Helmut Spitzer. Sterben, Tod und Trauer. Ein Fall für die Soziale Arbeit. soziales_kapital, Bd. 30 (2025). Rubrik:
30. Ausgabe 2025
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Sterben, Tod und Trauer
Ein Fall für die Soziale Arbeit
Helmut Spitzer
Zusammenfassung
In dem Beitrag werden Sterben, Tod und Trauer als Querschnittsmaterie und Kernthema Sozialer
Arbeit verortet. Ausgehend von einigen fachlichen Szenarien und persönlichen Reflexionen aus
dem Erfahrungsbereich des Autors wird argumentiert, dass diese Thematiken Phänomene des
professionellenAlltagsvonSozialarbeiter*innendarstellen,undzwarquerdurchalleHandlungsfelder.
Neben fachspezifischem Wissen und professionellen Kompetenzen benötigen Sozialarbeiter*innen
auch eine authentische Grundhaltung, die auf einer selbstreflexiven Auseinandersetzung mit dieser
Thematik beruht. Diese Auseinandersetzung sollte bereits auf der Ausbildungsebene stattfinden,
so das Credo dieses Beitrags. Beispielhaft wird auf eine Lehrveranstaltung Bezug genommen, in
der die Studierenden sich theoretisch, methodisch und persönlich mit Sterben, Tod und Trauer
beschäftigen.DabeiwirdderSeminarraumzueinemOrtderDeathEducation,derhöchstpersönlichen
Bildungsarbeit an existenziellen Grundfragen zur Dialektik von Leben und Tod.
Schlagworte: Sterben, Tod, Trauer, Death Education, Soziale Arbeit, Selbstreflexion,
multiperspektivische Fallarbeit
Abstract
This article explores dying, death, and grief as a cross-cutting issue and a core topic within the
domain of social work. Based upon diverse practice scenarios and personal reflections, it is argued
that these subjects are everyday phenomena in social work practice across multiple fields of action.
In addition to specialized knowledge and professional skills, practitioners require an authentic
attitude based on a critical self-reflection on this topic. The credo of this article is that this kind
of reflection should already take place at the training level. As an example, reference is made to a
course in which students deal with dying, death, and grief on a theoretical, methodological, and
personal level. As such, the classroom becomes a place of death education, of highly personalized
reflection on fundamental questions concerning the dialectical relationship between life and death.
Keywords: dying, death, grief, death education, social work, self-reflection, multi-perspective
casework
„Sterben ist einfach, doch Leben ist schwer.“ (Kübler-Ross 2010: 173)
„Die schmerzliche Verlusterfahrung anderer Menschen ist eine Bewährungsprobe für
unsere Fähigkeit, ihnen zu helfen.“ (Worden 2024: 260)
1
Intro: Fachliche Szenarien und persönliche Reflexionen
Ein Schulsozialarbeiter bereitet sich auf ein Treffen mit einer Klasse der Unterstufe eines Gym-
nasiums zum Thema Mobbing vor. Hintergrund ist ein konkreter Anlassfall, den der Klassenvorstand
mit dem Sozialarbeiter im Vorfeld besprochen hat. Beim Betreten des Klassenraums fällt ihm sofort
eine gedrückte Stimmung auf. Auf die wiederholte Frage, ob etwas vorgefallen sei, erntet er zunächst
nur Schweigen, aber an ein Arbeiten an dem geplanten Thema ist nicht zu denken. Erst nach
einiger Zeit berichtet eine Schülerin zaghaft, dass der Vater eines Mitschülers bei einem Autounfall
verstorben ist, und bricht in Tränen aus. Auch andere Mitschüler*innen beginnen zu weinen. Der
Sozialarbeiter beschließt spontan, sich voll und ganz auf die emotionale Belastung in der Klasse
einzulassen, zumal ihm in der Situation nicht nur die Schüler*innen, sondern auch die Lehrer*innen
ohnmächtig und hilflos erscheinen.
