Patricia Renner & Barbara Stefan. Die (Weiter-)Entwicklung sozio-digitaler Kompetenzen in der
dualen Berufsausbildung. Das Projekt „Digital Spaces“. soziales_kapital, Bd. 28 (2024). Rubrik:
28. Ausgabe 2024
Soziale Arbeit, Staat und Zivilgesellschaft
Die (Weiter-)Entwicklung sozio-digitaler Kompetenzen
in der dualen Berufsausbildung
Das Projekt „Digital Spaces“
Patricia Renner & Barbara Stefan
Zusammenfassung
Dieser Beitrag gibt Einblick in die Entwicklung eines Konzepts für Lehrende und Ausbildungskräfte
zur Vermittlung digitaler Kompetenzen in der dualen Berufsausbildung. Das Konzept wurde
im Rahmen des Projektes „Digital Spaces“ von einem Team des Ilse Arlt Instituts für Soziale
Inklusionsforschung der FH St. Pölten gemeinsam mit Jugendlichen und Ausbildungskräften
entwickelt. Der Artikel geht zunächst näher auf die Bedeutung von Digitalisierung und sozio-digitale
Ungleichheiten ein, ebenso werden das Forschungsprojekt und die methodische Vorgehensweise
präsentiert. Im nächsten Schritt werden relevante Aspekte aus dem Entwicklungsprozess dargelegt
und das Konzept in seinen Grundzügen vorgestellt. Die Weiterentwicklung digitaler Kompetenz wird
dabei nicht nur auf einer technischen, sondern auch auf einer sozialen Ebene gedacht. Abschließend
werden Erfahrungen in der Anwendung des Konzepts und daraus resultierende Ableitungen und
Implikationen für dessen Verwendung resümiert.
Schlagworte: digitale Medienkompetenz, digitale Bildung in der dualen Berufsausbildung, digitales
Lernen, digitale Lernmaterialien, sozio-digitale Ungleichheit
Abstract
This article provides insights into the development of a concept for teachers and trainers to teach
digital skills in dual vocational training. It was developed by a team from the Ilse Arlt Institute
for Social Inclusion Research in the context of the year-and-a-half project “Digital Spaces” in
collaboration with young people and training professionals. The article discusses the significance
of digitalization and socio-digital inequalities and their relevance for young people. It then presents
the research project and its methodological approach. Subsequently, it outlines relevant aspects
from the development process and presents the concept in its basic outlines. In this context, digital
skills are understood on both a technical and a social level. Finally, the article summarizes the
experiences of applying the concept and the implications for its use.
Keywords: digital literacy, digital education in dual vocational training, digital learning, digital divide,
socio-digital inequality
1
Einleitung
Die fortschreitende Digitalisierung hat starke Auswirkungen auf Arbeitswelten (vgl. Dorr/Enichlmair/
Heckl/Ziegler 2016: 11–13) und damit auch auf die Bildung und Ausbildung. Mittlerweile sind in
vielen, auch niedrig- und mittelqualifizierten oder handwerklichen Berufen digitale Kompetenzen
notwendig, z.B. für administrative Belange wie Zeiterfassung, Dokumentation, digitale
Kommunikation im Team, Bestellungen, elektronische Kassensysteme. Durch diese Veränderungen
wird „Digitalisierung selbst zum Gegenstand von Bildung“ (Scheiter 2021: 1040), die die Lernenden
zur kompetenten Nutzung digitaler Medien für den Alltag und das spätere Berufsleben befähigen
soll. Scheiter gibt diesbezüglich zu bedenken, dass es einer Erweiterung von Bildungszielen um
Medienkompetenz im Unterricht bedarf: „Die zunehmende Digitalisierung verändert Bildung […] im
Hinblick auf die Gestaltung ihr zugrundeliegender Lehr- und Lernprozesse“ (ebd.: 1040). In Weiter-
und Ausbildungskontexten sind digitale Lernformate dadurch vermehrt in den Fokus gerückt (vgl.
Knopf/Eckle 2021: 22–23).
In Österreich wurden von staatlicher Seite mit der „Digitalisierungsoffensive“ zahlreiche
Maßnahmen zum Ausbau digitaler Bildung gesetzt. Im Rahmen des digitalen Kompetenzmodells
DigComp 2.2 (vgl. BMDW 2021) wurden etwa digitale Kompetenzen neben Lesen, Schreiben
und Rechnen zur vierten notwendigen Grundkompetenz erklärt. Digitale Grundbildung ist nun
fixer Bestandteil der Lehrpläne der Primar- und Sekundarstufen (vgl. BMBWF o.A.; BMDW 2021),
seit 2021 werden Schüler*innen ab der 5. Schulstufe mit entsprechenden digitalen Endgeräten
ausgestattet. Hinzu kommen eine Verbesserung der allgemeinen digitalen Infrastruktur an Schulen
(WLAN und Glasfaserausbau etc.), Weiterbildungen der Lehrkräfte usw. (vgl. BMBWF o.A.; OeAD
2024).
KinderundJugendlichewachsenmitdigitalenMedienbereitsaufundstehenzudemimFokus
von digitalen Bildungsoffensiven, wie jener der österreichischen Regierung. Sie werden häufig als
„Generation Digital Natives“ (Prensky 2001) bezeichnet, jedoch zeigen Studien zum Medienverhalten
von Jugendlichen (vgl. Schulmeister 2009), dass diese Zuschreibung Erwartungshaltungen,
wie beispielsweise jene einer bereits ausgeprägten Medienkompetenz, erzeugt, denen viele
Jugendliche nicht entsprechen können. Denn in Bezug auf die Nutzungsfrequenz, Nutzungsmotive
und Medienkompetenz bestehen starke Unterschiede, die entlang bereits bestehender sozio-
ökonomischer Ungleichheiten verlaufen (vgl. ebd.). Um digitale Medien in allen Lebenswelten
gezielt einsetzen zu können, sind Medienkompetenz und speziell das Wissen um rechtliche
Rahmenbedingungen und Datenschutz von essentieller Bedeutung, sie sollten entsprechend
umfassend in sämtlichen Bildungskontexten vermittelt werden (vgl. Bock-Schappelwein/Reinstaller
2012: 142–144). Medienkompetenz umfasst in diesem Zusammenhang neben technischen
Fertigkeiten auch eine kritisch-reflexive Nutzung digitaler Angebote mit Blick auf Chancen und
Risiken für die eigene Person und ihr Umfeld (vgl. Scheiter 2021: 1040–1041).
