschaffen, Kommunikationsräume geöffnet. Durch den
direkten Kontakt zu zugezogenen Menschen wurden Ängste reduziert. Involvierte Personen waren
nicht mehr mit einem abstrakten Problem konfrontiert, sondern gefordert, im Umgang mit konkreten
Menschen Handlungsstrategien zu entwickeln und konnten so Wissen über deren Lebenswelten
aneignen. Ängste wurden nicht nur abgebaut, sondern reduzierten sich auch dadurch, dass
Menschen sich als selbstwirksamer in Bezug auf diese Transformationen erlebten.
Ähnliche Beobachtungen konnten in Bezug auf Bildungsprozesse in Zusammenhang mit dem
Klimawandel (nachhaltige Produktion, regionaler Anbau etc.) und Verdichtungsprozessen in
Siedlungsstrukturen gemacht werden. Interventionen der GWA waren dabei stark bottom-up-
orientiert:NichtkonkreteSensibilisierungsmaßnahmenzuden„großen“ThemenderTransformationen
standen im Zentrum, stattdessen entfaltete die Schaffung eines durch unterschiedliche Personen
gestaltbaren Raums Wirkungen. Diese waren nicht nur bei den in den Gärten engagierten
Menschen beobachtbar. Auch Nachbar*innen des Gemeinschaftsgartens, lose angebundene
Vereine oder kommunale Vertreter*innen setzten sich im Zuge der neuen Raumgestaltungen mit
den Veränderungen auseinander.
Diese Beispiele zeigen, dass GWA soziale Räume gestaltet, in denen niederschwellige und
lebensweltnahe Bildungsprozesse möglich sind. Diese können sich auf die Auseinandersetzung
mit unterschiedlichen Lebenswelten genauso beziehen wie auf gesellschaftliche Themen. In diesen
Räumen können nicht nur neue Lebensweisen erlernt, sondern auch innovative Formen des
Zusammenlebens entwickelt und erprobt werden.
6
Zusammenfassung: Wirkung der GWA
Die Forschung konnte unterschiedliche Wirkungen auf öffentliche bzw. soziale Räume nachweisen.
GWA kann die (Re-)Integration von von Marginalisierung bzw. Ausschluss betroffenen Menschen
bzw. von deren Interessen in (regionale) politische und gesellschaftliche Teilstrukturen fördern.
Menschen lernen, in niederschwelligen Bildungsprozessen mit Veränderungen und sozialräumlichen
Herausforderungen besser umzugehen, Selbstwirksamkeit oder alternative Verhaltens- und
Lebensweisen zu entwickeln. Gleichzeitig vermittelt GWA zwischen unterschiedlichen Interessen.
GWA-Mitarbeiter*innen wirken über unterschiedliche Ansätze an der Gestaltung sozialer
Räume mit. Sie organisieren und begleiten die Gestaltung sozialer Räume, eröffnen Räume,
in denen Menschen ihre Interessen formulieren und aushandeln. Auch nehmen Einrichtungen
der gemeinwesenorientierten Sozialen Arbeit Einfluss auf das soziale Klima in einer Stadt oder
Siedlung, sie können zum sozialen Frieden beitragen. Mitzudenken ist dabei, dass die Integration
bzw. Inklusion von Menschen und Gruppen immer das Risiko einer Exklusion anderer birgt. Die
Aufgabe einer am Gemeinwesen orientierten Sozialen Arbeit ist es, diese Ausschlussprozesse im
Blick zu behalten und diesen entgegenzusteuern.
7
Erfolgsfaktoren und Grundlagen für wirksame GWA
Empirisch wurden auch Erfolgsfaktoren für eine wirksame GWA identifiziert. Einige dieser Faktoren
bestätigen, andere erweitern Erkenntnisse der vorhandenen Literatur. Zudem gewährleistet die
Forschung eine – bisher ungenügend vorliegende – empirische Nachweisbarkeit der dargestellten
Erfolgsfaktoren. Die empirische Grundlage zur Ermittlung der Erfolgsfaktoren und Kriterien für eine
wirksame GWA stellten die qualitativen Daten dar, also die 70 Beobachtungsprotokolle und 40
Interview-Transkripte.
7.1 Umgang mit ungleichen Machtverhältnissen
Die GWA agiert in Kontexten ungleicher Machtverhältnisse. GWA-Interventionen beeinflussen
Ein- und Ausschlüsse in Bezug auf soziale Räume, sie haben Einfluss darauf, welche Interessen
sich durchsetzen. Folglich ist GWA gefordert, auf ungleiche Machtverhältnisse einzuwirken, sie
transparent zu machen und jene zu unterstützen und zu stärken, die über weniger Macht verfügen,
marginalisiert bzw. unterdrückt werden.
