Gregor Husi. Soziale und Politische Ökologie aus Wien. Ihre Bedeutung für die Grüne Soziale Arbeit.
soziales_kapital, Bd. 30 (2025). Rubrik: Sozialarbeits-wissenschaſt. osga. Printversion: http://www.
30. Ausgabe 2025
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Soziale und Politische Ökologie aus Wien
Ihre Bedeutung für die Grüne Soziale Arbeit
Gregor Husi
Zusammenfassung
Die Ökologie als Wissenschaft wurde bisher von der Sozialen Arbeit weitgehend übersehen.
Sie wird jedoch umso wichtiger, je mehr Soziale Arbeit den Zusammenhang von sozialen und
ökologischen Problemen erkennt. Neben Frankfurt hat sich besonders Wien als günstiger Boden
für die diesbezügliche wissenschaftliche Entwicklung erwiesen: Hier sind eine Soziale Ökologie
wie eine Politische Ökologie entstanden, die im Fachdiskurs große Beachtung gefunden haben.
Der Beitrag diskutiert deren wichtigste Begriffe und Theoreme, wobei der Schwerpunkt auf die
Politische Ökologie fällt. Sie tritt das Erbe der frühen Kritischen Theorie an und schenkt im Vergleich
zur Sozialen Ökologie den Machtbeziehungen und Interessenlagen mehr Beachtung. Wird diese
Rezeptionslücke geschlossen, lässt sich die Begrünung Sozialer Arbeit theoretisch überzeugender
fundieren.
Schlagworte: Grüne Soziale Arbeit, Soziale Ökologie, Politische Ökologie, Stoffwechsel,
Naturkolonisation, gesellschaftliche Naturverhältnisse, Naturbeherrschung, Naturzwang,
Strukturierungstheorie
Abstract
The field of social work has historically paid scant attention to the scientific study of ecology.
However, as social work comes to acknowledge the interconnection between social and ecological
issues, its significance grows increasingly apparent. In addition to Frankfurt, Vienna has emerged as
a particularly conductive environment for scientific development in this realm. In this context, both
social ecology and political ecology have emerged, and they have garnered significant attention
within this specialized discourse. The present contribution discusses the most important concepts
and theorems, with a particular focus on the concept of political ecology. The article traces the
lineage of critical theory in its early iterations, placing greater emphasis on power relations and
interests. Addressing this gap in reception would provide a more robust theoretical foundation for
the greening of social work.
Keywords: green social work, social ecology, political ecology, metabolism, colonisation of nature,
social relations to nature, domination of nature, coercion of nature, theory of structuration
1
Einleitung
Ende der 1990er Jahre gab der Umweltsoziologe Karl-Werner Brand einen Sammelband mit
dem Titel Soziologie und Natur heraus, zu dem Thomas Jahn und Peter Wehling (1998) von der
Frankfurter Sozialen Ökologie (vgl. Husi 2024) den Artikel „Gesellschaftliche Naturverhältnisse“
beitrugen. Unter den Beitragenden finden sich auch Marina Fischer-Kowalski, die das Institut für
Soziale Ökologie (SEC) gründete, und Helga Weisz (1998), ebenso Christoph Görg (1998), der in
Wien das Erbe der dortigen Sozialen Ökologie antrat und zu einer Politischen Ökologie umformte.
Obwohl in jungen Jahren am selben Ort tätig, arbeitete er nie am Institut für sozial-ökologische
Forschung (ISOE) in Frankfurt, gehörte aber – wie zum Beispiel auch Alex Demirović oder Ulrich
Brand – zu „seinem erweiterten Umfeld“ (Brand/Görg 2022: 38). Görg übernahm in Wien 2018 die
Leitung des SEC und wurde sechs Jahre später emeritiert. Neben ihm ist Brand der wichtigste
Vertreter der Wiener Politischen Ökologie (vgl. Husi 2025b). Die Soziale und die Politische Ökologie
werden zu neuen Bezugswissenschaften der Sozialen Arbeit, denn ein differenziertes Verständnis
der gesellschaftlichen Naturverhältnisse, das sich besonders bei Görg findet, ist für die Grüne
Soziale Arbeit zentral. Dem Beschreibungs- und Erklärungswissen der Sozialen und Politischen
Ökologie aus Wien wird deshalb im Folgenden nachgegangen und dabei ein Schwerpunkt auf
Letztere gesetzt.
