Sophie Gaidoschik, Johannes Gorbach, Elena Mitrenova, Christoph Stoik, Elisabeth Winkler.
Klimaneutrale Stadtentwicklung versus Bürger:innen-Beteiligung? Inklusion und Ausschluss von
Bewohner:innen und Nutzer:innen öffentlicher Räume im Zuge der urbanen Transformation am
Beispiel Wiens. soziales_kapital, Bd. 29 (2024). Rubrik: ema. Feldkirchen. Printversion: http://
29. Ausgabe 2024
Klimagerechtigkeit und Soziale Arbeit in Österreich
Klimaneutrale Stadtentwicklung versus
Bürger:innen-Beteiligung?
Inklusion und Ausschluss von Bewohner:innen und
Nutzer:innen öffentlicher Räume im Zuge der urbanen
Transformation am Beispiel Wiens
Sophie Gaidoschik, Johannes Gorbach, Elena Mitrenova,
Christoph Stoik & Elisabeth Winkler
Zusammenfassung
Bei der Umgestaltung öffentlicher Räume werden in Wien zunehmend Beteiligungsformate für
Bürger:innen genutzt. Während diese ergebnisoffen und inklusiv durchgeführt werden sollen,
steht die Stadt zugleich unter dem Druck, Klimawandelanpassungsmaßnahmen umzusetzen, um
öffentliche Räume angesichts der urbanen Erhitzung nutzbar zu halten. Letzteres ist aus Sicht
der Gemeinwesenarbeit besonders relevant, da benachteiligte soziale Gruppen auf öffentliche
Räume angewiesen sind. Ein interdisziplinäres Team der FH Campus Wien untersuchte anhand von
drei Fallstudien die Inklusions- und Ausschlussprozesse sowie Interessensgegensätze zwischen
verschiedenen Akteur:innen bei der Umgestaltung öffentlicher Räume in Wien. Durch ein Mixed-
Methods-Design wurden die Reichweite von Beteiligungsprozessen und Einflussfaktoren, wie die
Programmatik der Prozesse, Partizipationsmethoden, die Symbolik der Beteiligungssettings, die
Zeit als Ausschlussfaktor sowie politische Prozesse und Verwaltungsstrukturen untersucht.
Schlagworte: klimaneutrale Stadtentwicklung, Bürger:innenbeteiligung, Inklusion, Ausschluss-
prozesse, Partizipationsmethoden
Abstract
The utilisation of participatory formats for citizens is becoming increasingly prevalent in the redesign
of public spaces in Vienna. While these processes are intended to be open-ended and inclusive,
the city is simultaneously under pressure to implement climate adaptation measures to ensure
the continued usability of public spaces in the face of urban overheating. The latter is particularly
relevant from the perspective of community work, as disadvantaged social groups rely heavily
on public spaces. An interdisciplinary team from FH Campus Wien investigated the processes of
inclusion and exclusion, as well as conflicts of interest among different stakeholders, in the redesign
of public spaces in Vienna through three case studies. Using a mixed-methods approach, the study
investigated the reach of these participation processes and the influence of various factors, such as
the objectives of the processes, participation methods, the symbolism of the participation settings,
time as a factor of exclusion, and political and administrative structures.
Keywords: climate-neutral urban development, citizen participation, inclusion, exclusion processes,
participation methods
1
Einleitung
Die Stadtentwicklung ist aktuell gefordert, den urbanen Raum so umzugestalten, dass dieser
klimaneutral wird und trotz zunehmender Erderwärmung nutzbar bleibt. Die Nutzung öffentlicher
RäumeinZeitenderKlimakriseistausderPerspektivederSozialenArbeitunteranderemdeshalbvon
Relevanz, weil Menschen, die nicht über ausreichend private gekühlte Räume verfügen, besonders
auföffentlicheRäumeangewiesensind. GleichzeitigbestehtzunehmenddieAnforderung, Menschen
in die Stadtentwicklung einzubeziehen. Die Partizipation von Bürger:inneni und Geschäftsleuten bei
der (Um-)Gestaltung der Stadt entwickelt sich aktuell zu einem (zumindest normativen) Standard
in der Stadtentwicklung. Bürger:innenbeteiligungs-Prozesse benötigen allerdings Zeit und basieren
idealerweise auf dem Anspruch, ergebnisoffen zu bleiben, damit die Interessen möglichst vieler
Akteur:innen einfließen können. Partizipation in diesem Sinne scheint demnach nur bedingt vereinbar
mit der Notwendigkeit bestimmter Veränderungen für eine klimagerechte Stadt.
Das von der Stadt Wien (MA 23 – Wirtschaft, Arbeit und Statistik) geförderte Projekt
„Public Value of Participation in Urban Development – Gemeinwohleffekte von Partizipation in
der Stadtentwicklung“ beforschte den Mehrwert der Beteiligung von Bürger:innen an urbanen
Transformationsprozessen. Durchgeführt wurde es von einem interdisziplinären Team der FH
Campus Wien. Es bestand aus Julia Dahlvik, Martina Kollegger und Wolfgang Tomaschitz, die im
Department„Verwaltung,Wirtschaft,Sicherheit,Politik“tätigsindundeinenpolitikwissenschaftlichen
Hintergrund haben; Elena Mitrenova, mit Architektur-Hintergrund, aus dem Department „Bauen und
Gestalten“; Sophie Gaidoschik, Johannes Gorbach, Christoph Stoik und Elisabeth Winkler aus dem
Department „Soziales“ mit sozialarbeitswissenschaftlichem Hintergrund. Durch die interdisziplinäre
Zusammensetzung konnte untersucht werden, wie Bürger:innenbeteiligungsprozesse in der
Stadtentwicklung von Akteur:innen aus Verwaltung und Politik wahrgenommen bzw. genutzt werden
und wie Bewohner:innen der Stadt und Nutzer:innen öffentlicher Räume in die Prozesse inkludiert
bzw. ausgeschlossen werden.
Die empirische Umsetzung erfolgte in Form von drei Fallstudien zu ausgewählten
Partizipationsprozessen, die jeweils in diachroner Perspektive über drei Jahre ab September
2021 begleitet wurden. Für die Untersuchung ausgewählt wurden (i) eine top-down-organisierte
Umgestaltung einer zentralen Einkaufsstraße (Lerchenfelderstraße), (ii) ein peripher gelegener
Verkehrsknotenpunkt (Quellenplatz), der von einer Gebietsbetreuung fokussiert wurde und (iii) ein
relativ zentral gelegenes Marktgebiet (Gebiet um den Meidlinger Mark), das eine Bürger:innen-
Initiative umgestalten will.