Diese Überlegungen waren der Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Konzepts
für Lehrende und Ausbildungskräfte zur Vermittlung digitaler Kompetenzen in der dualen
Berufsausbildung. Es wurde im Rahmen des Projektes „Digital Spaces“ (vgl. Huber/Renner/Stefan
2023) gemeinsam mit Jugendlichen und Ausbildungskräften in der dualen Berufsausbildung
entwickelt und wird in diesem Beitrag präsentiert. Um den Entwicklungsprozess des Konzeptes
darzulegen, werden folgend zunächst Überlegungen zur Bedeutung von Digitalisierung und sozio-
digitalen Ungleichheiten angestellt und hinsichtlich ihrer Relevanz für Jugendliche diskutiert. Daran
anschließend werden das Forschungsprojekt und die methodische Vorgehensweise präsentiert.
Im nächsten Schritt werden relevante Aspekte aus dem Entwicklungsprozess dargelegt und das
Konzept in seinen Grundzügen vorgestellt. Abschließend werden Erfahrungen in der Anwendung
des Konzepts und daraus resultierende Ableitungen und Implikationen für dessen Verwendung
resümiert.
2
Zur Bedeutung der Digitalisierung
2.1 Digitalisierung und digitale Ungleichheiten
Der Begriff Digitalisierung beschreibt sowohl einen technologischen als auch sozialen Wandel, der
sämtliche gesellschaftliche Bereiche betrifft (vgl. Nárosy/Schmöl/Proinger/Domany-Funtan 2022:
4–5). Digitalisierung beeinflusst unseren gesamten Alltag, Arbeitswelten, Kultur, Kommunikation,
Identitäten, Politik und selbst die intimsten persönlichen Bereiche unseres Zusammenlebens wie
beispielsweise die Partner*innensuche. Dieser gesellschaftliche Wandel geschah innerhalb von
nur etwa drei Jahrzehnten sehr rasch und unterliegt weiterhin sehr schnellen Entwicklungen, was
beispielsweise die Verbreiterung des Zugangs zu Technologien künstlicher Intelligenz gegenwärtig
zeigt (vgl. ebd.). Damit sind statistische Daten über die Nutzung digitaler Medien innerhalb von
wenigen Jahren meist schon überholt: Während etwa in den 1990ern der Fernseher das Leitmedium
von Jugendlichen darstellte, war es in den 2000er Jahren der Stand-PC, dieser wurde bereits in
den 2010er Jahren vom Smartphone abgelöst (vgl. Feierabend/Rathgeb/Kheredmand/Glöckler
2023: 60–77). Mit dem Fortschritt im Bereich der Technologien künstlicher Intelligenz sind weitere
Veränderungen in der Nutzung digitaler Medien zu erwarten.
SetztmansichmitgesellschaftlichenUngleichheiteninBezugaufDigitalisierungauseinander,
stößt man schnell auf den Begriff des „Digital Divide“. Dieser beschreibt Unterschiede in Bezug
auf (1) den Zugang zu, (2) Fähigkeiten im Umgang mit, (3) das Nutzungsverhalten von digitalen
Technologien. Ob jemand ein Smartphone besitzt, damit umgehen und bestimmte Probleme lösen
kann und was die*derjenige damit macht (z.B. Computerspielen, Einkaufengehen, Recherchieren
oderEnglischvokabelnlernen),verteiltsichentlangbereitsbestehenderUngleichheiten.DigitalDivide
ist aber auch eine Metapher, die eine Spaltung oder Kluft beschreibt, zwischen Informationselite
auf der einen und digitalen Analphabeten auf der anderen Seite. Tatsächlich liegt die Mehrheit der
Menschen irgendwo dazwischen (vgl. Dijk 2020). Zudem suggeriert der Begriff „digital“, dass es
sich um ein technisches Problem handelt. Es handelt es sich beim Digital Divide aber um sozio-
ökonomische Disparitäten, denn digitale Ungleichheiten verlaufen entlang sozialer, ökonomischer
und politischer Differenzierungen. Der Digital Divide beschreibt also im Grunde sozio-digitale
Ungleichheiten.
In diesem Zusammenhang weisen Beranek, Hill und Sagebiel (2019) auch auf strukturelle
Machtunterschiede zwischen Anbieter*innen und Nutzer*innen digitaler Angebote hin. Digitale
Anbieter*innen (wie Google, Meta Platforms, X, Microsoft usw.) haben großen Einfluss auf
den Zugang zu Wissen, kontrollieren zur Verfügung gestellte Daten von Kund*innen und sind
Gatekeeper*innen hinsichtlich der sozialen Anerkennung (Stichwort Likes) und sozialen Teilhabe.
Sie haben dadurch zum Teil mehr Wirkung als z.B. Politiker*innen. Von digitalen Plattformen können
somit gesellschaftliche sowie persönliche Risiken ausgehen, und zwar sowohl auf gesundheitlicher
Ebene (z.B. psychische Erkrankungen in Zusammenhang mit intensiver digitaler Mediennutzung)
als auch auf soziopolitischer (z.B. neue Formen von Gewalt wie Cybermobbing oder Hass im Netz,
Online-Betrug, politische Radikalisierung in Zusammenhang mit Algorithmen und Fake News etc.).
Aus dieser Neukonfiguration gesellschaftlicher Machtverhältnisse ergeben sich Vulnerabilitäten,
Abhängigkeiten oder Marginalisierung von Menschen, mit denen sich die Soziale Arbeit
auseinandersetzen muss, wie auch Beranek et al (2019) argumentieren. Denn Menschen besitzen
unterschiedliche körperliche, ökonomische, soziale usw. Ressourcen, um mit Risiken umzugehen,
die in Zusammenhang mit Digitalisierung stehen. Insbesondere Jugendliche gelten aufgrund ihrer
intensiven Mediennutzung als eine vulnerable Gruppe (vgl. Beranek et al. 2019), die wir im folgenden
Abschnitt näher darstellen möchten.
