Christian Reutlinger & Katharina Röggla. Spiel in der Stadt professionell ermöglichen. Die Wiener
Parkbetreuung eröffnet Kindern erweiterte Handlungsmöglichkeiten. soziales_kapital, Bd. 28
28. Ausgabe 2024
Soziale Arbeit, Staat und Zivilgesellschaft
Spiel in der Stadt professionell ermöglichen
Die Wiener Parkbetreuung eröffnet Kindern
erweiterte Handlungsmöglichkeiten
Christian Reutlinger & Katharina Röggla
Zusammenfassung
Der folgende Beitrag gibt einen Einblick in die Entstehung der Parkbetreuung in Wien. Er eröffnet
damit eine neue Perspektive auf das Spielen als möglichem Ausgangspunkt für die Arbeit mit
Kindern und Jugendlichen. Ein wesentlicher Aspekt der Parkbetreuung ist es, abseits von hoch
funktionalisierten Räumen, wie verkehrsdominierten Straßen, Orte zu schaffen, die von Kindern
und Jugendlichen als Spiel- und Lebensräume angeeignet und umgedeutet werden können.
Die Parkbetreuung lebt davon, den Blick nicht defizitorientiert auf Probleme zu richten, sondern
offenes Spiel zu unterstützen und den Themen der Kinder und Jugendlichen Raum zu geben. Damit
werden Aneignungs- und Handlungsmöglichkeiten junger Menschen unterstützt, bei denen sie –
im Gegensatz zu vorgegebenen pädagogischen Zielen – selbst die Richtung vorgeben können.
In diesen Prozessen eine lebensweltorientierte Perspektive beizubehalten, ist eine wesentliche
Kompetenz der Parkbetreuung.
Schlagworte: Spiel, Park, Spielplatz, öffentlicher Raum, Parkbetreuung, Aneignung, Offene
Jugendarbeit, Offene Kinder- und Jugendarbeit, Gemeinwesenorientierung
Abstract
The following article provides an insight into the development of Wiener Parkbetreuung (Playwork
in Vienna’s Parks). It offers a new perspective on play as a potential starting point for working with
children and young people. An essential aspect of Parkbetreuung is the creation of spaces that are
away from highly functionalized environments, such as traffic-dominated streets. These spaces
can be appropriated and reinterpreted by children and young people as play and living spaces. The
approach of Parkbetreuung is based on a non-deficit model that encourages open play and provides
space for children and young people to address their own concerns. This enables young people
to appropriate and act in ways that align with their own learning goals, rather than predetermined
pedagogical objectives. It is a fundamental competence of Parkbetreuung to maintain a lifeworld-
oriented perspective in these processes.
Keywords: play, park, playground, playwork, public space, appropriation, open child and youth
work, community work
1
Einleitung
Der vorliegende Text will einen alternativen Blick auf das Spiel eröffnen. Spätestens seit der
funktionalen Ausdifferenzierung der Gesellschaft ist das Spiel als kindliche Tätigkeit und damit
als Vorstufe erwachsener Tätigkeit – der (Erwerbs-)Arbeit – festgeschrieben und bekommt nur
wenig gesellschaftliche Anerkennung. Betrachtet man das Spiel jedoch jenseits dieser Konvention,
werden seine Bezüge und Inhalte komplexer und vielfältiger. Mit dieser Komplexität lebt und spielt
die Wiener Parkbetreuung, wie wir im Folgenden aufzeigen wollen. Dabei helfen uns die vielfältigen
Materialien, die wir im Rahmen eines Buchprojektes mit dem Titel Groß werden im Park (Reutlinger/
Röggla 2023) gesammelt haben (Interviews mit Schlüsselpersonen, mündliche Erzählungen von
Geschichte und Geschichten, Konzeptpapiere, Kinderzeichnungen und auch viele Fotos und Bilder).
Daraus werden wir im folgenden Text zentrale Themen herausgreifen und diskutieren. Damit zeigen
wir, was Parkbetreuung ausmacht, was in ihr steckt, aber auch, was in ihr stecken kann, wenn die
Rahmenbedingungen stimmen.
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Ohne Kinder und ihre Bedürfnisse zu berücksichtigen: zur Entwicklung
der Städte im 20. Jahrhundert
„Wo Kinder in der räumlichen Welt Platz finden, zeigt konkret, was für ein Platz die Gesellschaft ihnen
zuweist.“ (Zeiher/Zeiher 1994: 17) Viele Jahrzehnte städtischer Entwicklung in deutschsprachigen
Großstädten wie Berlin, Frankfurt, Hamburg, München, Zürich oder Wien waren in der zweiten Hälfte
des20. Jahrhundertsgekennzeichnetdurchein„NichtbefassenmitKindern“(ebd.:19). „Kinderspiele
durften die Ästhetik und Ordnung nicht stören, zumindest mussten ihre Spuren regelmäßig beseitigt
werden.“ (Ebd.: 18) Bei der Planung und Gestaltung von Gebäuden und Verkehrswegen, aber
auch von Grünflächen hatten die Bedürfnisse der erwachsenen Stadtbewohner:innen Vorrang.
Der Aufenthalt und das Spielen im Freien, auf Straßen und Plätzen wurde durch die zunehmend
beengten räumlichen und baulichen Verhältnisse immer schwieriger und durch den zunehmenden
Autoverkehr für Kinder immer gefährlicher. Das wachsende Verkehrsaufkommen erforderte breitere
und besser ausgebaute Straßen und mehr Parkplätze, die wenigen verbliebenen Spielorte auf
der Straße verschwanden. Gleichzeitig wurde der öffentliche Raum zunehmend von Handels-,
Dienstleistungs- und Verkehrsfunktionen dominiert. Kinder und ihr Spiel störten auch hier. Nischen,
die nach dem Krieg in Form von Brachen, Ruinen und Trümmerhaufen vorhanden waren und
von Kindern zum Spielen angeeignet wurden (vgl. Zeiher 1983), wurden ebenfalls nach und nach
überbaut (vgl. Zeiher/Zeiher 1994). Es fehlte Raum im Sinne von physischem Platz für Kinder.