…
Eine Studentin der Sozialen Arbeit hat vor Jahren ihren älteren Bruder durch Suizid verloren. Der
Verlust wurde im Familiensystem tabuisiert, die Eltern trennten sich, die Trauer musste individuell
bewältigt werden. Jahre später unterstützt eine psychotherapeutische Begleitung den immer
wieder aufkeimenden Trauerprozess, der auch von diffusen Schuldgefühlen geprägt ist. Durch
die neuerliche Konfrontation mit der Thematik im Rahmen einer Lehrveranstaltung zu Sterben,
Tod und Trauer beschließt die Studentin, sich auch in ihrer wissenschaftlichen Abschlussarbeit
mit Unterstützungsmöglichkeiten für Suizidhinterbliebene zu beschäftigen. Die theoretische
Auseinandersetzung mit dem Thema erlebt sie als erkenntnisreich und unterstützend in der
persönlichen Bewältigungsarbeit. Sie geht aus dem Prozess gestärkt hervor.
…
Der Sozialarbeiter Bert unternimmt im Rahmen einer sozialpädagogischen Familienhilfe mit einem
fünfjährigen Jungen einen Spaziergang in dem etwas verwilderten Garten der Familie. Beim Spielen
im dichten Gestrüpp stürzen beide aus unerfindlichen Gründen in einen brachliegenden, fast 20
Meter tiefen Brunnenschacht. Bert stirbt an Ort und Stelle, der Bub, dessen Aufprall durch den
Körper seines Betreuers abgefedert wurde, überlebt wie durch ein Wunder. Er wartet stundenlang
auf Berts leblosem Körper auf die Rettungskräfte. Der Junge wird vermutlich sein ganzes Leben mit
diesem traumatischen Erlebnis zu kämpfen haben. Bert, der an diesem Tag wie sonst auch motiviert
von zu Hause losgefahren ist, kehrt nie wieder zu seiner Frau und seinen beiden Kindern zurück. Er
war ein Sozialarbeiter mit Leib und Seele, und er war mir ein Vorbild. Ich bin froh, dass ich ihm das
bei unserem vorletzten Treffen vor seinem Tod noch gesagt habe.
…
Mein Vater starb kurz nach seinem 70. Geburtstag nach vielen Jahren der Krankheit. Am Abend
vor seinem Tod besuche ich ihn ein letztes Mal im Krankenhaus. Er befindet sich in der Finalphase
des Sterbeprozesses, sein Atem ist flach und brüchig. Ich flüstere ihm ein paar Gedanken und
Erinnerungen zu, die mir noch wichtig erscheinen, dann verabschiede ich mich. Am nächsten
Morgen komme ich nochmal und sitze kurz bei seinem Leichnam. Obwohl er noch wenige Tage
zuvor gesagt hat, dass er gerne noch etwas leben möchte, erkenne ich in der Endgültigkeit seines
Todes die Bedeutung dessen, was ich vor vielen Jahren im Studium einmal gelesen habe: Im
Sterben vollendet sich die Biographie. Doch die Erkenntnis bietet nur wenig Trost. Vieles, was
in der ambivalenten Beziehung zwischen Vater und Sohn unausgesprochen gewesen ist, wird
für immer ungeklärt bleiben. Dies zu akzeptieren, ist Teil der Aufarbeitung des Verlusts eines
Menschen. Vielleicht ist das die Essenz dessen, was man gemeinhin als Trauerarbeit bezeichnet:
die ganzheitliche Integration eines verstorbenen Menschen mit all seinen Facetten in das eigene
Weiterleben.
2
Ein Fall für die Soziale Arbeit?
