Kathrin Bereiter & Stefan Kitzberger. „Das ist alles ein wenig – auf gut Deutsch – ein Eiertanz!“.
Bedarfe und Empfehlungen für die Unterbringung von rassifizierten Personen im österreichischen
Maßnahmenvollzug. soziales_kapital, Bd. 29 (2024). Rubrik: Sozialarbeitswissenschaſt. Linz.
29. Ausgabe 2024
Klimagerechtigkeit und Soziale Arbeit in Österreich
„Das ist alles ein wenig
– auf gut Deutsch – ein Eiertanz!“
Bedarfe und Empfehlungen für die
Unterbringung von rassifizierten Personen im
österreichischen Maßnahmenvollzug
Kathrin Bereiter & Stefan Kitzberger
Zusammenfassung
Im österreichischen Maßnahmenvollzug werden psychisch erkrankte Straftäter*innen auf
unbestimmte Zeit in speziellen forensisch-therapeutischen Zentren untergebracht und therapiert.
Dabei steigt nicht nur die Anzahl der Insass*innen insgesamt, auch der Anteil an Personen
mit nicht-österreichischer Staatszugehörigkeit wächst kontinuierlich. Ausgehend von dieser
Beobachtung wird im vorliegenden Beitrag eine qualitative Studie präsentiert, die beleuchtet,
mit welchen Herausforderungen die betroffenen Klient*innen und Mitarbeiter*innen im System
Maßnahmenvollzug konfrontiert sind. Daraus werden Empfehlungen abgeleitet, die notwendig sind,
um auf die veränderte Zusammensetzung der Insass*innen adäquat reagieren zu können.
Schlagworte: rassifizierte Insass*innen, Maßnahmenvollzug, kritische Migrationsforschung,
qualitative Forschung
Abstract
In the Austrian enforcement of measures, offenders with mental illnesses are housed and treated
indefinitely in specialized forensic therapeutic centres. There has been an overall increase in the
number of inmates, as well as a corresponding rise in the proportion of individuals with non-Austrian
citizenship. This paper presents a qualitative study examining the challenges faced by both affected
clients and staff within the preventive detention system. Based on the findings, recommendations
are derived to address the changing composition of the inmate population effectively.
Keywords: racialized inmates, austrian enforcement of measures, critical migration research,
qualitative research
1
Rassifizierte Personen im österreichischen Maßnahmenvollzug
Das österreichische Justizsystem ist durch Zweispurigkeit gekennzeichnet: Im Zuge einer
strafrechtlichen Verurteilung ist neben dem klassischen Strafvollzug eine weitere Form der
Unterbringung, verbunden mit einem Freiheitsentzug, möglich. Diese Form der Unterbringung
wird als Maßnahmenvollzug bezeichnet. Hier werden in forensisch-therapeutischen Zentren
Straftäter*innenbehandeltundbetreut, diezumTatzeitpunktaneinerschwerwiegendenpsychischen
Erkrankung litten. Nach der Anhaltung in diesen Zentren oder in forensischen Psychiatrien werden
die Betroffenen meist in forensischen Nachsorgeeinrichtungen im Rahmen der Probezeit betreut,
um sie dabei zu unterstützen, zukünftig ein deliktfreies Leben zu führen.
Das System des Maßnahmenvollzugs steht schon länger in der Kritik, nicht zuletzt da die
Anzahl der eingewiesenen Personen insgesamt und im Speziellen der Anteil an Untergebrachten,
die nicht die österreichische Staatsangehörigkeit besitzen, stetig steigt. Zum Stichtag 1. Juni
2024 befanden sich insgesamt 1418 Personen im Maßnahmenvollzug.i Dabei differenziert das
österreichische Strafgesetzbuch zwischen zurechnungsunfähigen Straftäter*innen nach § 21 (1)
und zurechnungsfähigen, aber dennoch psychiatrisch erkrankten Straftäter*innen nach § 21 (2).
Unterschiede zwischen den nach § 21 (1) StGB und § 21 (2) StGB eingewiesenen Personen zeigen
sich u.a. hinsichtlich der diagnostizierten Erkrankungen. Ein Großteil der zurechnungsunfähigen
Täter*innen zeigt eine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis (80,9%). Bei den
zurechnungsfähigen Täter*innen stellen hingegen Persönlichkeitsstörungen mit 71,8% die größte
Diagnosegruppe dar (vgl. Stempkowski 2022: 209).
Rund 23% aller Untergebrachten im Maßnahmenvollzug besitzen keine österreichische
Staatsangehörigkeit. Von den Insass*innen ohne österreichische Staatsangehörigkeit sind rund 67%
derPersonenlaut§21(1)StGB, rund33%gemäߧ21(2)StGBuntergebracht. Migrant*innensindbei
den zurechnungsunfähigen Täter*innen also überrepräsentiert. Diese Überrepräsentation ist insofern
nicht verwunderlich, als Prävalenzstudien zeigen, dass Erkrankungen aus dem schizophrenen
Formenkreis bei rassifizierten Personen häufiger vorkommen als bei Mehrheitsangehörigen bzw.
