Sarah Wallraff. Queer, obdachlos und abgewiesen. Die Wohnungslosenhilfe als Gatekeeperin. soziales_
30. Ausgabe 2025
Hard-To-Reach or No Access?
Queer, obdachlos und abgewiesen
Die Wohnungslosenhilfe als Gatekeeperin
Sarah Wallraff
Zusammenfassung
Queere Personen sind in einem überdurchschnittlichen Maß von Wohnungslosigkeit betroffen.
Zugleich werden sie von der Wohnungslosenhilfe nicht ausreichend unterstützt und sind hier mit
strukturellen Hürden, Diskriminierung und einem Mangel an queerspezifischem Wissen konfrontiert.
Dieser Beitrag analysiert, inwiefern das Unterstützungssystem queere – und insbesondere
ti*n – Personen exkludiert. Er plädiert für umfassende Verbesserungen auf programmatischer,
einrichtungsbezogener und konzeptioneller Ebene, um Zugänge zu erleichtern, Schutzräume
zu schaffen und diskriminierungsfreie, inklusive Strukturen zu etablieren. Im Mittelpunkt der
Argumentation stehen die Erkenntnisse aus dem Positionspapier Queering der Wohnungslosenhilfe
der AG Queere WWH.
Schlagworte: obdachlos, Wohnungslosenhilfe, LGBTI*QNA+, queerfeindlich, transfeindlich,
Diskriminierung, queerspezifisch
Abstract
Queer people are disproportionately affected by homelessness. Concurrently, they frequently lack
adequate support from homelessness services and encounter structural impediments, including
discrimination and a lack of queer-specific knowledge. This article examines the extent to which
the support system excludes queer – particularly ti*n –individuals and advocates for comprehensive
improvements at the programmatic, institutional, and conceptual levels. The objective of this
initiative is threefold: to enhance accessibility, to create safer spaces, and to establish inclusive,
non-discriminatory structures. The article is based on the findings presented in the position paper
Queering der Wohnungslosenhilfe by the AG Queere WWH.
Keywords: homeless, homeless sector, LGBTI*QNA+, queerphobia, transphobia, discrimination,
queer
1
Einleitung
In Gesprächen mit Kolleg*innen und Entscheidungstragenden ist hinsichtlich des Ausbaus und der
Schaffung queerspezifischer Angebote in der Wohnungslosenhilfe immer wieder zu hören, dass die
bestehenden Einrichtungen in Österreich ohnehin „offen für alle sind“, dass „alle gleich behandelt
werden“ und dass „Menschen so akzeptiert werden, wie sie sind“. Oberflächlich betrachtet ist
dieser gute Wille durchaus löblich, das dahinterstehende Denken ist jedoch verkürzt: Es basiert
auf der Verwechslung von Gleichberechtigung (equality) und Gerechtigkeit (equity). Erstere
bedeutet, dass alle ungeachtet bestehender Unterschiede gleich behandelt werden. Die bloße
Toleranz gegenüber Verschiedenheit reicht jedoch nicht aus, um wirksam zu helfen (vgl. Gaetz
2017: 313): „In einer heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft, in der Trans- und Queerfeindlichkeit
weit verbreitet sind, genügt es nicht, dass LGBTI*QNA+ Personen in bestehenden Einrichtungen
bloß geduldet werden.“ (AG Queere WWH 2024: 8) Gerechtigkeit geht daher über den Anspruch
hinaus, alle gleich zu behandeln, und bezieht sich auf den Grundsatz der Fairness. Gerechtigkeit
bedeutet demnach, die unterschiedlichen Grundvoraussetzungen von Menschen – ihre Privilegien
und Diskriminierungserfahrungen – anzuerkennen und dafür zu sorgen, dass ihre Bedürfnisse
entsprechend ihren spezifischen Erfahrungen und Umständen erfüllt werden. Gerechtigkeit erkennt
also auch an, dass strukturelle Faktoren wie Rassismus, Sexismus, Queer- und Transfeindlichkeit
existieren und zusätzliche Herausforderungen für die Betroffenen schaffen. Das bedeutet, dass
im Sinne des Strebens nach Gerechtigkeit keine adäquate und effektive Unterstützung queerer
Personen im Wohnungslosenbereich möglich ist, ohne deren erhöhte Vulnerabilität sowie deren
spezifische Bedarfe zu berücksichtigen (vgl. Gaetz 2017: 313). Die queere Community ist dabei
keine homogene Gruppe, da natürlich auch queere Personen unterschiedliche Erfahrungen machen
und verschiedene Bedürfnisse haben (vgl. AG Queere WWH 2024: 7).
Bisher gibt es keine Statistiken und kaum empirische Studien zu queeren obdach- und
wohnungslosen Personen im deutschsprachigen Raum, weshalb ich mich in diesem Beitrag
in erster Linie auf Publikationen aus dem anglo-amerikanischen Raum, Kanada und anderen
europäischen Ländern stütze. Ein großer Teil der aktuellen Forschungsarbeiten konzentriert sich
vorrangig auf obdach- und wohnungslose Jugendliche oder junge Erwachsene (vgl. Habringer/Wild/
Bischeltsrieder/Scharf 2023: 9). In diesem Beitrag beziehe ich darüber hinaus Fachliteratur ein, die
Personen aller Altersgruppen in den Blick nimmt. Grundsätzlich sind die Problemlagen international
ähnlich gelagert und Lösungsansätze lassen sich an vielen Stellen auf die Wohnungslosenhilfe in
Österreich übertragen. Studienübergreifend zeigt sich, dass queere – insbesondere trans, inter* und
nicht-binäre – Personen überproportional häufig von Obdach- und Wohnungslosigkeit betroffen und
alsbesondersvulnerabelanzusehensind.ZudiesemErgebniskommtetwadiekürzlichveröffentlichte
Studie Wohnungs- und Obdachlosigkeit von LSBTIQ+ Personen in Berlin (vgl. SenASGIVA 2024: 1,
21) und die Befragung der Europäischen Region der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans
and Intersex Association (ILGA-Europe) aus dem Jahr 2019. Letztere erhob, dass insgesamt 17%
der LGBTI*QNA+ Personen und dabei 34% der inter* Personen, 26% der trans Frauen, 25% der
trans Männer sowie 26% der nicht-binären Personen in Europa wohnungslos waren oder sind (vgl.
