Marion Neunkirchner & Emanuel Tananau Blumenschein. Vaterschaſt in Haſt. soziales_kapital, Bd.
29. Ausgabe 2024
Klimagerechtigkeit und Soziale Arbeit in Österreich
Vaterschaft in Haft
Marion Neunkirchner & Emanuel Tananau Blumenschein
Zusammenfassung
Das von Erasmus+ geförderte Forschungsprojekt NESTOR hat sich mit der Implementierung und
Evaluierung von Elternschulen für Väter in Haft beschäftigt. Dabei wurde festgestellt, dass es in
Österreich zwar lokale aber keine bundesweiten Angebote für Väter in Haft gibt. Der Beitrag legt
aus soziologischer Perspektive dar, inwieweit sowohl die individuelle Ausübung von Vaterschaft in
Haft als auch eine bundesweite Unterstützung von inhaftierten Vätern durch die Bedingungen und
Funktionsweisen des Strafvollzugs verhindert werden. Dazu werden zunächst drei Dimensionen
von involvierter Vaterschaft (Verantwortung, Interaktion und Verfügbarkeit) definiert, um daran
anschließend das Zusammenspiel verschiedener struktureller Faktoren bei der Vaterschaft in Haft
zu beschreiben. Abschließend resümieren wir, dass die Haftbedingungen einer ganzheitlichen
Ausübung der Vaterrolle aus empirischer und theoretischer Perspektive entgegenstehen. Daraus
leiten wir ab, dass Elternschulen als bundesweite Projekte zur Verbesserung der Ausübung von
Vaterschaft in Haft in Österreich unter bestimmten Voraussetzungen gefördert werden sollten.
Schlagworte: Vaterschaft, Haft, Gefängnis, Strafvollzug, Resozialisierung, Exklusion, Empirie,
Vaterschaft in Haft
Abstract
The Erasmus+-funded research project NESTOR dealt with the implementation and evaluation of
parenting schools for fathers in prison. The research indicates that there are local but no nationwide
services for fathers in prison in Austria. The article presents a sociological perspective on the extent
to which both the individual exercise of fatherhood in prison and nationwide support for imprisoned
fathers are prevented by the conditions and functioning of the prison system. To this end, we first
define three dimensions of involved fatherhood (responsibility, interaction and availability) and then
describe the interplay of various structural factors in fatherhood in prison. Finally, we conclude
that, from both an empirical and theoretical perspective, the conditions of imprisonment hinder
the holistic exercise of the father role. From this, we conclude that parenting schools should be
promoted as nationwide projects to improve the exercise of fatherhood in prison in Austria under
certain conditions.
Keywords: fatherhood, incarceration, prison, penal system, resocialization, exclusion, empirical
research, fatherhood in prison
1
Einleitung
Die Haft restrukturiert das Leben der Inhaftierten. Das fängt mit den strikt geplanten und
fremdbestimmten Tagesabläufen an und reicht bis zur Limitierung sozialer Kontakte. Dieser
totalitäre Charakter des Strafvollzugs hat auch Auswirkungen auf die Vaterschaft während der Haft.
Im Gegensatz zu Angeboten für inhaftierte Mütter, wie zum Beispiel Mutter-Kind-Hafträume oder
die Anbindung eines Kindergartens an das Frauengefängnis Schwarzau, gibt es in Österreich keine
vergleichbaren Initiativen für Väter. Gesetzliche Regelungen, welche die Aufrechterhaltung oder
Verbesserung der Vater-Kind-Beziehung während der Haft in Österreich adressieren, fehlen.
Diesem Thema – der Vaterschaft in Haft – widmet sich das Forschungsprojekt NESTOR. Im
Rahmen einer Förderung durch ERASMUS+ wurde von 2021 bis 2024 in Griechenland, Bulgarien,
Zypern und Österreich geforscht. Auf Grundlage einer Literaturanalyse und von Interviews mit
betroffenen Vätern, Partnerinnen, Gefängnismitarbeitenden und Entscheidungsträger:innen wurde
ein Curriculum für sogenannte Elternschulen für inhaftierte Väter in 19 griechischen Gefängnissen
implementiert und evaluiert. Die Elternschulen haben zum Ziel, die inhaftierten Väter in ihrer Vaterrolle
zu bestärken, indem sie die Eltern-Kind-Beziehung während der Haft unterstützen und Softskills für
die Vaterschaft vor und nach der Entlassung vermitteln.
In Österreich wurden im Zuge des Projekts NESTOR keine Elternschulen eingerichtet.
Hierzulande wurden Desktop-Recherchen durchgeführt und Interviews mit Sozialarbeiter:innen und
Pädagog:innenausdemStrafvollzugsowiemitanderenExpert:innenundEntscheidungsträger:innen
geführt. Die Haft und damit auch die Vaterschaft in Haft werden in Österreich aufgrund der
Verwaltungsstruktur der Gefängnisse bundesweit reglementiert. Während sich vor der Corona-
Pandemie mehrere lokale Initiativen darum bemühten, das Ausüben aktiver Vaterschaft auch hinter
Gittern zu ermöglichen, verblieben nationale Bestrebungen in der Planungsphase. Demzufolge
war das lokale Geschehen zum Zeitpunkt der Datenerhebung im Jahr 2022 Hauptgegenstand der
Untersuchung.
DieUntersuchungzeigt,dassesinJustizanstaltenzwarVorkehrungenfürdieAufrechterhaltung
der Eltern-Kind-Beziehung gibt, dass jedoch nicht alle davon flächendeckend eingerichtet sind.