Physische Räume und die damit verbundenen Möglichkeiten sind jedoch gerade für ältere Kinder
entscheidend, denn sie müssen sich unkontrolliert bewegen, sich und ihre Grenzen austesten, auch
Konflikte eingehen und vor allem spielen können (vgl. Deinet 1987: 39; Reutlinger 2003). In Studien
der 1980er Jahre beschrieben Kinder ihre Wohnumgebung als „unangreifbar, starr und monoton“
(Harms 1984: 365), was insbesondere von Vertreter:innen sozialräumlicher Arbeitsansätze der
Offenen Kinder- und Jugendarbeit kritisiert wurde (vgl. dazu z.B. Böhnisch 1999).
3
Das Wien der 1980er Jahre: eine kinderfeindliche Stadt
Diese allgemeinen Tendenzen des Zusammenspiels von städtischer Entwicklung und dem
Verschwinden von Orten für Kinder lässt sich auch im Wien der 1980er Jahre beobachten. Kinder
wurden durch eine „unwirtliche Planung und Gestaltung“ (Kárász 2023 [1992]: 125) des öffentlichen
Raums „auf die Reservate des Spielens, auf die normierten Spielplätze in den städtischen
Grünflächen“ (ebd.) und insbesondere auf Parks verwiesen. Allerdings waren die damaligen Parks
ebenfalls voller Verbote. Diese Kinderfeindlichkeit zeigte sich auch noch im Jugendalter, denn auch
für Jugendliche fehlte es an eigenen Orten in der Stadt.
Da sich in den Parks die Altersgruppen mischen und es wenig Sinn macht, Kinder und
Jugendliche und ihre Bedürfnisse trennscharf voneinander abzugrenzen, sprechen wir in der
Folge von Kindern und Jugendlichen. Für sie ist die Aneignung des Parks respektive das
Erschliessen, (Um-)Deuten und auch (Um-)Nutzen der vorhandenen Objekte und ihrer Anordnung
(vgl. Hüllemann/Reutlinger/Deinet 2019), d.h. das beschriebene Überschreiten von Grenzen und
Bedeutungen, zentral. Dadurch gelingt es ihnen, ihre Handlungsfähigkeit aktiv zu erleben und
zu erweitern. Die Erweiterung der Handlungsfähigkeit ist generell zentrale Entwicklungsaufgabe,
wie aneignungstheoretische Grundlegungen verdeutlichen (vgl. ebd.). Entsprechend lassen sich
Kinder und Jugendliche in ihrer Bemühung, den Handlungsraum zu erweitern, nicht einhegen auf
bestimmte Zonen im Park. Vielmehr beginnen sie, die vorhandenen Objekte für ihre Zwecke zu
nutzen, indem sie ihnen eigene Bedeutungen und Funktionen zuweisen. Manchmal geschieht dies
symbolisch im Spiel, indem sich eine Parkbank in eine Burg oder eine Pfütze in einen Burggraben
verwandelt (vgl. ebd.); manchmal wird diese Umnutzung sehr konkret, indem in einem Gebüsch
eine Hütte entsteht. Solche sichtbaren Spuren verdeutlichten, dass im „Reservat ‚Städtischer Park‘
[...] das Reservat ‚Spielplatz‘“ (Kárász 2023 [1992]: 127) nicht mehr ausreichte.
Ende der 1980er Jahre gesellte sich zu dieser Mischung aus kinderfeindlicher Stadt, der
Verwiesenheit auf Parks sowie deren Umnutzung in der Aneignung noch ein globales Ereignis mit
regionalenFolgenhinzu.ImZugederBalkankriegeflüchtetenvieleFamilienmitihrenKinderninandere
Länder und Städte Europas, so auch nach Wien. Für viele dieser Kinder mit ihren oft traumatischen
Migrationsgeschichten wurden die Wiener Parks ein wichtiger Ort der Freizeitgestaltung:
„Wie unschwer zu erkennen, halten sich in Wiener Parks (außerhalb des Zentrums)
unverhältnismäßig mehr Kinder mit Migrationserfahrung auf, sie nehmen diese
Orte ungezwungen in Besitz, sie ‚wohnen‘ mehr im Park. Der Unmut über die
angesprochenen ‚Umnutzungen‘ richtet sich vorwiegend gegen Kinder und
Jugendliche mit Migrationsgeschichte.“ (Kárász 2023 [1992]: 126)
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Geburtsstunde der Wiener Parkbetreuung
In dieser spezifischen Situation entstand Anfang der 1990er Jahre die Wiener Parkbetreuung.
Im Historischen Lexikon Wien wird die Parkbetreuung als ein „kostenloses Freizeitangebot für
Kinder [...] [definiert], das in Europa einzigartig ist“ (Czeike 2014). Renate Kraft, Mitbegründerin der
Parkbetreuung, erinnert sich:
„Auslöser für die Parkbetreuung waren das Recht auf Spiel und das Recht auf Raum.
Weil es zu der Zeit, wo sie gegründet worden ist, schon auch um Verdrängung
gegangen ist. Also den Leuten waren einfach zu viele Kinder da. Und vor allen Dingen
Kinder, die nicht die eigenen waren. Zuwanderer-Kinder, Kinder der sogenannten
Gastarbeiter, als Folge des Familiennachzugs und in Folge der Jugoslawienkriege.
Als Reaktion auf diese Entwicklungen gab es dann die Parkbetreuung als ein Angebot,
um den Park gemeinsam besser zu nutzen, eine Erweiterung der Spielmöglichkeiten,
gleichzeitig ein Angebot des Mitbestimmens im Park.“ (Interview Renate Kraft, Zeile
13–21)
Renate Kraft wurde im Rahmen eines Buchprojekts zum 30-jährigen Jubiläum der Wiener
Parkbetreuung als erste von sieben Protagonist:innen der Wiener Parkbetreuung interviewt.