FEANTSA/ILGA-Europe 2023: 3). Ebenso schätzt die European Federation of National Organizations
working with the Homeless (FEANTSA), dass 0,2% der EU-Bevölkerung im Jahr 2023 entweder im
Freien oder in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe lebte, während dies für 3,1% der queeren
Personen zutraf (vgl. FEANTSA 2024: 2). Der Forschungsbericht LGBTIQ+ in der (niederschwelligen)
Wiener Wohnungslosenhilfe schätzt die Zahl obdach- oder wohnungsloser LGBTI*QNA+ Personen
in Wien auf maximal 50 Personen (vgl. Habringer et al. 2023: 13). Rechnerisch und aufgrund der
Arbeits-Erfahrung in der Wiener Wohnungslosenhilfe geht die AG Queere WWH jedoch davon aus,
dass mehr als 14 Mal so viele obdach- und wohnungslose queere Personen in Wien leben (vgl. AG
Queere WWH 2024: 6).
Diese Zahlen sprechen für sich und verdeutlichen die Prekarität queerer Personen. Zugleich
nimmt die Diskriminierung und Gewalt gegenüber Queers weltweit zu, Europa wird zu einem immer
gefährlicheren Ort für queere und insbesondere ti*n Personen (vgl. FRA 2024: 1). 2022 war mit
steigenden Angriffen, Morden und zwei Terroranschlägen auf die LGBTI*QNA+ Community für
diese das Gewalt-intensivste Jahr in Europa seit über einem Jahrzehnt. In Österreich sind die
Hassverbrechen gegenüber LGBTI*QNA+ Personen 2023 um 20% gestiegen (vgl. BMI 2024: 89)
und auch das Jahr 2025, in dem hierzulande ein Netzwerk der rechtsradikalen Szene aufgedeckt
wurde, das wohl monatelang queerfeindlich motivierte körperliche Angriffe auf zahlreiche Personen
verübt hat,i
verheißt nichts Gutes (vgl. DÖW 2025). All das geschieht nicht in einem Vakuum. Solche
Angriffe werden durch zunehmende Hassreden und das Erstarken der Rechten in Europa genährt
und schaffen ein immer feindlicheres Klima für queere Personen. Als Folge verschlechtert sich auch
die sozioökonomische Situation dieser Personengruppe, insbesondere durch Diskriminierung auf
dem Arbeitsmarkt, finanzielle Unsicherheiten und die erhöhte Wahrscheinlichkeit, obdachlos zu
werden (vgl. Stakelum 2023: 3).
Trotz dieser negativen Entwicklungen rücken queere Lebenswelten verstärkt in den
Fokus öffentlicher Debatten und gewinnen an Bedeutung im internationalen wissenschaftlichen
Diskurs sowie in der Forschung. Immer mehr Länder setzen Angebote für die Zielgruppe und
orientieren sich dabei an europäischen und globalen Entwicklungen (vgl. ebd.). In Österreich sind
queerspezifische Angebote in der Wohnungslosenhilfe im Vergleich zu Ländern wie Kanada, Italien
oder Frankreich noch kaum etabliert. Trotz offenkundigem Bedarf fehlen hier praktische Schritte zur
adäquaten Versorgung und es gibt bisher wenige konkrete Verbesserungen (vgl. Verband Wiener
Wohnungslosenhilfe 2023: 29).
Die Unterstützungsangebote der Wohnungslosenhilfe in Österreich reichen von sehr
niederschwelligen kurzfristigen Angeboten, wie Notschlafstellen, über langfristigere, aber befristete
Unterbringungen, wie etwa in Chancenhäusern, bis hin zu dauerhaftem Wohnen durch Mobil
betreutes Wohnen und Housing First. Letztere sind jedoch an Voraussetzungen wie den Anspruch
auf Sozialleistungen und Perspektiven geknüpft, weshalb viele Personen keinen Zugang dazu
haben. Innerhalb der Wohnungslosenhilfe in Österreich existieren einige wenige Einrichtungen,
die offiziell oder inoffiziell als queersensibel und/oder offen für ti*n Personen gelten, der Großteil
blendet die Existenz queerer Klient*innen und deren Bedarfe jedoch weitgehend aus. So gibt
es – abgesehen von der Queer Base, die jedoch ausschließlich geflüchteten queeren Personen
zugänglich ist – derzeit keine einzige queerspezifische Wohnungsloseneinrichtung in Österreich –
weder im Beratungskontext noch als Unterkunft.
2
Arbeitsgruppe Queere Wiener Wohnungslosenhilfe
Die Notwendigkeit einer fachlichen Ausrichtung auf diese spezifische Zielgruppe zeigt sich sehr
deutlich in der täglichen Praxis als Basismitarbeitende im Wohnungslosenbereich, aber auch
mit Blick auf wissenschaftliche Publikationen. Die bestehende Versorgungslücke innerhalb der
Wohnungslosenhilfe wird ebenfalls im Positionspapier Queering der Wohnungslosenhilfe der AG
Queere WWH betont, das 2024 veröffentlicht wurde. Die AG Queere WWH – deren Teil ich bin
– entstand aus der LGBTIQA+ Vernetzung der Wiener Wohnungslosenhilfe. Diese Vernetzung
formte sich vor vier Jahren, um einen Austausch zwischen Basismitarbeitenden der Wiener
Wohnungslosenhilfe über queere Wohnungslosigkeit zu ermöglichen. In diesem Rahmen hat
sich die AG Queere WWH zusammengefunden, um die Aufmerksamkeit auf die Bedarfe queerer
obdach- und wohnungsloser Personen zu lenken und um die Wohnungslosenhilfe auf allen Ebenen
dahingehend zu verändern. Unser Wissen basiert auf praktischer Erfahrung in der Arbeit mit
Klient*innen und vertiefte sich durch die theoretische Auseinandersetzung mit bestehenden Texten
und Theorien. Wir alle definieren uns als queer und Allies (vgl. AG Queere WWH 2024: 5).