Im Fokus des folgenden Artikels stehen die (möglichen) Spannungen, die zwischen dem
Handlungsdruck zur klimagerechten Umgestaltung einerseits und der Partizipation von Bürger:innen
andererseits bestehen. Folgende Fragestellungen waren dabei leitend:
-
Welche Menschen (Bewohner:innen bzw. Nutzer:innen öffentlicher Räume) werden bei der
Planung und Entwicklung öffentlicher Räume einbezogen bzw. ausgeschlossen und wie
geschieht dies (Methoden bzw. Ausschließungsprozesse)?
-
In welchem (Spannungs-)Verhältnis stehen städtische bzw. fachliche Interessen
(Klimaanpassungsmaßnahmen, Stadtarchitektur) zu den Interessen von Nutzer:innen bzw.
Bewohner:innen?
-
Wie wird mit Interessensgegensätzen zwischen unterschiedlichen Akteur:innen umge-
gangen?
2
Theoretische Einbettung
2.1 Bürger:innenbeteiligung in der Stadtentwicklung
Abb. 1: Bürger:innenbeteiligung am Quellenplatz, 10. Wiener Gemeindebezirk.
Die aktive Teilnahme und Mitentscheidungsmöglichkeit der Bürger:innen bei politischen Prozessen
gelten als zentrale Säulen moderner Demokratien (vgl. Zmerli 2011: 34). Fragen nach dem
Partizipationsgrad – Inwieweit können die betroffenen Personen mitentscheiden? – und nach
der Partizipationsmöglichkeit – Wer darf mitentscheiden? – spielen dabei eine zentrale Rolle.
Basierend auf den ‚Stufen der Partizipation‘ nach Arnstein (1969) entwickelte Kerstin Arbter ein
dreistufiges Modell, das die Partizipationsmöglichkeiten unterteilt in: Information, Konsultation
und Mitbestimmung (vgl. Arbter/Handler/Purker/Tappeiner/Trattnigg 2005: 9). Dieses Modell
wurde als Leitfaden für die Erstellung der offiziellen Richtlinien für Partizipation der Stadt Wien
verwendet: Der Masterplan partizipative Stadtentwicklung (vgl. MA 21 2017) ist das offizielle
Instrument der Magistratsabteilungen, um informelle Beteiligung in die Planungsabläufe der Stadt
Wien zu integrieren. Darüber hinaus steht auch das Praxisbuch Partizipation der Stadt Wien zur
Verfügung, das sich in erster Linie an die Prozesstreibenden richtet und auf praktische Vorschläge
zur Durchführung von Beteiligungsprozessen konzentriert (vgl. Arbter 2014: 12).
2.2 Partizipation im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion
Eine inklusive Stadt (vgl. Bukow/Berding/Cudak 2018: 13f.) sollte unterschiedliche Formen von
Exklusion reduzieren und zur Realisierung der Menschenrechte im urbanen Raum beitragen.
Hinsichtlich der Partizipation der Stadtbewohner:innen bei der Stadtplanung sind deshalb
die Zusammenhänge zwischen Ausgrenzung und Wohngebiet einerseits und andererseits die
unterschiedlichen Möglichkeiten, eine aktive Rolle bei der Entwicklung des Quartiers einzunehmen,
zu berücksichtigen (vgl. Kronauer/Häußermann 2019: 197, 200). Die Gemeinwesenarbeit (GWA) wird
alsFachkonzeptfürdieGestaltungundBegleitungvonBeteiligungsprozessenimdeutschsprachigen
Raum herangezogen (vgl. Becker 2014; Drilling/Oehler 2016; Stövesand/Stoik/Troxler 2013).
Aus der Perspektive der Sozialen Arbeit betrachtet, bieten Konzepte der GWA die Möglichkeit,
Ungleichheiten, Ausschlüsse und Diskriminierung in Beteiligungsprozessen zu fokussieren – und
ihnen entgegenzuwirken (vgl. z.B. Kirsch-Soriano da Silva/Stoik 2023; Stoik 2021).
2.3 Bezüge zur Klimakrise
Die Klimakrise trifft Menschen, die von Armut betroffen sind, am härtesten. Wie Yannik Liedholz
(2023: 189) formuliert, sind „klimafreundliche Handlungsweisen [zudem] nicht für alle Menschen
gleich zugänglich und finanzierbar“. Das Resümee der 13. Armutskonferenz im Mai 2022 lautete
daher: „Klimaschutz kann nur dann erfolgreich sein und Akzeptanz finden, wenn er nicht sozial blind
ist. Klimaschutz selbst muss Armut bekämpfen.“ (Appel et al. 2023: 11) Gerade von Armut betroffene
und/oder obdachlose Menschen, aber auch Jugendliche sind auf öffentliche Räume in Städten
angewiesen. Diese sind daher so zu gestalten, dass sie trotz Hitze eine hohe Aufenthaltsqualität
haben. Hitze trifft vor allem jene, die sich nicht in klimatisierte Wohnungen oder Büros zurückziehen
können (vgl. Haunold 2023: 179).
Auch in Wien ist es dort, wo die Stadt am dichtesten gebaut ist und wo viele u.a.
einkommensschwache Menschen leben, oft um mehrere Grad heißer als in anderen Vierteln. 2019
wurde die Urban Heat Vulnerability Map im Auftrag der Stadt Wien erstellt (vgl. ECOTEN 2019).
Diese kombiniert Klimadaten mit Sozialraumdaten, wodurch erhöhte Belastungen durch Hitze in
verschiedenen Teilen der Stadt ausgemacht werden können. Laut Staller und Studer (2022) sind
ein gesamtstädtisches Konzept und eine flächendeckende und partizipative Umgestaltung wichtig,
da es bei kleinräumigen, teuren Neugestaltungen auch zu Gentrifizierungsprozessen kommen kann
(vgl. ebd.: 48ff.). Maßnahmen im kommunalen Klimaschutz sollen nach Behr und Ahaus (2016) 1)
gemeinschaftlich, 2) vor Ort und 3) thematisch offen sein und einen Bezug zur Alltagswelt aufweisen.