bei Personen, welche keine rassistische Diskriminierung erlebt haben (vgl. Cantor-Graae/Selten
2005; Karlsen/Nazroo/McKenzie/Bhui/Weich 2005; Stompe/Keckeis 2017; Kluge/Aichberger/
Heinz/Udeogu-Gözalan/Abdel-Fatah 2020). Dem gegenüber sind zurechnungsfähige Migrant*innen
nach § 21 (2) StGB unterrepräsentiert, was u.a. damit zu erklären ist, dass sich Menschen mit
Persönlichkeitsstörungen, welchedieHauptdiagnosenach§21(2)StGBdarstellt, beiderFestnahme
in der Regel nicht auffällig verhalten. Einer eingeschränkten Kommunikation mit Migrant*innen ist es
laut Stompe und Keckeis (2017) darüber hinaus geschuldet, dass diese Personen weniger häufig
begutachtet werden, was schlussendlich zu einer Verurteilung in den Strafvollzug führen kann.
Bis dato gibt es kaum Studien, die sich mit rassifizierten Personen im Maßnahmenvollzug
beschäftigen. Diese Beobachtung war der Ausgangspunkt für zwei Lehrforschungsprojekte,ii welche
von den Autor*innen dieses Beitrags angeleitet wurden und die im Folgenden vorgestellt werden. In
den Projekten wurde mittels qualitativer Methoden exploriert, ob und wie die Kategorie Migration/
Rassifizierung die Betreuung, Behandlung und Unterbringung von Klient*innen im System des
österreichischen Maßnahmenvollzugs beeinflusst und welche Maßnahmen im System getroffen
werden müssen, um diesen migrationsspezifischen Herausforderungen begegnen zu können. Diese
Fragestellungen impliziert eine methodologische Ausrichtung, die dem Paradigma der kritischen
Migrationsforschung folgt (vgl. Mecheril/Arens/Olalde/Melter 2013).
2
Zielsetzung der Studie und methodologische Zugänge
In Erhebungen des Ministeriums für Justiz lässt sich nachlesen, dass die im Maßnahmenvollzug
Untergebrachten aus 69 verschiedenen Staaten kommen, wobei der größte Anteil (55%) aus
Ländern im Nahen und Mittleren Osten kommt, gefolgt von südosteuropäischen Ländern (42%). Was
diese Statistiken auf ganz grundlegende Weise zeigen, ist also, dass das zuständige Ministerium
zwischen Straftäter*innen mit und ohne österreichische Staatsangehörigkeit unterscheidet. Im
Gegensatz dazu verwendet die folgend vorgestellte Studie einen theoretischen Zugang, welcher
prominent durch die Critical Whiteness Studies (vgl. u.a. Amesberger/Halbmayr 2008; Ayim/
Oguntoya/Schultz 1986; Tissberger 2017) etabliert wurde. Daher wird in der vorliegenden Studie
der Begriff der rassifizierten Person verwendet. Dieser impliziert bereits sprachlich, dass Menschen
durch die rassistische Strukturierung der Gesellschaft als vermeintlich ‚Andere‘ konstruiert werden
(Othering). Staatszugehörigkeiten sagen nämlich wenig darüber aus, ob eine Person von Rassismus
und Diskriminierung betroffen ist oder nicht. Ein*e weiße*r Maßnahmenklient*in mit deutscher
Staatsangehörigkeit wird wohl nicht von rassistischer Diskriminierung betroffen sein, selbst wenn
sie*er laut Definition in die Gruppe der Migrant*innen im Maßnahmenvollzug fällt. Demgegenüber ist
anzunehmen,dassein*eschwarze*rUntergebrachte*rtrotzderösterreichischenStaatsangehörigkeit
von Rassismus und Othering betroffen sein wird. Rassifizierung bezeichnet folglich einen Prozess,
in dem rassistisches Wissen erzeugt wird, auf dessen Grundlage Differenzierungen von Menschen
vorgenommen werden, die dann als zugehörig oder nicht-zugehörig zu bestimmten Gruppen
positioniert werden (vgl. Velho 2015: 19). Mit rassifizierten Personen sind in dieser Forschung
demzufolge Menschen gemeint, die von der weißen* Mehrheitsgesellschaft als nicht-weiß*
wahrgenommen werden.
Ein zentrales Anliegen der Forschungsprojekte war, die betroffenen Personen selbst
zu Wort kommen zu lassen, was u.a. mittels einer Perspektiventriangulation (vgl. Denzin 2017;
Gabriel 2019; Rieker 2008) ermöglicht wurde. Eine Grundannahme der qualitativen Forschung ist,
dass sich „soziale Wirklichkeit […] als Ergebnis gemeinsam in Interaktion hergestellter Bedeutung
und Zusammenhängen verstehen“ (Flick/Kardorff/Steinke 2007: 14) lässt. Soziale Wirklichkeit ist
somit prozesshaft und kontextbezogen. In diesem Sinne findet diese Forschung im Kontext einer
sogenannten postmigrantischen Gesellschaft (vgl. Foroutan 2016; Hill/Yildiz 2018):
„Das Postmigrantische verweist auf die Tatsache, dass auch Kinder und Enkelkinder
von Migrant*innen noch die Erfahrung von Othering, des Ausschlusses und der
Diskriminierung machen müssen und ‚Ausländer*innen‘ genannt werden, unabhängig
davon, ob sie in Österreich aufgewachsen und sozialisiert sind, sich als
Österreicher*innen
identifizieren
und/oder
die
österreichische
Staats-
bürger*innenschaft haben. Das Postmigrantische verweist also nicht nur auf
das ‚nach der Migration‘.“ (ogsa AG Migrationsgesellschaft 2021: 12)
Mit dem Begriff der postmigrantischen Gesellschaft wird signalisiert, dass in modernen
Gesellschaften Migration längst allgegenwärtig ist, obwohl sie in den öffentlichen Diskursen
nicht selten als ein besonderes oder außergewöhnliches Phänomen behandelt wird. Auch
die kritische Migrationsforschung (vgl. Mecheril et al. 2013) will solch defizitäre Perspektiven
auf „Migrationsandere“ (Mecheril/Castro-Varela/Dirim/Kalpaka/Melter 2010: 17) überwinden.