Familienfreundliche Besuchszeiten und die Einrichtung von geeigneten Besuchsräumen sind
gesetzlich geregelt und unterliegen spezifischen Bestimmungen des Vollzugshandbuchs. Darunter
fällt auch die Regelung, „auf eine kinder- und familienfreundliche Ausstattung Rücksicht“ (BMJ
2024: 2) zu nehmen, die von allen Justizanstalten umgesetzt werden sollte (vgl. dazu auch StVG
§ 94 Abs. 1; § 93 Abs. 2;). Spezielle Projekte für Väter in Haft werden bislang nur in vereinzelten
Anstalten angeboten, wie z.B. die Möglichkeit, Tonaufnahmen für die Kinder anzufertigen oder die
Durchführung begleiteter Eltern-Kind-Besuche. Die Umsetzung dieser Initiativen ist oft von den
persönlichen Bemühungen der Anstaltsleitungen und Gefängnismitarbeitenden abhängig. Wie die
Forschungsergebnisse zeigen, wird das Thema Vaterschaft in Haft vom österreichischen Strafvollzug
also überwiegend lokal und personenspezifisch adressiert. Nationale Regelungen für inhaftierte
Eltern existieren in Österreich nur für Mütter von Kleinkindern gemäß § 74 Abs. 2 StVG (vgl. Oberlaber
2012). Ihnen stehen speziell ausgestattete Hafträume für den Verbleib der minderjährigen Kinder
bis zum (maximal) dritten Lebensjahr zur Verfügung. Dazu kommt die Möglichkeit, die Inhaftierung
von Personen aufzuschieben, die bis zu einem Jahr vor Haftantritt entbunden haben (vgl. StVG § 5
Abs 2). Ähnliche gesetzliche Regelungen zur Unterstützung der Ausübung von Vaterschaft in Haft
existieren nicht.
Folgender Beitrag analysiert aus soziologischer Perspektive, inwieweit die individuelle
Ausübung von Vaterschaft in Haft und eine gesetzliche bundesweite Unterstützung von inhaftierten
Vätern durch die Bedingungen und Funktionsweisen des Strafvollzugs verhindert werden. Dazu
werden zunächst drei Dimensionen von involvierter Vaterschaft (Verantwortung, Interaktion und
Verfügbarkeit) definiert, um daran anschließend das Zusammenspiel verschiedener struktureller
Faktoren der Vaterschaft in Haft zu beschreiben. In diesem Zusammenhang zeigen wir, inwiefern die
Haftbedingungen einer ganzheitlichen Ausübung der Vaterrolle aus empirischer und theoretischer
Perspektive entgegenstehen. Als mögliche Initiative schlagen wir die Einführung von Elternschulen
als bundesweites Projekt zur Verbesserung der Ausübung von Vaterschaft in Haft auch in Österreich
und unter bestimmten Voraussetzungen vor.
2
Dimensionen von Vaterschaft
Das Definieren von Vaterschaft ist kompliziert, u.a. weil die Vaterrolle zeitlich, geographisch und
persönlich zu verorten ist und somit Variationen unterliegt (vgl. Lamb/Pleck/Charnov/Levine
1985: 885–889; Day/Lewis/O`Brien/Lamb 2005: 347f.; Meuser/Neumann 2022: 28–31). Auch das
Verhältnis von Vaterschaft und Männlichkeit ist ähnlich unklar. Das Thema Vaterschaft war in den
Men Studies lange Zeit kaum vorhanden. Dort spricht Meuser von einer „geschlechtsexklusiven
Zuweisung der Sphären von Familie und Beruf“ (Meuser/Neumann 2022: 92). Da die öffentliche
Sphäre und nicht die private Hauptschauplatz für Männlichkeit ist, wird Vaterschaft zum Randthema
in der Männlichkeitsforschung. Diese öffentliche, männliche Sphäre befasst sich mit der Produktion
und dem Politischen, im Gegensatz zur privaten, weiblichen Sphäre der Reproduktion, also vor
allem der Haus- und Familienarbeit (vgl. Bourdieu 2001: 8f.; 47–49). Auch wenn Männlichkeit
durch die Vaterschaftsrolle definiert werden kann, sind alternative Verständnisse von Männlichkeit
verbreiteter: Sie beziehen sich auf das Nicht-Männliche, die Weiblichkeit und auf Institutionen, allem
voran auf die Arbeit (vgl. Connell 2015: 69–78, 103f.). Daraus folgt, dass Vaterschaft zwar nicht
ohne Männlichkeit gedacht werden kann, Männlichkeit jedoch nicht durch Vaterschaft definiert
werden muss – und dies auch häufig nicht wird. Anders verhält es sich bei der Vorstellung von
Weiblichkeit, für die die Mutterrolle und damit verbundene Eigenschaften der Fürsorglichkeit und
Verantwortungsübernahme als zentrale Definitionsmerkmale angenommen werden.
Das Festlegen einer stringenten, allgemeinen Definition von Vaterschaft wird spätestens
mit dem Übergang zu modernen Produktions- und Geschlechterverhältnissen erschwert, seitdem
Väter also nicht mehr einzig in ihrer Funktion als Versorger verstanden werden (vgl. Meusser 2009:
148–152). Es finden sich nun verschiedene Vaterschaftsrollen, die über die Versorgung hinaus auch
die fürsorglichen Eigenschaften von Vätern umfassen. Vaterschaft kann also auch in Bezug auf die
Interaktion zwischen Vater und Kind betrachtet werden. Diese Involvierung des Vaters im Leben der
Kinder wird mit dem Begriff father involvement umschrieben, der sich von fatherhood (Vaterschaft)
unterscheidet.