2.2 Digitale Medien in der Jugend
Digitale Medien und Kommunikation stellen zentrale Aspekte im Leben von Jugendlichen dar. Ein
Rückblick aus 25 Jahren JIM-Studie zeigt, dass die Veränderungen in der Geräteausstattung
(Stichwort Smartphone) und der Ausbau von Mobilfunknetzen die mobile Internetnutzung bei
Jugendlichen seit 2011/2012 rasant beschleunigten (vgl. Feierabend et al. 2023: 60–77). Die
vielfältigen neuen Möglichkeiten der mobilen Internetnutzung führen bei Jugendlichen zu einer
massiven Zunahme an Onlinezeit. Gemäß der JIM-Jugendstudien betrug diese im Jahr vor der
Corona-Pandemie 2019 durchschnittlich 205 Minuten pro Tag. Während der Pandemie erhöhte sie
sich auf 258 Minuten, um im Jahr 2022 wieder auf 204 Minuten zu fallen. Im Jahr 2023 zeigte sich
erneuteinAnstiegauf224Minuten(vgl.ebd.:23–31).BeinahezuvierStundentäglicherOnlinepräsenz
spielt die Internetnutzung eine signifikante Rolle im täglichen Leben von Jugendlichen.
Social-Media-Plattformen erleichterten ab den 2010er Jahren das Teilen von selbsterstellten
InhaltenundstellenwesentlicheBestandteileimAlltag, inderKommunikationundinderUnterhaltung
von Jugendlichen dar (vgl. ebd.; Feierabend/Rathgeb/Kheredmand/Glöckler 2022). Laut der 8.
oberösterreichischen Jugend-Medien-Studie (vgl. Education Group 2023) ist das Versenden von
Nachrichten über Plattformen wie WhatsApp, Telegram oder Signal die am häufigsten genutzte
Methode der täglichen Kommunikation mit Freund*innen, sogar noch vor persönlichen Treffen.
Die Nutzung sozialer Netzwerke wie Instagram und Snapchat folgt bereits an dritter Stelle als
tägliches Kommunikationsmittel mit Freund*innen und wird von 41% der Jugendlichen verwendet
(vgl. ebd.: 30–39). In österreichischen und deutschen Jugendmedienstudien rangieren WhatsApp,
YouTube, Instagram, Snapchat und Tiktok derzeit als beliebteste soziale Medien unter den befragten
Jugendlichen (vgl. Feierabend et al. 2022; Feierabend et al. 2023; Saferinternet 2023).
Die Nutzung digitaler Medien durch Jugendliche beschränkt sich allerdings nicht auf Freizeit
und Privatleben. Deren Verwendung nimmt auch im schulischen Kontext kontinuierlich zu. Die
Häufigkeit der Internetnutzung während des Unterrichts wurde 2023 erstmals in der JIM-Studie
erhoben. Es stellte sich heraus, dass 63% der befragten Jugendlichen regelmäßig während des
Unterrichts online sind. Neben Kommunikation und Unterhaltung finden darüber hinaus soziale
MedienauchAnwendungbeimWissenserwerbvonJugendlichen.NutzenJugendlichebeispielsweise
YouTube für den schulischen Zweck, tun sie dies am häufigsten zur Wiederholung von Inhalten,
die nicht verstanden wurden (73%), für Hausaufgaben (70%), zur Vertiefung des Wissens aus der
Schule (66%) oder auch zur Vorbereitung von Prüfungen (60%) (vgl. Jebe/Konietzko/Lichtschlag/
Liebau 2019: 28). Digitale und insbesondere soziale Medien spielen somit eine wesentliche Rolle in
unterschiedlichen Lebensbereichen von Jugendlichen.
Wampfler (2019) verweist auf die Notwendigkeit, Social Media gezielt im Schulunterricht
einzusetzen, um die Medienkompetenz der Jugendlichen dahingehend zu fördern. Er spricht sich
dafür aus, Jugendliche im Netz nicht allein zu lassen und Angebote gemeinsam im Unterricht
zu nutzen und offene Gespräche über Onlineaktivitäten zu führen. Anhand der tatsächlichen
Erfahrungen können bspw. Risiken im Umgang mit digitalen Medien (wie in Punkt 2.1 ausgeführt)
besprochen werden. Dabei kann digitale Bildung allein ungleiche Ressourcenverteilung und soziale
Ungleichheiten zwar nicht ausgleichen, sie ist dennoch ein erster Ansatzpunkt und wichtiger Aspekt
im Umgang mit dem Digital Divide (vgl. Dijk 2020).
2.3 Das Projekt „Digital Spaces“
Die vorhergehenden Überlegungen waren der Anlass für ein angewandtes Forschungsprojekt,
welches im Rahmen des Projektfonds Arbeit 4.0 der Arbeiterkammer Niederösterreich, im Projektfeld
„(Digitale) Aus- und Weiterbildung mit Fokus auf Jugendliche und junge Erwachsene“ von Mai 2022
bis Oktober 2023 durchgeführt wurde. Ziel dieses Projekts war die Entwicklung eines Konzepts für
LehrendeundAusbildner*innenzurFörderungdigitalerKompetenzenvonJugendlicheninderdualen
Berufsausbildung.DieWeiterentwicklungdigitalerFähigkeitenwirddabeidurchdieErstellungdigitaler
Lernmaterialien durch die Jugendlichen ermöglicht. Lehrende und Auszubildende unterstützen bei
der Entwicklung dieser digitalen Lernmaterialien. Das Projekt zeigte, dass die Vermittlung digitaler
Kompetenzen nicht nur technisch gefasst werden sollte, sondern auch sozial. Die Beschränkung
des Begriffs der digitalen Kompetenz auf technische Fähigkeiten vernachlässigt, dass Menschen
aufgrund gesellschaftlicher Ungleichheiten unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen, um am –
fast alle gesellschaftlichen Bereiche betreffenden – digitalen Leben gleichermaßen teilnehmen und
mit Risiken umgehen zu können. In Bezug auf digitale Kompetenzen ist also auch eine soziale Ebene
als wesentlicher Aspekt mitzuberücksichtigen. Diese soziale Ebene betrifft nicht nur die Frage, wie
digitale Medien unsere Gesellschaft verändern und welche Auswirkungen das auf uns und unser
Zusammenleben hat, sondern auch die Frage, wie wir als Menschen miteinander interagieren,
wie wir uns verhalten und wie und auf welcher Grundlage wir miteinander kommunizieren. Dieser
sogenannten ‚sozio-digitalen Dimension‘ kam im Projektverlauf eine zentrale Rolle zu.