Das Positionspapier dient als schriftliche Grundlage, um im fachlichen Diskurs ernst
genommen zu werden sowie Forderungen an Träger, Fördergebende und Politik zu stellen. Es
gibt Mitarbeitenden im Wohnungslosenbereich zudem eine Wissenssammlung und konkrete
Empfehlungen an die Hand, mit denen sie Einrichtungen queerfreundlicher gestalten können.
Durch die Breite der Forderungen und die Vielzahl der behandelten Themen, die zum Teil auch
über die Wohnungslosenhilfe hinausgehen, bietet das Positionspapier auch wichtige Impulse
für andere Handlungsfelder der Sozialen Arbeit (vgl. obds 2024). Seit der Veröffentlichung des
Positionspapiers wurde dieses von großen Teilen der Wiener Wohnungslosenhilfe wahrgenommen
und Elemente davon wurden umgesetzt. Durch Interviews, Vorträge, Workshops und Gespräche
mit Entscheidungstragenden sowie alternative Methoden in Form von Bündnissen in der linken
Szene, Social-Media-Präsenz und eine Sticker-Aktion gelingt es uns, unseren Anliegen auch über
die Wohnungslosenhilfe hinaus Gehör zu verschaffen.
3
Queer und abgewiesen
In dieser Ausgabe von soziales_kapital geht es um die Frage: „Hard-to-reach or no access?“
Doch was bedeutet das teils inflationär verwendete Label hard-to-reach überhaupt? Bei der
Auseinandersetzung mit Hard-to-reach-Klient*innen geht es oft um die vermeintliche Schwierigkeit,
mit diesen zu arbeiten. Dieser Fokus vermittelt jedoch den Eindruck, dass etwas mit den Betroffenen
nicht stimmt, weshalb ihnen ein negatives Bild anhaftet. Allgemein und insbesondere in Bezug auf
queere Klient*innen liegen die Schwierigkeiten aber zumeist nicht an den betroffenen Individuen,
sondern im defizitären und diskriminierenden Unterstützungssystem: Sie sind nicht hard-to-
reach, sondern ihnen wird vielfach schlichtweg der Zugang zu Unterstützung verwehrt. Nicht die
Klient*innen sind also schwer zu erreichen, sondern die Wohnungslosenhilfe selbst. Dies muss
festgehalten werden, um eine folgenschwere Verschiebung der Verantwortung zu vermeiden. Denn
am Ende des Tages tragen wir Mitarbeitenden der Wohnungslosenhilfe und vor allem auch Träger,
Fördergebende und Politik die Verantwortung für eine adäquate Unterstützung der Betroffenen (vgl.
Mayrhofer 2012: 153).
3.1 Fehlende queerspezifische Angebote
Die Wohnungslosenhilfe in Wien – insbesondere im Bereich niederschwelliger Angebote – ist
in der Regel binär organisiert: Es gibt getrennte Räume für Frauen und für Männer. Schon die
Nichtexistenz von Räumen für Personen, die aus der normativen Zweigeschlechtlichkeit fallen, ist
per se exkludierend. Denn damit haben ti*n Personen oft keinen Zugang zu Unterstützung und
Unterkünften (vgl. AG Queere WWH 2024: 11).
Auch wenn viele Mitarbeitende der Wiener Wohnungslosenhilfe versuchen, Ausnahmen
und Zwischenräume für ti*n Personen zu schaffen, ist es de facto meist so, dass Betroffene sich
entscheiden müssen, ob sie einen „Männerplatz“ oder einen „Frauenplatz“ wollen. Häufig werden
sie auch von Einrichtungen abgewiesen, weil bspw. ihr Erscheinungsbild als ‚nicht weiblich genug‘
für die Unterbringung in einer Frauennotschlafstelle angesehen wird. Oft besteht die unterschwellige
und manchmal auch ausdrückliche Erwartung, dass eine Person ‚wie eine Frau aussehen‘ und sich
‚weiblich‘ verhalten muss, um ein frauenspezifisches Angebot in Anspruch nehmen zu können (vgl.
Asmussen 2023: 22). Was Frau-Sein und Weiblichkeit bedeutet, das unterliegt dabei der subjektiven
Einschätzung der Diensthabenden. Eine betroffene trans Frau in Deutschland sagt dazu: „Wenn du
es schaffst, in den Frauenbereich zu kommen, hast du den Schutz, wenn nicht, hast du halt Pech
gehabt. FrauenräumesindgleichzeitigSchutzundAusgrenzung.“(BAGWohnungslosenhilfe2021:2)
Wenn Menschen nicht den gesetzten Normen entsprechen, kann es also zu Abweisung
und Exklusion in der Wohnungslosenhilfe kommen. Hetero- und Cisnormativität in Kombination
mit Diskriminierungserfahrungen und dem daraus resultierenden Misstrauen führen dazu, dass
Betroffene zögern, Unterstützung durch das Sozialsystem in Anspruch zu nehmen. Queere
Personen nehmen schnell wahr, ob ihre Abweichung von den bestehenden Geschlechts- und
Sexualitätsnormen in einer Einrichtung als irritierend, abnorm oder unverständlich wahrgenommen
wird (vgl. Asmussen 2023: 19).