Entsprechend gilt es, gesellschaftliche Herrschaftsstrukturen, welche zu einer Behinderung der
Möglichkeiten von Menschen führen, zu analysieren. Kritische Analysen sollen in Folge dazu
verwendetwerden,VeränderungendieserstrukturellenBedingungenvorzunehmen.Gesellschaftliche
Strukturen werden also nicht als determiniert und unveränderbar wahrgenommen, sondern als
Resultat machtvoller Diskurse (vgl. Butler 1991; Foucault 1991 [1970]). Der Maßnahmenvollzug
selbst ist Produkt hegemonialer (Sicherheits- Gefährlichkeits-)Diskurse und auf Grund dessen
stetiger Veränderung unterworfen. Das Ziel von kritischen (Migrations-)Forschungen ist es, keinen
defizitären Blick auf migrantisch markierte Subjekte zu richten, sondern die Strukturen kritisch zu
beleuchten, in denen sich jene Personen bewegen müssen. Dieser Perspektive folgend wird der
Fokus darauf gerichtet, wie sich das System Maßnahmenvollzug verändern muss, um auch für die
Zielgruppe der rassifizierten Personen förderliche Bedingungen zu schaffen.
Zur ersten explorativen Annäherung an die Fragestellung, ob und wie die Kategorie Migration
die Betreuung im System des Maßnahmenvollzugs beeinflusst, wurden qualitativ problemzentrierte
Interviews nach Witzel (1982, 2022) mit Professionist*innen (Sozialarbeiter*innen, Psycholog*innen,
Ärzt*innen) sowie mit betroffenen Klient*innen in forensisch-therapeutischen Zentren und in
forensischen Nachsorgeeinrichtungen geführt. Insgesamt wurden in dieser Phase der Studie 36
Interviews durchgeführt. Die Datenauswertung erfolgte mittels der strukturierenden Inhaltsanalyse
nach Kuckartz (2016). Die Erkenntnisse, welche in dieser ersten Forschungsphase gewonnen
wurden, wurden im Rahmen dreier Fokusgruppen (vgl. Morgan/Spanish 1984) präsentiert und mit
Akteur*innen im Feld der Forensik diskutiert und weiterentwickelt.
Für die Zusammenstellung der Fokusgruppen wurde auf die Methode der
Perspektiventriangulation zurückgegriffen, um Sichtweisen verschiedener beteiligter Gruppen
analysieren zu können (vgl. Rieker 2008: 1585). Im Anschluss wurden die Gruppen der
Erfahrungsexpert*innen (rassifizierte Klient*innen), der Professionist*innen (Beschäftigte,
die im System Maßnahmenvollzug direkt mit rassifizierten Klient*innen arbeiten) und der
Entscheidungsträger*innen (Leitungspersonen von Justiz-, Maßnahmenvollzugsanstalten
und Nachsorgeeinrichtungen, Vertreter*in des Ministeriums für Justiz) gebildet. Die konkrete
Zusammenstellung der 24 Teilnehmenden an den Fokusgruppen erfolgte anhand des theoretischen
Samplings nach Strauss und Corbin (1996). Zur Auswertung der Daten der Fokusgruppen wurde
ebenfalls auf die Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2016) zurückgegriffen. Insgesamt wurden im Zuge
der qualitativen Forschung die Erfahrungen von 60 Betroffenen aus elf verschiedenen forensischen
Einrichtungen aus fünf österreichischen Bundesländern einbezogen.