Grundlage dieses Projekts waren Erzählungen und in verschiedenen Kisten lagernde Materialien
– „Dokumente von Sitzungen vieler Jahre, Fotos aus den Parks, Konzepte und Entwürfe – viele
Geschichten, die zwar gelebt und erzählt, aber nie aufgeschrieben worden sind“ (Reutlinger/Röggla
2023: 17) –, die Renate Kraft im Laufe ihrer beruflichen Karriere gesammelt hat. An die grundlegende
Frage, was die Wiener Parkbetreuung ist, folgten in den leitfadengestützten Interviews Fragen
danach, wie die Parkbetreuung entstanden ist, nach persönlichen Bezügen und was Parkbetreuung
zu leisten vermag. Im Folgenden stützen wir uns auf diese Interviews, um den ermöglichenden
und vor allem auch den professionellen Charakter der Parkbetreuung herauszuarbeiten. Dank
dem Buchprojekt Groß werden im Park ist es erstmals gelungen, die bisher kaum in schriftlicher
Form existierenden Geschichten, Konzeptionen und methodischen Zugänge zur professionellen
„Förderung der Spielfähigkeit von Kindern“ (Krisch/Stoik 2016: 13) zu verschriftlichen.
Heute gibt es in Wien fast flächendeckend Parkbetreuung. Angesichts der Vielfalt der Träger,
ihrer Teams und Arbeitsansätze wird deutlich, dass sich die Parkbetreuung im Laufe der Jahre
ausdifferenziert hat, so dass es heute nicht die Parkbetreuung, sondern sehr unterschiedliche
Parkbetreuungen gibt. Wir wollen uns aber nicht auf diese Unterschiede konzentrieren, sondern
auf einen gemeinsamen Kern und dessen Potenziale. Wir beginnen jeweils mit einem Zitat von
zentralen Protagonist*innen, die wir interviewt haben. Anschließend versuchen wir, eine Lesehilfe
für das Zitat zu geben und erlauben uns theoretische Exkurse, die den Blick noch einmal erweitern.
Gleichzeitig können wir im vorgegebenen Rahmen des vorliegenden Beitrags nicht alle Diskurse
abbilden, die die Parkbetreuung in ihrer 30-jährigen Geschichte selbst geführt hat, sondern greifen
für uns zentrale Aspekte heraus. Diese zentralen Diskurse beleuchten wir aus unterschiedlichen
Perspektiven und verfolgen dabei das Ziel, den Kern dieses Arbeitsansatzes greifbar zu machen.
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Was macht die Parkbetreuung
„Man könnte gleich mit dem Gegenteil anfangen, was sie eben nicht ist, nämlich
dass die Parkanlagen betreut werden, quasi gärtnerische Arbeit; das ist das Erste,
woran viele bei dem Begriff denken: ‚Ach so, ihr betreuts die Parkanlagen.‘
Parkbetreuung ist für mich die Kontaktaufnahme durch Fachpersonal in den
Parkanlagen, in diesem öffentlichen Raum, um mit den Kindern und Jugendlichen in
Kontakt zu treten und zu schauen, was gibt’s für Defizite und wo können wir
unterstützen, im Sinne von fit machen für die Welt.“ (Interview Ronny Wolf, Zeile
26–31)
Anders als die Berufsbezeichnung vermuten lässt, betreut die Parkbetreuung weniger die Parks,
sondern vor allem Kinder und Jugendliche, die diese Parks besuchen. Der Park spielt nicht nur in
der Freizeitgestaltung eine wichtige Rolle, er ist wesentlicher Sozialisationsort für viele Kinder und
Jugendliche. Hier werden Freundschaften gebildet und Konflikte navigiert, es werden Geheimnisse
geteilt, Abenteuer bestritten und Pläne geschmiedet. Hier wird Alltag gelebt und aktiv gestaltet,
von der Organisation eines Fußballmatches bis zum Hüten kleinerer Geschwister. Konkret sichtbar
wird dies in den sogenannten Beserlparks, die in die dicht bebauten Gründerzeitviertel Wiens
eingestreut sind, oder in den großen Frei- und Grünflächen in den Stadterneuerungsgebieten am
Stadtrand. Anders als in anderen Städten ist mit dem Park in Wien nicht unbedingt eine große
Grünfläche gemeint. Auch die ehemalige Baulücke, die jetzt mit Schaukel, Rutsche und Parkbänken
ausgestattet ist, wird schon als Beserlpark bezeichnet.