3.2 Unverständnis und fehlendes Wissen
Der beschriebene willkürliche Umgang mit ti*n Personen hängt stark mit mangelndem Wissen
und Verständnis für diese Zielgruppe zusammen. Basismitarbeitende verfügen oftmals nicht
über die Fähigkeit und Kompetenz, mit Klient*innen über Thematiken wie sexuelle Orientierung,
Geschlechtsidentität, Geschlechtsmerkmale und Geschlechtsausdruck zu sprechen (vgl. FEANTSA
2023: 16). Sie sind „häufig entweder nicht geschult, nicht bereit oder nicht in der Lage dazu,
Diskriminierungen zu unterbinden. Die spezifische, vulnerable Situation der LSBTIQ+ Personen
wird in solchen Unterkünften häufig nicht gesehen oder ignoriert“ (SenASGIVA 2024: 80).
Das unzureichende Wissen der Mitarbeitenden führt bei Betroffenen zu Ängsten vor
Fehlinformationen, mangelnder Sensibilität und Fremd- oder Zwangsoutings. Zudem führen die
Wissenslücken dazu, dass die Bedarfe queerer Klient*innen ausgeblendet und in Folge keine
adäquaten Lösungen für deren weitere Versorgung, Unterbringung und Beratung gefunden werden.
Queere Nutzer*innen werden somit unsichtbar gemacht und verlassen Wohnungsloseneinrichtungen
oft schnell wieder, da sie sich unverstanden und zurückgewiesen fühlen oder aus diesen verdrängt
werden. Als Konsequenz gehen sie besonders häufig Abhängigkeitsverhältnisse oder prekäre
Wohnverhältnisse ein, um Diskriminierung und Gewalt in den Einrichtungen zu entgehen (vgl. Bauer/
Pyne/Francino/Hammond 2013: 43; Asmussen 2023: 21).
Fehlendes Wissen kann außerdem dazu führen, dass Betroffenen entscheidende Chancen
verwehrt werden. In Bezug auf die Wiener Wohnungslosenhilfe lässt sich sagen, dass Zugänge
stark vom Wissen und dem sozialen Netz der zuständigen Mitarbeitenden abhängen. So gibt es
unserer Erfahrung als AG Queere WWH nach genug Sozialarbeitende, die nicht über die wenigen
Plätze, die für ti*n Personen vorgesehen sind, informiert sind. Dies liegt zum Teil auch an fehlender
Transparenz der bestehenden Angebote, bspw. werden die fünf ti*n Plätze, die seit letztem Jahr in
den Chancenhäusern existieren, nicht wie der Rest der Chancenhaus-Plätze im Reservierungs-Tool
angezeigt. Zusätzlich gibt es auch viele informelle Lösungen, die teils über persönliche Kontakte
laufen und die nur von informierten Sozialarbeitenden angefragt werden können.
Die gleiche Problematik besteht, wenn es um die Vermittlung von anderen Angeboten geht.
So gab es kürzlich eine entscheidende Änderung bei der Zuweisung geförderter betreuter Wohn-
plätze vom Beratungszentrum Wohnungslosenhilfe (bzWo) in Wien. Ti*n Personen werden nun
– ähnlich wie cis Frauen – automatisch vorgereiht und auf die Akut-Warteliste gesetzt (vgl. AG
Queere WWH: 43). Außerdem wird bei bzWo-Anträgen auch die Zugehörigkeit zu weiteren
Identitätskategorien des LGBTI*QNA+ Spektrums berücksichtigt, wobei erhöhte Vulnerabilität
aufgrund der sexuellen Orientierung nach Prüfung zu einem Vorzug führen kann. Die Bewertung
der Mitarbeitenden beim bzWO beruht allerdings großteils auf den Informationen, die sie von den
antragstellenden Einrichtungen über den*die Nutzer*in erhalten. Hier gibt es wiederum genug
Sozialarbeitende, die nichts von der ti*n Vorreihung wissen und dieses Kriterium daher nicht
(ausreichend) im bzWO-Antrag ausführen.
Queerspezifisches Wissen ist ebenso entscheidend, wenn es um die Vermittlung von
medizinischen und psychologischen Angeboten geht. Wohnungs- und obdachlose Klient*innen
haben grundsätzlich nur Zugang zu gender affirming care,ii wenn sie versichert sind, und sind
außerdem oft abhängig vom Wissen und Bemühen des*r zuständigen Sozialarbeitenden, sie auf
diesem komplizierten und bürokratischen Weg (Personenstandsänderung, therapeutischer und
diagnostischer Prozess etc.) zu begleiten.
3.3 Mangelnde Erfassungsmöglichkeiten
Mangelnde Datenerfassungsmöglichkeiten können ein Grund für die Verwehrung von Zugang zum
Unterstützungssystem für queere obdach- und wohnungslose Personen sein. Wenn eine Institution
keine oder ungenaue Daten über die sexuelle oder Geschlechtsidentität erhebt, kann dies als
„institutional erasure“ (Abramovich 2016: 88) bezeichnet werden, also die institutionelle Auslöschung
von queeren Personen durch Maßnahmen und Praktiken, denen heteronormative und cisnormative
Annahmen zugrunde liegen. Das ist unter anderem der Fall, wenn auf Formularen ausschließlich
„männlich“ oder „weiblich“ auszuwählen ist und es kein entsprechendes Datenerfassungssystem
gibt, in dem LGBTI*QNA+ Personen aufscheinen. Auf die Frage, wie viele queere Personen bei
ihnen aufgetaucht sind, wissen Mitarbeitende in Institutionen der Wohnungslosenhilfe dann
entweder keine Antwort oder sagen sogar aktiv, dass es bei ihnen keine queeren obdach- und
wohnungslosen Personen gibt (vgl. FEANTSA/ILGA-Europe/True Colours United/Council of Europe
2019: 16). Dies ist auch in den meisten Wohnungsloseneinrichtungen in Wien der Fall. In der Praxis
führt das sogar zu Problemen bei der Reservierung von passenden Notschlafplätzen und dazu,
dass queere Personen und ihre Bedürfnisse ignoriert und unsichtbar gemacht werden.