Insbesondere von politischen Akteur*innen bzw. Auftraggeber*innen wird der vermittelnden
Haltung eine hohe Bedeutung für die Wirkung von GWA zugeschrieben. Erwartet wird häufig, dass
GWA bei Interessensgegensätzen und Konflikten mediierend agiert. Intermediarität als Haltung, die
es ermöglicht, dass GWA-Fachkräfte Aushandlungsräume organisieren und gestalten, in denen
Interessensgegensätze verhandelt werden können, ist eine Grundlage wirksamer GWA. Dabei ist
Intermediarität nicht bloß neutrale Haltung, sondern muss gemeinsam mit „reflexiver Parteilichkeit“
(Stoik 2013: 97) gedacht werden. Dies umfasst eine machtkritische Haltung, von der ausgehend
Menschen fachlich reflektiert unterstützt werden, die über weniger Macht verfügen, verstärkt
auf öffentliche Räume angewiesen oder von Diskriminierungs- und Marginalisierungsprozessen
betroffen sind.
7.2 Vernetzung mit Akteur*innen aus Politik und Verwaltung
GWA interagiert nicht nur mit Anrainer*innen bzw. Nutzer*innen (öffentlicher) Räume, sondern ist
auch auf unterschiedlichen Ebenen und innerhalb politischer und ökonomischer Strukturen tätig.
Entsprechend vermittelt GWA Interessen nicht nur auf horizontaler Ebene zwischen Anrainer*innen
und Nutzer*innen, sondern auch vertikal, d.h. in Richtung Politik und Verwaltung bzw. umgekehrt.
Die horizontale und vertikale Intermediarität von GWA führt dazu, dass Interessen von Nutzer*innen
an Entscheidungsträger*innen transportiert und den Menschen gleichzeitig Entscheidungsprozesse
vermittelt werden. Damit diese demokratischen Aushandlungsprozesse gelingen, ist eine intensive
Vernetzung der GWA-Fachkräfte mit Akteur*innen aus Politik und Verwaltung notwendig. GWA-
Fachkräfte müssen die Systeme und Entscheidungsabläufe sowie Zuständigkeiten nicht nur
kennen, sondern die Beziehungen zu Akteur*innen aus Verwaltung und Politik auch aktiv gestalten,
um die intermediären Aufgaben im Sinne des Gemeinwesens bewältigen zu können. Diese
Vernetzungstätigkeit nimmt Zeit für den Vertrauensaufbau in Anspruch, sie ist vor allem dann
erfolgreich, wenn die Expertise der GWA auch anerkannt und Handlungsspielraum möglich ist.
7.3 Kooperation zwischen sozialen Einrichtungen
Ein weiterer, empirisch basierter Erfolgsfaktor bezieht sich auf die Kooperation zwischen
unterschiedlichen Sozialen Diensten. Insbesondere die Zusammenarbeit, die quer zu politischen
Finanzierungslogiken bzw. inhaltlich segmentierten Hilfsangeboten verläuft, ermöglicht die
Bearbeitung komplexer Aufgabenstellungen, die sich nicht in zergliederte Hilfsstrukturen fügen.
Durch Kooperationen können nicht nur unterschiedliche Expertisen für die Problembearbeitung
genutzt, sondern gleichzeitig auch Kompetenzen erweitert werden, die für den Umgang mit
Transformationsprozessen in den komplexen Relationen der sozialen Räume notwendig sind
(Soziale Arbeit, Planung, Stadtentwicklung, Politik etc.).
7.4 Zwischen Kontinuität und Flexibilität
Nicht zuletzt braucht GWA Kontinuität. Die komplexen Prozesse in den sozialen Räumen und
die Interdependenzen der verschiedenen Raumebenen, aber auch die differenten Interessen
der unterschiedlichen Akteur*innen und Gruppen verlangen, dass GWA-Fachkräfte flexibel auf
Veränderungen reagieren. Dieses flexible Agieren setzt voraus, dass kontinuierlich Wissen zu
Räumen, Akteur*innen und strukturellen Bedingungen angeeignet bzw. eine Position im sozialen
Raum erarbeitet wurde. Die Kontinuität von Einrichtungen und Mitarbeiter*innen ermöglicht den
Zugang zu diesem Wissen, aber auch zu den Akteur*innen (Anrainer*innen und Nutzer*innen, Politik
und Verwaltung). Zusammen mit fachlich situationsangepasster Intervention und anerkannter
Expertise ist Kontinuität eine wesentliche Grundlage, um innerhalb ungleicher Machtverhältnisse
im Sinne des Gemeinwesens und v.a. auch unter Berücksichtigung der Interessen marginalisierter
bzw. artikulationsschwächerer Gruppen agieren zu können.