2
Marina Fischer-Kowalski und die Wiener Soziale Ökologie
Im Titel des ersten Grundlagenbuchs der Wiener Sozialen Ökologie (vgl. Fischer-Kowalski et
al. 1997) sind gleich ihre beiden Basiskonzepte genannt: gesellschaftlicher Stoffwechsel und
Naturkolonisation. Wie Fischer-Kowalski (1997: 24) ausführt, sind ihr Gegenstand „die Verhältnisse
innerhalb von Gesellschaftssystemen, die Logik, die bestimmte Produktions- und Lebensweisen
mit einem bestimmten Metabolismus und bestimmten Kolonisierungsstrategien verknüpft“. Das
spätere Grundlagenwerk Social Ecology wählt dagegen als Untertitel Society-Nature-Relations
across Time and Space, gesellschaftliche Naturverhältnisse also (vgl. Haberl/Fischer-Kowalski/
Krausmann/Winiwarter 2016). Wenngleich erkannt wird, „dass künftiges menschliches Wohlergehen
auf diesem Planeten stabile Klimabedingungen voraussetzt und also massive Veränderungen
gesellschaftlicher Naturverhältnisse erfordert“ (Fischer-Kowalski/Mayer/Schaffartzik 2024: 43),
spielt der Begriff der gesellschaftlichen Naturverhältnisse – anders als später in der Politischen
Ökologie – nur eine geringe systematische Rolle bei der theoretischen Fundierung. „Sozialer
Metabolismus“ bzw. „gesellschaftlicher Stoffwechsel“ (vgl. zusammenfassend Pichler/Thalhammer
2022) und „Kolonisierung“ gelten als die zentralen „Konzepte zur Beschreibung des Verhältnisses
von Gesellschaft und Natur“ (Fischer-Kowalski/Haberl 1997: 3). Dazu heißt es:
„Zur Operationalisierung der Gesellschafts-Natur-Interaktion schlagen wir zwei
Konzepte vor: 1. Gesellschaftlicher Stoffwechsel: Darunter verstehen wir die
materiellen und energetischen Input-Output-Beziehungen zwischen einer
Gesellschaft und der natürlichen Umwelt. […] 2. Kolonisierung natürlicher Prozesse:
Ein Bündel gezielter gesellschaftlicher Eingriffe, die natürliche Systeme beeinflussen
und in einem Zustand halten, der für bestimmte gesellschaftliche Ziele nützlich ist.
Kolonisierung erfordert in der Regel einen Aufwand an Arbeit, der sowohl in Form
von menschlicher Arbeit als auch als Arbeit von Tieren oder Maschinen erbracht
werden kann. Kolonisierung kann eine Vorbedingung für eine bestimmte Form des
Metabolismussein, kannaberauchnurbestimmtephysischeKonditionenherstellen.“
(Haberl et al. 2002: 60)
Als „hybride Bindeglieder“, die zwischen Natur und Kultur vermitteln, werden Individuen, Tiere
und Artefakte bezeichnet. Mit Anleihen bei der Systemtheorie werden ferner als Bindeglieder
bzw. „strukturelle Kopplungsmechanismen“ Stoffwechsel und Kommunikation sowie Ereignisse
und Programme dargestellt (vgl. Fischer-Kowalski/Mayer/Schaffartzik 2024: 33–36, siehe auch
Abbildung 1).
Abbildung 1: Epistemologisches Modell von Gesellschaft-Natur-Interaktionen
(Fischer-Kowalski/Mayer/Schaffartzik 2024: 35)
Soweit in aller Kürze die theoretische Ausgangslage in Wien für die dortige Entwicklung der
Politischen Ökologie (zur Kritik vgl. Brand 2014: 37f.).
3
Christoph Görg und die Wiener Politische Ökologie
„Einzig Görg verfolgt ernsthaft die Idee, eine kritische Theorie gesellschaftlicher Naturverhältnisse in
Anlehnung an die Kritische Theorie zu entwerfen“, stellt Gehrig (2013: 898) zurecht fest (vgl. kritisch
dazuSchmincke/Becker2015).GörghatjahrzehntelanganundmitdemBegriffdergesellschaftlichen
Naturverhältnisse gearbeitet. In einem kurzen Text über diesen Begriff wird ersichtlich, dass Görg
weit mehr als die meisten anderen an Erkenntnisse der frühen Kritischen Theorie zum klassischen
Dreieck Individuum-Gesellschaft-Natur (vgl. Institut für Sozialforschung 1956: 43) anknüpft:
Görg (2008) findet den Ursprung des Begriffs der Naturverhältnisse bei Hegel, erinnert an das
Naturverständnis von Karl Marx und daran, wie es in der 1962 veröffentlichten Dissertation von
Alfred Schmidt (2016) zusammenfassend dargestellt wird, sowie an Walter Benjamin, dem zufolge
es nicht darauf ankommt, die Natur, sondern die Verhältnisse zu ihr zu beherrschen. Er zitiert aus
der Dialektik der Aufklärung: „Jeder Versuch, den Naturzwang zu brechen, indem Natur gebrochen
wird, gerät nur um so tiefer in den Naturzwang hinein. So ist die Bahn der europäischen Zivilisation
verlaufen.“ (Horkheimer/Adorno 1971: 15) In dieser kritischen Tradition sind im Kontext Sozialer
Arbeit schon wichtige Arbeiten entstanden, die sich vor allem mit den Namen von Roland Anhorn,
Frank Bettinger, Timm Kunstreich und Michael May verbinden. Noch konsequenter gilt es für die
Grüne Soziale Arbeit, künftig die ökologische Dimension einzuarbeiten.