3.4 Diskriminierung und Gewalt in Wohnungsloseneinrichtungen
Diskriminierung und Gewalt innerhalb der Wohnungslosenhilfe stellen große Hindernisse beim
Zugang dar. Laut der kürzlich veröffentlichten Studie Wohnungs- und Obdachlosigkeit von LSBTIQ+
Personen in Berlin geben 49% der 179 befragten Personen an, dass in Angeboten der Berliner
Wohnungslosenhilfe Bezeichnungen wie schwul, lesbisch und trans auf negative Weise verwendet
wurden, bspw. durch Aussprüche wie „schwule Sau“, „Kampflesbe“, „Transe“ oder „Tunte“.
35% berichten von gezielten Beschimpfungen von (vermuteten) queeren Personen, ebenso viele
haben andere Arten von Diskriminierung gegenüber queeren Personen mitbekommen. 9% haben
körperlicheGewaltund7%sexualisierteGewaltgegenüberqueerenPersonenerlebt(vgl.SenASGIVA
2024: 41). Aufgrund dieser Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen nehmen queere Personen
selten die Angebote der Wohnungslosenhilfe in Anspruch, wobei insbesondere ti*n Personen aus
Scham und Angst vor Übergriffen und Diskriminierung abgehalten werden (vgl. ebd.: 53; BAG
Wohnungslosenhilfe 2021: 2, 6). Diese negativen Erfahrungen sind nicht auf Berlin beschränkt,
denn Betroffene in Wien haben in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe ähnliches erfahren und
auch Untersuchungen aus Irland, Dänemark, Frankreich, dem Vereinigten Königreich, Kanada und
den USA zeigen immer wieder, dass LGBTI*QNA+ Personen Diskriminierung und Gewalt innerhalb
sozialer Einrichtungen erleben (vgl. Habringer et al. 2023: 19, 21; FEANTSA 2023: 3).
Das Personal der Wohnungsloseneinrichtungen ist dabei selbst Teil des Problems. Denn
neben Unverständnis und dem fehlenden Wissen über die Zielgruppe, geht zum Teil auch von
Mitarbeitenden (verbale) Gewalt aus – Betroffene können Ablehnung und Feindseligkeit vonseiten
des verantwortlichen Personals erfahren, obwohl dieses unterstützend zur Seite stehen sollte
(vgl. SenASGIVA 2024: 80). So kommt es dazu, dass in Institutionen der Wohnungslosenhilfe
Unterdrückung, Marginalisierung und soziale Ausgrenzung häufig aufrechterhalten oder sogar
verstärktwerden(vgl.Abramovich2016:86).BetroffeneKlient*innenalshard-to-reachzubezeichnen,
klingt vor diesem Hintergrund geradezu nach einer Verhöhnung. Es ist kein Wunder, dass Betroffene
Wohnungsloseneinrichtungen angesichts derart schlechter Erfahrungen meiden. Und wir müssen
uns vor Augen führen, was es bedeutet, wenn Personen sich auf der Straße sicherer fühlen als in
einem Unterstützungssystem, das ihnen eigentlich Schutz gewähren sollte.
4
How-to-reach
Die Wohnungslosenhilfe ist für queere obdach- und wohnungslose Personen derzeit schwer
erreichbar, weshalb sich die Frage nach dem how-to-reach stellt (siehe dazu: Niebauer 2015). Um
dem Bedarf der Zielgruppe gerecht zu werden und eine diskriminierungssensible und inklusive
Wohnungslosenhilfe zu schaffen, braucht es umfassende Veränderungen auf mehreren Ebenen:
bei Einrichtungen, Trägerorganisationen und Fördergebenden. Wie das in der Praxis erfolgen kann,
haben wir in unserem Positionspapier Queering der Wohnungslosenhilfe detailliert beschrieben –
die konkreten Schritte können dort nachgelesen werden. Im Folgenden möchte ich ausgewählte
Maßnahmen vorstellen, welche die Schaffung von LGBTI*QNA+ inklusiven Angeboten befördern
können.
4.1 Konzeptionelle und Handlungsebene
Der Umgang und das Auftreten der Mitarbeitenden spielen eine entscheidende Rolle dabei, der
ZielgruppeeinenleichterenZugangundeinmöglichstsicheresAnkommenzuermöglichen.Besonders
wichtig ist eine diskriminierungsfreie, einfühlsame und respektvolle Grundhaltung (vgl. Doyle 2017:
186). Maßnahmen für die Schaffung einer solchen Grundhaltung sollten bereits im Kontext der
jeweiligen Ausbildung gesetzt werden. In Stellenausschreibungen sollte gezielt nach queeren oder
queerfreundlichen Mitarbeitenden gesucht und deren Haltung im Onboarding abgefragt werden
(vgl. AG Queere WWH 2024: 20, 24). Alle Mitarbeitenden sollten – ähnlich wie bei verpflichtenden
Erste-Hilfe-Kursen – queerspezifische Schulungen durchlaufen; so kann eine diversitätssensible
und diskriminierungskritische Haltung gefördert bzw. entwickelt werden. Um die erforderlichen
Wissensstandards zu etablieren, ist eine Aufstockung des Fort- und Weiterbildungsbudgets für die
Einrichtungen notwendig (vgl. ebd.: 24–25, 67).
Die Schaffung eines queersensiblen und diskriminierungskritischen Umfelds muss auch
auf Ebene des physischen Raums umgesetzt werden. Visuelle Gestaltung und Symbole prägen
Räume maßgeblich mit. Um die in der jeweiligen Einrichtung praktizierte Haltung auf einen Blick
zu verdeutlichen, sollten queere Symbole, etwa Pins mit Namen und Pronomen, Pride-Sticker oder
Flaggen, gut sichtbar angebracht werden. Queers, die diese Räume betreten, können sich dadurch
gesehen und akzeptiert fühlen (vgl. ebd.: 20).