2021 wurde von der derzeitigen Wiener Stadtregierung das Förderprogramm
„Klimamusterstadt“ gestartet. Bis 2025 steht dazu ein Budget von jährlich 20 Millionen Euro zur
Verfügung, mit dem Projekte finanziert werden sollen, die der Bodenentsiegelung, der Pflanzung von
Bäumen und Grünflächen und dem Schwammstadtprinzip dienen. Ziel ist es, dass Wien bis 2040
CO2-neutral wird. Ebenso verfolgen die „Smart City Rahmenstrategie“, das Klimaschutzprogramm
KliP und InkA sowie der Stadtentwicklungsplan STEP 2025 diese Ziele.
3
Forschungsfeld
Für das Forschungsprojekt wurden drei Fallbeispiele innerhalb Wiens untersucht, in denen
Beteiligungsverfahren stattfanden. Sie wurden in Hinblick auf ihre Verschiedenheit – der Demografie,
der Verortung in Wien, der Funktion der Orte, der Organisation der Prozesse und der politischen
Verhältnissen – ausgewählt, um eine Kontrastierung vornehmen zu können.
3.1 Fallbeispiel Lerchenfelderstraße
Die Umgestaltung der Lerchenfelderstraße wurde von den Bezirken Neubau (7.) und Josefstadt
(8.) initiiert, um die Einkaufsstraße attraktiver und klimafitter zu gestalten. Die Organisation
StadtPsychologie wurde mit der Koordination des Beteiligungsprozesses und des Projektteams
beauftragt, wobei die Gebietsbetreuung und der Verein der Gewerbetreibenden Lebendige
Lerchenfelder Straße eine aktive Rolle spielten.
Abb. 2: Beteiligungsprozess Lerchenfelderstraße (eigene Darstellung)
Das Projekt begann im Februar 2022 und die Aktivitäten erstreckten sich über die Jahre 2022 und
2023. Es zeichnet sich durch eine klare Organisationsstruktur aus: Neben wöchentlichen Jour Fixes
und regelmäßigen Treffen des Steuerungsteams (beide Bezirksvorstehungen) gab es sogenannte
Resonanzgremien mit mehreren Magistratsabteilungen, den Wiener Linien und Vertreter:innen von
Vereinen und Bürger:inneninitiativen.
Im April 2022 wurden verschiedene Nutzungen der Straße anhand der Beobachtungen der
Gebietsbetreuung erfasst. Die Involvierung der Bevölkerung erfolgte durch eine Straßenbefragung
im Mai und Juni 2022. Im September 2022 wurden die Ergebnisse während zweier
Abendveranstaltungen („Dialogforen“) in den Bezirksämtern mit Teilen der Anwohner:innenschaft
diskutiert. Feedbackmöglichkeiten gab es auch im Kontext einer Ausstellung, die im Herbst 2022 im
Büro des Vereins Lebendige Lerchenfelder Straße stattfand. Die Umgestaltung wurde bisher noch
nicht umgesetzt.
3.2 Fallbeispiel Meidlinger Markt
Das zweite Beteiligungsverfahren fand im 12. Bezirk statt, es fokussierte das Gebiet rund um
den Meidlinger Markt und ging von der Initiative MeiMeidling aus. MeiMeidling setzt sich für eine
klimagerechte und partizipative Gestaltung im Bezirk ein. Anfänglich fand eine Steuerung und
Anleitung durch die Gebietsbetreuung vor Ort statt. In weiterer Folge engagierte sich hauptsächlich
die Bürger:inneninitiative für die Umgestaltung.
Abb. 3: Beteiligungsprozess Meidlinger Markt (eigene Darstellung)
Der spätere Beteiligungsprozess wurde direkt vom Bezirksvorsteher des 12. Bezirks in Form von
drei Abendveranstaltungen übernommen, die zwischen April 2022 und April 2023 stattfanden.
Parallel dazu fanden mehrere Grätzl-Treffen und das jährliche Klima-Grätzl-Fest von MeiMeidling
statt. Letztere hatten einen informellen Charakter und zielten auf die Bewerbung der Initiative sowie
die Bewusstseinsbildung bezüglich der Notwendigkeit von Klimawandelanpassungsmaßnahmen
ab. Die Umsetzung der konkreten Umgestaltung einer Straße war für Frühjahr 2024 geplant.
3.3 Fallbeispiel Quellenplatz
Im dritten Beteiligungsverfahren ging es um die Gestaltung des Quellenplatzes im 10. Bezirk. Der
Quellenplatz fungiert als Verkehrsknotenpunkt und zeichnet sich durch ein hohes Transitaufkommen
und wenig Aufenthaltsqualität aus. Durch den Prozess sollte auf diese Probleme und die
Notwendigkeit einer Verkehrsberuhigung hingewiesen werden.
Abb. 4: Beteiligungsprozess Quellenplatz (eigene Darstellung)
Die Umgestaltung des Quellenplatzes wurde im Juni 2021 von WieNeu+ initiiert. Aufgrund der
Komplexität der Umgestaltung eines Verkehrsknotenpunkts konzentrierte sich die Projektarbeit
zuerst auf die Koordination mit verschiedenen Dienststellen der Stadt Wien und den Wiener Linien.
Die Bürger:innenbeteiligung, die die Gebietsbetreuung 10 durchführte, hatte die Funktion, dass
diverse Akteur:innen für eine notwendige Umgestaltung sensibilisiert werden. Die Involvierung der
Bürger:innen begann im September 2021 mit informellen Straßenbefragungen. Die Haupterhebung
fand im September 2022 während einer ganztägigen Freiluftwerkstatt statt. Eine konkrete
Umgestaltung des Quellenplatzes wurde bisher noch nicht geplant.
4
Methodisches Vorgehen der Forschung
4.1 Qualitative Perspektive
Das Forschungsteam führte insgesamt 17 teilnehmende Beobachtungen (vgl. Slezak 2010) bei
Versammlungen, Veranstaltungen, Workshops und Aushandlungsprozessen der drei untersuchten
Fallbeispiele im Zeitraum von März 2022 bis November 2023 durch. Während der Beobachtungen
wurden folgende Fragen berücksichtigt: Welche Themen werden von welchen Teilnehmenden
aufgegriffen und behandelt? Welche Themen werden hingegen nicht aufgegriffen? Wie verlaufen
diese Ausschlussprozesse?