3
Migrationsspezifische Herausforderungen im System Maßnahmen-
vollzug
VonHerausforderungen,diesichaufgrundderKategorieMigrationergeben,wurdesowohlseitensder
interviewten Professionist*innen als auch Klient*innen berichtet. Es zeigt sich, dass Sprachbarriereniii
eine der größten Schwierigkeiten darstellen – was wenig verwundert, wenn bedacht wird, dass
Sprache eines der zentralsten therapeutischen Instrumente ist und der Maßnahmenvollzug dem
Prinzip ‚Therapie statt Strafe‘ folgt. „Mir ist das völlig wurscht, woher er ist, aber sprachlich natürlich
macht es einen Unterschied“ (Bereiter/Kitzberger 2022: 245), bringt es ein*e Professionist*in im
Interview auf den Punkt. Denn aufgrund des Berufsethos in helfenden Berufen betonen zwar alle, die
im System arbeiten, dass sie die Klient*innen gleich behandeln, dennoch zeigt sich, dass strukturelle
Bedingungen dazu führen, dass Unterschiede in der Betreuung gemacht werden (müssen) – nicht
zuletzt aufgrund der sprachlichen Bedingtheit der Tätigkeit. Durch diese entsteht eine strukturelle
Diskriminierung der Personen, welche über weniger ausgeprägte Deutschkenntnisse verfügen, da
es an mehrsprachigen Therapeut*innen, Psychiater*innen, Sozialarbeiter*innen, Psycholog*innen,
Pflegekräften und Justizwachebeamt*innen mangelt. Aufgrund dessen können Klient*innen nicht an
Gruppen- und/oder Gesprächstherapien oder anderen resozialisierenden Angeboten teilnehmen,
was sich negativ auf die Entlassung auswirken kann. Eine Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug
erfolgt nämlich erst, wenn
„nach der Aufführung und der Entwicklung des Angehaltenen in der Anstalt, nach
seiner Person, seinem Gesundheitszustand, seinem Vorleben und nach seinen
Aussichten auf ein redliches Fortkommen anzunehmen ist, daß die Gefährlichkeit,
gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richtet, nicht mehr besteht.“ (STGB § 47
(2))
Der Einsatz von Dolmetscher*innen, durch den dieser Benachteiligung entgegengewirkt
werden könnte, ist nicht flächendeckend und nicht in allen notwendigen Sprachen möglich.
Dieser Umstand wird von allen Akteur*innen als schwerwiegend erlebt, denn die Einweisung
in den Maßnahmenvollzug erfolgt auf unbestimmte Zeit und somit potenziell lebenslang. Die
Entscheidung zur Unterbringung in einer freiheitsentziehenden vorbeugenden Maßnahme wird
mittels psychiatrischer Gefährlichkeitsgutachten getroffen, welche grundlegend auf sprachlichem
Austausch basieren. Selbst wenn zur Gutachtenerstellung Dolmetscher*innen hinzugezogen
werden – was nicht zwingend vorgeschrieben ist –, kann es zu Übersetzungsproblemen kommen.
Diese Teilung in Straf- und Maßnahmenvollzug existiert nicht in allen gerichtlichen Systemen
dieser Welt, daher kann nicht nur den Insass*innen, sondern auch den Dolmetscher*innen das
entsprechende Vokabular fehlen. In den Interviews und Fokusgruppen wurde wiederholt berichtet,
dass Klient*innen selbst nach der bedingten Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug noch nicht
verstanden haben, warum sie eingewiesen wurden und was die Unterbringung rechtlich für sie
bedeutet. Dolmetscher*innen werden zudem, wenn überhaupt, zu gerichtlichen Terminen und
Gutachten-Erstellungen hinzugezogen; bei Betreuungs- und Therapiegesprächen werden sie kaum
bis gar nicht eingesetzt. Dieser Umstand ist bedenklich, denn das Ziel des Maßnahmenvollzugs
ist die Reduktion der Gefährlichkeit der Eingewiesenen mittels Therapien und psychosozialer
Betreuungsangebote. Wie dieses Ziel bei Personen mit weniger ausgeprägten Kenntnissen in der
Mehrheitssprache erreicht werden kann, bleibt offen.
Neben den sprachlichen Herausforderungen wirken sich insbesondere aufenthaltsrechtliche
BestimmungennegativaufrassifiziertePersonenausundkönnenimschlimmstenFallsogardazuführen,
dass Insass*innen nicht entlassen werden. Klient*innen ohne gesichertem aufenthaltsrechtlichen
Status (bspw. negativer Asylbescheid, Aberkennungsverfahren) wird die bedingte Entlassung aus
dem Maßnahmenvollzug erschwert, da meist keine finanzielle und sozialrechtliche Absicherung
vorliegt. Nachsorgeeinrichtungen, die mit der weiteren Betreuung der Betroffenen gesetzlich betraut
sind, lehnen die Aufnahme von Personen mit fehlenden Aufenthaltstiteln allerdings häufig ab.
Ohne einen Nachbetreuungsplatz in einer dieser spezialisierten Einrichtungen wird eine bedingte
Entlassung in der Regel nicht befürwortet, was zu einer längeren Anhaltung führt. Gleichzeitig ist in
vielen Fällen eine freiwillige Rückkehr ins Herkunftsland nicht möglich. Denn bei einer Entlassung
muss jedenfalls sichergestellt werden, dass entsprechende gefährlichkeitsreduzierende Therapien
und Betreuungsangebote in den jeweiligen Ländern absolviert werden können, was häufig nicht
der Fall ist. Dies führt zu einer paradoxen Situation, die von einer*m Professionist*in mit dem
titelgebenden Zitat beschrieben wurde: „Das ist alles ein wenig – auf gut Deutsch – ein Eiertanz!“
(Bereiter/Kitzberger 2022: 221).
Personen, die aufgrund ihrer Prognose und ihrer Entwicklung längst aus dem
Maßnahmenvollzug entlassen werden könnten, kommen also weder frei noch können sie
abgeschoben werden bzw. freiwillig in das Herkunftsland rückkehren. Es liegt auf der Hand, dass
dieser Umstand eine der schwerwiegendsten migrationsspezifischen Herausforderungen darstellt.