DieParkbetreuungfindetgenauansolchenOrtenstattundsetztvorrangigfreizeitpädagogische
Spielangebote für Kinder und Jugendliche. Die Parkbetreuung ist ein Angebot der Offenen Kinder-
und Jugendarbeit. Die Teams sind regelmäßig im Park präsent, begleiten den Alltag im Park und
schaffen vielfältige informelle Bildungsmöglichkeiten. Darüber hinaus bildet die Parkbetreuung eine
wichtige Brücke zu anderen Angeboten der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Gerade für Kinder
bietet sie einen niedrigschwelligen Zugang, oft finden erste Kontakte im Park statt, bevor sich die
Kinder in die Einrichtungen der Jugendarbeit trauen. Für ältere Jugendliche und junge Erwachsene
hingegen, für die die Angebote in den Einrichtungen nicht mehr altersgerecht sind, bietet die
Parkbetreuung oft eine unkomplizierte Möglichkeit, den Kontakt zum Team der Jugendarbeit zu
halten. Im Glossar zum öffentlichen Raum der Stadt Wien definieren Richard Krisch und Christoph
Stoik die Ziele der Parkbetreuung durchaus breit:
„Die Ziele der Parkbetreuung liegen vor allem in der Förderung der Spielfähigkeit
von Kindern, der Entwicklung von alternativen Freizeitangeboten, der Förderung von
individuellen (sozialen/emotionalen/motorischen...) Kompetenzen, der Verbesserung
des sozialen Klimas im öffentlichen Raum sowie der Unterstützung bei der Aneignung
des öffentlichen Raumes.“ (Krisch/Stoik 2016: 13)
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Parkbetreuung nimmt Kinder und Jugendliche ernst
„Ein wichtiges Leitmotiv war natürlich die Überlegung, wie können wir Kindern und
Jugendlichen auf Augenhöhe begegnen, eigentlich war das von Anfang an ein
sehr wichtiges Element. Wie können wir das praktisch umsetzen, sie ernst zu nehmen
mit ihren Bedürfnissen, in ihren Gefühlen, in ihren handfesten Wünschen, und wie
können wir das auch mit der Erwachsenenwelt in Einklang bringen? Aber dieser
Punkt, das ernst zu nehmen, was ein Kind möglicherweise unbeholfen formuliert,
oder ums Eck formuliert, das hat uns schon geleitet und leitet uns eigentlich noch
immer.“ (Ronny Wolf im Interview, Zeile 95–100)
DieParkbetreuunghatsichinihrenAnfängenbewusstnichtalsTeilderWienerJugendarbeitslandschaft
und schon gar nicht als Teil der Wiener Sozialarbeitslandschaft verstanden. Vielmehr ist die
Parkbetreuungangetreten,umeinenKontrapunktzudenalsschwerfälligundverkrustetempfundenen
Unterstützungsstrukturen im Kinder- und Jugendbereich zu setzen. Die ersten Parkbetreuer:innen
waren engagierte junge Menschen, die erkannt haben, dass die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen
im sozialräumlichen Zusammenhang Park viele Möglichkeiten bietet. Der Blick auf die Kids im Park
war dabei kein defizitorientierter, sondern ressourcenorientiert. Statt Problemen standen die Rechte
von Kindern im Vordergrund – das Recht auf Spiel, das Recht auf Raum, das Recht auf Entfaltung.
Die Chancen gemeinsamer Aktivitäten wurden entdeckt: kooperative Spiele, das Schaffen von
Gemeinsamkeiten, das Gestalten des öffentlichen Raums. Hier konnten gemeinsam neue Ideen
außerhalb von vorgefestigten institutionellen Zusammenhängen und vorgeprägten Konstellationen
erprobt werden. Die frischgebackenen Parkbetreuer:innen hatten ein soziales Bewusstsein, deshalb
war ihnen wichtig, dass Parks nicht von Sicherheitsdiensten bewacht werden, sondern bespielbar
undfüralleoffensind. AuchheuteverortetsichdieParkbetreuunginihremSelbstverständnisweniger
auf der Seite sozialstaatlicher Programmatik, sondern sieht sich mehr als Vermittlerin zwischen
Kindern und Jugendlichen auf der einen und erwachsenen – sowie staatlichen – Strukturen auf der
anderen Seite.
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Parkbetreuung spielt
„Das Konzept ist einfach super aufgegangen. Mit der Parkbetreuung war halt kein
Park-Sheriff da. Vielmehr waren es selber witzige Jugendliche, die gekommen
sind und geglaubt haben, sie reißen da die Welt nieder. Und ich glaub, wir haben
einenTeilderWeltniedergerissen,impositivenSinn.Andere,wiedieFreizeitpädagogen,
sind in ein Korsett hineingepfercht worden, das uns komplett fehlt. Wir sind die
Chaospartie. Wir können mit allen. Wir sind spontan, flexibel. Wir dürfen das auch
können.“ (Michaela Waiglein-Wirth im Interview, Zeile 112–116)
Die wesentlichste Aktivität der Parkbetreuung ist das gemeinsame Spiel mit Kindern und
Jugendlichen. Dem Kinderspiel wird, gesellschaftlich betrachtet, allerdings nur ein geringer Wert
zugestanden. Neben anderen Tätigkeiten – z.B. Arbeiten – gilt es als minderwertig. Spielen sei
bloß für Kinder bedeutsam, nicht aber für die Erwachsenenwelt. Diese (Minder-)Wertigkeit wird
auch innerhalb der disziplinären Rangordnung sichtbar, wo das Kinderspiel zwar für eine bestimmte
Zielgruppe relevant ist, jedoch in Ansehen und Prestige lange nach ‚der Pädagogik‘, ‚der Beratung‘
oder ‚der Hilfe‘ kommt. Dabei wird nicht nur übersehen, wie viele Kompetenzen es braucht, um gut
zu spielen, sondern auch, wie wesentlich Spiel für menschliche Entwicklung ist (vgl. Lester/Russel
2008).
Stuart Lester und Wendy Russell von der University of Gloucestershire zeichnen in ihrem
umfangreichen Report zu Play, Policy and Practice zeitgenössische Forschungszugänge zum Thema
Spielen nach. Spiel schafft unterschiedlichste Lernerfahrungen, sowohl auf individueller als auch
sozialer Ebene, fördert motorische Fähigkeiten, Kreativität, Flexibilität und emotionale Kompetenzen
(vgl. ebd.: 37). In sozial-pädagogischen Kontexten ermöglicht Spiel zum einen Zugang zu Kindern
und Jugendlichen, die sich im Allgemeinen wenig für Beratungsangebote interessieren und die über
spielerische Angebote besser ansprechbar sind. Zum anderen können durch gemeinsames Spiel
Bildungsgelegenheiten geschaffen und wahrgenommen werden:
„Hier können gute Jugendarbeiter:innen ansetzen und solche Spielräume eröffnen,
diepositiveLernerfahrungenermöglichen.Dabeiisteswichtig,einerseitsdieeinzelnen
Spieler:innen, ihre individuellen Persönlichkeiten und Kompetenzen zu kennen
und andererseits wahrnehmen zu können, was gerade im Spiel und in der Runde
gebraucht wird. Schließlich bedarf es einiges an Flexibilität, um ein Spiel auch
spontan an seine Spieler:innen anpassen zu können.“ (Costa 2023: 143.)