Zudem wurden qualitative Dokumentenanalysen (vgl. Deutschmann 2014) von
verschiedenen, von den Prozesstreibenden produzierten Quellen durchgeführt – darunter
Nutzungs- und Sozialraumanalysen, Protokolle, Prozessbeschreibungen, Einladungen zu
Beteiligungsveranstaltungen, Flyer, Poster sowie Ergebnisse von Befragungen. Diese wurden
inhaltsanalytisch untersucht, um die Ziele der Prozesse, angewendete Methoden und die sich
im Laufe der Zeit durchsetzenden Interessen zu erfassen. Insgesamt wurden 40 fremde Quellen
analysiert.
Parallel dazu fanden insgesamt neun Gespräche, Expert:inneninterviews und Fokusgruppen
(vgl. Dannecker/Vossemer 2014) mit den Prozesstreibenden statt, die zu verschiedenen Zeitpunkten
der Forschung und mit unterschiedlichen Zwecken durchgeführt wurden: zum Feldeinstieg, zur
Klärung offener Fragen bezüglich der Prozesse, zu den angewendeten Methoden und erreichten
Personen sowie zur Reflexion der vorläufigen Ergebnisse mit den Prozesstreibenden am Ende der
Forschung.
4.2 Quantitative Perspektive
Zur Bearbeitung der Frage, welche Menschen bei der Entwicklung öffentlicher Räume einbezogen
bzw. ausgeschlossen werden, umfasste das Mixed-Methods-Design (vgl. Slezak 2014) zusätzlich
zu den qualitativen Erhebungen auch standardisierte Befragungen. Mittels dieses quantitativen
Verfahrens sollte die soziale Reichweite der Prozesse erhoben werden, wie sie auch im Masterplan
Partizipative Stadtentwicklung (vgl. MA 21 2017: 96) beschrieben wird: „Für das Gelingen von
Beteiligungsprozessen ist darauf zu achten, dass sich möglichst viele und unterschiedliche Personen
beteiligen.“ Dementsprechend richteten sich die quantitativen Befragungen an jene Personen,
die in den drei Fallstudien im Forschungszeitraum durch die Partizipationsmaßnahmen erreicht
wurden. Als „in die Entwicklung öffentlicher Räume einbezogen“ wurden folglich alle Personen
betrachtet, die an den Partizipationsangeboten der prozesstreibenden Akteur:innen teilnahmen.
Zum einen gewährte die Befragung Einblicke in ihre Wahrnehmung der Stadtentwicklung und
diente zur Triangulation mit den qualitativen Daten. Zum anderen erweiterte der quantitative Ansatz
die Möglichkeiten einer Charakterisierung der einbezogenen Personengruppen anhand abgefragter
sozio-demographischer Merkmale. Dadurch konnten die Befragten mit der Grundgesamtheit all
jener Personen verglichen werden, die von den prozesstreibenden Akteur:innen adressiert wurden.
Für die Auseinandersetzung mit eventuell exkludierten Personengruppen anhand sozio-
demographischer Merkmale konnten verfügbare Bevölkerungsdaten herangezogen werden, die mit
den Daten aus der Befragung verglichen wurden. Die Magistratsabteilung 23 der Stadt Wien (MA 23)
stellte für das Forschungsprojekt aggregierte Bevölkerungsdaten auf Ebene der Zählsprengel zur
Verfügung. Die Auswahl der entsprechenden Zählsprengel je Fallstudie erfolgte anhand der von den
Prozesstreibenden adressierten Referenzgebiete. Für die beschriebenen Referenzgebiete der drei
Fallstudien wurden von der MA 23 aggregierte Bevölkerungsdaten für insgesamt 32 Zählsprengel
in Wien zur Verfügung gestellt. Die zugrundeliegenden Daten der Statistik Austria wurden am
31.10.2020 erhoben und umfassen insgesamt 36.502 Personen (Lerchenfelderstraße: 20.738;
Meidlinger Markt: 6.140; Quellenplatz: 9.624). Für das Fallbeispiel Lerchenfelderstraße wurden
außerdem Sekundärdaten einer Sozialraumerhebung und Straßenbefragung (LeFe) herangezogen,
die von den Prozesstreibenden (Gebietsbetreuung Stadterneuerung [GB*]) im Mai und Juni 2022
durchgeführt wurden.
Der entwickelte Fragebogen umfasste zehn Fragen und gliederte sich in die zwei Bereiche
„Umgestaltungsthemen“ und „Sozio-Demographie“. Es wurden insgesamt 264 Teilnehmende
bei sieben Veranstaltungen befragt, die von den Prozesstreibenden der drei Fallstudien zu
Partizipationszwecken zwischen September 2022 und Mai 2023 durchgeführt wurden. Zusätzlich
wurden zwischen Oktober 2022 und Jänner 2023 mit einer Online-Version des Fragebogens
insgesamt 38 Personen befragt, die von den Prozesstreibenden einen Teilnahmelink per E-Mail
erhielten.
Abb. 5: Quantitative Befragungen. Dialogforum Lerchenfelderstraße.
5
Forschungsergebnisse
5.1 Inklusion – Exklusion
Die quantitative Erhebung zeigte deutlich, dass gesellschaftlich benachteiligte Gruppen auch
bei Beteiligungsprozessen nur sehr eingeschränkt inkludiert wurden. Bei den Merkmalen
Staatsangehörigkeit, Bildungsabschluss und Beschäftigung zeigten sich in allen Fallbeispielen
statistisch signifikante Unterschiede (α=0,05) zwischen den Beteiligten und der jeweiligen
Referenzbevölkerung: Drittstaatsangehörige, Personen mit Pflichtschulabschluss und Arbeitslose
wurden mit den Beteiligungsangeboten weniger erreicht bzw. konnten teilweise gar nicht erreicht
werden.
Personen mit Pflichtschulabschluss wurden am Meidlinger Markt und bei der
Lerchenfelderstraße nicht erreicht (während diese Personengruppe in den Referenzbevölkerungen
26% und 12% ausmacht); lediglich am Quellenplatz gaben 24% der erreichten Personen an,
als höchsten Bildungsabschluss einen Pflichtschulabschluss zu haben (versus 43% in der
Referenzbevölkerung).