Ein solches Erbe lässt die Soziologie, neben der Psychologie die wohl wichtigste
Bezugswissenschaft Sozialer Arbeit, nicht unberührt. Görg (1998: 54) fordert schon früh, dass die
Soziologie ihre Grundbegriffe überprüft: „Diese Revision muß sich vor allem mit dem Zusammenhang
symbolisch-sinnhafter und materiell-stofflicher Prozesse beschäftigen.“ Er verbindet die
konstitutionstheoretische Frage nach dem Gegenstand der Soziologie und dessen Gestaltbarkeit
mit der gesellschaftstheoretischen und zeitdiagnostischen Frage nach den Strukturierungen –
„Strukturzwängen“ –, welche die Gestaltung der Gesellschaft behindern. Görg interessiert sich
dabei für die Möglichkeit von Lernprozessen:
„Diese drei Ebenen, die konstitutionstheoretische, die gesellschaftstheoretische und
die zeitdiagnostische Ebene, werden zusammengehalten durch die grundlegende
Annahme, daß eine Gestaltung gesellschaftlicher Naturverhältnisse als ein
gesellschaftlicher Lernprozess konzipiert werden muß, der einerseits Erfahrungen
in der Vergesellschaftung der Natur in institutionelle Reaktionsweisen übersetzt und
andererseits eine Kritik dominanter Handlungsmuster einschließt, die sich
zusammenfassend als Programm der Naturbeherrschung beschreiben lassen.“
(Görg 1998: 55; Herv.i.O.)
Ökologische und soziale Problemlagen sind demnach nicht einander gegenüberzustellen, vielmehr
hängen beide miteinander zusammen bei der „Regulation gesellschaftlicher Naturverhältnisse“
(ebd.: 54). Hierbei stützt sich Görg (2016b) auf die Regulationstheorie von Alain Lipietz (1985). „Ihr
zentraler Begriff, der Begriff der Regulation, meint nicht eine intendierte Steuerung gesellschaftlicher
Entwicklung, sondern die nichtintendierte Stabilisierung widersprüchlicher gesellschaftlicher
Verhältnisse“, erläutert Görg (2003a: 115). Der Regulationsbegriff bezieht sich dann auf den
Umstand,
„dass die Art, wie sich Gesellschaften eingestellt haben, weitgehend von der Logik
gesamtgesellschaftlicher Entwicklung, genauer: von den gesellschaftlichen
Strukturmustern, den institutionellen Arrangements und den politischen Interessen
und Kräfteverhältnissen bestimmt wird.“ (Ebd.)
Görg (1998: 64) findet dabei: „Die konstitutionstheoretischen Ausführungen laufen darauf hinaus,
die Unterscheidung zwischen sozialen und nicht-sozialen Prozessen als Vermittlungsverhältnis zu
denken.“ Dies lässt ihn auf Distanz gehen zu Habermas’ (1981: 384) handlungstheoretischen binären
Unterscheidungen hinsichtlich Handlungsorientierung (erfolgs- vs. verständigungsorientiert) und
Handlungssituation (nicht-sozial vs. sozial). In Habermas’ Theorie des kommunikativen Handelns
resultiert daraus eine Vier-Felder-Tabelle mit den „Handlungstypen“ kommunikatives, strategisches
und instrumentelles Handeln sowie einer bemerkenswerten Leerstelle bei der Kombination nicht-
sozial/verständigungsorientiert – so etwas wie umweltverbundenes Handeln, das sich auf den
Eigenwert und das Eigenrecht der Natur einließe, ist hier nicht vorgesehen.
Nicht genau darauf will Görg (2003a: 126) jedoch hinaus, sondern auf die „Erfahrung
des Eigensinns der Natur, d.h. der materiell-stofflichen Implikationen unseres Handelns“. Wie er
den Pragmatismus von George Herbert Mead mit Horkheimer und Adorno verknüpft, zählt zum
Stärksten in seinen Darlegungen (vgl. Görg 1998: 59–63). Mead habe gezeigt, wie Störungen des
Handlungsverlaufs Reflexion und Kreativität jenseits institutionalisierter Reaktionsmuster freisetzen
können. Gegen Habermas betont Görg hierbei: „Diesen Bezug auf die vollendete Handlung
teilen sich zwischenmenschliche und gegenstandsbezogene Handlungsformen“ (ebd.: 61), also
soziale und nicht-soziale. In beiden steckt nach Görg die „Möglichkeit der Erfahrung einer inneren
Strukturiertheit der Dinge aufgrund ihrer Widerständigkeit intendierten Handlungen gegenüber“
(ebd.: 62; Herv.i.O.). Wird solche Widerständigkeit erfahren, wird nach Görg kein Gefühl der
Anstrengung in das Gegenüber projiziert, sondern in diesem ein solcher Widerstand identifiziert.
Von dieser Identifikation schlägt Görg den Bogen zur Dialektik der Aufklärung. Er spricht den von
Horkheimer und Adorno (1971: 170) kritisierten „Ausfall der Reflexion“ an, ohne die dazugehörige
Erläuterung wiederzugeben: „Nicht in der vom Gedanken unangekränkelten Gewißheit, nicht in
der vorbegrifflichen Einheit von Wahrnehmung und Gegenstand, sondern in ihrem reflektierten
Gegensatz zeigt die Möglichkeit von Versöhnung sich an.“ (Ebd.: 169f.) Die beiden Frankfurter
Philosophen beziehen dies auf „die kranke Einsamkeit […], in der die ganze Natur befangen ist“
(ebd.: 169). Görg spinnt den Faden von Meads Widerständigkeit weiter zu Adornos (1975: 184–190)
Rede vom „Vorrang des Objekts“ in der Negativen Dialektik. Zwar könne ein Objekt ohne Subjekt,
nicht aber ein Subjekt ohne Objekt gedacht werden, bemerkt Adorno. Das ergebe eine „Ungleichheit
im Begriff der Vermittlung“, die der Reflexion des Subjekts auf sich selbst bedürfe.