Träger und Einrichtungen sollten außerdem praxisnahe Leitbilder entwickeln, die vorgeben,
wie Menschen innerhalb der Einrichtungen miteinander umgehen sollen. Darin muss eine klare
Position gegen Diskriminierung bezogen werden. Das Leitbild sollte sich stets in der Arbeit, im
Verhalten und in der Sprache der Mitarbeitenden widerspiegeln (vgl. ebd.: 19–20). Dafür braucht
es auch Leitfäden für die Gesprächsführung und Dokumentation, die Orientierung und Sicherheit
im Arbeitsalltag geben können. Ein Beispiel für einen hilfreichen Leitfaden ist etwa der Pronomen-
Check, bei welchem dem Gegenüber die Möglichkeit gegeben wird, die bevorzugten Pronomen
anzugeben. Zudem muss sichergestellt werden, dass alle schriftlichen Unterlagen, wie Datenschutz-
und Betreuungsvereinbarung, in gendersensibler Sprache verfasst sind und die Möglichkeit bieten,
verschiedene oder keine Pronomen zu wählen (vgl. ebd.: 21–22).
DarüberhinausmüssenTrägerDokumentationssystemebereitstellen,dieeinegenderneutrale
Erfassung von Daten ermöglichen und bestenfalls die Option bieten, neben behördlichen Daten den
selbstgewählten Namen und das Geschlecht anzugeben, mit dem sich die Person identifiziert (vgl.
ebd.: 66). Gewählte Namen und Pronomen sollten nach Abstimmung mit der betroffenen Person
im Dokumentationssystem erfasst und Team-intern weitergegeben werden, um diskriminierende
Ansprachen zu vermeiden. Auch für diese Angelegenheiten sind instruierende Leitfäden hilfreich
(vgl. ebd.: 22). Des Weiteren müssen Formulare- und Zuweisungsscheine so inklusiv gestaltet
sein, dass sie verschiedene Geschlechtsoptionen zur Wahl stellen. Dabei ist es wichtig, dass diese
Optionen freiwillig gewählt werden können, denn niemand darf verpflichtet werden, eine bestimmte
Auswahl zu treffen und dadurch potentiell zwangsgeoutet zu werden (vgl. ebd.: 42–43).
Um sicherzustellen, dass queere Klient*innen in die für sie passenden Angebote – etwa mit
offener und queersensibler Haltung – vermittelt werden können, ist außerdem eine klare und leicht
zugängliche Übersicht über die aktuelle Angebotsstruktur der Wohnungslosenhilfe erforderlich (vgl.
ebd.: 23, 69). Das Wissen über queerspezifische Angebote der Wiener Wohnungslosenhilfe wird
momentan vor allem informell weitergegeben. Einrichtungen sollten ihre gelebte Aufnahmepolitik –
voralleminBezugaufti*nPersonen–jedochoffenlegenunddeutlichmachen,obbestimmteGruppen
ausgeschlossen werden, bspw. wenn eine begonnene medizinische Transition Voraussetzung für
den Zugang ist (vgl. ebd.: 23).
4.2 Einrichtungs- und Angebotsebene
In Wien stehen rund 1.000 zusätzliche Notschlafplätze des sogenannten Winterpakets aus-
schließlich während der Wintermonate für ein halbes Jahr zur Verfügung. Die ganzjährige Öffnung
der Notschlafstellen ist dringend notwendig. Vor allem für die besonders vulnerablen queeren
Klient*innen sind sie unerlässlich, da sie auf ein gewisses Maß an Kontinuität und Schutz vor
Stigmatisierung und Gewalt angewiesen sind. Langfristige Unterbringungen ermöglichen zudem
eine fortlaufende medizinische und psychologische Betreuung, einschließlich der Unterstützung
bei einer medizinischen Transition (vgl. ebd.: 44–45). Die Möglichkeit einer längeren Unterbringung
braucht es auch in Chancenhäusern. Diese sind zwar im Gegensatz zu den meisten Notschlafstellen
ganzjährig geöffnet, im Konzept der Chancenhäuser ist jedoch in der Regel eine dreimonatige
zeitliche Befristung festgeschrieben; durch Abklärungsdruck kommt es immer wieder zu kürzeren
Aufenthalten (vgl. Diebäcker/Hierzer/Stephan/Valina 2021: 28–29).
Queere–vorallemti*nKlient*innen–müssenzudemeinMitspracherechtbeiderPlatzzuteilung
in Unterbringungen bekommen. Sie dürfen nicht basierend auf ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw.
der subjektiven Einschätzung von Mitarbeitenden oder dem im Ausweis vermerkten biologischen
Geschlecht automatisch einer Frauen- oder Männerunterkunft zugewiesen werden. Es sollte den
Betroffenen ermöglicht werden, selbst zu entscheiden, welchem Raum sie sich zugehörig fühlen
und in welchem sie sich sicherer fühlen. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass trans Männer unter
bestimmten Voraussetzungen einen Frauenplatz bevorzugen, da sie dort evtl. weniger Angst vor
Übergriffen haben, ebenso wie es verständlich ist, wenn trans Frauen einen Männerplatz wählen,
um Ausschluss und Diskriminierung durch cis Frauen zu entgehen. Wenn es separate Zimmer oder
Bereiche für queere Personen gibt, bedeutet „Wahlmöglichkeit“ zudem, dass queere Klient*innen
selbst entscheiden, ob sie diese nutzen möchten (vgl. Pyne 2011: 133; AG Queere WWH 2024: 46).