Ein Land wie Österreich, welches die Menschenrechte ratifiziert hat, muss dringend Schritte setzen,
um diese bedenkliche Praxis zu verändern.
4
Empfehlungen für die forensische Arbeit mit rassifizierten Klient*innen
Ziel der Studien war es, einerseits die aktuelle Situation hinsichtlich der Betreuung, Behandlung
und Unterbringung von rassifizierten Personen zu explorieren und andererseits konkrete
Maßnahmenempfehlungen abzuleiten, die bei genügend politischem Willen umsetzbar wären,
um die Situation für die Betroffenen zu verbessern und den Prinzipien einer menschenrechtlichen
Anhaltung gerecht zu werden. Im Folgenden werden die wichtigsten Empfehlungen entlang der
Themenstränge 1.) professionelle Haltung, 2.) Abbau von Sprachbarrieren, 3.) Nachbetreuung und
4.) aufenthaltsrechtliche Situation dargestellt.
4.1 Professionelle Haltung
Die Haltung der Professionist*innen ist ein essenzieller Aspekt, der über Einstellungen und
Werte definiert wird und schlussendlich das konkrete Handeln gegenüber den Untergebrachten
mitbestimmt. Eine adäquate professionelle Haltung setzt das Frei-Sein von Vorurteilen und
selektierenden Denkmustern sowie ein Verständnis gegenüber der stigmatisierenden Biografie
und der Lebenswelt der behandelten Personen voraus. Die heutige postmigrantische Gesellschaft
ist geprägt von Verschiedenheit und Vielfalt. Das Einnehmen diversitätsbewusster Perspektiven
ist somit ein wichtiges Qualitätskriterium. Eine solche Haltung, also eine verinnerlichte Offenheit
gegenüber und Anerkennung von Differenz und Vielfalt, ist vor allem in der Betreuungsarbeit mit
migrantisch markierten Menschen unumgänglich (vgl. Schröer 2007: 80–85).
In den Fokusgruppen wurde speziell von den Entscheidungsträger*innen betont, dass
sie ihre Mitarbeitenden motivieren, ihre Haltung und Einstellung in Teambesprechungen und
Supervisionen zu reflektieren. Mitarbeitende wiederum wünschen sich, dass Aus,- Fort- und
Weiterbildungen in Hinblick auf die Themenfelder Flucht und Migration angeboten werden. Aus
theoretischer Sicht ist zudem zu empfehlen, Rahmenbedingungen zu schaffen, die es ermöglichen,
die eigene Verstrickung in die rassistische Gesellschaftsmatrix und deren (unbewusste) Auswirkung
auf das konkrete professionelle Handeln zu reflektieren. Auffallend ist, dass die Professionist*innen
und Entscheidungsträger*innen wiederholt betonen, dass es essenziell sei, alle Personen gleich zu
behandeln, in Folge aber zahlreiche Beispiele erwähnen, in denen rassifizierte Personen aufgrund
von strukturellen und institutionellen Bedingungen nicht gleichbehandelt werden können. Dieser
Umstand ist nicht nur im System Maßnahmenvollzug relevant, da rassifizierte Personen auch in
anderenBereichenüberandereZugängeundMöglichkeitenverfügenundentsprechendauchandere
Bedingungen vorfinden – was eine Gleichbehandlung ausschließt. Daher gilt es, ein Bewusstsein für
die Privilegien des eigenen Weißseins* zu entwickeln und Rassismus als gesamtgesellschaftliches,
strukturelles Phänomen zu betrachten, in das jeder Mensch in unterschiedlichem Ausmaß verstrickt
ist (vgl. Tißberger 2020).
4.2 Abbau von Sprachbarrieren
Damit rassifizierte Betroffene die Ziele der vorbeugenden Maßnahmen erreichen können, braucht es
differenzierte Therapie- und Betreuungsangebote, die unabhängig von der Erstsprache in Anspruch
genommen werden können. Jedoch beginnen die sprachlichen Herausforderungen bereits vor der
gerichtlichen Einweisung in den Maßnahmenvollzug, wie ein*e Teilnehmer*in beschreibt:
„Ich würde bereits davor, vor Inhaftierung, also bei der Entscheidung, ob eine
Einweisung in den Maßnahmenvollzug überhaupt notwendig ist, ansetzen. Es
wäre sinnvoll, Gutachter zu beauftragen, welche auch die Muttersprache der
zu begutachtenden Person beherrschen. Nur so können eventuelle Verzerrungen
Falsch-Einschätzungen etc. reduziert bzw. aufgehoben werden. Leider ist dies immer
wieder der Fall, wodurch Migrant*innen in den Maßnahmenvollzug eingewiesen
werden, obwohl sie die Hälfte der Begutachtung nicht verstanden haben.“ (Bereiter
Kitzberger 2025)
Und ein*e weitere*r Teilnehmer*in ergänzt treffend:
„Also ich glaube, wenn man Leute mit Migrationshintergrund und nicht-deutscher
Muttersprache im Maßnahmenvollzug einweist, dann muss man halt Geld in die
Hand nehmen. […] Man muss ihnen die Möglichkeit geben, das zu verstehen. Das