Grafik 1: Vergleich Forschungsfelder und Referenzgebiete mit Blick
auf den Bildungsabschluss (eigene Darstellung).
Die Daten zeigen deutlich, dass Menschen mit einem höheren Bildungsabschluss besser und
Personen mit einem niedrigeren Bildungsabschluss schlechter erreicht wurden. Ähnliche Inklusions-
bzw. Exklusionsprozesse zeigten sich auch in Bezug auf das Merkmal Beschäftigung: Arbeitslose
Personen wurden bei der Lerchenfelderstraße im Beteiligungsprozess nicht erreicht (in der
Referenzbevölkerung sind 5% arbeitslos); am Meidlinger Markt gaben 3% der erreichten Personen
an, arbeitslos zu sein (versus 10% in der Referenzbevölkerung) und am Quellenplatz waren 5% der
Erreichten arbeitslos (versus 14% in der Referenzbevölkerung). Erwerbstätige und Pensionist:innen
waren bei den Beteiligungsprozessen stärker als in der Referenzbevölkerung vertreten.
Grafik 2: Vergleich Forschungsfelder und Referenzgebiete mit Blick
auf die Beschäftigungssituation (eigene Darstellung).
Auch bei der Staatsangehörigkeit zeigten sich ähnliche Ergebnisse: Bei der Lerchenfelderstraße
wurden keine Drittstaatsangehörigen erreicht, die in der Referenzbevölkerung allerdings 13%
ausmachen; am Meidlinger Markt gab 1% der Erreichten an, Drittstaatsangehörige:r zu sein (versus
27% in der Referenzbevölkerung); lediglich am Quellenplatz lag der Anteil an Drittstaatsangehörigen
bei 13% (versus 39% in der Referenzbevölkerung). Aber auch ausländische EU-Bürger:innen wurden
in allen drei Fallbeispielen weniger erreicht, als sie in der Referenzbevölkerung vertreten sind.
Grafik 3: Vergleich Forschungsfelder und Referenzgebiete mit Blick
auf die Staatsangehörigkeit (eigene Darstellung).
EbenfallssignifikanteUnterschiede(α=0,05)zwischendenerreichtenPersoneninallenFallbeispielen
und der jeweiligen Referenzbevölkerung zeigten sich hinsichtlich des Alters: Bei den 15- bis
24-Jährigen lag der Anteil der erreichten Personen bei der Lerchenfelderstraße bei 4% (gegenüber
14% in der Referenzbevölkerung) und beim Meidlinger Markt bei 6% (gegenüber 13%); lediglich
am Quellenplatz lag der Anteil der Erreichten mit 13% etwas weniger deutlich unter den 16% der
Referenzbevölkerung.
Grafik 4: Vergleich Forschungsfelder und Referenzgebiete mit Blick
auf die Altersgruppen (eigene Darstellung).
Jüngere Menschen wurden also weniger gut erreicht als andere Altersgruppen. Die schwächere
Repräsentation der Interessen von Jugendlichen und Kindern in den Beteiligungsprozessen wurden
auch in der qualitativen Auswertung sichtbar (vgl. L19e, L20e, M12e).
Statistisch signifikante (α=0,05) Unterschiede bei der Geschlechterverteilung zeigten
sich indes lediglich beim Fallbeispiel Quellenplatz, wo mit 58% erreichten weiblichen Personen
gegenüber 47% in der Referenzbevölkerung mehr Frauen erreicht werden konnten.
Grafik 5: Vergleich Forschungsfelder und Referenzgebiete mit Blick
auf Geschlecht (eigene Darstellung).
Mittels der Auswertung des qualitativen Forschungsmaterials und der Triangulation mit den
quantitativen Ergebnissen konnten verantwortliche Faktoren für die Inklusion bzw. Exklusion
bestimmter Gruppen gefunden werden, die in Folge dargestellt werden.
5.2 Programmatik (Prozesssteuerung)
Die starke Fokussierung der Stadt Wien auf Klimaneutralität spiegelt sich in den Programmatiken
der drei Beteiligungsprozesse wider, auch wenn diese insgesamt sehr unterschiedlich
sind. Die Auswertung des Datenmaterials zeigte deutlich, dass bestimmte Themen, die mit
Klimawandelanpassungsmaßnahmen verbunden waren, bereits bei der Konzeption der
Beteiligungsprozesse vorgegeben wurden. Gleichzeitig wurden Inhalte, die im Widerspruch zur
Programmatik stehen, weniger thematisiert. In allen drei Prozessen wurde der Schwerpunkt auf
die Klimathematik durch das Förderprogramm „Lebenswerte Klimamusterstadt“ der Stadt Wien
begründet (vgl. Q6f, M1e, M7e, M12e). Dadurch ergab sich eine Spannung zwischen der Offenheit
der Prozesse sowie dem Ziel, möglichst viele Interessen einzubinden, und der Notwendigkeit von
Klimawandelanpassungen.
Die vorgegebene Programmatik beeinflusste bei den Fallstudien Meidlinger Markt und
Lerchenfelderstraße den Leitfaden der jeweils im Mai 2023 und September 2022 im Rahmen der
Bürger:innen-Beteiligung durchgeführten Straßenbefragungen insofern, als die gestellten Fragen
gezielt auf verschiedene Klimawandelanpassungsmaßnahmen eingingen (vgl. M5f, L8f). Im
Gegensatz dazu agierten die Prozesstreibenden beim Quellenplatz ergebnisoffener und methodisch
inkludierend, was mit dem unterschiedlichen Stellenwert der Beteiligung in dieser Fallstudie erklärt
werden kann. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass die Prozesstreibenden im Verlauf des
Prozesses bewusst entschieden haben, welche Interessen gestärkt und welche geschwächt werden.
Partizipationsprozesse wurden demnach genutzt, um bereits feststehende Projektziele zu erreichen
und zu legitimieren. In anderen Worten: Die Prozessbetreiber:innen – sowohl Fachstellen als auch
Bürger:inneninitiativen – instrumentalisierten die Anwohner:innen und Nutzer:innen öffentlicher
Räume.
