Hubert Höllmüller. Editorial Online-Journal soziales_kapital. soziales_kapital, Bd. 30 (2025). Rubrik:
30. Ausgabe 2025
Hard-To-Reach or No Access?
Editorial Online-Journal soziales_kapital
Hubert Höllmüller (Standort: Feldkirchen) für die Redaktion
„Hard-to-Reach“, schwer zu erreichen – jede Zielgruppe Sozialer Arbeit, die deren Angebote und
die Strukturen des Sozialstaats nicht anstandslos aufgreift und nutzt bzw. diesen fernbleibt, lässt
sich mit diesem Fachbegriff „einfangen“, zumindest diskursiv. Grund genug, um das zum Thema
zu machen.
Als Konzept erster Wahl für „Hard-to-reach“-Zielgruppen gilt Streetwork, aufsuchende
Soziale Arbeit ohne Kontrollauftrag. Martina Beham-Rabanser, Daniela Wetzelhütter und Heidemarie
Pöschko präsentieren die Ergebnisse einer 2022 und 2023 durchgeführten Zufriedenheitsstudie,
die mit Adressat*innen des Streetwork-Angebots in Oberösterreich durchgeführt wurde. Ihnen
zufolge verweist die Studie auf die hohe Bedeutung von einerseits einem gut vorbereiteten Zugang
zum Feld und andererseits von der Verzahnung von Sozialforschung und dem Handlungsfeld
auf unterschiedlichen Ebenen. Der zweite zentrale Fachbegriff zu „Hard-to-Reach“-Gruppen
ist der der Niederschwelligkeit. Diesen nehmen David Neusteurer und Elisabeth Hammer
vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Krisendynamiken in den Blick, welche die
Widerstandsfähigkeit individueller und institutioneller Netze der sozialen Sicherung herausfordern.
Die Autor*innen beschreiben fachliche Grundlagen für niederschwellige Arbeit aus der Perspektive
einer Sozialorganisation in Wien und plädieren für eine Integration in die Funktionsweise sozialer
Sicherungssysteme.
Sarah Wallraff diskutiert das Phänomen „hard-to-reach“ mit Blick auf queere Personen, die
in einem überdurchschnittlichen Maß von Wohnungslosigkeit betroffen sind und zugleich von der
Wohnungslosenhilfe nicht ausreichend unterstützt werden. Sie zeichnet nach, inwiefern queere
Personen mit strukturellen Hürden, Diskriminierung und einem Mangel an queerspezifischem
Wissen konfrontiert sind. Hubert Höllmüller, ebenfalls mit dem Verfassen des Editorials betraut, das
Sie, geschätzte Leser*innen, gerade vor sich haben, reflektiert das Thema dieser 30. Ausgabe von
soziales_kapital auf der Metaebene. Er schlägt in seinem Beitrag vor, die Bezeichnung „hard-to-
reach“ als Etikett zu verstehen und sie entsprechend zu dekonstruieren. Ausgangspunkt dafür ist die
kritische Auseinandersetzung mit der Frage, ob die eingeschränkte Erreichbarkeit von Zielgruppen
an diesen selbst liegt oder an den Strukturen und Arrangements der Sozialen Arbeit. Die für die
Soziale Arbeit spezifische Feldkompetenz, wie beispielsweise in der Streetwork umgesetzt und als
erfolgreiche Niederschwelligkeit verstehbar, macht das Problem des Zugangs – bis auf Ausnahmen
–als Frage nach (fehlenden) Aufträgen und Ressourcen kenntlich.
In der Rubrik „Sozialarbeitswissenschaft“ analysieren Anna Gamperl, Joachim Schmid und
Julia Stiller den Begriff „Sozialtherapie“ und dessen uneinheitliche Verwendung. Sie haben erforscht,
welche Methoden und Techniken in Wiener Sozialeinrichtungen überhaupt als „sozialtherapeutisch“
bezeichnet werden. Die Autor*innen zeigen auf, dass das Label vielfach unspezifisch verwendet wird
und viele der darunter subsumierten Interventionen andere inhaltliche Schwerpunkte aufweisen.
Gregor Husi widmet sich in seinem Text der theoretischen Fundierung der Grünen Sozialen Arbeit und
fragt, inwieweit die wissenschaftliche Ökologie von der Sozialen Arbeit als weitere Bezugsdisziplin
wahrgenommen werden muss. Mit Schwerpunkt auf die Politische Ökologie als Nachfolgerin der
Kritischen Theorie werden Machtbeziehungen und Interessenlagen ins Zentrum gerückt.
Helmut Spitzer definiert Sterben, Tod und Trauer als Querschnittsmaterie und Kernthemen
Sozialer Arbeit. Er macht in seinem Beitrag deutlich, dass der fachgerechte Umgang mit diesen
Themen fachspezifischen Wissens, professioneller Kompetenzen und einer authentischen
Grundhaltung bedarf. In einem weiteren Beitrag beschreiben Eberhard Raithelhuber und Marija
Mitic das Soziale Mentoring als wachsendes Modell der sozialen Intervention in Europa. Basierend
auf einer aktuellen Studie stellt ihr Artikel Überlegungen darüber an, welche Bedeutung solche
Tandem- und Patenschaftsprogramme für die Soziale Arbeit haben (können). Zu guter Letzt berichten
Marlies Wallner, Viktoria Stifter und Regina Scheitel über das Forschungsprojekt „Uni4Equity“, das
untersucht, wie Hochschulen ihre Strukturen, Präventionsmaßnahmen und Reaktionsmechanismen
verbessern können, um sexuelle Belästigung effektiver zu erkennen, diese zu erfassen und ihr
entgegenwirken zu können. Aufbauend auf den Forschungsergebnissen stellt der Beitrag zentrale
Handlungsempfehlungen für Hochschulen vor.
In der Rubrik „Junge Wissenschaft“ präsentieren Viktoria Kasser, Angelika Koller und
Eva Mantler ausgewählte Ergebnisse zweier Masterarbeiten zum Thema Inklusion. Die Arbeiten
dokumentieren die Barrieren und Hürden für Studierende im Studiengang Soziale Arbeit und
formulieren darauf aufbauend Handlungsempfehlungen. Eine diversitätsorientierte Gestaltung
des Studiengangs Soziale Arbeit ist für die Autorinnen notwendig, um sowohl unterschiedliche
Erfahrungswelten einzubeziehen als auch dem professionsethischen Anspruch gerecht zu werden.
Angelika Felder, Julia Reiner und Fabian Rebitzer beschreiben in der Rubrik „Nachbarschaft“
Befunde aus zwei qualitativen Partizipationsprojekten, in denen gefragt wurde, warum und mit
welchenErwartungensichMenschenanPartizipationsprojektenbeteiligenundwelcheAuswirkungen
eine solche Teilnahme auf die Beteiligten sowie deren soziale Umwelt und ihr Verhältnis zu dieser
hat. Den Abschluss unternimmt Antje Haussen Lewis, die die Publikation Vom Fall zur Situation.
Zugänge und Positionen zum professionell-methodischen Handeln in der Sozialen Arbeit bespricht,
die von Alexander Brunner, Anja Bischeltsrieder und Gabriele Wild herausgegeben wurde und 2025
im Löcker Verlag erschienen ist.