4
Gestaltung gesellschaftlicher Naturverhältnisse als Strukturproblem
Görg (2016a) lässt es nicht bei der Feststellung der Nicht-Identität der Natur, die von ihrer
Inwertsetzung überrollt wird, bewenden. Sein Interesse gilt letztlich der „Gestaltung [der
gesellschaftlichen Naturverhältnisse; G.H.] als Strukturproblem“ (Görg 1998), wie der Aufsatztitel
besagt. Zur Beschreibung von ‚Struktur‘ bedient sich Görg (ebd.: 69) der Unterscheidungen aus
Giddens’ (1988: 67–88) Strukturierungstheorie und hält – von Görg so bezeichnete – symbolische
und normative Regeln sowie allokative und autoritative Ressourcen auseinander. Giddens (ebd.:
45) selbst erläutert dies so: „Die Theorie der Strukturierung betrachtet ‚Struktur‘ als Regeln und
Ressourcen, die an der sozialen Reproduktion rekursiv mitwirken.“ Von all dem sind laut Görg
Erfahrungs- und Lernprozesse abhängig – die Grüne Soziale Arbeit ja gerade in Gang setzen
will. Über Deutungsmuster hinaus geraten so Machtpotenziale, Durchsetzungschancen und
Herrschaftsverhältnisse in seinen Blick.
Der Zeitdiagnose schreibt er in der Folge die Aufgabe zu, die strukturellen Bedingungen
zu prüfen. Das heißt für die Soziologie, „ihr Strukturwissen in kritischer Intention zur Geltung zu
bringen“ (Görg 1998: 74). Görg (2003a: 115) platziert die Gesellschaftswissenschaft zwischen
Steuerungspessimismus und Steuerungsoptimismus und hält diese Verortung für „eine Alternative,
die bei den Gründen für die selektive Bearbeitung sozial-ökologischer Problemlagen ansetzt“. Diese
Alternative ist für die Grüne Soziale Arbeit bedeutsam, gehört es doch zu ihrer Handlungslogik,
ihre jeweilige Handlungsplanung konsistent aus einer Situationsanalyse (vgl. Husi 2022a: 303f.)
abzuleiten, die Erklärungshypothesen formuliert (vgl. Husi 2024: 101; Husi 2025a).
Görg macht auch keinen Bogen um den von Habermas (1981: 500) an Adorno gerichteten
Vorwurf, dieser könne die normativen Grundlagen seiner Kritik nicht ausweisen (vgl. dazu die
Verteidigung von Adornos „metaethischem Negativismus“ durch Freyenhagen 2017). Görg (2003a:
116) zieht jedoch Adorno der Diskurstheorie von Habermas vor und erkennt in der Nicht-Identität
zwar keinen „festen, objektivierbaren und universellen Maßstab“, jedoch „einen Bezugspunkt, an
dem sich eine Selbstreflexion der Naturverhältnisse theoretisch orientieren kann“ (ebd.), also „einen
Maßstab der Kritik […], der sich eben nicht einfach positiv in den Raum stellen lässt, sondern
der gleichsam nur negativ ausformuliert werden kann“ (ebd.). In dieser Sicht repräsentiert der
Naturbegriff „sowohl das von Rationalität Unterdrückte, das, was der Natur widerfahren ist, als
auch das Unterdrückende, den Naturzwang, und zudem das mit Vernunft zu versöhnende“ (ebd.:
119). Daraus folgt: „Natur ist kein positiver Maßstab, weder einer kritischen Theorie noch einer
Einrichtung gesellschaftlicher Verhältnisse.“ (Ebd.; Herv.i.O.) Vielmehr bietet sich die Versöhnung mit
Natur an, die Görg so umreißt: „Normativer Fluchtpunkt ist die Idee einer unreduzierten Erfahrung
der Nichtidentität der Natur.“ (Ebd.: 124) Ihr Gegenteil ist Herrschaft: „Naturbeherrschung meint
also eine Verleugnung und Unterdrückung der Nichtidentität der Natur.“ (Ebd.: 128) Gegenüber den
Begriffen der Nachhaltigkeit und nachhaltigen Entwicklung gibt sich Görg entsprechend skeptisch,
sie zählen für ihn „zu einer affirmativen Begleitrhetorik neoliberaler Strategien“ (ebd.: 126, Fn. 15)
und bilden einen „Kitt des neoliberalen Scherbenhaufens“ (Brand/Görg 2002: 42).
Görg ist der erste, der eine Monographie mit dem Titel Gesellschaftliche Naturverhältnisse
(1999) vorlegt. Hier schreitet er gleichsam die Ahnenreihe der Umweltsozialwissenschaften ab und
widmet je ein Kapitel Herbert Spencer, Karl Marx, Emile Durkheim, George Herbert Mead, Talcott
Parsons, Theodor W. Adorno, Niklas Luhmann und Ulrich Beck. In der Auseinandersetzung mit
diesen Autoren untersucht er ausführlich „die Konstellation zwischen der Naturbeherrschung, der
sozialen Herrschaft und der Herrschaft im Subjekt“ (ebd.: 119). Adorno (1975: 314) selbst ordnet
diese drei in seiner Negativen Dialektik historisch als „Phasen der Geschichte“, und zwar „die
von Naturbeherrschung, fortschreitend in die Herrschaft über Menschen und schließlich die über
inwendige Natur“ – der bisherigen Katastrophen gewahr „und im Angesicht der künftigen“ (ebd.)!