Neben den pädagogischen Möglichkeiten, die sich durch und mit Spiel als Methode ergeben,
warnen Lester und Russel allerdings auch davor, Spiel zu sehr zu pädagogisieren:
„The role of play in building children’s resilience and in their health and well-being
chimes with the emphasis on building resilience in social policy. The evidence is
compelling. However, there is a need to move away from an instrumental view
of play [...] and towards a recognition that the benefits of play accrue from its
characteristics of unpredictability, spontaneity, goallessness and personal control,
rather than directly from its content.“ (Lester/Russell 2008: 17).
Spielen dient für Kinder dazu, sich in der Welt, in der sie leben, zu orientieren und Sinn zu finden, Spiel
ermöglicht die Erfahrung von Handlungsmacht und Selbstwirksamkeit, es schafft die Möglichkeit,
die Welt zu erforschen und gleichzeitig neu zu erfinden (vgl. ebd.: 16f.). Lester und Russel definieren
Spiel als „what children and young people do when they follow their own ideas, in their own way
and for their own reasons“ (Lester/Russell 2008: 15). Demnach müsste es Ziel jeder professionellen
Intervention im Park sein, Spielmöglichkeiten für Kinder zu erweitern und sicherzustellen, und
darauf zu vertrauen, dass Spielen an sich eine gute Sache für Kinder ist, anstatt jedes Spiel unter
die pädagogische Lupe zu nehmen.
In diesem Zusammenhang ist auch bemerkenswert, wie sehr Spiel von intersektionalen
Faktoren geprägt ist. Wie Kinder sich die Welt erschließen, hängt viel von ihrem Geschlecht und
ihrem sozioökonomischen Hintergrund ab und davon, was für Rollen die Welt für diese Kinder
bereithält (vgl. Lester/Russel 2008: 101). Kinder sind mit unterschiedlichen Herausforderungen
konfrontiert, auf die es keine einheitlichen pädagogischen Antworten geben kann. Im Sinne der
Lebensweltorientierung braucht es ein offenes Wahrnehmen von Bedürfnissen, die Bereitschaft,
Angebote zu setzen, die angenommen und auch abgelehnt werden können, die gelebte Praxis
Lebensrealitäten anzuerkennen und manchmal auch herauszufordern; schlussendlich bedarf es des
starken Glaubens daran, dass Kinder das Recht haben, sich ihre eigenen Wege zu suchen. Spiel in
der Parkbetreuung darf also nicht darauf abzielen, hypothetische Lernziele abzuarbeiten oder Kinder
aufs spätere Leben vorzubereiten, sondern muss, ganz im Sinne der ersten Parkbetreuungsprojekte,
zuallererst als ein Kinderrecht begriffen werden.
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Parkbetreuung unterstützt
„Am Anfang war Parkbetreuung nur ein saisonales Angebot. Und die Kids haben
uns Feedback gegeben, dass es schade ist, wenn wir jetzt aufhören, und mit wem
sollen sie dann sprechen? Auch damals waren Themen wie Migration und
Beschäftigungsbewilligung, Aufenthaltstitel und sonstige Voraussetzungen fürs
Bleiben in Wien sehr präsent. Natürlich auch bei den Eltern der Kids, die sind
teilweise mit vielen behördlichen Schreiben und Ähnlichem zu uns gekommen und
wir haben dann Übersetzungsarbeiten geleistet. Da gab es sehr bald das
Erfahrungswissen, wir machen im Park nicht nur Spaß, sondern dadurch, dass
wir kontinuierlich am gleichen Ort sind, mit dem gleichen Personal, werden
wir konfrontiert mit allen möglichen Fragestellungen. Und da war natürlich auch
klar, dass wir intervenieren müssen, lebensweltlich und ganzheitlich reagieren.“
(Walter Starek im Interview, Zeile 37–45)
Spielen öffnet Türen – nicht nur zu Selbsterfahrung und Bildungsgelegenheiten, sondern ganz
wesentlich auch zu Beziehungen. Gemeinsam erlebte Freude und fast noch mehr gemeinsam
erlebter Frust oder Konflikt schaffen Beziehung. Parkbetreuer:innen, die sich als verlässliche
Spielpartner:innen erwiesen haben, verdienen sich damit auch das Vertrauen von Kindern und
Jugendlichen. Dadurch werden sie dann oft auch ins Vertrauen gezogen bei unterschiedlichsten
Herausforderungen,mitdenensichKinderkonfrontiertsehen.DaskannvomStreitunterFreund:innen
oder Liebeskummer bis hin zu Gewalt in der Familie oder drohendem Wohnungsverlust reichen.
Parkbetreuer:innen nehmen, wie auch andere Jugendarbeiter:innen, eine besondere Rolle im Leben
von Kindern und Jugendlichen ein. Sie sind – im Gegensatz zu Eltern oder Lehrer:innen – keine
Autoritätspersonen, die Strafen verhängen oder Konsequenzen setzen können. Gleichzeitig sind
sie erwachsen und verfügen damit über bestimmte Problemlösungskompetenzen, die Kindern nicht
zur Verfügung stehen. Bei Cloos, Köngeter, Müller und Thole (2019: 275) wird diese Rolle mit der
Formulierung „Andere unter Gleichen“ auf den Punkt gebracht.
Rollenbedingt sehen sich viele Parkbetreuer:innen damit konfrontiert, Geschichten von
Kindern zu hören, die eigentlich weiterer Begleitung bedürfen. Gleichzeitig zeigt sich in der Praxis,
dass nicht jede Parkbetreuung die Ressourcen hat, um entsprechende Betreuung anzubieten:
„[Die Parkbetreuung] hat irrsinnig großes Potenzial und könnte noch sehr viel mehr
leisten. Sie kann sehr viele Themen und Problemlagen, die da sind, aufgreifen und
gelingend zu Lösungen beitragen. Die Frage ist vielmehr, welche Möglichkeiten sie
unter ihren Rahmenbedingungen hat.“ (Julia Pollak im Interview, Zeile 50–53)
VieleParkbetreuungen,diemitausreichendenpersonellenRessourcen,sowohlanMitarbeiterstunden
als auch an Ausbildung, ausgestattet sind, übernehmen nicht nur die sozialpädagogische Betreuung
im Park, sondern auch klassische sozialarbeiterische Angebote wie Beratung und Begleitung.