8
Ausblick: Erfassung von Wirkweisen der GWA
Die Forschung macht anschaulich, dass es möglich ist, Wirkungen und Wirkweisen der GWA
empirisch zu erfassen. Gearbeitet wurde allerdings mit einem aufwändigen und multimethodischen
Forschungsdesign über mehrere Jahre. Wirkungsmessung konzentriert sich auf die Bewertung
von Veränderungen, die auf eine Intervention zurückzuführen sind, und strebt an, kausale Effekte
zu isolieren. Für die Bewertung kausaler Zusammenhänge – also zur Beurteilung, ob etwas
wirkt – stehen ausgereifte quantitative Verfahren zur Verfügung (vgl. Imbens/Wooldridge 2009:
76), die sich auch in dieser Studie als nützlich erwiesen. Dennoch stellt der empirische Beleg
der Ursächlichkeit von Effekten gerade in der Sozialen Arbeit oft eine Herausforderung dar (vgl.
Ottmann/König 2023). Um (auch) die Frage zu klären, warum etwas wirkt, ist oft eine Kombination
quantitativer und situationsadäquat adaptierter qualitativer Ansätze hilfreich (vgl. Mayrhofer 2017b:
22ff.). Für eine derart umfassende Wirkungsforschung sind in der Praxis der GWA die Ressourcen
selten vorhanden, Instrumente, die eine systematische, praxisnahe Betrachtung von Wirkung
ermöglicht, sind notwendig. Daher wurde auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse ein Leitfaden
zur Selbstevaluation entwickelt, damit gemeinwesenorientierte Einrichtungen ihre Wirkungen selbst
reflektieren können und Wirkungsorientierung insgesamt unterstützt wird.
Das in Tabelle 1 dargestellte und adaptierbare Reflexionstool ermöglicht es, möglichst viele
gemeinwesenrelevante Wirkbereiche in den Blick zu nehmen. Mit seiner Hilfe können darüber
hinaus auch für je unterschiedliche Projekte spezifische Wirkungen fokussiert werden. Um die
Selbstevaluation in der Praxis handhabbar zu machen, wurden für drei Ebenen und wesentliche
GWA-WirkungsbereicheReflexionsfragengeneriert. Dieseermöglicheneseinerseits, Gemeinwesen-
relevante Aspekte und damit verbundene (nicht) intendierte Wirkung in den Blick zu nehmen und
zu lenken. Andererseits öffnen sie den Blick auf beobachtbare Veränderungen (Wirkindikatoren).
So kann zum einen die für die Evaluation notwendige Distanz zur eigenen Arbeit eingenommen
werden, zum anderen ermöglicht es die reduzierte Komplexität, das Instrument in bestehende
Arbeitsprozesse (Teammeetings, Klausuren) einzubinden. Die auf GWA-bezogene Wirkweisen
fokussierte Selbstevaluation kann so zukünftige Arbeitsprozesse informieren bzw. die Sensibilität
für Wirkungen in der Praxis nachhaltig erhöhen.
Tabelle 1: Leitfaden zur wirkungsorientierten Selbstevaluation von Gemeinwesenarbeit, Teil 1.
Tabelle 2: Leitfaden zur wirkungsorientierten Selbstevaluation von Gemeinwesenarbeit, Teil 2.
Verweise
i Das Projekt community work’s wurde im Sicherheitsforschungs-Förderprogramm KIRAS des Budesministeriums für Finanzen finanziert
und von der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) abgewickelt.
ii
Veränderungen infolge der Covid-19-Pandemie wurden in der Forschungsplanung und Auswertung methodisch und inhaltlich
berücksichtigt.
iii Für die anderen zwei Settings wurde aus methodischen Gründen auf eine standardisierte Erhebung verzichtet.
iv Um die Heterogenität der Nutzer*innen bestmöglich abzubilden, wurden die Befragungen zu unterschiedlichen Tageszeiten (morgens,
mittags, abends, unterschiedliche Wochentage) durchgeführt. Die Repräsentativität der Stichprobe kann nicht zweifelsfrei beurteilt
werden, da Informationen über die Merkmale der relevanten Grundgesamtheit fehlen.
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Über die Autor:innen
Andreas Bengesser
Ökonom und FH-Professor an der FH Campus Wien und Leiter des Kompetenzzentrums für Soziale
Arbeit.
Andrea Fritsche
Soziologin und Senior Scientist am Institut für angewandte Rechts- und Kriminalsoziologie der
Universität Innsbruck.
Hemma Mayrhofer
Soziologin und Leiterin des Instituts für angewandte Rechts- und Kriminalsoziologie der Universität
Innsbruck
Christoph Stoik
Sozialarbeiter und FH-Professor an der FH Campus Wien, Koordinator am Masterstudiengang
Sozialraumorientierte und Klinische Soziale Arbeit.