Antagonismus, Profitinteresse, Klassenverhältnis fungieren sodann als geschichtlicher Motor, von
dessen Primat Adorno ausgeht. In der Auseinandersetzung mit Hegel verfinstert sich sein Blick:
„Zu definieren wäre der Weltgeist […] als permanente Katastrophe. Unter dem alles unterjochenden
Identitätsprinzip wird, was in die Identität nicht eingeht und der planenden Rationalität im Reich der
Mittel sich entzieht, zum Beängstigenden.“ (Ebd.: 314f.) Ähnliche Kritik äußert Horkheimer in Zur
Kritik der instrumentellen Vernunft (2007).
Dennoch: Laut Görg (1999: 173) „ist die Soziologie auf die Bearbeitung sozialer Probleme
ausgerichtet“ – keineswegs eine selbstverständliche Einschätzung. Natürlich erinnert sie an die
mitunter vorgebrachte, nicht unumstrittene Aufgabenzuschreibung an die Soziale Arbeit. Wie
hinzugefügt werden darf, geht es in der Soziologie wie der Sozialen Arbeit um die Entfaltung
sozialer bzw. sozial-ökologischer Potenziale (vgl. Husi 2022a: 300). „Gefordert ist also sowohl eine
interdisziplinäre Problemlösungskapazität als auch eine ökologisch erneuerte Gesellschaftskritik“,
merkt Görg (1999: 183; Herv.i.O.) an. Beides kommt nach Görg in „kritischer Interdisziplinarität“
(ebd.) zusammen und, so ließe sich ergänzen, zu beidem kann Grüne Soziale Arbeit beitragen.
Freilich nur, wenn die wissenschaftliche Disziplin Soziale Arbeit auch in der Ausbildung darauf –
ökologisch aufgeklärt – gut vorbereiten.
5
Regulation der Naturverhältnisse
2003 lässt Görg seine Habilitationsschrift Regulation der Naturverhältnisse folgen, die an
Gesellschaftliche Naturverhältnisse anknüpft. Hier erweitert er die theoretische Perspektive und geht
ausführlich auf die Strukturierungstheorie von Anthony Giddens (1988) ein (vgl. Görg 2003b: 96–
114). Dabei knüpft er ebenfalls an seine frühere, noch umfassendere Analyse (vgl. Görg 1994) des
Institutionenbegriffs von Giddens an. Eine klare Konzeption der institutionellen Differenzierung der
Gesellschaft wäre gerade auch für die Grüne Soziale Arbeit wichtig, muss sie doch über ein genaues
Bild davon verfügen, in welchen Lebensbereichen sie sozial-ökologisch motiviert prävenieren und
intervenieren soll und welchen Regeln sie dort begegnet.
Giddens (1988: 83) unterscheidet in seinem Hauptwerk Die Konstitution der Gesellschaft
„drei strukturelle Dimensionen sozialer Systeme“ – Signifikation, Herrschaft, Legitimation – und
bezeichnet diese als „Strukturmomente“ oder, in einer nachfolgenden Tabelle (vgl. ebd.: 84),
einfach als „Strukturen“ (im Plural). Ihnen ordnet er in dieser Tabelle „institutionelle Ordnungen“
zu: Signifikation – symbolische Ordnungen/Diskursformen, später als Kultur bezeichnet (vgl.
ebd.: 86, Fn. 11); Herrschaft – politische Institutionen, für die „autoritative Ressourcen“, sowie
ökonomische Institutionen, für die „allokative Ressourcen“ entscheidend sind; Legitimation –
rechtliche Institutionen. Giddens möchte dabei eine „substantivistische“ Konzeption vermeiden,
die „eine konkrete institutionelle Trennung dieser verschiedenen Ordnungen“ (ebd.: 87) voraussetzt.
Damit meint er, dass die unterschiedenen Strukturen nicht völlig getrennt voneinander, sondern
in allen institutionellen Ordnungen vorkommen, wie eine weitere Ansicht zu zeigen versucht (vgl.
ebd.: 87). Das ergibt ein Bild mit Kultur, Politik, Wirtschaft und Recht. Einem anderen Buch, über
„Konsequenzen der Moderne“, legt Giddens (1996: 80) vier andere Bereiche zugrunde, die er hier
„institutionelle Dimensionen“ nennt, nämlich Überwachung, Kapitalismus, Industrialismus (womit
er auf Technik zielt) und militärische Macht. Giddens spielt diese Vierdimensionalität in diesem
Buch durch; wenn er auf Risiken der Moderne zu sprechen kommt, erwähnt er mit Bezug auf die
Dimension des Industrialismus „Verfall oder Katastrophen im ökologischen Bereich“ (ebd.: 211).
Görg seinerseits bezieht sich nicht auf Konsequenzen der Moderne, aber der Vergleich macht
deutlich, dass Giddens’ Vorstellung von der institutionellen Differenzierung in verschiedenen Texten
nicht immer dieselbe ist. Zudem fehlt ein Bereich der Privathaushalte, der sich als Gemeinschaft
bezeichnen lässt und dem sechs Institutionen zugeordnet werden können; ebenso wenig sind
gesellschaftliche Teilsysteme wie Gesundheit oder Soziale Arbeit vorgesehen, die zum Hilfesektor
der Gesellschaft zählen (vgl. Husi 2024: 102f.). Görg stört sich daran offenbar nicht.