In Wohnungsloseneinrichtungen werden, sofern vorhanden, Küchen sowie Sanitär- und
Aufenthaltsräume mit anderen Nutzer*innen geteilt. Solche Räume der Begegnung stellen immer
auch eine Gefahr für vulnerable Personengruppen dar. Es braucht deshalb eine durchdachte
räumliche Aufteilung, etwa in bereits bestehenden Einrichtungen eigene Bereiche für queere und
insbesondere ti*n Personen wie bspw. Gebäudeflügel oder Stockwerke (vgl. AG Queere WWH
2024: 47). Außerdem braucht es Zugang zu geschlechtsneutralen Sanitärräumen mit Privatsphäre.
Duschen in Wohnungsloseneinrichtungen sind meist Gemeinschaftsduschen, die keine Privatsphäre
und somit keinen Schutz bieten. Viele ti*n Personen fürchten die Sichtbarkeit, die mit dem Nacktsein
in Gemeinschaftsduschen verbunden ist, da sie in derlei Räumen oft Diskriminierung oder Gewalt
erlebt haben. Die Angst vor negativen Erfahrungen sorgt häufig dafür, dass Betroffene Einrichtungen
meiden oder Sanitärräume nicht nutzen (vgl. Tobisch 2019: 78; AG Queere WWH 2024: 37). Aus
diesem Grund sollten zumindest abschließbare Duschkabinen mit einem Umkleidebereich innerhalb
der Kabine zur Verfügung stehen (vgl. Habringer et al. 2023: 29). Noch sicherer sind Einzelduschen
in separaten, abschließbaren Räumen. Die meisten Wohnungsloseneinrichtungen haben außerdem
geschlechtsspezifische WCs. Es ist wichtig zu prüfen, ob diese durch All-Gender-Toiletten ergänzt
werden können. Für Gender-nonkonforme und nicht-binäre Menschen würde dies den Stress bei
der Toilettenwahl auflösen (vgl. FEANTSA 2023: 9).
Klar ist, dass die Standards – besonders in der niederschwelligen Wohnungslosenhilfe –
grundsätzlich verbessert werden müssen, um den Bedürfnissen der Klient*innen gerecht zu werden.
Ohne Rückzugsräume sind vor allem ti*n Personen ständigem Druck und Gefahr ausgesetzt. Zudem
ist eine körperliche Transition, also die Einnahme von Hormonen oder eine geschlechtsangleichende
Operation, ohne Privatraum kaum möglich. Eine Transition wird demnach meist durch die
Wohnungslosigkeit bzw. die Struktur der Einrichtungen be- und verhindert (vgl. Habringer et al.
2023: 28, 32; AG Queere WWH 2024: 31, 48). Um die Sicherheit für queere und insbesondere
ti*n Personen zu erhöhen und gegebenenfalls eine medizinische Transition zu ermöglichen, sollten
diesen Einzelzimmer mit eigenem Sanitärbereich zur Verfügung gestellt werden (vgl. AG Queere
WWH 2024: 49).
Besser als die Unterbringung in temporären Unterkünften wie Notquartieren und
Chancenhäusern ist in jedem Fall – je nach Bedarf – ein langfristiger Wohnplatz in Form eines
stationär betreuten Wohnens oder dauerhaftes Wohnen in einer eigenen Wohnung durch Mobil
betreutes Wohnen bzw. Housing First. Diese Wohnplätze werden in Wien vom bzWO gefördert
und haben strenge Zugangsvoraussetzungen, welche die meisten obdach- und wohnungslosen
Personen nicht erfüllen können. Für queere nicht-anspruchsberechtigte Personen etwa aus EU/
EWR und Drittstaaten braucht es aufgrund ihrer besonderen Gefährdung die prinzipielle Möglichkeit
von bzWO-Förderbewilligungen, unabhängig davon, ob sie die allgemeinen Förderkriterien erfüllen
(vgl. ebd.: 44).
Des Weiteren sollten in der Wohnungslosenhilfe queerspezifische Freizeit- und
Aktivierungsangebote etabliert werden. Angebote die allen – unabhängig von Gender, Sex und
Begehren–offenstehen,etwaderBesucheinesqueerenMuseums,einesqueerenKinofilmsodereiner
Drag-Performance, können die Akzeptanz gegenüber der Zielgruppe fördern und Aufklärungsarbeit
leisten. Daneben braucht es aber auch Angebote, die speziell für die queere Community gedacht
sind, um diese zu stärken und Raum für Austausch zu schaffen. Ein Beispiel dafür können FI*NTA+
Zeiten sein, bei denen bspw. Tageszentren für einen gewissen Zeitraum ausschließlich FI*NTA+
Personen zugänglich sind (vgl. ebd.: 38–39). Darüber hinaus ist es sinnvoll, Kleiderausgaben
geschlechtsneutral zu gestalten. So kann Klient*innen die Möglichkeit gegeben werden, selbst zu
wählen, was sie tragen möchten, unabhängig von gesellschaftlichen Rollenzuschreibungen und
dem binären System von sogenannter Frauen- und Männerkleidung (vgl. ebd.: 40).
4.3 Programmebene
Um positive Veränderung zu ermöglichen, ist es in einem ersten Schritt wesentlich, dass Träger
und Fördergebende die Zielgruppe wahrnehmen und als besonders vulnerabel und schutzbedürftig
anerkennen (vgl. ebd.: 67). Zudem ist eine klare Positionierung der Fördergebenden und Träger
erforderlich, bspw. in Form eines Inclusion Statements, das Werte und Haltung definiert sowie
Diskriminierungskritik und Gerechtigkeit betont (vgl. FEANTSA 2023: 9; AG Queere WWH 2024:
66–67).