Auf der einen Seite stehen die theoretischen Vaterschaftsdefinitionen (fatherhood), auf der
anderen die praktische Ausübung (father involvement), also die Frage, wie und wieviel Zeit Väter
mit ihren Kindern verbringen. Diese müssen keineswegs deckungsgleich sein, da sich zwischen
normativer Vorstellung und gelebter Praxis Unterschiede finden lassen (vgl. LaRossa 1988: 451f.).
Lamb et al. (1985: 884) unterscheiden beim father involvement drei Bestandteile: Die Interaktion mit
dem Kind (interaction), die Verfügbarkeit des Vaters (availability) sowie das Ausmaß an Verantwortung
(responsibility), die ein Vater für das Kind übernimmt. In Bezug darauf erarbeitete Palkovitz (1997:
207–10) 15 Arten, wie Väter Vaterschaft ausüben können. Diese umfassen u.a. Lehren, Erledigungen,
Fürsorge und kinderbezogene Pflegearbeiten, Verfügbarkeit, Planung, Zuneigung, Schutz sowie
emotionale Unterstützung (vgl. ebd.: 209f.).
Für diesen Beitrag werden Tätigkeiten in Haft im Sinne des father involvements nach Lamb et
al. (1985) in Interaktion, Verfügbarkeit und Verantwortung unterteilt. Die ersten zwei Begriffe stehen
tendenziell mit Eigenschaften der Vaterschaft in Verbindung, die mit den modernen Produktions-
und Geschlechterverhältnissen entstehen. Die Vaterrolle wird hier als aktive verstanden, wodurch
der Vater, abseits seiner traditionellen Rolle als Ernährer und Familienoberhaupt, verfügbar und
interaktiv als Teil des unmittelbaren Lebens des Kindes gedacht wird. Die Verantwortung meint
dabei eher Formen der Vaterschaft, die v.a. das Versorgen, Erziehen, aber auch Disziplinieren der
Kinder inkludiert. Gute bzw. schlechte Vaterschaft lässt sich dann daran beurteilen, inwieweit das
väterliche Handeln mit vorherrschenden Handlungsvorstellungen kongruent ist, d.h. inwieweit
z.B. die Verfügbarkeit eines Vaters den gesellschaftlichen und milieuspezifischen Anforderungen
entspricht (vgl. z.B. Palkovitz 2002: 39–42).
Wird Vaterschaft als eine gesellschaftliche Rolle verstanden, die sich im Sinne des father
involvements aus den Dimensionen Verantwortung, Interaktion und Verfügbarkeit zusammensetzt,
leiten sich daraus spezifische Folgen für die Situation von Vätern in Haft ab. Die Möglichkeit der
Interaktion mit dem Kind und die damit verbundene Verfügbarkeit und Verantwortungsübernahme,
so zeigen die NESTOR-Interviews, sind einerseits aufgrund der exkludierenden Haftbedingungen
weitgehendverunmöglicht.AndererseitskanninhaftiertenVäternaufgrundderStraffälligkeitaucheine
gute Vaterschaft abgesprochen werden. Dies resultiert aus (durchaus berechtigten) Unterschieden
in der öffentlich-normativen Bewertung der Vaterschaftsqualitäten aufgrund des Delikts (Väter,
welche Missbrauch Minderjähriger verübt haben, vs. Väter, die wegen Betrugsdelikten inhaftiert
sind). Inhaftierte Väter können im öffentlichen Diskurs daher auch als schlechte Vorbilder für ihre
Kinder gelten, wie in verschiedenen Medienberichten ersichtlich wird (vgl. ORF 2024; Möseneder
2024; Dehnhardt 2022; Double-G und Double-H 2020; KURIER 2024). Anhand der Interviews
im NESTOR-Projekt zeigt sich, dass Väter aufgrund ihrer Straffälligkeit und Inhaftierung an ihrer
Vaterschaft zweifeln, was zum Teil auf internalisierten Normen zu guter und schlechter Vaterschaft
beruhen kann. Inwieweit das auf alle inhaftierten Väter zutrifft, lässt sich anhand der empirischen
Erkenntnisse des Projekts nicht mit Sicherheit sagen. Es kann davon ausgegangen werden, dass
vor allem Väter an den Elternschulen und Interviews teilgenommen haben, die sich während der
Haft um ihre Vaterschaft bemühen. Um das Zusammenspiel verschiedener Bedingungen für die
Ausübung von Vaterschaft in Haft zu verstehen, werden im folgenden Kapitel die Perspektiven der
befragten inhaftierten Väter erläutert und mit theoretischen Einsichten in die Mechanismen der Haft
verknüpft.
3
Die Situation inhaftierter Väter und das Gefängnis als Institution
3.1 Ergebnisse des Projekts NESTOR
IndenInterviewsdesNESTOR-ProjektszeichnensichwiederkehrendeVorstellungendarüberab, wie
Inhaftierte ihre Vaterschaft ausüben wollen – sowohl in als auch nach der Haft. Im Vordergrund steht
die Ausübung einer ökonomischen Vaterschaftsfunktion. Vaterschaft ist für viele das Absichern der
familiären Existenz durch ein ausreichendes Einkommen. Die befragten Väter diskutieren aber auch
die Bedeutung der Interaktion mit ihren Kindern, egal ob während Besuchszeiten oder über Telefon
und Internet. Die Ausübung von Vaterschaft während der Haft wird auch über regelmäßige Anrufe
oder Umarmungen bei Besuchen mit den Kindern versucht, so weit als möglich aufrechtzuerhalten.