geht nur in der Muttersprache.“ (Bereiter/Kitzberger 2025)
Dem Gesagten ist vollkommen zuzustimmen, denn die Einweisung in den Maßnahmenvollzug
wird auf unbestimmte Dauer ausgesprochen und ist somit ein massiver Eingriff in die persönliche
Freiheit. Es müssen daher von der Einweisung bis zur Entlassung Bedingungen geschaffen
werden, die auch für rassifizierte Personen faire und verständliche Gerichtsverfahren, Gutachten
und Therapieangebote ermöglichen. Dass es dafür einen vermehrten Ressourceneinsatz
brauchen wird, ist klar. Eine gesetzlich verankerte Verpflichtung, Dolmetscher*innen im Zuge der
Gerichtsverhandlungen und der Gutachtenerstellung beizuziehen, ist dringend empfohlen. Hierzu
wird es notwendig sein, ein breiteres Angebot an verschiedensprachigen Dolmetscher*innen
aufzubauen. Ratsam wäre, Ausbildungen aus anderen Ländern unbürokratischer zu nostrifizieren
und im Inland für ausreichende und leistbare Ausbildungsplätze zu sorgen. Dies ist ebenso in Bezug
auf die Ausbildung von Therapeut*innen zu beachten. Die Therapieausbildung in Österreich wird
nach wie vor mehrheitlich von weißen* Angehörigen der „Dominanzgesellschaft“ (Rommelspacher
1998) absolviert, nicht zuletzt, weil diese mit hohen Kosten verbunden ist. Aktuell wird die
Therapieausbildung in Österreich reformiert. Ab dem Jahr 2026 soll die Ausbildung an öffentlichen
Universitäten möglich sein, was einen kostengünstigeren Zugang gewährleisten soll (vgl. BMBWF
2024).
Um (unbewusste) kulturrassistische stereotype Vorverurteilungen vermeiden zu können,
empfiehlt sich in Situationen, in denen weitreichende Entscheidungen getroffen werden, der
Einsatz des Vier-Augen Prinzips. Das bedeutet, dass – zusätzlich zu eventuellen Dolmetscher*innen
– mindestens zwei qualifizierte Personen bei der Gutachtenerstellung beteiligt sind; in
Tätigkeitsbereichen, die stark in das Leben der Betroffenen eingreifen, wie bspw. in der Kinder-
und Jugendhilfe, ist dieses Prinzip bereits eingeführt worden. Um diese Empfehlung umsetzen
zu können, braucht es die Verwirklichung einer schon seit längerem diskutierten Forderung: Für
die Gutachtenerstellung sollten nicht nur gerichtlich beeidete sachverständige Psychiater*innen
beauftragt werden, sondern auch andere Berufsgruppen wie bspw. klinische Psycholog*innen.
Selbstverständlich ist es nicht möglich, in jeder Alltagssituation oder für jedes
Betreuungsgespräch Dolmetsch zu finanzieren. Diesbezüglich ist sowohl der Einsatz von
Videodolmetsch, der niederschwelliger und rascher verwirklichbar ist, als auch das Heranziehen
von Zwei-Wege-Übersetzungsgeräten anzuraten. Die Zwei-Wege-Übersetzungsgeräte, von denen
Teilnehmende der Fokusgruppen berichten, ermöglichen eine Kommunikation in Alltagssituationen
und tragen so insbesondere zum Beziehungsaufbau bei. In den Fokusgruppen wurde jedoch
deutlich, dass nur wenige Einrichtungen diese Geräte nutzen und/oder die Teilnehmer*innen nicht
über diese Möglichkeit informiert sind. Diesbezüglich ist zu empfehlen, dass das Ministerium für
Justiz als zuständige Behörde den Einsatz der Zwei-Wege-Übersetzungsgeräte flächendeckend
anregt und finanziert.
Darüber hinaus gibt es einfach umsetzbare Maßnahmen, welche dazu beitragen
können, sprachliche Diskriminierungen zu verringern. Aktuell existieren keine mehrsprachigen
Aufklärungsbroschüren zum System Maßnahmenvollzug und auch Informationen in leichter oder
einfacher Sprache sind nicht erhältlich. ‚Einfache Sprache‘ bedeutet, dass Texte in klarer und
leicht verständlicher Sprache verfasst und mit passenden optischen Grafiken hinterlegt sind (vgl.
Kellermann 2014). Texte in leichter Sprache sind u.a. hilfreich für Menschen, welche komplizierte
Sachverhalte nicht gut verarbeiten können oder über kognitive Beeinträchtigungen verfügen, was
auf eine nicht unbedeutende Anzahl an Maßnahmenuntergebrachten zutrifft. Für Analphabet*innen
können Basisinformationen zur gesetzlichen Grundlage des Maßnahmenvollzugs, den Zielen und
dem Zweck der Maßnahme, den Betreuungsvereinbarungen usw. in mehrsprachigen Videoclips
zu Verfügung gestellt werden. Da die Staatsangehörigkeit der Insass*innen statistisch erhoben
wird, sind die häufigsten gesprochenen Sprachen bekannt und es bedarf eines einmaligen
Ressourceneinsatzes, um diese Materialien zu erstellen.