Beratung im Park findet nicht am ruhigen Tisch statt, sondern oft mitten im Spielgeschehen. Gerade
Kinder und Jugendliche bevorzugen Gespräche zwischen Tür und Angel – zwischen Fußballkäfig
und Basteltisch – gegenüber anderen Settings. Diese meist spontanen Gespräche erfordern von
Parkbetreuer:innen besondere Kompetenzen: Sie müssen wahrnehmen, wenn Beratungsbedarf
besteht, sie bedürfen der Fähigkeit, Gespräche in diesem Setting zu führen und die Kinder und
Jugendlichen selbst bestimmen zu lassen, wohin das Gespräch gehen soll. Zuletzt brauchen sie die
Fähigkeit, entsprechend zu reagieren und – ganz wesentlich – weitere Prozesse zu initiieren bzw. zu
gestalten (vgl. Walzl-Seidl et al. 2023: 10).
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Parkbetreuung gestaltet Zusammenleben und den Park
ParkbetreuunghatkeinenEventcharakter,sondernlebtimGegensatzzuanderenAngebotenwiedem
Ferienspiel davon, ein regelmäßiger und verlässlicher Bestandteil des Alltags zu sein. Sie versteht
sich einerseits als Teil des Parks und bringt andererseits einen professionellen Blick von außen ein,
über den sie Bedürfnisse wahrnehmen und das soziale Klima gestalten kann. Gestalten bedeutet
hier, ausgehend von der Perspektive der Kinder sowohl aktiv auf die Ausprägung des sozialen
Geschehens als auch auf raumplanerische Veränderungen im Park Einfluss zu nehmen. Beides
unter Rückgriff auf fachliche Grundlagen wie die aktive Beteiligung von Kindern und Jugendlichen.
Ilona Schachhuber berichtet von den Anfängen der Parkbetreuung in Wien Margareten:
„1994 haben wir einfach gemerkt, dass viele Konflikte im Park darauf beruhen, dass
ältere Personen sich von den Kindern gestört fühlen und ganz viel schimpfen. Und
grantig darüber sind, dass die Kinder was kriegen und die Senioren nicht. Ab 1995
haben wir deshalb eine Person zusätzlich im Park gehabt, die als Schwerpunkt auf die
Älteren geschaut hat. Es war ein langer Weg, um das Vertrauen zu kriegen, bis die
wirklich merkten, die Parkbetreuung ist jetzt tatsächlich auch für sie da und sie
kriegen was.“ (Ilona Schachhuber im Interview, Zeile 40–45)
Die Herausforderung liegt für die Parkbetreuung darin, einerseits Offenheit und Ansprechbarkeit
gegenüber verschiedensten Gruppen im Park mitzubringen und andererseits die klare Parteilichkeit
für Kinder und Jugendliche nie aus den Augen zu verlieren. Gerade wenn es in einem Park
vermehrt zu Konflikten kommt und auch Beschwerden bei offiziellen Stellen eingehen, entsteht
schnell die Erwartungshaltung, dass die Parkbetreuung den Park befrieden soll. Mit solchen
Erwartungshaltungen gelassen und professionell umzugehen und sich nicht in ordnungspolitische
Praxen verwickeln zu lassen, ist nicht immer leicht. Bereits am Beginn der Parkbetreuung stand
die Idee, dass der öffentliche Raum für alle da ist. Dabei wird in den Interviews zur Parkbetreuung
vielfach deutlich, dass die Parkbetreuung auch in Bezug auf ihre Unterstützungsleistungen
gemeinwesenorientiert war und ist:
„Auf jeden Fall wurde auf das reagiert, was die Parknutzer:innen einbringen. Und
darüber hinaus haben wir versucht, irgendwie auch sowas wie Communitybuilding
zu machen. Und einzelne Personen zu finden, mit denen wir besser kommunizieren
und mit denen wir größeres Vertrauensverhältnis aufgebaut haben. Diese wirken
in die Communitys hinein und stärken diese. Ihre Wirkung wird beispielsweise bei
der Jobsuche sichtbar. Viele Benachteiligte finden ja über Bekanntschaften Jobs,
das wollten wir sichtbar machen. Wir wollten ihnen aufzeigen, dass sie ja auch viele
Möglichkeiten untereinander haben, um Unterstützung zu finden.“ (Walter Starek im
Interview, Zeile 85–92)
Andere Beispiele für das gemeinsame Gestalten des Parks finden sich etwa im Interview mit
Renate Kraft. Sie erzählt, dass es in einem Park im zweiten Bezirk immer Beschwerden gab, weil
Pflastersteine herausgerissen wurden. Dann hat sich herausgestellt, dass die Pflastersteine das
fehlende Fußballtor ersetzen mussten. Nachdem dann ein kleines Tor aufgestellt wurde, konnten die
Pflastersteine bleiben, wo sie waren (vgl. Renate Kraft im Interview, Zeile 124–137). Parkbetreuung
unterstütztalsoAneignungsprozessevonKindernundJugendlichenundistbemüht, denöffentlichen
Raum nach ihren Wünschen zu verändern.