Um sicherzustellen, dass das Konzept an den tatsächlichen Bedürfnissen der beiden
Zielgruppen ausgerichtet ist, waren sowohl Jugendliche als auch Lehrende und Ausbildungskräfte
zentrale Akteur*innen im Entwicklungsprozess. Das zu entwickelnde methodische Konzept sollte
sowohl umfassende digitale Kompetenzen bei Jugendlichen in der dualen Berufsausbildung fördern
als auch tatsächlich im Unterricht bzw. der dualen Berufsausbildung einsetzbar sein. Daraus ergaben
sich folgende Detailfragen:
(1) Wie sind digitales Lernen sowie die Weiterentwicklung digitaler Fertigkeiten und
Medienkompetenz derzeit in der dualen Berufsausbildung von Jugendlichen gestaltet?
(2) Wie können kurzweilige, digitale Formate für die duale Berufsausbildung aussehen?
(3) Welche Lehrinhalte sollen in diesen vermittelt werden und didaktisch aufbereitet sein?
(4) Welche digitalen Kommunikationskanäle eignen sich aus der Sicht von Jugendlichen in
der dualen Berufsausbildung für die Verbreitung von berufsrelevanten Lehrinhalten?
Für die Konzeptentwicklung wurde mit Jugendlichen und Fachkräften vom Jugendzentrum
Steppenwolf St. Pölten, der Landwirtschaftlichen Fachschule Langenlois, der Lehrlingsstiftung
Eggenburg und der Tischlerei Krumböck (Gerersdorf) zusammengearbeitet. Im Entwicklungsprozess
wurde gemeinsam mit den Jugendlichen und unter Einbezug ihrer Lehrenden digitale Lernmaterialien
entworfen. Aus dem Projekt „Digital Spaces“ gehen neben dem methodischen Konzept zur
Vermittlung digitaler Fertigkeiten 15 digitale Lernmaterialien in Form von drei Videos, sieben Reels
und fünf Podcasts hervor (vgl. Huber/Renner/Stefan 2023).
3
Methodische Vorgehensweise im Entwicklungsprozess
Am Beginn der Zusammenarbeit mit den Jugendlichen stand ein erstes dreiteiliges Pilot-
Workshopkonzept zur gemeinsamen Entwicklung digitaler Lernmaterialien im und für den Unterricht.
Das Pilot-Konzept basierte auf den vorgestellten Recherche-Ergebnissen zu digitalem Lernen und
sozio-digitalen Ungleichheiten. Für die Durchführung der Workshops teilte sich das Forschungsteam
auf: Zwei Personen übernahmen die Begleitforschung. Die dritte Forschungsperson pilotierte
das Konzept mit zwei Klassen der landwirtschaftlichen Fach- und Berufsschule Langenlois und
anschließendmiteinerGruppeLehrlingederLehrlingsstiftungEggenburg;siewurdedabeiunterstützt
von zwei Sozialarbeiter*innen der Offenen Jugendarbeit mit Expertise im Bereich Social Media
und von zwei Professionist*innen aus den Bereichen Video- sowie (Radio-)Moderation/Podcast-
Erstellung. Um das Pilotkonzept gemeinsam mit den Jugendlichen und ihren Ausbildungspersonen
gemäß ihren Bedürfnissen weiterzuentwickeln, wurde im Zuge teilnehmender Beobachtungen
der einzelnen Workshops unter anderem darauf geachtet, welche zeitlichen und infrastrukturellen
Rahmenbedingungen zur Umsetzung notwendig sind, inwiefern das geplante Workshopdesign als
Arbeitsgrundlage für die Weiterentwicklung digitaler Kompetenzen dienlich ist, wo es Veränderungen
bedarf usw.
Nach den Workshops wurden die Jugendlichen zu ihren Erfahrungen und
Änderungsvorschlägen zum Konzept schriftlich befragt. Bereits im ersten Pilotierungsdurchlauf
zeigte sich großer Bedarf bei den Jugendlichen, Aspekte wie den Umgang mit sozialen Medien,
die Kommunikation innerhalb sozialer Medien, die Auseinandersetzung mit Risiken sozialer
Medien etc. näher zu bearbeiten. Auch die Ausbilder*innen der Lehrwerkstätten und Fachkräfte
für Soziale Arbeit der Lehrlingsstiftung Eggenburg wurden schriftlich zu Bedarfen hinsichtlich
der Weiterentwicklung von digitalen Kompetenzen in der Berufsausbildung befragt. Daraus ging
hervor, dass sowohl berufsspezifische Lehrinhalte als auch allgemeine schulische Inhalte, wie z.B.
Flächenberechnung, Vokabeln zu einem bestimmten Thema etc., in den Workshops thematisiert
und als digitale Lernmaterialien umgesetzt werden sollen. Im Anschluss an die beiden Pilotierungen
wurden Workshopteilnehmer*innen und -leiter*innen sowie Fachkräfte der unterstützenden
Einrichtungen als Expert*innen befragt (vgl. Meuser/Nagel 1991). Konkrete technische Hinweise
zur Workshopdurchführung, wie die Verwendung bestimmter lizenzfreier Software zur Erstellung
von Videos/Podcasts, aber auch didaktische Empfehlungen aus dieser Befragung, mündeten in die
erste Verschriftlichung des Konzepts.
Im Verlauf des Forschungsprozesses wurde das methodische Konzept in seinem jeweiligen
Entwicklungsstand mehrfach auf Konferenzen und bei Veranstaltungen mit verschiedenen
Expert*innen aus der Jugendarbeit sowie dem Sozial- und Bildungswesen (darunter Lehrende,
Sozialarbeitende und Wissenschaftler*innen) diskutiert. Das finale Workshopkonzept wurde
abschließend in einem Lehrbetrieb mit drei Lehrlingen in einem verkürzten Format angewendet.