Die stark vorgegebene Programmatik der Prozesse führte in Folge nicht nur dazu, dass
verschiedene Themen nicht aufgegriffen wurden, sondern auch dass bestimmte Personengruppen,
deren Interessen nicht mit den vordefinierten Inhalten übereinstimmen oder die nicht über ein
bestimmtes Vorwissen verfügen, ausgeschlossen wurden.
5.3 Partizipationsmethoden
Die angewendeten Partizipationsmethoden nehmen Einfluss auf die Inklusion in die bzw. Exklusion
aus den Beteiligungsprozessen. Das Forschungsprojekt zeigt, dass die Gestaltung des öffentlichen
Raums die Beteiligung und das Interesse der Bürger:innen erhöhen kann. Die Vielfalt der Methoden
trug dazu bei, den öffentlichen Raum für verschiedene Bevölkerungsgruppen zugänglicher und
erlebbarer zu machen. Beispielsweise wurde der öffentliche Raum in Meidling durch Veranstaltungen
wie das Klima-Grätzl-Fest und Maßnahmen wie das Aufstellen von Topfpflanzen und das Auslegen
grüner Gras-Teppiche erlebbar gemacht (vgl. M10e). Ähnliches wurde am Quellenplatz beobachtet:
Aktionen wie die Freiluftwerkstatt zielten darauf ab, das Interesse an der Umgestaltung zu wecken
und die Raumwahrnehmung zu schulen (vgl. Q1e, Q9).
Grafik 6: Freiluftwerkstatt am Quellenplatz.
In der Lerchenfelderstraße wurden die unterschiedlichen Wirkungen verschiedener Methoden
besonders sichtbar. Die Straßenbefragung konnte sehr viele unterschiedliche Menschen erreichen,
während die hochschwelligeren Dialogforen stärker exkludierend wirkten. Das zeigt sich auch in der
quantitativen Auswertung. Hinsichtlich der Beschäftigungssituation zeigt der Vergleich zwischen
1.) der Straßenbefragung LeFe der Gebietsbetreuung (GB*) bei der Lerchenfelderstraße, den 2.)
während des Forschungsprojekts Befragten und 3.) dem Referenzgebiet statistisch signifikante
Unterschiede (α=0,05): Die Straßenbefragung erreichte eher die Referenzbevölkerung als die im
Forschungsprojekt untersuchten Dialogforen.
Tabelle 2: Vergleich der Befragung LeFe, Forschungsprojekt und
Referenzgebiet hinsichtlich der Beschäftigung.
Die Straßenbefragung erreichte hinsichtlich der Beschäftigungsverteilung eher die
Referenzbevölkerung als die im Forschungsprojekt untersuchten Beteiligungsangebote. Ein
weiterer Aspekt war die zeitliche Gestaltung der Dialogforen, die ausschließlich abends stattfanden
und somit Personen mit Betreuungspflichten tendenziell ausschlossen. Kinder und Jugendliche
waren ebenfalls kaum vertreten. Diese zeitliche Barriere zeigt, dass die Berücksichtigung von
Lebensumständen und Alltagsverpflichtungen der Bürger:innen entscheidend ist, um eine breite
und inklusive Beteiligung zu gewährleisten (vgl. L19e).
Insgesamt zeigt sich, dass Partizipationsmethoden einen großen Einfluss auf die Inklusion
in Beteiligungsprozessen haben. Eine vielfältige und erlebbare Gestaltung des öffentlichen Raums
kann das Interesse und die Teilnahme von Anwohner:innen erhöhen, führt aber nicht zwangsläufig
zu einer längerfristigen aktiven Beteiligung im Umgestaltungsprozess. Niedrigschwellige Methoden
sind entscheidend, um eine breite und nachhaltige Beteiligung zu gewährleisten.
5.4 Exklusion, Habitus und Symbolik
Bei der Analyse der Exklusionsmechanismen innerhalb der partizipativen Prozesse spielten
die Dimensionen Symbolik, Raum und Habitus eine wichtige Rolle. Niederschwellige
Beteiligungsmethoden zeichnen sich dadurch aus, dass sie in lebensweltlich vertrauten Räumen
stattfinden und somit eine größere Nähe zu den Bürger:innen aufweisen. Diese Methoden
finden häufig im öffentlichen Raum statt und sind in der Regel informell, wodurch sie niedrigere
Zugangshürden haben. Die Bürger:innen können in ihrer gewohnten Umgebung angesprochen
werden, was die Bereitschaft zur Teilnahme erhöht und wodurch eine breitere Bevölkerungsschicht
erreicht werden kann.
Im Gegensatz dazu stehen hochschwellige Beteiligungsmethoden wie Dialogforen, die
oft im formellen Rahmen eines Bezirksamts stattfinden und wo die Architektur und Einrichtung
Autorität ausstrahlen. Die Sitzreihen, die frontal zu einem Pult für die Redner:innen angeordnet sind,
schaffen eine klare Trennung zwischen den Prozesstreibenden und den Teilnehmer:innen. Dieses
Setting kann eine distanzierte Atmosphäre erzeugen und das Gefühl der Nähe und Partizipation
mindern. Die Symbolik dieser Räume trägt ebenfalls zur Exklusion bei. Die formelle Kleidung der
Prozesstreibenden und Verwaltungsmitarbeiter:innen unterstreicht die hierarchische Struktur. Diese
äußeren Merkmale können auf bestimmte Gruppen potenziell abschreckend wirken.
Abb. 7: Dialogforum im Bezirksamt, Fallbeispiel Lerchenfelderstraße.
Eszeigtsich,dasshochschwelligeBeteiligungsformatebestimmteBevölkerungsgruppentendenziell
ausschließen, während niederschwellige Ansätze eine breitere und inklusivere Partizipation fördern
können. Um partizipative Prozesse inklusiver zu gestalten, ist es daher essenziell, die symbolischen
und räumlichen Rahmenbedingungen bewusst zu gestalten und an die Lebenswelten der
Bürger:innen anzupassen.