„Das zentrale Forschungsfeld der Sozialwissenschaften besteht – der Theorie
der Strukturierung zufolge – weder in der Erfahrung des individuellen Akteurs noch in
der Existenz irgendeiner gesellschaftlichen Totalität, sondern in den über Zeit und
Raum geregelten gesellschaftlichen Praktiken.“ (Giddens 1988: 52)
Genau diese Praktiken interessieren die Grüne Soziale Arbeit, weil deren naturvermittelte Folgen
für Individuum und Gesellschaft von der sozialberuflichen Praxis zu bearbeiten sind. Sie finden
auch Görgs Interesse, wenngleich er den Begriff der Praktiken in seiner Auseinandersetzung mit
Giddens kaum je explizit erwähnt. Er diskutiert indes die mit ihnen verbundenen Theoreme von
Giddens: Dualität der Struktur, Rekursivität, praktisches und diskursives Bewusstsein, Routinen,
Rationalisierung, Regeln und Ressourcen. Das wichtige „Theorem der Dualität von Struktur“ bezieht
Giddens (1988: 77) auf den Umstand, dass Struktur „sowohl Medium wie Ergebnis der Praktiken“
ist. Dasselbe gilt, wenngleich nicht gänzlich, für Natur, weshalb auch von einer „Dualität von Natur“
gesprochen werden könnte. Görg verpasst es dabei, auch Giddens’ „Stratifikationsmodell des
Handelnden“ näher zu betrachten, das Motivation, Rationalisierung und reflexive Steuerung des
Handelns beleuchtet (vgl. 1988: 55–57). Ein Bezug darauf wäre jedoch bedeutsam, da der bekannte
englische Soziologe in diesem Modell zum Beispiel auch sein Verständnis von Gründen und Motiven
darlegt. Stattdessen lanciert Görg (2003b: 97) den Interessenbegriff, und zwar mit einem Zitat von
Marx (1962: 16; Herv. G.H.), demzufolge handelnde Personen nur zu berücksichtigen sind, „soweit
sie die Personifikation ökonomischer Kategorien sind, Träger von bestimmten Klassenverhältnissen
und Interessen“. Bei Giddens ist der in der Tat wichtige Begriff der Interessen weder im Sachregister
noch im Glossar von Die Konstitution der Gesellschaft aufgeführt. Görg beendet seine frühe kritische
Sichtung des handlungstheoretischen Potenzials der Strukturierungstheorie (vgl. Görg 1994: 42–48)
mit der Feststellung: „Es bleibt eine Leerstelle, die man als Problem des Subjektbegriffs bezeichnen
kann.“ (Ebd.: 48)
Mit dem Begriff der Routinen bezeichnet Giddens (1988: 36) „alles, was gewohnheitsmäßig
getan wird“. Routinen, „die die Grundlage institutionalisierter Praktiken sind“ (Görg 2003b: 110), und
das mit ihnen einhergehende praktische Bewusstsein sind sehr verwandt mit einem Verständnis von
Lebensstilen, die durch Habitus strukturiert sind. Gemäß Bourdieu (1998: 21f.) streifen Menschen,
mit Kapitalien (Ressourcen) und Habitus (Interessen) ausgestattet, durch gesellschaftliche Felder
(Institutionen) und stoßen dort auf je besondere Regeln. Unter diesen Bedingungen entfaltet sich
ihre Praxis. Die Konzeption des französischen Gesellschaftstheoretikers wirkt kohärenter als jene
von Giddens (vgl. Husi 2022a: 302f.). Fragt sich, weshalb sich Görg in seinem Werk kaum für
Bourdieu interessiert.
Als „Giddens-Theorem“ bezeichnet Görg (2003b: 98) indessen folgende Einschätzung des
englischen Soziologen: „Die Tatsache, daß Menschen in der materiellen Welt, in der sie leben, auch
überleben müssen, sagt rein gar nichts darüber aus, ob das, was sie tun, um zu überleben, auch
eine beherrschende Rolle für den sozialen Wandel spielt.“ (Giddens 1988: 299) Görg erkennt darin
eine antinaturalistische Konzeption von Geschichte, die sich vom Evolutionismus distanziert, und
eine Eigenständigkeit der Gesellschaft gegenüber Natur. Dass laut Marx (1960: 115) die Menschen
ihre Geschichte selbst machen, interpretiert Giddens (1988: 67; Herv.i.O.) als „die in soziale
Systeme eingelassene Dialektik der Herrschaft“. Sie bedeutet für ihn, dass auch Unterworfene über
Ressourcen und also Machtmittel verfügen, die sie gegenüber Überlegenen einsetzen können.
Görg lobt Giddens für dieses antinaturalistische Geschichtsverständnis und darüber hinaus
für dessen antisubstantialistischen Institutionenbegriff. Zwar resultiert daraus keine klare Vorstellung
der institutionellen Differenzierung der Gesellschaft. Aber im Geist von Giddens macht Görg sein
Verständnis begreiflich:
„Institutionen und Organisationen sind […] als umkämpfte Formen der Stabilisierung
gesellschaftlicherVerhältnissezuinterpretieren.DanachbildensichInstitutionendurch
das Mit- und Gegeneinander verschiedener Akteure, die mit unterschiedlichen
Machtressourcen ausgestattet sind und die sich mit unterschiedlichen Absichten
und Interessen auf gemeinsam geteilte, aber verschieden verwendete normative und
symbolische Regelsysteme beziehen.“ (Görg 2003b: 107; Herv.i.O.)