Dieses Verständnis von Vaterschaft in Haft, welches nicht auf die Versorgerfunktion limitiert wird,
zeigt sich auch in ähnlichen Studien (vgl. Adritti/Smock/Parkman 2005: 7, 9f.; Clarke et al. 2005:
7–10).
Die Empirie lässt insgesamt auf unterschiedliche Bedürfnisse inhaftierter Väter schließen. Manche
meiden den Kontakt zu ihren Kindern und verschweigen die Haft, um keine schlechten Vorbilder zu
sein. Im Gegensatz dazu finden sich auch andere Väter, die sich aktiv um die Aufrechterhaltung des
Kontakts zu ihren Kindern bemühen. Eine „Wunsch-Vaterschaft“ inkludiert jedoch für die meisten
Inhaftierten ein Maß an Verfügbarkeit und Interaktion mit ihren Kindern, die durch die Haftsituation
jedoch nicht ausgelebt werden können. Ebenso kann die Verantwortung für das Kind nicht
übernommen werden, da Gefangene großteils handlungsohnmächtig und nicht verfügbar sind. So
beschreibt ein Vater: „I can’t follow the path they are going towards, to see how they grow up and
influence their upbringing.“ (NESTOR Interview: F3WG)
Die gesellschaftlichen Vorstellungen von Vaterschaft stehen bei Inhaftierten immer
in Beziehung zu den vorherrschenden Haftbedingungen. Für Väter in Haft gilt, dass sie nur
Funktionen ausüben können, die von der Haftinstitution ermöglicht werden. Dies kann auch dazu
führen, so zeigen die Interviews, dass Inhaftierte an ihrer Vaterrolle zweifeln. Die Zweifel entstehen
aufgrund der mangelnden regelmäßigen Teilhabe an der Fürsorgearbeit und wegen dem fehlenden
Entgegenbringen von Zuneigung. Ein Vater beschreibt das folgendermaßen: „Because I am not
there, there is no presence […]. And I need to be a father from a distance, [...] to be there when
someone asks for an advice […].“ (NESTOR Interview: F4WG)
Wie die Erfahrungen der Inhaftierten zeigen, ist Haft vom unmittelbaren Erleben
gesellschaftlicher Exklusion geprägt. Alle Inhaftierten sind aus den täglichen Abläufen im
gesellschaftlichen Leben exkludiert, da sie sich einerseits physisch in einem Gefängnis befinden
und andererseits ihre Handlungsmacht und sozialen Interaktionen kontrolliert werden. Diese
Exklusion hat Folgen sowohl in der Untersuchungshaft als auch in der Strafhaft nach Ausspruch
eines Urteils. Sie ist nicht nur eine physische, sondern auch eine soziale Ausschließung (vgl.
Cremer-Schäfer/Steinert 1998: 45–53; Steinert 2016), weshalb sie die Inhaftierten auch von
Handlungen und Aufgaben abhält, die mit dem Vatersein verbunden sind. So können Gefangene
keine kinderbezogene Pflegearbeit oder fürsorgliche Tätigkeiten wahrnehmen, beispielsweise die
tägliche Versorgung mit Nahrung oder die Begleitung zu Kinderbetreuungseinrichtungen. Sowohl
die Interaktion als auch die Verfügbarkeit und Verantwortung der Vaterrolle können während der
Inhaftierung daher kaum bis gar nicht ausgeübt werden.
Neben dieser offensichtlichen Exklusion jener Menschen, die sich in Haft befinden, ist
der Haftalltag selbst geprägt von der Ausübung und Durchsetzung von Macht. Die Folgen der
sozialen Ausschließung sind, ähnlich wie für Personen in Pflegeheimen, für die Inhaftierten täglich
spürbar (vgl. Krajic/Dötig 2007; Goffman 1987). Goffman (1987) beschreibt diesen spezifischen
Charakter der Gefängnisse mit ihren starren Abläufen als „totale Institution“. Damit ist gemeint,
dass während der Haft alle zentralen Lebensbereiche durch die Gefängnisorganisation kontrolliert
werden. Die Autonomie über Essen, Schlafen, Arbeiten, Freizeitgestaltung oder soziale Kontakte
geht für die eingesperrten Individuen verloren (vgl. Pilgram 1978: 134). Foucault spricht in diesem
Zusammenhang von einer „zwanghafte[n] Individualisierung durch den Abbruch jeder Beziehung,
die nicht von der Macht kontrolliert oder hierarchisch geordnet war“ (Foucault 1979: 307). Dies
betrifft selbstredend auch die Kontrolle aller Beziehungen der Vaterschaft. Das Prinzip der Isolierung
in Haft steht der Rolle des Vaters entgegen.