5.5 Zeit als Ausschlussfaktor in Partizipationsprozessen
Die Forschung zeigt, dass die Exklusion von Bürger:innen und Nutzer:innen sowie von bestimmten
Interessen im Laufe der Zeit zunimmt. Während am Beginn noch relativ viele unterschiedliche
Menschen erreicht werden konnten, nahm die Diversität und die Quantität der Beteiligten im
Laufe der Zeit ab. Ausschlusseffekte zeigten sich besonders dann, wenn die Prozesse komplexer
wurden, beispielsweise in Bezug auf die Aushandlung unterschiedlicher Interessen bzw. auf
das Treffen notwendiger Entscheidungen. Das zeigt beispielsweise der Vergleich zwischen der
Straßenbefragung in der Lerchenfelderstraße und dem Dialogforum: Während an der initialen
Straßenbefragung etwa 600 Personen teilnahmen, waren bei den späteren Dialogforen insgesamt
etwa 40 Personen anwesend (vgl. L26f). Ähnliches zeigte sich in Meidling: Im Laufe der Zeit wurden
die Bürger:innen-Versammlungen immer schwächer besucht (vgl. M2e, M12e, M13e). Während sich
die erste Veranstaltung breiter mit klimafitten Maßnahmen beschäftigte, ging es bei den späteren
um die konkrete Umgestaltung einer Gasse. Die Beteiligungsqualität war dabei sehr hoch; die
anwesenden Bürger:innen nahmen Einfluss auf die Entscheidungen der Planer:innen. Allerdings
waren am Ende der letzten Veranstaltung nur noch 4-5 Personen anwesend (vgl. M13e).
5.6 Ausschluss durch politische Prozesse und Verwaltungsstrukturen
Wesentliche Faktoren, die sich auf den Ausschluss von Bürger:innen auswirken, sind die politischen
Prozesse und die Verwaltungsstrukturen. Zwei Aspekte werden in unserer Forschung besonders
sichtbar. Erstens ist die Komplexität der Umgestaltungen aufgrund der Involvierung zahlreicher
Verwaltungsabteilungen und Expert:innen für Bürger:innen nur begrenzt erfassbar und verständlich
– selbst innerhalb der Verwaltung ist es fordernd, die unterschiedlichen rechtlichen, politischen
und inhaltlichen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. Sichtbar wurde das in den Fallstudien
beispielsweiseindenDialogforenbeiderLerchenfelderstraße, wodieunterschiedlichenAkteur:innen
der Verwaltung (von Magistratsabteilungen bis zu den Wiener Linien) sehr präsent waren. Deutlich
wird dadurch, dass die Verwaltung wesentlich mehr Zeit aufwendet als die Bürger:innen, um der
Komplexität der Umgestaltungen gerecht werden zu können. Die Koordination der Verwaltung
erfolgt denn auch in Sitzungen ohne Bürger:innen-Beteiligung – vor, während und nach den
jeweiligen Beteiligungsprozessen. Ähnliches trifft auf die politischen Prozesse zu. Nicht nur die
Bezirksvorstehung bzw. die Bezirksvertretung mit den unterschiedlichen Fraktionen, sondern auch
die Eingebundenheit unterschiedlicher politischer Ebenen (Bezirk – Stadt) erhöhen die Komplexität
der Prozesse.
Das verweist auf den zweiten Aspekt: Sowohl durch die Ressourcen, aber auch aufgrund
ihrer Legitimation verfügen Verwaltung und Politik im Vergleich zu Bürger:innen über mehr Macht.
Auf Verwaltungsebene werden die notwendigen Entscheidungen zumindest vorbereitet, auf
politischer Ebener wird letztlich entschieden (vgl. Q21e, L23e). Bürger:innen-Beteiligung kann hier
als „Störfaktor“ für die komplexen Prozesse in Politik und Verwaltung gesehen werden. Sie scheint
nur eingeschränkt in die Prozesse integriert zu sein. Die Forschungsergebnisse zeigen deutlich,
dass diese Prozesse zu Ausschlüssen von Bürger:innen und ihren Interessen führen.
6
Empfehlungen
Bürger:innen-Beteiligung strukturell besser verankern
Beteiligungsverfahren sollten in den Verwaltungsstrukturen stärker verankert werden. Eine stärkere
Verankerung würde die Machtungleichheit zwischen Verwaltung und Bürger:innen zwar nicht
auflösen, könnte aber dazu führen, dass Beteiligungsverfahren als „konstruktive Störung“ in die
Verwaltung eingebunden und erlebt werden.
Transparenz über Partizipationsspielräume
Die Forschung zeigt, dass Bürger:innen insbesondere bei den konkreten Entscheidungen nur
eingeschränkt eingebunden werden. Deutlich wird auch, dass politische Grundsatzentscheidungen
schon vor dem Beginn von Beteiligungsverfahren erfolgen – u.a. zu Klimamaßnahmen. Aus
der Perspektive des Forschungsprojektes ist es zu begrüßen, wenn grundlegende politische
Entscheidungen vorab getroffen werden. Dies ermöglicht, dass die Interessen der Menschen, die
besonders auf öffentliche Räume angewiesen sind, a priori in die Umgestaltungen inkludiert werden.
Programmatiken für eine klimafitte Stadt sorgen darüber hinaus dafür, Städte so zukunftsfähig
zu gestalten, dass sie auch für nachfolgende Generationen noch als lebenswerte Orte erhalten
bleiben. Gleichzeitig macht die Forschung deutlich, dass bereits getroffene Entscheidungen
noch transparenter kommuniziert werden müssen. Alle Beteiligten müssen darüber informiert
werden, worüber im Verfahren verhandelt werden kann und was außer Streit steht. Lediglich ein
Programmname reicht nicht, um diese Partizipationsspielräume klarzumachen. Diese Transparenz
kann Exklusionsprozesse zwar nicht endgültig beseitigen. Sie macht diese aber nachvollziehbarer.
Relativierung überhöhter Ansprüche
Die Forschungsergebnisse zeigen, dass Beteiligungsverfahren im Rahmen der Umgestaltung
öffentlicherRäumenursehreingeschränktemanzipatorischeProzesseermöglichen.Wennüberhaupt
können nur wenige inkludierte Bürger:innen Empowerment-Erfahrung machen. Ansprüche an
Partizipationsprozesse, die Emanzipation von Bürger:innen zu befördern oder deren Vertrauen
in Verwaltung und Politik zu erhöhen, scheinen zu hoch zu greifen. Insbesondere Begleitungs-
Expert:innen ist zu empfehlen, eigene Erwartungen an die Prozesse zu überprüfen, um diese nicht
zu überladen und Frustration bei sich selbst und beteiligten Akteur:innen auszulösen.