Mit dem sozialen Für-, Mit- und Gegen- oder sogar Ohneeinander werden Stufen der sozialen
Kohäsion in der Lebenspraxis angesprochen (vgl. Husi 2022b: 65), mit Ressourcen und Institutionen
bzw. Regeln sowie – über Giddens hinausgehend – Interessen zudem die zentralen Aspekte
der Struktur. Dieses Gesellschaftsbild unterscheidet Gesellschaft und Natur, thematisiert deren
Vermittlung als gesellschaftliche Naturverhältnisse und analysiert die Verwobenheit von Struktur
und Praxis. Über die institutionelle Differenzierung hinaus bezieht es auch die hierarchische und
kulturelle Differenzierung ein und fügt mit Organisationen die wichtigsten Handlungseinheiten
auf der Mesoebene der Gesellschaft bei. Der Blick auf Institutionen und Organisationen ist
auch deshalb bedeutsam, da ihnen Rollen entsprechen, die unterschiedlich mit Erwartungen,
Einflussmöglichkeiten, Entscheidungsbefugnissen und Verantwortlichkeiten ausgestattet sind.
Dieses Gesellschaftsbild kann sich die Grüne Soziale Arbeit für ihre Präventionen und Interventionen
zu eigen machen.
AusgehendvonGiddens’BetonungderRekursivitätdifferenziertGörgzwischensystemischer
und emphatischer Selbstbezüglichkeit und wirft Giddens eine „objektivistische Verkürzung
im Handlungsbegriff“ (Görg 2003b: 105) vor. Giddens vernachlässige die Zweitgenannte, die
Görg wiederum „als die Fähigkeit zur reflexiven Selbstbestimmung“ begreift, das heißt als eine
Reflexivität, welche die gesellschaftliche „Reproduktion nach selbstgesetzten Zielen zu beurteilen
und zu gestalten versucht“ (ebd.) – befreit von der Reduktion auf instrumentelle Vernunft. Auf
die Gestaltung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse will Görg letztlich hinaus, aber eben
nicht auf eine beliebige Gestaltung. „Gesellschaftliche Gestaltungsprozesse können also als von
institutionellen und sozialen Krisen angestoßene und vom Protest sozialer Bewegungen getragene
oder begleitete Formen der kreativen Neuinterpretation organisationaler Prozesse bezeichnet
werden“ (ebd.: 113; Herv.i.O.), erklärt er. Die Bedeutung sozialer Bewegungen erkennt Görg
(1992: 21) schon früh in seiner Dissertation – und dabei auch die „Krise der gesellschaftlichen
Naturverhältnisse“. Drei Dimensionen sind ihm zufolge in Lernprozessen auseinanderzuhalten: die
Sachdimension (symbolische und normative Aspekte des Naturumgangs), die Konfliktdimension
(Macht- und Interessenlagen) und die Krisendimension (funktionale Erfordernisse gesellschaftlicher
Reproduktion und Regulation) (vgl. Görg 2003b: 110).
Die moderne Gesellschaft ist für Görg eine kapitalistische Gesellschaft, die nicht nur
ausdifferenziert, sondern auch widersprüchlich ist:
„Dieses Systemproblem, d.h. die Regulation des Bezugs auf Natur, wird in
kapitalistisch organisierten Gesellschaften prinzipiell nicht nach funktionalen
Notwendigkeiten oder evolutionären Gesichtspunkten gelöst. Vielmehr ist es
in dem Sinne widersprüchlich organisiert, dass es einerseits von einem
Organisationsprinzip Wertvergesellschaftung dominiert wird, aber andererseits relativ
autonomen Teilbereichen überlassen bleibt.“ (Ebd.: 117; Herv.i.O.)
Auf die dargelegte Weise versucht Görg, Sozialtheorie und Gesellschaftstheorie zu integrieren, um
Gesellschaft neben Natur und somit die gesellschaftlichen Naturverhältnisse angemessen verstehen
und beeinflussen zu können (vgl. Abbildung 2). Genau dies bereichert das Beschreibungs- und
Erklärungswissen der Grünen Sozialen Arbeit.
Abbildung 2: Kapitalistische Gesellschaft in der Politischen Ökologie von Christoph Görg
(eigene Darstellung)
Diese Verfassung der modernen Gesellschaft hat Folgen für die gezielte Gestaltung der
gesellschaftlichen Naturverhältnisse:
„Gestaltung der Naturverhältnisse könnte dann bedeuten, die mehr oder weniger
bewusstlose Lösung von Systemproblemen durch reflexive Organisations-
anstrengungen zu ergänzen. In diesem Sinne stellt ‚Organisation‘ tatsächlich
die reflektierte Ergänzung gewohnheitsmäßiger oder verselbständigter
Reproduktionsprozesse dar.“ (Görg 2003b: 117; Herv.i.O.)