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Parkbetreuung begleitet Aneignung
„Blickpunkt ist das Grätzl und wie Kinder sich die Welt aneignen. Da hast du zuerst
einmal die Wohnung, dann ist es vielleicht das Stiegenhaus, dann ist es der Gehsteig,
dann hat man im Gebiet die wichtigen Bezugspunkte für Kinder. Und das sind nicht
unbedingt die Dinge, die die Erwachsenen sehen würden. Und wo werden Kinder
in ihrem Sich-die-Welt-Aneignen eingeschränkt? In einer Stadt einfach durch den
motorisierten Individualverkehr, und zwar vehement. [...] Es hieß damals: ‚Hier sind
die Autos und nicht wir‘, und dem wollten wir entgegenwirken. Also haben wir mit
den Kindern Begehungen gemacht und die haben uns gesagt, was ihnen gefällt und
was nicht. Und mit alldem haben wir dann spielpädagogisch gearbeitet. Spielen
war sozusagen das Zentrum, der Dreh- und Angelpunkt. Da ist es um Kreativität
gegangen, um spielerische Aneignung. Heute würde man sagen: informelles Lernen.“
(Renate Kraft im Interview, Zeile 25–59)
Kinder und die Art und Weise, wie sie sich die Welt aneignen, waren und sind der Ausgangspunkt der
Parkbetreuung. Dabei geht es nicht nur um den Park, sondern um alle Orte, die für Kinder bedeutsam
sind, also das Zuhause, die Wohnung oder das Wohnumfeld, die Schule, den Verein, aber auch um
dieWege, diedieseOrteverbinden. AuseinersolchenlebensweltorientiertenAneignungsperspektive
geraten auch Blockaden und Hindernisse in den Blick, wie z.B. der motorisierte Individualverkehr,
der Kindern das Unterwegssein erschwert. In der Parkbetreuung geht es darum, diese Blockaden
spielerisch umzudeuten, manchmal auch alternativ zu gestalten und den Handlungsspielraum zu
erweitern. Hinter dieser Idee der Begleitung und Unterstützung von Aneignungsprozessen steht
ein konzeptioneller Kern, der für die Offene Kinder- und Jugendarbeit insgesamt konstitutiv ist: Sie
versteht sich als Raum zur Aneignung von Welt (vgl. die Beiträge in Reutlinger/Sturzenhecker 2022),
genauer: als „‚Medium‘ sozialräumlicher Aneignungsprozesse“ (Fühlbier/Münchmeier 2001: 851).
Aus diesem konzeptionellen Kern lässt sich ein entsprechendes Mandat ableiten, bei dem es
darum geht, Kindern und Jugendlichen im Park „Erlebnis- und Erfahrungsräume zu sichern und zu
erschließen, in denen sie soziale Erfahrungen mit sich und mit anderen machen können“ (Deinet
1987: 49). In diesen Erlebnis- und Erfahrungsräumen finden Kinder und Jugendliche vielfältige
Ressourcen, die ihnen bei der Bewältigung ihrer Probleme und Konflikte helfen. Zentral ist
deshalb, auf die sozialräumliche Kompetenz, den „sozialräumlichen Blick“ (Deinet/Krisch 2002),
hinzuweisen und diese stetig zu erweitern. Dieser zielt darauf ab, „Kinder(n) und Jugendlichen
Aneignungsräume zu erschließen, Möglichkeitsräume herzustellen, sich für die Revitalisierung
öffentlicher Räume einzusetzen, (sowie) Aneignungsverhalten zu fördern“ (Deinet 2014: 9). Zwar
setzt die Aneignungsperspektive beim kindlichen Handeln an. Sie überschreitet jedoch auch den
Blick auf das, was Kinder im Park tun, und öffnet die Perspektive auf das ganze Grätzl respektive
auf die für Kinder relevanten Orte. Bei der Frage, „wie sich Kinder die Welt aneignen“ (vgl. Renate
Kraft im Interview, Zeile 26), geraten potenziell gesamtstädtische und gesellschaftliche Themen und
Bezüge in den Blick.
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Parkbetreuung sieht das Große im Kleinen
„Es ist nicht einmal in ein und demselben Park die gleiche Parkbetreuung in einem
und dem nächsten Jahr. Du hast zwar eine bestimmte Personenanzahl, eine
bestimmte Uhrzeit, bestimmte Tage, bestimmte Zeiten, bestimmtes Material und du
hast bestimmte räumliche Begebenheiten, aber dann sind in einem Jahr ganz viele
Menschen in dem einen Park und im nächsten Jahr dann keine mehr. Es ist ein
lebendes Wesen, die Parkbetreuung.“ (Michaela Waiglein-Wirth im Interview, Zeile
38–46)
Gemeinschaft, Demokratie, Teilhabe, Ausschluss, Konflikt: Die großen gesellschaftlichen
Herausforderungen sind ebenso wie weltbewegende Ereignisse, wie Pandemien, Kriege,
Sportereignisse oder soziale Bewegungen, in jedem Park präsent und damit automatisch
auch Gegenstand der Arbeit mit Kindern. Geschichte ist immer eine Frage des Blickwinkels.
Mikrogeschichte beschreibt entsprechend, wie sich in kleinen Ereignissen auch die großen,
weltpolitischen Veränderungen widerspiegeln: „Mikro-Historie, das heißt nicht, kleine Dinge
anzuschauen, sondern im Kleinen schauen.“ (Levi 1990, zit. nach Medick 1994: 40) Der Blick auf
lebens-undalltagsgeschichtlicheDetailsstehtnichtimWiderspruchzueinergesellschaftspolitischen
Perspektive. Im Gegenteil eröffnet er neue Perspektiven auf das große Ganze (vgl. Medick 1994: 48).
Wer also im Park genau schaut, wird nicht nur Parkbänke und Kinderspiel, sondern Stadtentwicklung
und Gesellschaftspolitik finden.