Diese Erfahrung zeigte, dass Betriebe zeitliche Ressourcen der Lehrlinge im laufenden Betrieb
bereitstellen können, wenn der Bedarf an digitaler Weiterentwicklung erkannt wird.
4
Relevante Aspekte aus dem Entwicklungsprozess für die
Konzeptentwicklung
Die Erfahrung aus der Konzeptanwendung und die Ergebnisse der Analyse unterschiedlicher
Daten aus der Begleitforschung, wie Literaturrecherche, Beobachtungsprotokolle, schriftliche
Befragungen, Expert*inneninterviewsundDiskussionenbeiKonferenzenundFachtagungen, dienten
der konzeptionellen Ausgestaltung. Folgende zentrale Themen haben die Konzeptentwicklung
beeinflusst.
4.1 Die Bedeutung der alltäglichen Nutzung und Verfügbarkeit digitaler
Medien für den Wissenserwerb
Die Bedeutung der alltäglichen Nutzung digitaler Medien für den Erwerb digitaler Fähigkeiten wurde
im Prozess deutlich. Aus den Expert*innengesprächen und den Beobachtungen der Workshops geht
hervor, dass das Nutzungswissen nicht nur vom Nutzungsverhalten abhängt, sondern auch von der
tatsächlichen Zugänglichkeit von digitalen Medien und Technologie. Auf dieser Ebene befindet sich
auch nach von Dijk (2020) der „first level digital divide“. Mehrere der teilnehmenden Jugendlichen
hatten keinen Zugang zu einem Laptop oder nur begrenzten Zugang zum Internet via Smartphone,
weil die Internetnutzung über limitierte Wertkarten erfolgte und/oder das Datenvolumen an den
Schulen begrenzt ist. Die schulische und private Nutzung und die Weiterentwicklung digitaler
Fähigkeiten sind damit häufig vom Zugang zu freien Endgeräten (z.B. in Schulen) und freiem Internet
abhängig. Um diese Aspekte zu berücksichtigen, wurde das Konzept für die Umsetzung mittels
Smartphone entwickelt. Darüber hinaus berichteten zwei Expert*innen von den Ängsten mancher
Eltern, welche nicht nur die Nutzung aus erzieherischen Gründen massiv beschränken oder gar
verbieten, sondern sie ihren Kindern auch „ausreden“ (IE1). Das führt dazu, dass Jugendliche
aufgrund elterlicher Restriktionen die Nutzung auf das Notwendigste beschränken, z.B. die
Kommunikation mit Freund*innen, so eine der interviewten Expert*innen (ebd.).
Es ist davon auszugehen, dass bald alle Schulen in Österreich eine freie Internetverbindung
für alle Schüler*innen zur Verfügung stellen können (vgl. BMBWF 2018) und damit die Möglichkeit
zur Weiterentwicklung digitaler Kompetenzen unabhängig von privaten Zugängen gewährleistet ist.
4.2 Zum Wissen von Ausbildungskräften für die Vermittlung digitaler
Kompetenzen
Unterschiede in Bezug auf die Vermittlung digitaler Kompetenzen wurden bei Arbeitsanleiter*innen
bzw.LehrkräftensowieLehrbetriebensichtbar.AuchsiebenötigeneinVerständnisderNotwendigkeit
sowie die Bereitschaft, sich selbst damit auseinanderzusetzen. Ein*e Expert*in meinte etwa, dass
fehlendes Interesse bei manchen Lehrkräften, das auch in Zusammenhang mit höherem Alter
stünde, ein Hindernis darstelle. Vor allem „in handwerklichen Lehrberufen […] ist das oft schwierig“
(IE1). In kleineren und mittleren Betrieben, so ein interviewter Geschäftsführer, ist es auch eine
Frage der Zeit und des Geldes, die Weiterentwicklung digitaler Kompetenzen der Jugendlichen zu
forcieren. Die interviewte Person sieht hier die Verantwortung stärker bei den Lehrlingen, die dafür
mehr Bereitschaft aufzubringen hätten, aber auch bei den Berufsschulen (vgl. IE4).
Für die Konzeptentwicklung war es von hoher Relevanz, eine Anleitung für Lehrende und
Auszubildenezuerarbeiten, welcheeineAnwendungunabhängigvonpersönlichenVoraussetzungen
möglich macht und zeitlich planbar im Ausbildungsalltag integriert werden kann. Dazu wurde im
Konzept ein detailliertes Workshopdesign verfasst (siehe Punkt 5) und um eine Beschreibung
der notwendigen Kompetenzen zur Durchführung der einzelnen Workshops ergänzt. So können
vorhandene Ressourcen im Team genutzt und bei Bedarf externe Expert*innen hinzugezogen
werden. Darüber hinaus bietet das Konzept eine Sammlung von Materialien zur aktiven Nutzung
digitaler Medien etc. in Unterricht und Ausbildung.
4.3 Freiwilligkeit bei der Auseinandersetzung
Die Freiwilligkeit bei der Auseinandersetzung mit dieser Thematik ist ein wesentliches Anliegen der
Jugendlichen(vgl. IE3). AuchwenndigitaleBildungunddieWeiterentwicklungdigitalerKompetenzen
ein Bildungsziel in der dualen Berufsausbildung darstellen sollten, ist es den Jugendlichen wichtig,
dass die Teilnahme an Workshops, wie den hier vorgestellten, nicht verpflichtend, sondern freiwillig
ist (vgl. IE3). Für die Anwendung in Schulen oder anderweitigen Ausbildungseinrichtungen sollte
dieser Aspekt mitbedacht werden.
4.4 Didaktische Ausgestaltung der Workshops
Die Analyse der teilnehmenden Beobachtungen (vgl. BP1–5; GP1) aus den Pilotworkshops mündete
in unterschiedliche didaktische Vorschläge für die Begleitung der Jugendlichen – diese reichen von:
‚begleitend bei Bedarf‘, über ‚strukturierte Anleitung zu Beginn‘ bis hin zu ‚lenkend/unterstützend
im gesamten Workshop-Prozess‘. Das Konzept erklärt anhand empirischer Beispiele aus der
Pilotierung, wann welche Formen der Begleitung angewandt werden können.