In manchen forensischen Zentren existieren sogenannte Peer- bzw. Buddy-Beratungs-
Systeme. „Aber jetzt primär ist es eine Art Buddy-System, also es wird sich gegenseitig im
Haftraum besucht, um Deutsch zu lernen, also das wird schon auch genutzt“, berichtet ein*e
Fokusgruppenteilnehmer*in. Peer-Angebote helfen Menschen, die erst seit kurzer Zeit im
Maßnahmenvollzug untergebracht sind, sich besser zurechtzufinden und sich zu orientieren. Die
BuddyskönnteninmanchenSituationenauchbeisprachlichenHerausforderungeneineHilfestellung
gewährleisten. Darüber hinaus nutzt eine Peer-Beratung auch den unterstützenden Buddys, weil sie
eine wichtige und sinnstiftende Aufgabe übernehmen können. Mögliche Anreize, eine derartige
Buddy-Rolle zu übernehmen, sollten je nach örtlichen Gegebenheiten, individuellen Bedürfnissen
und institutionellen Möglichkeiten durchgedacht und festgelegt werden. In einer Justizanstalt wird
das System bereits erprobt: „Wir haben jetzt mit ein paar Insassen, die vom Grundberuf her Lehrer
sind, so eine Art Pool geschaffen, die Insassen mit Migrationshintergrund ein bisschen Nachhilfe
geben in Deutsch. Das wird auch von Seiten der Justizanstalt ein Stück weit bezahlt“ (Bereiter/
Kitzberger 2025).
Abschließend muss betont werden, dass die Sprache einen maßgeblichen Faktor in der
forensischen Psychiatrie darstellt und es daher unumgänglich ist, dass strukturelle Bedingungen
geschaffen werden, die es allen Betroffenen ermöglichen, den Behandlungs- und Therapiezielen
nachkommen zu können.
4.3 Nachbetreuung und aufenthaltsrechtliche Situation
Eine Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug erfolgt stets bedingt und geht meist mit einer
verpflichtenden Wohnsitznahme in einer forensischen Nachsorgeeinrichtung einher. Ohne gültigen
Aufenthaltstitel ist die Entlassung in die Nachsorge allerdings nicht bzw. nur erschwert möglich, u.a.
aufgrund der fehlenden finanziellen Absicherung. Das Fremdenrecht ist eine sich häufig ändernde,
komplexe Rechtsmaterie. Dabei gibt es von Seiten der beteiligten Akteur*innen die dringende
Forderung, die gegenseitige Beeinflussung zwischen Strafvollzug, Justizsystem und Asyl- oder
Aufenthaltsverfahren zu beseitigen, wie ein Zitat aus den Interviews verdeutlicht: „Ich denke, der
Strafvollzug darf nichts mit dem Asylwesen an sich zu tun haben und mit dem Aufenthaltstitel
an sich. Also, das sind zwei verschiedene Paar Schuhe, die man sich nicht ständig übereinander
anziehen darf“ (Bereiter/Kitzberger 2025). Wünschenswert wäre es, dass die Einweisung in den
Maßnahmenvollzug nicht dazu führt, dass Verfahren zur Aberkennung der Aufenthaltstitel eingeleitet
werden, weil sie in das beschriebene Paradox führen.
Auch in den Nachsorgeeinrichtungen muss gewährleistet werden, dass die zentralen
Informationen über die Einrichtung, deren Rahmenbedingungen, die Angebote, Haus- und
Betreuungsregeln usw. allen Betroffenen zur Verfügung stehen. Folglich sind auch hier Dolmetsch-
Angebote sowie Informationsmaterialien in der jeweiligen Erstsprache gefragt. Die Fokusgruppen
haben gezeigt, dass Videodolmetsch und Zwei-Wege-Übersetzungsgeräte noch keinen Einzug in
den Alltag der Nachsorgeeinrichtungen gehalten haben. Dies scheint aber dringend notwendig, um
mit den Klient*innen an der Zukunftsplanung arbeiten zu können und das Leben nach der Probezeit
vorzubereiten. Eine gesicherte Zukunft ist ein wichtiger präventiver Faktor, um ein deliktfreies Leben
zu führen.
Darüber hinaus wurde im Zuge dieser Forschungsarbeit deutlich, dass manche
Nachsorgeeinrichtungen rassifizierte Personen mit anderer Erstsprache und/oder unklarer
aufenthaltsrechtlicher Situation nicht aufnehmen, da die Ressourcen fehlen, adäquat zu betreuen.
Doch sollten alle Personen dieselben Möglichkeiten haben, aus dem Maßnahmenvollzug entlassen
zu werden. Nachsorgeeinrichtungen müssen demnach daran arbeiten, Angebote wie beispielsweise
Dolmetsch, Videodolmetsch oder Übersetzungsgeräte zu implementieren, um rassifizierte Personen
aufnehmen zu können. Diesbezüglich scheint insbesondere der Kostenfaktor eine bedeutende
Rolle zu spielen. Ein möglicher Weg, um die erhöhten Kosten zu decken, ist eine generelle oder
bedarfsorientierte Erhöhung der Tagsätze entsprechend der Bedürfnisse der Klient*innen. Mit den
erhöhten Tagsätzen müssten neben den Kosten aufgrund des intensiveren Betreuungsaufwands,
der u.a. durch das Heranziehen von Dolmetscher*innen entsteht, auch die grundlegende Versorgung
und die Versicherung aller Klient*innen finanziert werden.