Überprüfung der Reichweite des jeweiligen Beteiligungsverfahrens
Um Exklusionsprozessen entgegenwirken zu können, ist es empfehlenswert, laufend zu überprüfen,
welche Gruppen inkludiert und welche Gruppen im Verfahren ausgeschlossen werden. Dazu
könnten Bevölkerungsdaten herangezogen werden, um zumindest grob zu überprüfen, wer vom
Verfahren nicht erreicht wurde.
Anwendung lebensweltnaher, raumbezogener Partizipationsmethoden
Empfohlen werden Partizipationsmethoden, die sich nah am Alltag der Bürger:innen befinden
und den umzugestaltenden Raum erlebbar machen. Befragungen sowie Aktionen im öffentlichen
Raum und lebensweltnahe Methoden (wie Feste oder „planning for real“) eignen sich gut dazu,
viele unterschiedliche Menschen anzusprechen – sie wirken inklusiv. Empfehlenswert ist zudem,
einfache Sprache(n) zu verwenden und eine alltagsnahe Symbolik zu berücksichtigen. Je öfter
inkludierende Methoden angewendet werden, umso breiter und diverser kann die Beteiligung
werden. Die Forschung zeigt auch, dass die Anwendung unterschiedlicher Methoden die Inklusion
unterschiedlichster Menschen befördert. Empfehlenswert ist es außerdem, mit Organisationen
zusammenzuarbeiten, die spezifische Interessen aktiv einbringen können, beispielsweise solche
aus den Bereichen Jugendarbeit oder aufsuchende Soziale Arbeit.
Ausübung unterschiedlicher Funktionen durch Beteiligungsexpert:innen
Beteiligungsexpert:innen kommen unterschiedliche Funktionen in den Verfahren zu. Einerseits
sollen sie zwischen unterschiedlichen Interessen vermitteln, andererseits müssen sie darauf achten,
dass weniger mächtige Interessen nicht ausgeschlossen werden. Um diese widersprüchlichen
Rollen wahrnehmen zu können, empfiehlt sich eine personelle Trennung dieser Funktionen durch
die Beteiligungsexpert:innen.
7
Zusammenfassung
DasvorliegendeForschungsprojektzeigt, dassBürger:innennurbegrenztinUmgestaltungsprozesse
in öffentlichen Räumen inkludiert werden. Die Beteiligungsprozesse scheinen eher der Legitimation
zu dienen. Die Forschung verdeutlicht, dass Beteiligungsprozesse stark von Akteur:innen genutzt
werden, um eigene Interessen durchzusetzen. Das bevorzugt Akteur:innen aus Politik und
Verwaltung sowie stark organisierte Bürger:innengruppen. Deutlich wird außerdem, dass Gruppen,
die tendenziell gesellschaftlich ausgeschlossen sind, auch in Beteiligungsverfahren kaum erreicht
werden können. Bemerkenswert ist dabei, dass sich dies auch bei fachlich und methodisch gut
gestaltetenVerfahrenzeigt. ObwohlniederschwelligeundlebensweltnaheMethodenzurAnwendung
kamen, konnte der Exklusion von benachteiligten Gruppen kaum entgegengewirkt werden. Das
zeigte sich insbesondere im zeitlichen Verlauf der Projekte.
Die Forschung zeigt aber auch, dass alltagsweltliche und raumbezogene Methoden
zumindest punktuell inklusiv wirken. Das legt nahe, dass Beteiligungsmethoden zwar Einfluss auf die
Inklusion benachteiligter Gruppen und Interessen nehmen können, dass andere Faktoren allerdings
umso stärker auf die Exklusion wirken. Insbesondere die Komplexität der Prozesse in Politik und
Verwaltung wirkt sich negativ auf die Inklusion von Bürger:innen aus – sowohl was die Quantität
als auch was die Diversität der Beteiligung betrifft. Die Programmatik von Beteiligungsformaten
und der Druck, klimafitte Umgestaltungen durchzuführen, stehen dabei quer zur Offenheit von
Partizipationsprozessen. Interessen, die im Widerspruch zu einer festgelegten Programmatik
stehen, werden tendenziell ausgeschlossen – auch mit der Begründung, dass Klimamaßnahmen
in öffentlichen Räumen allen zugutekommen, insbesondere Menschen, die auf öffentliche Räume
mehr angewiesen sind.
Zu empfehlen ist daher nicht nur eine größtmögliche Transparenz hinsichtlich der
Entscheidungsspielräume, die Anwendung vielfältiger lebensweltlicher Partizipationsmethoden,
die gezielte Einbeziehung von Organisationen marginalisierter Bevölkerungsgruppen, sondern v.a.
auch die stärkere strukturelle Verankerung von Beteiligungsprozessen.
Verweise
i
Der Begriff „Bürger:innen“ bezieht sich in diesem Artikel auf Menschen, die in einem Gebiet (z.B. einer Stadt) einen wichtigen Teil
ihres Lebens verbringen, im Sinne einer „Stadtbürger:innenschaft, unabhängig von zugestandenen oder verweigerten politischen
Bürger:innen-Rechten (vgl. MA 21 2017: 52).
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Über die Autor:innen
Sophie Gaidoschik
Ist als Sozialpädagogin tätig und arbeitet nebenbei an unterschiedlichen Forschungsprojekten des
Forschungszentrums für Soziale Arbeit an der FH Campus Wien mit.
Johannes Gorbach
Ist Absolvent der Sozialwissenschaften und des Masterstudiums Sozialraumorientierte Soziale
Arbeit und als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FH Campus Wien, als Scientific Advisor bei
der „Social Innovation Research Unit“, als Beiratsmitglied bei der Plattform gegen Einsamkeit in
Österreich und als Prozessverantwortlicher für Wirkungsevaluierung beim Wiener Hilfswerk tätig.
Elena Mitrenova
ForschtundlehrtimBereichdernachhaltigenArchitekturundStadtentwicklungalswissenschaftliche
Mitarbeiterin am Department Bauen und Gestalten der FH Campus Wien.
Christoph Stoik
Forscht und lehrt am Department Soziales an der FH Campus Wien zu Sozialer Arbeit im öffentlichen
Raum, im sozialen Wohnbau und in der Stadtentwicklung.
Elisabeth Winkler
Ist Absolventin des Masterstudiengangs Sozialraumorientierte und Klinische Soziale Arbeit der FH
Campus Wien.