4.5 Risiken im Umgang mit digitalen Technologien
EinigeJugendlicheberichtetenimRahmenderWorkshops,vonOnline-Mobbingbzw.Betrugbetroffen
gewesen oder bereits auf Fake News hereingefallen zu sein (vgl. GP1, BP4, BP5). Expert*innen aus
dem Bereich der Jugendarbeit geben im gemeinsamen Gespräch an (vgl. IE4), dass sie in ihrer
Arbeit mit den unterschiedlichsten Themen konfrontiert werden, die eine aktive Auseinandersetzung
gemeinsam mit den Jugendlichen benötigen. Darunter fallen etwa Diskriminierungserfahrungen,
Hate-Speech, das Anfertigen und Verbreiten von Nacktfotos ohne das Wissen der abgebildeten
Person, das Teilen und Erhalten von Videos mit Gewaltdarstellungen, Suchterkrankungen (wie etwa
Online-Spielsucht), Schönheitsideale und sexualisierte Annäherungsversuche (z.B. „Dick-Pics“) –
wovon v.a. Mädchen betroffen seien (vgl. ebd.).
Diese Schilderungen zeigen die Notwendigkeit der aktiven Auseinandersetzung mit Online-
Erfahrungen. Sie verdeutlichen aber auch die hohe Bedeutung davon, digitale Kompetenzen nicht
nur technisch, sondern auch sozial zu denken. Dementsprechend wurden sie zu einem zentralen
Bestandteil des erarbeiteten Konzepts.
5
Ein Konzept zur Vermittlung und Weiterentwicklung digitaler
Kompetenzen
Ausgehend von unserer Forschung entstand schlussendlich ein finales Konzept für Lehrende
und Ausbildner*innen zur Förderung digitaler Kompetenzen von Jugendlichen in der dualen
Berufsausbildung, das digitale Kompetenzen, wie bereits angesprochen, sowohl sozial als auch
technisch versteht. Die methodische Anleitung ist in vier Abschnitte gegliedert: (1) Ziele des
Konzepts, (2) die unterschiedlichen Anknüpfungspunkte an digitale Kompetenzen der Jugendlichen,
(3) ein dreiteiliges Workshop-Design zur Umsetzung in unterschiedlichen Einrichtungen der dualen
Berufsausbildung, (4) Anwendungserfahrungen. Ein Anhang beinhaltet Links zu Materialien und
Unterlagen für die Workshopdurchführung. Darüber hinaus wurde das Konzept in einer zweiseitigen
Kurzübersicht (einem Handout) zusammengefasst sowie in einem kurzen Erklärvideo dargestellt.
5.1 Ziele des Konzepts
Das Konzept stellt einen praktischen Vorschlag zur Vermittlung und Weiterentwicklung digitaler
Fähigkeiten in der dualen Berufsausbildung (Lehr-, Berufs- und Fachschulausbildung) zur Verfügung.
Darüber hinaus soll es die Entwicklung digitaler Lernmaterialien aus der Sicht von Jugendlichen
für Gleichaltrige ermöglichen, um so eine Verbindung von bestehenden digitalen Kompetenzen
und klassischen Lernformen herzustellen. Dazu wird versucht, an bestehende Erfahrungen und
Wissen der Auszubildenden auf drei Ebenen anzuknüpfen. Bei der Konzeptanwendung dienen
diese Fähigkeiten als Grundlage und können ausgebaut werden.
5.2 AnknüpfungspunkteanvorhandenesWissenundbestehendeFähigkeiten
der Jugendlichen
In der Regel bringen Jugendliche schon allerlei Kompetenzen, Fähigkeiten und Wissen mit, an die im
Laufe der Workshops angeknüpft werden kann. Drei Ebenen wurden im Entwicklungsprozess des
Konzeptes deutlich, auf denen Kompetenzen der Jugendlichen vorhanden sind: eine technische,
eine soziale und die ausbildungsspezifische fachliche Ebene.
Technische Kompetenzen beziehen sich auf Fähigkeiten und Wissen im Umgang mit digitalen
Medien. Sie umfassen etwa Wissen über unterschiedliche Apps, Streamingdienste, digitale
Musikproduktion, Video- oder Audioschnittprogramme, aber auch das Handling von Social-Media-
Plattformen oder Erfahrungen im Umgang mit der Kamera eines Smartphones. Diese technischen
Fertigkeiten können in Gruppen vorhanden sein und an sie kann im Laufe der Workshops angeknüpft
werden.
Soziale Kompetenzen umfassen etwa das Wissen darüber, wie soziale Beziehungen aufgebaut
und aufrechterhalten werden, die auf Gleichheit, Solidarität und gegenseitigem Respekt basieren
– sowohl im analogen als auch im digitalen Raum. Damit in Zusammenhang stehen beispielsweise
Kommunikationskompetenzen, selbstkritisches, selbstreflexives und empathisches Handeln, der
Umgang mit eigenen Emotionen, das Erkennen von Gewalt, aber auch das Bewusstsein über die
Grenze zwischen Privatheit und Öffentlichkeit. Auch Wissen über unterschiedliche Formen von
Diskriminierung, gesellschaftliche Ungleichheiten und deren Auswirkungen zählt dazu. Das Umlegen
dieser Fähigkeiten auf den digitalen Raum kann in den Workshops thematisiert werden.
FachlicheKompetenzen:FachlichesWissenausderAusbildungwirdzurinhaltlichenAusgestaltung
der Lernmaterialien verwendet. Dazu zählen etwa für angehende Gärtner*innen das Wissen über
Pflanzen oder auch das Pflastern, für Bürokaufpersonen beispielsweise Kompetenzen im Bereich
Buchhaltung. Für bereits erworbenes Wissen oder noch zu erlernende Inhalte können hier z.B.
Mitschriften oder Schulbücher herangezogen werden. Bestehende Kenntnisse werden damit vertieft
oder neue, berufsspezifische Bildungsinhalte selbstständig erarbeitet.
DieWorkshopsbauenindiesendreiEbenenaufbereitsbestehendesWissenderJugendlichen
auf, ergänzen es oder stellen es zur Diskussion.