5
Fazit oder: Das Ende des Eiertanzes?
Im vorliegenden Beitrag wurde die prekäre Situation bezüglich der Unterbringung von rassifizierten
Personen im österreichischen Maßnahmenvollzug deutlich. Ausgehend von den Ergebnissen der
zwei Lehrforschungen konnten zahlreiche Unklarheiten, Hürden und praktische Problemstellungen,
welche die Kategorie Migration/Rassifizierung für alle Beteiligten mit sich bringt, identifiziert
werden. Neben fremdenrechtlichen Herausforderungen zeigten sich insbesondere Defizite
hinsichtlich mehrsprachiger Therapieangebote und des Einsatzes von Übersetzungsangeboten.
Dazu fehlen in der Praxis, bis auf einzelne individuelle Ideen und Umsetzungsversuche, strukturelle
Standards. Bereits gut funktionierende Best-Practice-Beispiele, wie Videodolmetsch, Zwei-Wege-
Übersetzungsgeräte oder Peer- bzw. Buddy-Systeme, standardisiert einzuführen, wäre durchaus
möglich. Auch die Empfehlung, Informationsmaterialien in leichter Sprache und mehrsprachig zu
entwickeln, scheint unkompliziert umsetzbar. Grundsätzlich sind sich alle interviewten Personen
einig, dass bezüglich migrationsspezifischer Herausforderungen dringender Handlungsbedarf
besteht. Am Willen der Beteiligten sollte es also nicht scheitern. Schwieriger gestaltet es sich
wohl hinsichtlich der Situation der Klient*innen mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus. Sowohl die
Betroffenen als auch die Mitarbeitenden sehen sich mit Ungewissheiten konfrontiert. Ziel- und
Perspektivenplanungen sowie Entlassungsvorbereitungen sind aufgrund dessen kaum möglich.
Das Fehlen von Dolmetscher*innen, fehlende mehrsprachige Therapie- und Betreuungsangebote
und der generelle Mangel an mehrsprachigem Betreuungspersonal kann die Dauer der Anhaltung
in diesem justiziellen Zwangskontext verlängern – ein Umstand, der eigentlich seit Jahren zu
verändern versucht wird. Bereits im Jahr 2015 rief der damalige Justizminister eine Arbeitsgruppe
ins Leben, die, bestehend aus Expert*innen im Feld der Forensik, dem Auftrag nachkommen
sollte, Reformvorschläge für eine Verbesserung des Maßnahmenvollzugs auszuarbeiten. Ein
Grund für die Reformbestrebungen war, dass die Anzahl der Angehaltenen stetig steigt. Dies
ist nicht nur menschenrechtlich bedenklich, sollte eine präventive Anhaltung doch letztes Mittel
sein, es bringt auch das System an die Belastungsgrenzen. Es sollten noch Jahre vergehen,
bis den Empfehlungen der Arbeitsgruppe Taten folgten. Im März 2023 schließlich trat das neue
Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022 (MVAG 2022) in Kraft. Eine Schlagwortsuche in
dem 96 Seiten starken Abschlussbericht der Arbeitsgruppe zur Reform des Maßnahmenvollzugs
(vgl. BMJ 2015) und im neuen MVAG 2022 nach „Ausländer“, „Migranten“, „Staatsbürgerschaft“,
„Staatszugehörigkeit“, „Aufenthaltstitel“, „Sprache“ ergab in beiden Dokumenten null Treffer. Der
Eiertanz geht also – auf gut Deutsch – weiter.
Verweise
i Die für diese Studie ausgewerteten Rohdaten wurden vom IT-Service der österreichischen Strafvollzugsakademie zu Verfügung gestellt.
ii
Wir bedanken uns an dieser Stelle herzlich bei den beteiligten Studierenden des Bachelorstudiengangs Soziale Arbeit sowie des
Masterstudiengangs Soziale Arbeit der FH Linz für die engagierte Mitarbeit in den Lehrforschungsprojekten.
iii Sprachbarrieren werden in dem Sinn verstanden, dass die Sprache der Mehrheitsgesellschaft als Barriere fungieren kann, welche z.B.
Zugänge zu bestimmten Ressourcen beschränkt oder von der Teilnahme an bestimmten Aktivitäten ausschließt. Es bedeutet nicht, dass
Personen keine Sprache(n) besitzen und dass die Barrieren von den Klient*innen errichtet werden, sondern von den jeweiligen Systemen.
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Über die Autor:innen
Drin phil Kathrin Bereiter, MA
Kathrin Bereiter ist Assistenzprofessorin an der FH OÖ, Campus Linz, Department für angewandte
Sozialwissenschaften. Sie promovierte an der Universität Graz zu den Lebensbedingungen und
Agency-Strategien von psychisch kranken Straftäterinnen. Ihre Schwerpunkte sind Intersektionalität
und intersektionale Sozialforschung, Maßnahmenvollzug, Macht und Soziale Arbeit.
Stefan Kitzberger, BA MA
Arbeitet in der forensischen Nachbetreuung und nebenberuflich an der FH OÖ, Campus Linz,
Department für angewandte Sozialwissenschaften.