3.2 Theoretische Bezüge zur Institution Gefängnis
Aus theoretischer Perspektive kann Haft als Hauptstrafe eines Herrschaftsverfahrens gesehen
werden, welches juristisch-ökonomische und technisch-disziplinäre gesellschaftliche Funktionen
übernimmt (vgl. Foucault 1979: 297). Die disziplinäre Funktion bezieht sich laut österreichischem
Strafvollzugsgesetz auf den Zweck, „den Verurteilten zu einer rechtschaffenen und den
Erfordernissen des Gemeinschaftslebens angepaßten Lebenseinstellung“ zu verhelfen (vgl. StVG
§20). Zusammengefasst meint das all jene Aspekte, die heute mit dem Begriff der Resozialisierung
beschrieben werden. Das Verhalten und die Persönlichkeit der Gefangenen sollen also dem
Gesetzestext folgend während der Haft verändert und gebessert werden. Foucault formuliert dies
folgendermaßen: „Die Gefängnisstrafe war immer schon eine ‚legale Haft‘ mit dem Zweck der
Besserung bzw. ein Unternehmen zur Veränderung von Individuen, das durch die Freiheitsberaubung
legalisiert wird.“ (Foucault 1979: 297)
DasZielderResozialisierungistfürdenStrafvollzugdemzufolgediePersönlichkeitsveränderung
der Straffälligen, wodurch neuerlichen Straftaten vorgebeugt werden soll (vgl. Pilgram 1978: 131).
Die Gefängnisstrafe ist jedoch kein adäquates Mittel, um die angestrebte Veränderung zu erreichen.
Da sie mit diversen Deprivationen einhergeht, wie beispielsweise der Abnahme von Statussymbolen
während der Haft (Name, Titel, persönliche Gegenstände etc.), wirkt sie einer gesellschaftlichen
Inklusion entgegen (vgl. Pilgram 1978: 134).
Cremer-Schäfer und Steinert (1998: 40) beschreiben Strafvollzug als Teil der Institution
„Verbrechen und Strafe“ und meinen damit einen ideologischen Staatsapparat, der gesellschaftliche
Moralvorstellungen abdeckt, ohne dabei all die vielfältigen Strafbedürfnisse der Bevölkerung
tatsächlich zu erfüllen. Strafe ist demnach vor allem auf einer ideologischen Ebene bedeutsam.
Straffällig gewordene Individuen sollen durch die Haft zunächst öffentlich-wirksam exkludiert
werden, um vor ihrer Rückkehr im Sinne der Resozialisierung verändert zu werden. Darin zeigt sich
der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Exklusion durch Haft und gleichzeitiger Bestrebungen
der Inklusion durch Resozialisierung. Die Exklusion ist auch hinsichtlich der Realisierung von
Vaterschaft folgenreich: Die Verweigerung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beinhaltet
auch den Entzug von väterlichen Pflichten und Aufgaben (Verantwortung) sowie die Kontrolle
sozialer Kontakte (Interaktion, Verfügbarkeit) durch den Strafvollzug. Das Problem der sozialen
Ausschließung aufgrund des Gefängnisaufenthalts kann jedoch nicht gelöst werden.
In Allianz mit der Institution „Verbrechen und Strafe“ folgt die Sozialarbeit im Strafvollzug der
institutionellen Logik von „Schwäche und Fürsorge“ (vgl. Cremer-Schäfer/Steinert 1998: 57–75, 64).
Mit ihren Bemühungen zur Resozialisierung versuchen die Betreuungsdienste umzusetzen, was
durch Strafe nicht möglich ist (vgl. Cremer-Schäfer/Steinert 1998: 62, 57–75, 64). In Foucaults Worten
handelt es sich dabei um die Umerziehung des ‚Delinquenten‘ in Abgrenzung zum Rechtsbrecher.
Gemeint ist damit, dass die Veränderung auf die delinquente Person als Ganze abzielt und daher
Eigenschaften inkludiert, die über den direkten Deliktbezug (Rechtsbrecher) hinausgehen (vgl.
Foucault 1979: 323). Dies kann sich auch auf solche Bestrebungen beziehen, welche die Ausübung
„guter Vaterschaft“ unterstützen sollen. Institutionelle Resozialisierungsbemühungen, z.B. im
Zuge der Elternschulen, versuchen auf symbolischer Ebene, gesellschaftliche Inklusion durch
Elternschaft (vgl. Cremer-Schäfer/Steinert 1998: 62) zu erreichen, trotz der vorhandenen Exklusion
der Inhaftierten aufgrund der Straffälligkeit.
Eine Schlussfolgerung der beschriebenen institutionellen Logik ist, dass Haft eine Form
gesellschaftlicher Exklusion darstellt. Väter in Haft sind damit physisch und sozial vom täglichen
Leben ihrer Kinder ausgeschlossen. Die gesellschaftliche Inklusion, im Sinne der Unterstützung der
Interaktion mit dem Kind, wird derzeit nur in lokalen Vaterschaftsprojekten einzelner österreichischer
Haftanstalten angestrebt. Da es keine vergleichbaren bundesweiten Angebote für die Unterstützung
inhaftierter Väter in Österreich gibt, findet der soziale Ausschluss daher strukturell statt, trotz
möglicher Resozialisierungsbemühungen von Inhaftierten.
Die gesellschaftliche Aufgabe der Haft ist abseits der Resozialisierung und Strafe auch
eine unmittelbar schützende, da die Bevölkerung vor dem delinquenten Verhalten der Inhaftierten
bewahrt werden soll. Expert:innen des Sicherheits- und Betreuungsbereichs in den Gefängnissen
sind daher auch mit Aufgaben des Risikomanagements und der Risikoprognose konfrontiert (vgl.