5.3 AnknüpfungspunkteanvorhandenesWissenundbestehendeFähigkeiten
der Jugendlichen
Der dritte Teil des Konzepts beinhaltet ein dreiteiliges Workshopdesign. Die Workshopreihe ist
aufeinander aufbauend und für drei Halbtage (zu je vier bis fünf Stunden) für bis zu 25 Personen
konzipiert. Mit kleineren Gruppen (drei bis sechs Personen) können die einzelnen Teile auf zwei
bis drei Stunden pro Block gekürzt und an einem Tag durchgeführt werden. Die Dauer der
Workshops ist abhängig von der Gesamtzahl an Teilnehmenden. Ab einer Gruppengröße von
14–15 Personen empfiehlt es sich, die Gruppe im ersten Workshop zu teilen. Die Erarbeitung der
digitalen Lernmaterialien im zweiten und dritten Workshop erfolgt in Kleingruppen mit bis zu fünf
Personen. Im Konzept werden notwendige Rahmenbedingungen wie die technische Ausstattung,
Moderationsmaterialien, Empfehlungen zum Setting und Bedarfe an die Workshopleitungen
beschrieben. Sie sind davon abhängig, welche digitalen Lernmaterialien erstellt werden sollen. Das
erstellteKonzeptbieteteineAnleitungzurEntwicklungvonReels/Kurzvideos,Podcasts,Quiz,Stories
und Postern mit und durch Jugendliche. Für die Gestaltung der einzelnen Workshops benötigen
die Workshopleitenden fachliches Wissen in den Bereichen Social Media und Jugendarbeit,
Podcast-Erstellung/Audioaufnahme, Reel- und Videogestaltung sowie Datenschutz. Die Anzahl
der Workshopteilnehmenden ist ausschlaggebend dafür, wie viele Fachkräfte in den einzelnen
Workshops bzw. bei den einzelnen Schritten der Konzeptanwendung anwesend sein sollten
Die folgende Abbildung bietet eine Übersicht zu den Inhalten der einzelnen Workshopteile:
Abbildung 1: Dreiteilliger Workshopablauf (eigene Darstellung)
Workshop 1: Soziale Dimension im Umgang mit digitalen Medien
Der erste Workshop soll zum Austausch über und zur Reflexion von sozialen Aspekten im
Umgang mit digitalen Medien anregen. Die soziale Dimension digitaler Medien bezieht sich auf
die Auswirkungen, die digitale Medien auf gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse
(z.B. Fake News usw.), auf menschliches Wohlbefinden und Gesundheit, zwischenmenschliche
Beziehungen und Interaktionen haben, aber auch auf sozio-politische Auswirkungen, die damit in
Verbindung stehen können. Mit unterschiedlichen Methoden wie einer soziometrischen Aufstellung
oder einer anonymen digitalen Umfrage erfolgt eine gemeinsame Auseinandersetzung mit eigenen
Erfahrungen und eine Sensibilisierung in Bezug auf soziale Aspekte im Umgang mit digitalen Medien.
Workshop 2: Digitale Medien zum Lernen
Im zweiten Workshop werden Erfahrungen mit digitalen Medien beim Lernen reflektiert. Der
Fokus liegt auf dem selbstständigen Erwerb oder der Vertiefung schulischer Inhalte und der dazu
verwendeten digitalen Medien. In einer gemeinsamen Diskussion mit den Jugendlichen wird im
Anschluss geklärt, welche Inhalte in welcher Form im Zuge des dritten Workshops erarbeitet werden
sollen. Dieser Austausch beinhaltet auch die Aufteilung in entsprechende Kleingruppen und bildet
die Grundlage für die selbständige Entwicklung digitaler Lernmaterialien von den Jugendlichen. Im
letzten Abschnitt dieses Workshops ist ein Input zur Erstellung eines Ablaufplans bzw. Storyboards
für die Gestaltung des digitalen Lernmaterials vorgesehen.
Workshop 3: Inhaltliche und technische Entwicklung des digitalen Lernmaterials
Im letzten Workshop erfolgt die Entwicklung und technische Umsetzung des digitalen Lernmaterials.
Zu Beginn ist eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Thema Datenschutz bei Veröffentlichung
von Inhalten im Internet vorgesehen. Dieser Input nimmt auf die entsprechenden digitalen Formate
(Podcast, Video usw.) Bezug und ist für die Gesamtgruppe angedacht. Im Anwendungsbeispiel
beziehensichdieInhaltediesesInputsaufdasTeilenvonBildernundVideos,Urheber*innenrechtebei
Verwendung von Bild-, Audio oder Videomaterialien für die Erstellung von Videos und Podcasts. Der
letzte Teil aus dem zweiten Workshop und dieser Teil können fließend ineinander übergehen. Sobald
die Umsetzungsideen in der Kleingruppe fixiert wurden, kann die jeweilige Kleingruppenleitung den
Umgang mit der notwendigen Technik (z.B. Aufnahmegerät, Videoeinstellungen beim Smartphone
usw.) erläutern, sodann können sämtliche Schritte zur Umsetzung durchgeführt werden;
gegebenenfalls müssen Hinweise zu Aspekten des Datenschutzes vorgezogen werden.
ImletztenPunktdesKonzeptsfindensichInformationenzuPlanungundTechnik, beispielsweisezum
Testen der Bandbreite der Wlan-Verbindung vor den Workshops, Erfahrungen zu unterschiedlichen
Gruppendynamiken, z.B. in Bezug auf das Engagement einzelner Jugendlicher, und eine Reflexion
über die Begleitung der Jugendlichen während des Forschungsprojektes.