Sichtbar wurde dies beispielsweise während der Balkankriege Anfang der 1990er Jahre und
anhand der großen Anzahl geflüchteter Menschen, die in Wien und anderen Städten einen sicheren
Ort fanden. Die Kinder trugen damals ihre Erlebnisse, Gedanken und Gefühle ebenso mit in die
Parks wie Themen, die sie beschäftigten: Gewalt, Mord, Hass, Widerstand, Verletzung, Ohnmacht,
Trauer und anderes mehr. Die Parkbetreuung griff sie auf und versuchte, mit stabilisierenden und
unterstützenden Angeboten zu reagieren. Später fanden sich Kinder in den Parks ein, welche mit
ihren Familien aus Syrien geflüchtet waren. Hier suchte die Parkbetreuung über das Spiel den
Kontakt mit ihnen und schuf Angebote, um bei der Verarbeitung von traumatischen Erlebnissen
zu unterstützen. Kinder gehören im momentanen Ukraine-Krieg abermals zu den wenig sichtbaren
Betroffenen, die versuchen, die Spannungen und Gewalterlebnisse zu bewältigen, zum Beispiel
indem sie in den Wiener Parks spielen. Parkbetreuung versucht auch hier, unterstützend zu wirken
mit ihren Spielangeboten.
Angesichts dieser Konfliktdimension wird deutlich, dass Spiel in vielen Fällen vielschichtig
ist: mehr als eine nette Freizeitbeschäftigung, mehr als eine niedlich-kindliche Tätigkeit. Es
relationiert das Innen, das der Kinder und das des Parks, mit dem Außen, das der Umwelt und das
der Gesellschaft. Im Park spiegelt sich die Welt, es spiegeln sich die die Gesellschaft bewegenden
Themen und Phänomene. Die Parkbetreuung nimmt nicht nur Themen auf, sondern ordnet sie
und setzt sie in Bezug zum Außen. Parkbetreuer:innen sind gefordert, die Themen und Ereignisse
einzuordnen, sie manchmal zu entschärfen, sie neu zu kontextualisieren. Parkbetreuung wird
interessant, wenn sie ausgehend vom Spiel und von der Arbeit mit Kindern im Park Bezüge zu
gesellschaftlich relevanten Themen schafft, wenn sie sich kritisch gegen Vereinnahmungen durch
bestimmte Ordnungsprinzipien wehrt und wenn sie die in ihr liegenden konzeptionellen Grundlagen
nicht nur auf dem Papier zu formulieren, sondern auch in der Diskussion und in Haltungen mit
anderen zu vertreten weiß.
12
Will sich eine Stadt eine das Spiel ermöglichende Parkbetreuung leisten?
Ein abschließendes Plädoyer
Die Grundsatzfrage nach der Leistbarkeit von Parkbetreuung schließt unmittelbar an die von den
Bildungsforscher:innen Helga und Hartmut Zeiher formulierte Beobachtung an: „Wo Kinder in der
räumlichen Welt Platz finden, zeigt konkret, was für ein Platz die Gesellschaft ihnen zuweist.“ (Zeiher/
Zeiher 1994: 7) Sie richtet sich an „die Stadt“ oder „die Gesellschaft“ im Allgemeinen, im Konkreten
aber auch an die politischen Entscheidungsträger:innen und an die die Politiken umsetzenden
Akteur:innen, beispielsweise bei der städtischen Planung oder im Kinder- und Jugendbereich in
Wien und jeder anderen Stadt.
DasBeispielderWienerParkbetreuungzeigt,welchenMehrwerteindasSpielermöglichender
Arbeitsansatz generiert. Kinder sind dadurch in der Lage, sich nicht nur den Park anzueignen,
sondern sie erobern sich über dieses Medium spielerisch die Stadt und werden Teil der Welt und
Gesellschaft. Kinder sind dadurch Stadt, hier und jetzt! Selbstverständlich ist dieser Mehrwert
nicht gratis zu haben, sondern eine Stadt hat sich strategisch und finanziell dazu zu verpflichten –
immer wieder von Neuem. Ob sie das politisch will, wird von politischen Entscheidungsträger*innen
beantwortet.
Soziale Arbeit würde diese Frage ganz klar mit einem Ja beantworten, nicht nur heute und in
Wien, sondern weltweit und seit ihrer Entstehung. Nicht verwunderlich ist deshalb, dass schon Jane
Addams, Pionierin einer communityorientierten Sozialen Arbeit (vgl. Köngeter/Reutlinger 2023) und
Gründerin von Hull House in Chicago, aus einer fachlichen, wie sozialpolitischen Perspektive nicht
nachvollziehen konnte, weshalb die Stadtverwaltung die gestellte Frage nicht ebenfalls mit einem
klaren Ja beantwortete:
„This stupid experiment of organizing work and failing to organize play has, of course,
brought about a fine revenge. [...] [B]ut almost worse than the restrictive measures
is our apparent belief that the city itself has no obligation in the matter, an assumption
upon which the modern city turns over to commercialism practically all the provisions
for public recreation.“ (Addams 1972 [1909]: 6)
Verweise
i
Interviewpartner:innen für Groß werden im Park waren: Michi Waiglein-Wirth (Kinderfreunde), Renate Kraft (Fachreferentin der Stadt
Wien, Bildung und Jugend), Ronny Wolf und Ilona Schachhuber (Verein IFEP), Walter Starek (Verein JUVIVO), Julia Pollak und Katharina
Linner (Soziale Arbeit).
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Über die Autor:innen
Christian Reutlinger
Christian Reutlinger ist Sozialgeograf und Erziehungswissenschaftler. Er forscht und lehrt an der
Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten und Muttenz zu den Themen soziale Nachbarschaften,
gesunde Quartiere, Geografien der Kinder und Jugendlichen, Soziale Arbeit in öffentlichen Räumen
sowie zu Sozialraumarbeit und Sozialraumforschung.
Katharina Röggla
Katharina Röggla ist Kulturwissenschaftlerin, Mediatorin und Sozialarbeiterin. Sie arbeitet als
pädagogische Leitung beim Verein JUVIVO und ist Lektorin an der FH Campus Wien. Ihre
Arbeitsschwerpunkte sind die Offene Kinder- und Jugendarbeit, Soziale Arbeit im öffentlichen
Raum sowie Recht auf Stadt.