Simon 2000: 287). Demzufolge erscheinen die Zwecke des Strafvollzugs widersprüchlich: Einerseits
soll die Inklusion der Gefangenen nach Vollendung der Haftstrafe in die Gesellschaft gelingen, wozu
es Resozialisierungs- und Lockerungsmaßnahmen benötigt. Andererseits sollen die Inhaftierten
durch den Freiheitsentzug bestraft und exkludiert werden, um keine neuen Delikte zu begehen.
Das Thema Vaterschaft in Haft ist dabei von vornherein moralisiert, da es um straffällige
Menschen geht, die mit Kindern in Kontakt kämen. So wird argumentiert, dass die Risiken, welche
von der Haftsituation und den inhaftierten Eltern ausgehen, für Kinder von inhaftierten Vätern zu
groß seien (vgl. Oberlaber 2012). Die Resozialisierung im Sinne einer Unterstützung der Beziehung
des Vaters zu seinen Kindern steht damit der Sicherheit (der Kinder) durch die Haftstrafe entgegen.
Womöglich ist diese Ambivalenz ein Grund für ausbleibende bundesweite Maßnahmen zur
Beziehungsförderung von Vater und Kind während der Haft. Wird dieser Annahme gefolgt, stellt
sich auch die Frage, inwiefern ähnlich pauschalisierte Narrative über die Gefährlichkeit inhaftierter
Mütter wirken, die sich nur aufgrund der Straffälligkeit und nicht anhand konkreter Beobachtungen
im Umgang manifestieren.
4
Resümee
Der Beitrag beschreibt aus empirischer und theoretischer Perspektive, wie das Ausüben von
Vaterschaft in Haft erschwert wird. Abschließend soll nun zusammengefasst werden, welche
Folgen sich daraus für Initiativen zur Unterstützung von Vaterschaft in Haft ergeben. Dabei werden
Gründe für das defizitäre Angebot bundesweiter Maßnahmen hergeleitet sowie die Umsetzung von
Elternschulen für Väter nach dem Vorbild des Projekts NESTOR diskutiert.
4.1 Fazit zur Ausübung von Vaterschaft in Haft
Wie die NESTOR-Projektergebnisse und die theoretische Analyse von Vaterschaft in Haft zeigen,
wird das Ausüben der Vaterrolle für Inhaftierte aufgrund der gesellschaftlichen Exklusion und
Deprivationen im Gefängnis sehr erschwert. Im Strafvollzug finden sich zwar einzelne Initiativen,
die Väter im Sinne der Resozialisierung fördern sollen, spezifische bundesweite Maßnahmen fehlen
jedoch. Daraus leiten wir zwei Befunde ab:
1. Die involvierte Ausübung der Vaterschaft (father involvement) kann nicht mit der Zuschreibung
von Vaterschaft in und durch die Institution „Verbrechen und Strafe“ in Einklang gebracht werden.
Eingangs wurde zwar argumentiert, dass sich diffuse Definitionen von Vaterschaft und Männlichkeit
finden lassen, mit Blick auf den Strafvollzug zeigt sich aber eine recht klare Rollenverteilung.
Wie aus den ausbleibenden gesetzlichen Bestimmungen zur Stärkung der Vater-Kind-Beziehung
abgeleitet werden kann, werden Väter in Haft vor allem in ihrer Rolle zur finanziellen Versorgung
der Kinder und der Familie erkannt und adressiert. Dies lässt sich am Beispiel der Auszahlung
von Unterhaltsvorschüssen während der Haft erkennen. Familien von Inhaftierten können einen
Unterhaltsvorschuss gem. Unterhaltsvorschussgesetz beim Jugendhilfeträger beantragen,
welcher dann nach der Haft von den Vätern zurückbezahlt werden soll (vgl. UVG). Auch wenn
diese gesetzliche Maßnahme nicht ausschließlich für die finanzielle Unterstützung bei Inhaftierung
eines Vaters angedacht ist, kommt sie aufgrund der mehrheitlich männlichen Insassenpopulation
vermutlich überwiegend durch den Ausfall des väterlichen Einkommens zur Anwendung. Die
staatliche Maßnahme orientiert sich folglich an der ökonomischen Realität ungleich verteilter
ErwerbseinkommenundreproduziertdamitverbundeneGeschlechterverhältnisse.Derökonomische
Aspekt väterlicher Verantwortung wird also durch die gesetzlichen Maßnahmen adressiert, er kann
jedoch durch den minimalen Verdienst von Gefangenen während der Haft nur in geringem Ausmaß
aufrechterhalten werden.
Eine involvierte Vaterschaft, so wie sie auch von inhaftierten Vätern in den Interviews
gewünscht wird, scheint – im Gegensatz zur Mutterschaft im Gefängnis und aus analytischer
Perspektive – nur optional möglich zu sein. Denn bundesweite Maßnahmen zur Unterstützung der
fürsorglichen väterlichen Tätigkeiten fehlen. Dies zeigt sich z.B. anhand nicht vorhandener Vater-
Kind-Hafträume sowie durch die ausbleibenden Möglichkeiten des Strafaufschubs für Männer
zur Kinderbetreuung nach einer Entbindung. Bei inhaftierten Müttern wird die fürsorgliche Rolle
gegenüber dem Kleinkind aktiv durch die genannten gesetzlichen Maßnahmen gefördert.