Was die sozial-ökologische Wirklichkeit betrifft, trifft Görgs (2003a: 131) einstige Einschätzung leider
mehr denn je zu: „Die Pluralität gesellschaftlicher Naturverhältnisse scheint mir eher eine Utopie
bzw. eine regulative Leitidee zu sein, als dass sie an der gesellschaftlichen Realität abzulesen wäre.“
6
Abgrenzung von Sozialer und Politischer Ökologie
Görgs Fazit könnte in völlige sozial-ökologische Demotivation münden. Nicht aber bei Görg. Ein
Höhepunkt in seinem Schaffen ist zum Schluss der beeindruckende, von ihm mitherausgegebene
715-seitige Report, der einen Titel trägt, der Görg sehr befriedigen muss: Strukturen für ein
klimafreundliches Leben. Dabei handelt es sich um ein Gemeinschaftswerk dutzender Forschender
aus ganz unterschiedlichen Wissenschaften, das schon in seinem Titel auf die Strukturierung von
Praktiken abzielt (vgl. Görg et al. 2023). Görg beschreibt hier den Unterschied zwischen Sozialer
und Politischer Ökologie folgendermaßen – und erhellt so zugleich die Anschlüsse an die eingangs
beschriebene Wiener Soziale Ökologie:
„Die Soziale Ökologie […] setzt den Fokus auf die Interaktionen zwischen Gesellschaft
und Natur bzw. auf die gesellschaftlichen Naturverhältnisse. Sie analysiert
Wechselbeziehungen zwischen Gesellschaft und Natur, die für die Abschätzung der
Notwendigkeit, der Machbarkeit und der Nachhaltigkeit von gesellschaftlichen
Transformationen zentral sind, aber bei rein sozialwissenschaftlichen Analysen oft
übersehen werden. Die politische Ökologie ergänzt diese Perspektive durch eine
Analyse der Konflikte sowie der gesellschaftlichen Interessenlagen und
Machtverhältnisse, die mit der Aneignung und Nutzung der Natur notwendig
verbunden sind und die viele der Barrieren verstehbar machen, die einer
klimafreundlichen Lebensweise entgegenstehen.“ (Görg et al. 2023: 692)
Politische Ökologie ist „kritische Mensch/Umwelt-Forschung“, bringt es Bauriedl (2016: 342) auf den
Punkt. Ähnlich Gottschlich, Hackfort, Schmitt und Winterfeld (2022: 13): „Es geht der Politischen
Ökologie ganz explizit um die Kritik bestehender Verhältnisse einschließlich der hegemonialen
politischen Ordnung und Institutionen sowie um Perspektiven für konkrete Alternativen.“
Die entscheidende und entschiedene Ergänzung um radikale Kritik erklärt, weshalb die Wiener
Soziale Ökologie von Fischer-Kowalski und anderen in den Hintergrund gedrängt wurde, wenngleich
es durchaus zur Zusammenarbeit von Frankfurter und Wiener Sozialer bzw. Politischer Ökologie
kommt, wie zum Beispiel bei einem Sonderheft der Zeitschrift Sustainability (vgl. Görg et al. 2017).
Hier wird die zentrale Abbildung der Wiener Sozialen Ökologie (vgl. Abbildung 1) noch publiziert
(vgl. Kramm/Pichler/Schaffartzik/Zimmermann 2017: 4), überraschender Weise aber nicht mehr
im großen Report von Görg et al. (2023). Hierin werden zwar im Kapitel 18 (vgl. Schneider 2023)
der Sozialstaat und das soziale Sicherungssystem thematisiert, die Soziale Arbeit wird jedoch
übergangen.
7
Fazit
Die Grüne Soziale Arbeit interessiert sich für das Zusammenspiel von Individuum, Gesellschaft und
Natur. Ein praktisches Motiv treibt sie an, nämlich sozial-ökologisches Leid und sozial-ökologische
Ungerechtigkeiten zu mindern. Wirksames Veränderungshandeln Sozialer Arbeit beruht auf
der genauen Kenntnis des zu bearbeitenden Phänomens und seiner Genese. Gesellschaftliche
Naturverhältnisse, Naturbeherrschung, Naturzwang, Widerständigkeit und Nichtidentität der Natur,
Vorrang des Objekts, Strukturzwänge, Gestaltung als Strukturproblem, Lernprozesse, Praktiken,
Routinen, Ressourcen und Interessen, Institutionen und Organisationen – an all diesen theoretischen
Komponenten der Wiener Politischen Ökologie, welche die Soziale Ökologie mit anderen,
kritischeren theoretischen Mitteln fortsetzt, kann Grüne Soziale Arbeit bestens anschließen, um ihr
konkretes vielfältiges „Begrünungsprogramm“ (Husi 2022a: 307) zu verfolgen. Insofern sich Soziale
Arbeit diese Sichtweise aneignet, sie wissenschaftlich mitentwickelt und in ihrer Praxis mitbedenkt,
ist sie in der Lage, zur sozial-ökologischen Transformation ihre eigenen Beiträge programmgemäß
beizusteuern. Umgekehrt wären solche Beiträge auch von der Sozialen und Politischen Ökologie
interdisziplinär zur Kenntnis zu nehmen – und dies nicht nur in Wien.
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Über den Autor
Prof. Dr. Gregor Husi
Ist Soziologe und kam 1999 nach einem dreivierteljährigen Forschungsaufenthalt bei Pierre Bourdieu
in Paris an die Hochschule Luzern. Seine gegenwärtigen Themenschwerpunkte sind Grüne Soziale
Arbeit, soziale Kohäsion, Sozialtheorien und Professionalisierung.