Es braucht außerdem die Bereitschaft von Trägern, Konzepte zu entwickeln, in denen
LGBTI*QNA+ Personen mitgedacht werden. Fördergebende müssen die Nachfrage nach
entsprechenden Plätzen ermitteln und den Ausbau bestehender sowie neuer Angebote unterstützen,
etwa durch das Bereitstellen von Fördermitteln. Dabei müssen einerseits die bestehenden Angebote
queersensibler und inklusiver gestaltet werden. Andererseits ist die Schaffung von dezidiert
queerspezifischen Einrichtungen mit entsprechend geschulten Fachkräften dringend notwendig
(vgl. AG Queere WWH 2024: 67–68; SenASGIVA 2024: 80). Aufgrund schlechter Erfahrungen haben
queere obdach- und wohnungslose Personen Hemmungen, bestehende Unterstützungsangebote
anzunehmen (vgl. Asmussen 2023: 23). Queerspezifische Einrichtungen können einen Safer
Space schaffen, in dem es zu weniger Diskriminierung und queerfeindlichen Übergriffen durch
Mitarbeitende sowie andere Klient*innen kommt (vgl. AG Queere WWH 2024: 33). Fördergebende
sollten deshalb nicht nur den Ausbau bestehender Angebote unterstützen, sondern auch Anreize
für die Entwicklung neuer, zielgruppenspezifischer Projekte und Einrichtungen schaffen, bspw. in
Form entsprechender Förderrichtlinien und Qualitätsstandards (vgl. ebd.: 68).
An dieser Stelle ist auch die Politik gefragt, gezielt Maßnahmen zu ergreifen, um LGBTI*QNA+
Personen in der Wohnungslosenhilfe zu adressieren und ihnen angemessene Unterstützung zu
bieten. Um die ohnehin angespannten Ressourcen im Wohnungslosenbereich nicht weiter zu
überlasten, braucht es dringend ausreichende und langfristige Finanzierung aus öffentlicher Hand
(vgl. Verband Wiener Wohnungslosenhilfe 2023: 29).
5
Conclusio
Hinsichtlich der Versorgung queerer obdach- und wohnungsloser Personen versagt die
Wohnungslosenhilfe in Österreich derzeit und kann als Gatekeeperin bezeichnet werden. Dass
es obdach- und wohnungslosen LGBTI*QNA+ Personen schwerfällt, Unterstützung durch die
Wohnungslosenhilfe zu erhalten, liegt nicht an den Betroffenen, sondern am Unterstützungssystem
selbst, das für diese Zielgruppe unzureichend ist. Einrichtungen sind nicht auf die Existenz queerer
obdach- und wohnungsloser Menschen ausgelegt, weshalb Betroffene oft zusätzliche Schritte
unternehmen und Hürden überwinden müssen, um Unterstützung zu erhalten. Die Möglichkeit
einer Unterbringung, einer Wohnung und von medizinischer Versorgung ist vom individuellen
Wissen der zuständigen Mitarbeitenden abhängig. Fehlt diesen queerspezifisches Fachwissen,
kann das weitreichende Konsequenzen für Betroffene haben und faktisch zu Exkludierung
führen. Diese Faktoren sowie die bestehende queerfeindliche Diskriminierung und Gewalt in
Wohnungsloseneinrichtungen führen dazu, dass LGBTI*QNA+ Personen entweder gar nicht im
Unterstützungssystem auftauchen oder nicht adäquat versorgt werden – eine Situation, die obdach-
und wohnungslose ti*n Personen besonders hart trifft (vgl. Ohms 2019: 100; Pyne 2011: 129).
SämtlicheAkteur*innenderWohnungslosenhilfe–Basismitarbeitende,Einrichtungsleitungen,
Träger sowie Fördergebende – müssen Verbesserungen durchführen und Barrieren reduzieren,
um queeren Menschen sichere und akzeptierende Räume zu bieten. Ein wesentlicher Teil dessen
besteht darin, eigene queerspezifische Angebote zu schaffen, so wie es zunehmend in anderen
Ländern Europas, Kanada und den USAiii geschieht. Österreich bildet hier ein Schlusslicht bei
gleichzeitig hohem Handlungsbedarf.
Ich plädiere daher für das Commitment, obdach- und wohnungslose LGBTI*QNA+ Personen
in Österreich – im Sinne der Gerechtigkeit – adäquat und bedarfsorientiert zu unterstützen.
Die Existenz queerer Klient*innen darf nicht länger ignoriert werden und alle Akteur*innen der
Wohnungslosenhilfe – und der Politik – müssen sich aktiv mit dieser Zielgruppe auseinandersetzen
und Verantwortung übernehmen. Die bestehenden Barrieren, die die ohnehin schon schwierigen
Bedingungen für marginalisierte queere obdach- und wohnungslose Personen weiter verschärfen,
müssen beseitigt werden. Das heteronormative und binäre System der Wohnungslosenhilfe muss
radikal hinterfragt und transformiert werden. Es braucht queersensible, intersektionale Ansätze,
von denen ausgehend Schutz, Teilhabe und ein gerechterer Zugang möglich werden. Denn die
Wohnungslosenhilfe und sicherer Wohnraum sollten für alle erreichbar sein, die darauf angewiesen
sind. Wohnen ist ein Menschenrecht und darf nicht als Privileg nur jener gehandhabt werden, die in
bestehende Normen passen!
Verweise
i Es gilt die Unschuldsvermutung.
ii Gender affirming care umfasst soziale, psychologische und medizinische Maßnahmen wie bspw. Beratung, Hormonersatzbehandlung
oder geschlechtsangleichende Operation, um die Geschlechtsidentität einer Person zu unterstützen und zu bekräftigen, wenn diese mit
dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht in Konflikt steht (vgl. WHO o.J.).
iii Gleichwohl verspricht die Regierung Trump nichts Gutes für die Zukunft dieser Angebote.
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Über die Autorinnen
Sarah Wallraff (sie/ihr), BA, BA, BA
Studium der Europäischen Ethnologie, Geschichte und Sozialen Arbeit. Derzeit Sozialarbeiterin
in einem Tageszentrum für Obdach- und Wohnungslose in Wien. Teil der AG Queere WWH und
Mitautorin des Positionspapiers. Aktivistin im Kampf für die Rechte von (queeren) Obdach- und
Wohnungslosen.