2. Verantwortung in der Vaterschaft umfasst neben dem ökonomischen Aspekt auch die Erziehung
des Kindes. In abstrakter Hinsicht übernimmt auch der Strafvollzug ökonomische und erzieherische
Verantwortung für die Inhaftierten, ähnlich wie Väter für ihre Kinder: Einerseits versorgt er sie mit den
notwendigen Existenzgrundlagen, andererseits möchte er sie auch als Institution der „Schwäche
und Fürsorge“ erziehen und disziplinieren. Die widersprüchlichen gesetzlichen Zwecke der Haft
(BestrafungundResozialisierung)zeigendiesendisziplinierendenCharakter.DochdieDisziplinierung
durchdieHaftanstaltenschafftstrukturelleHindernissefürVäter, dieselbstVerantwortunggegenüber
ihrenKindernausübenwollen:ErstensziehtdieHaftdieExklusionderInhaftiertendurchdieAbnahme
und Beschränkung u.a. von Status und Kontaktmöglichkeiten nach sich. Die Kontrolle der sozialen
Kontakte und die damit einhergehenden Beschränkungen der Interaktion zwischen Vätern und
Kindern verhindern eine aktive Teilnahme an der Erziehung und Disziplinierung. Zweitens verfällt
die Möglichkeit zur Erziehung der Kinder nicht nur auf unmittelbarer interpersoneller, sondern auch
auf symbolischer Ebene. Aufgrund der Straffälligkeit und dem damit angenommenen Risiko für die
Kinder (vgl. Oberlaber 2012) wird auch in Frage gestellt, dass inhaftierte Väter Erzieher sein können
und sollen. Dieses gesellschaftliche Infragestellen der Fähigkeit zur Ausübung von Vaterschaft in
Haft wird ebenso in den NESTOR-Interviews beschrieben, sie wird besonders deutlich anhand der
geäußerten Zweifel der Inhaftierten hinsichtlich der Erfüllung ihrer Vaterrolle.
Zusammenfassend zeigt sich, dass Vaterschaft in Haft nur entlang eines beschränkten
Handlungsrahmens ausgeübt werden kann. Einerseits prägen die nationalen oder staatlichen
Rahmenbedingungen der Haft ein auf Verantwortung limitiertes Vaterschaftsverständnis ohne
Interaktion und Verfügbarkeit. Andererseits werden auch jene auf Verantwortung limitierten Aspekte
der Vaterschaft durch die Haftbedingungen erschwert, welche von nationalstaatlicher Seite erkannt
werden. Nun stellt sich berechtigterweise die Frage, inwieweit und wie alle Aspekte von Vaterschaft
überhaupt durch den Strafvollzug adressiert werden können. Da Restriktionen in der Logik des
Strafvollzugs tief verankert sind, bedarf eine alternative Ausgestaltung von Vaterschaft in Haft
weitreichender gesetzlicher Veränderungen. Die Einführung von Elternschulen in Haft stellt einen
möglichen ersten Schritt dar, durch den die involvierte Vaterfunktion für Inhaftierte auch über die
Versorgerrolle hinaus Anerkennung findet. Abschließend wird daher die mögliche Implementierung
von Elternschulen in Österreich diskutiert.
4.2 Elternschulen: Ein passendes Angebot für Väter?
Die Evaluierung der Elternschulen im NESTOR-Projekt fällt insgesamt positiv aus und zeigt, dass
sich Väter durch diese in ihrer Vaterrolle gestärkt sehen und sich um bessere Interaktion mit ihren
Kindern sowohl während der Haft als auch danach bemühen. Inwieweit das auch Jahre nach den
Vaterschaftskursen und der Inhaftierung bestehen bleibt, ist zu beobachten. Die Implementierung
von Elternschulen hat jedoch keineswegs das Ausmaß von strukturellen Veränderungen. Obwohl
durch sie versucht wird, die Fürsorgerolle von Vätern zu stärken, lassen die bestehenden
Rahmenbedingungen nur sehr beschränkte Möglichkeiten für Verfügbarkeit und Interaktion
bei den Vätern zu. Das ist auch insofern problematisch, als sich die Erarbeitung fürsorglicher
Vaterschaftsmodelle positiv auf die Resozialisierung der Väter und das Wohlbefinden ihrer Kinder
auswirken könnte (vgl. z.B. Dallaire/Kaufman 2018: 6f., 13f.). Die Maßnahmen bewirken indes
hauptsächlich eine verbesserte Vaterschaft für die Zeit nach der Haft – als eine Art Training für die
„Vaterschaft in der Zukunft“.
Folgen wir der Kritik von Cremer-Schäfer und Steinert (1998), kann jedoch auch angenommen
werden, dass sich die Moralisierung der Gefangenen in den Elternschulen fortsetzt. Da die Institution
„Verbrechen und Strafe“ eine moralische und ideologische Wirkung auf gesellschaftlicher Ebene
ausübt, besteht die Gefahr, dass der symbolische Effekt der Implementierung von Vaterschulen
womöglich weitreichender ist als der tatsächliche Nutzen für die Betroffenen auf individueller
Ebene (vgl. ebd.: 40). Zudem stellen Elternschulen, wie auch andere Gruppenangebote in Haft, ein
Instrument sozialer Kontrolle in dem Sinne dar, dass deren Anwendung (vgl. ebd.: 44) das Wissen
über die Inhaftierten und deren Besserungsabsichten erweitert. Dadurch werden nicht nur die
Rechtsbrecher, sondern vor allem auch das Leben der Delinquenten zum Zweck der Veränderung
adressiert (vgl. Foucault 1979: 318–320).