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Schlussfolgerungen und Implikationen für die Konzeptanwendung
Zu Projektbeginn wurde davon ausgegangen, dass Lehrlinge und Jugendliche der heutigen Zeit der
Zuschreibung der „Generation Digital Natives“ nicht immer entsprechen können (vgl. Schulmeister
2009). Im Zuge des Projektverlaufs wurde einerseits aus der Literaturrecherche, andererseits aus
der Begleitforschung deutlich, dass eine ungleiche Verteilung digitaler Kompetenzen unter den
Jugendlichen besteht, welche entlang bereits bestehender sozio-ökonomischer Ungleichheiten
verläuft. Das bedeutet, dass sich technische Fähigkeiten und sozio-digitale Kompetenzen, wie
etwa die Bedienung einer bestimmten App, aber auch das Wissen über Risiken beispielsweise in
Bezug auf Datenschutz, bei jugendlichen Anwender*innen stark unterscheiden. Während manche
über sehr viele Kompetenzen im Bereich Videoschnitt, Onlinestreaming oder Datenschutz verfügen,
teilen andere öffentlich sehr private Fotos, ohne über mögliche Konsequenzen nachzudenken, oder
wurden bereits Opfer von Internetbetrug. Auch Kenntnisse zum Umgang mit und zur Beschaffung
von Informationen, die Reflexion über die Herkunft ebendieser und adäquate Verhaltensweisen bei
der Veröffentlichung von Inhalten sind ungleich verteilt. Die Expert*innen in den Interviews verwiesen
diesbezüglich darauf, dass mögliche Einflussfaktoren der eingeschränkte Zugang zu einem eigenen
Laptop und/oder Smartphone oder erzieherische Restriktionen sein können. Denn unterschiedliche
Arten von Anwendungswissen entstehen nicht nur durch digitale Bildung im Unterricht, sondern
auch durch die alltägliche Nutzung digitaler Medien.
Zur Förderung sozio-digitaler Kompetenzen bedarf es der (kollektiven) Reflexion eigener
Erfahrungen und Erlebnisse im Umgang mit sozialen Medien. Im ersten Workshop des Konzepts
sollte deshalb ausreichend Zeit für die Diskussion der einzelnen Fragestellungen eingeplant
werden. Dadurch wird nicht nur Raum für Betroffenheiten unter fachlicher Begleitung geschaffen,
sondern auch ein kritischer Umgang mit digitalen Medien kann diskutiert werden. In den Workshops
im Projekt wurden die Gruppengespräche zu Erfahrungen im Internet von zwei Expert*innen
(Sozialarbeiter*innen) der Offenen Jugendarbeit (vgl. Punkt 3) durchgeführt. Diese Fachkräfte
konnten auf gruppendynamische Phänomene oder auch auf Schilderungen von Gewalterfahrungen
im Netz fachgerecht reagieren. Indem sie den Austausch angeregt, beobachtet und im Bedarfsfall
interveniert haben, konnte ein sozialpädagogisches Diskussionsumfeld ermöglicht werden (siehe
Abschnitt 2.2 und Workshop 1 in 5.3).
Was wir mit diesem Ergebnisbericht zeigen möchten, ist, dass digitale Fähigkeiten nicht
rein technisch – über den Zugang zu, den Umgang mit oder die gewinnbringende Nutzung von
digitalen Technologien – gedacht werden können, sondern auch eine soziale Dimension umfassen.
Diese betrifft ein Verständnis für und die Pflege von Beziehungen, sowohl persönlich als auch
online, die auf Gleichheit, Solidarität und Respekt basieren, aber auch Wissen über Macht- und
Herrschaftsverhältnisse und daraus resultierende Risiken. Damit einher gehen notwendige
Kompetenzen in den Bereichen Kommunikation, Selbstreflexion, Empathie, Emotionsregulation und
hinsichtlich des Erkennens von Gewalt. Auch das Bewusstsein für Privatsphäre und Öffentlichkeit,
Diskriminierung und strukturelle Ungleichheiten zählen dazu. Die Vermittlung digitaler Kompetenzen
sollte diese sozio-digitale Dimension berücksichtigen, denn gesellschaftliche Ungleichheiten und
Verhältnisse setzen sich auch online fort. In den Workshops und der Begleitforschung wurde
sichtbar, dass der Umgang mit diesen sozio-digitalen Aspekten wesentlich ist, wenn es darum
geht, umfassende digitale Kompetenzen zu vermitteln und weiterzuentwickeln. Bedarf daran wurde
sowohl von den teilnehmenden Jugendlichen als auch von den unterschiedlichen Fachkräften
erkannt. Das erarbeitete Konzept kann als Möglichkeit genutzt werden, um digitale Bildung um
eine soziale Dimension zu erweitern und diese in den Unterricht oder die Ausbildung zu integrieren.
So können junge Menschen unabhängig von ihren sozio-ökonomischen Voraussetzungen in
ihrer digitalen (Weiter-)Entwicklung unterstützt und Chancengerechtigkeit in der digitalen Bildung
gefördert werden.
Verweise
i Im Rahmen der JIM-Studie (Jugend, Information, Medien) werden seit 25 Jahren Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren in Deutschland
jährlich zu ihrem Medienumgang befragt.
ii Diese Materialien sind auf der Projekthomepage „Digital Spaces“ an der FH St. Pölten, unter dem Reiter ‚Konzept‘, zugänglich: https://
shorturl.at/jvAY7.
iii Unterlagen und Links zur Erstellung eines Storyboards finden sich im Anhang, Punkt a des methodischen Konzepts.
iv Eine Auswahl unterschiedlicher Materialen für diesen Workshoppunkt finden sich in Anhang, Punkt d des methodischen Konzepts.
v Aus unseren empirischen Erhebungen geht deutlich hervor, dass für die Anleitung dieses Gruppenprozesses Kompetenzen im Bereich
Sozialer Gruppenarbeit, Gesprächsführung in und mit Gruppen etc. von Vorteil sind (vgl. Maierhof 2021).
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Über die Autorinnen
Patricia Renner, MA
Junior Researcher am Ilse Arlt Institut für Soziale Inklusionsforschung der Fachhochschule St.
Pölten, Sozialpädagogin und Sozialarbeiterin. Aktuelle Forschungsinteressen: Jugendberufshilfe,
Methodenentwicklung und partizipative Forschung im Bereich der Sozialen Arbeit, dissertiert dazu
an der Karl-Franzens-Universität Graz
MMag.a Barbara Stefan
Junior Researcher am Ilse Arlt Institut für Soziale Inklusionsforschung der Fachhochschule St.
Pölten, Politikwissenschafterin und Kultur- und Sozialanthropologin. Aktuelle Forschungsinteressen:
Digitalisierung, Mutterschaft im wohlfahrtsstaatlichen Kontext, Gender- und Sozialpolitik