Ein Blick auf den Selektionsprozess zur Teilnahme an den Elternschulen wirft ebenso Fragen
der Moralisierung auf. Strafvollzugsmitarbeitende entscheiden anhand des Benehmens während
der Haft und der Vorgeschichte, welche Inhaftierten teilnehmen dürfen. Entschieden wird damit
auch, welche Väter gefördert werden sollen, was ein Stück weit den Status eines (potenziell)
„guten Vaters“ vordefiniert. Nicht-Ausgewählten wird die Vaterschaft dahingegen abgesprochen.
Eine Umsetzung der Elternschulen erfordert daher bereits eine relative Gleichstellung und ein
Mitspracherecht der Väter im Auswahlverfahren. Denn erst, wenn die Teilnahme der Gefangenen
nicht an deren Verhalten außerhalb der Gruppe gebunden ist, wenn den zivilen Gruppenleiter:innen
Entscheidungsautonomie auch in Bezug auf gerichtliche Stellungnahmen zur Entlassung
zugesprochen wird und wenn kein Gefängnispersonal während der Gruppensitzungen anwesend
ist, kann Pilgram (1978: 145–147) zufolge eine Veränderung auf struktureller Ebene wirksam werden.
Wenn sich die Rahmenbedingungen nicht ändern, bleibt die Vaterschaft in Haft weiterhin ein
schwieriges Unterfangen. Ungeachtet der bewährten internen Gruppenangebote in Justizanstalten,
wie z.B. Entlassungsgruppen, sollten diese Kriterien daher bei der Umsetzung von Elternschulen
berücksichtigt werden.
Die Teilnahme an Elternschulen kann aus struktureller Perspektive schließlich auch als
Anpassung an die Haftstruktur und damit als Unterordnung unter Disziplin und ökonomische
Kontrolle verstanden werden (vgl. Pilgram 1978: 131). Für die Inhaftierten ist die Gruppenarbeit
aber auch gefährlich, weil sie sich aufgrund der Preisgabe persönlicher Information gegenüber
anderen Teilnehmenden vulnerabel machen. Umso wichtiger ist daher die sorgfältige Regelung
der Verschwiegenheit innerhalb der Gruppe sowie die Freiwilligkeit in Bezug auf die Bekanntgabe
privater Daten (Namen oder Geburtstage der Kinder, Wohnort etc.). Im Projekt NESTOR wurde
dafür den teilnehmenden Vätern die Option gegeben, fiktive Szenarien zu verwenden oder sensible
Inhalte mit Gruppenleiter:innen im Zweier-Setting zu besprechen.
Insgesamt können Elternschulen, so sie mit genannten Rahmenbedingungen implementiert
werden, ein erster Schritt sein, um die Rolle von Vätern in Haft in allen drei Dimensionen –
Interaktion, Verfügbarkeit und Verantwortung – zu stärken. Für eine nachhaltige und strukturelle
Veränderung benötigt es aber bundesweit geregelte, gesetzlich verankerte Angebote, ähnlich wie
sie z.B. durch die Einrichtung von Mutter-Kind-Hafträumen existieren. Besonderes Augenmerk sollte
dabei auf Maßnahmen gelegt werden, bei denen Kinder nicht in Haft verbleiben. Beispielsweise
könnte der Strafaufschub nach §5 Abs 2 StVG auch für Väter zur Anwendung kommen, deren
Partner:innen schwanger sind oder entbunden haben. Derzeit gilt die Regelung ausschließlich für
schwangere Personen oder jene, deren Entbindung zum Zeitpunkt ihrer Verurteilung weniger als
12 Monaten zurückliegt (vgl. StVG). Durch diese gesetzliche Erweiterung könnte ein ganzheitliches
VaterschaftsverständnisauchinstitutionelleAnerkennungfindenundsolangfristigzurNeugestaltung
der Vaterrolle für Inhaftierte beitragen.
Verweise
i NESTOR wurde unter der Fördernummer 621410-EPP-1-2020-1-EL-EPPKA3-IPI-SOC-IN im Rahmen des Erasmus+-Förderprogramms
ii
Im Zuge des Projekts wurden Handbücher für Trainer:innen und für Väter entwickelt. Diese stehen kostenfrei zum Download zur
iii
Anhand dieser Handlungsarten unterteilt Palkovitz father involvement weiter in das inventory of father involvement (IFI) (vgl. Hawkins
et al. 2002: 189f.).
iv
Insbesondere ist die Verfügbarkeit von Vätern aufgrund der Limitation von sozialen Kontakten während des Ermittlungsverfahrens
eingeschränkt.
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Über die Autor:innen
Marion Neunkirchner, BA MA
Forscht als Soziologin bei VICESSE Research GmbH zu Gewalt, Gefängnis, Digitalisierung und
Technik. Hat BA Soziale Arbeit (FH Campus Wien) und MA Soziologie (Universität Wien) studiert, nun
Dissertantin in Soziologie (Universität Wien). War Sozialarbeiterin im Strafvollzug (2015–2023) und
ist seit 2024 in der Lehre (Techniksoziologie, FH Technikum Wien) tätig. Forschungsschwerpunkt:
Strafvollzug.
Emanuel Tananau Blumenschein, BA
Arbeitet als Researcher bei VICESSE Research GmbH zu den Themen Häusliche Gewalt und
Geschlecht. Studiert hat Emanuel Sinologie und Politikwissenschaften an der Universität Wien mit
dem Schwerpunkt Partizipation in Autoritären Regimen.