Diese Beispiele, die allesamt aus dem beruflichen und persönlichen Erfahrungsbereich des Autors
stammen, ließen sich beliebig fortsetzen. Mit den unterschiedlichen Szenarien und Reflexionen
ist bereits angedeutet, dass das Themenspektrum Sterben, Tod und Trauer abseits spezialisierter
Handlungsfelder wie Hospiz, Palliative Care und Trauerberatung eine Querschnittsmaterie Sozialer
Arbeit darstellt. Auch andere Autor*innen im Fachdiskurs argumentieren, dass es sich hierbei um
Phänomene des professionellen Alltags von Sozialarbeiter*innen quer durch alle Handlungsfelder
handelt (vgl. Hefel 2019; Krüger 2015; 2017). Sowohl Krüger (2017) in seiner grundlegenden
Auseinandersetzung mit Sterben und Tod in der Sozialen Arbeit als auch Hefel (2019), die deren
Verankerung (bzw. Vernachlässigung) in Bachelorstudien der Sozialen Arbeit diskutiert, akzentuieren
Verlust, Sterben und Tod als „Kernthemen“ der Profession. Mit der persönlichen Schilderung des
Autors zum Tod seines Vaters soll verdeutlicht werden, dass Menschen, die in der Sozialen Arbeit
tätig sind, selbst Verlust und Trauer erleben (können) – und dies entsprechend aufarbeiten und
reflektieren müssen, um in der konkreten Begegnung mit Betroffenen handlungsfähig zu bleiben.
Auch Studierende der Sozialen Arbeit haben diesbezügliche Herausforderungen zu bewältigen und
benötigen flankierende Reflexions- und Unterstützungsangebote, wie der Fall der Studentin zeigt,
die einen Suizid in der Familie erlebt hat. Nicht zuletzt sind alle Menschen als biologische Wesen nur
mit einer begrenzten Lebensdauer ausgestattet und vor dem Hintergrund dieser anthropologischen
Grundkonstante – der Endlichkeit des eigenen Lebens – persönlich betroffen. Dies gilt auch für
Sozialarbeiter*innen, und manchmal, wenn auch selten, kommt es sogar vor, dass man bei der
Ausübung seines Berufs stirbt.
Sozialarbeiter*innen haben es in den diversen Handlungsfeldern mit vielfältigen
Verlusterfahrungen zu tun, die ihre Adressat*innen zu bewältigen haben. Menschen verlieren ihren
Job, ihre Lebensgrundlagen, den/die Partner*in, ihre Heimat, manchmal auch ihren Selbstwert und
das Vertrauen in andere. Und sie verlieren Mitmenschen, wenn diese sterben. Das zieht sich quer
durch alle Lebensphasen, denn der Tod kennt keine Altersgrenze. Manche Menschen sterben, bevor
sie überhaupt auf die Welt kommen. Im Bereich der Frühen Hilfen werden Sozialarbeiter*innen mit
„werdenden Eltern“ konfrontiert, die plötzlich einen Verlust durch Fehl- oder Totgeburt verkraften
müssen. Todesfälle im Kindes- und Jugendalter sind besonders schmerzlich, mit gravierenden
Folgen für die Eltern, Geschwister und andere nahestehende Personen, z.B. beste Freund*innen.
In der Kinder- und Jugendhilfe stoßen Sozialarbeitende zuweilen auf trauernde junge Menschen,
deren Gefühlswelt durch irritierende Verhaltensweisen sowie durch Ohnmacht und Tabuisierung
in ihrer Umwelt zusätzlich verunsichert und verletzt wird. Auch in der Arbeit mit Erwachsenen
können Verlust und Trauer jederzeit Thema werden, sei es in der Bewährungshilfe, der Schuldner-
und Suchtberatung, der Wohnungslosenhilfe oder im Bereich der Krisenintervention. In der Arbeit
mit Asyl suchenden Menschen sind Sozialarbeiter*innen ebenfalls mit Verlusterfahrungen und
damit in Zusammenhang stehenden Trauer- und Traumareaktionen konfrontiert. Das gilt sowohl
für Erwachsene als auch in besonderem Maße für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. In der
Krankenhaussozialarbeit, beispielsweise auf onkologischen und geriatrischen Stationen, sowie
im Sozialdienst in Alten- und Pflegeheimen ist der Umgang mit Sterben und Tod omnipräsenter
Begleiter im Berufsalltag. Spätestens im hohen Alter werden die Endlichkeit und Vergänglichkeit
des eigenen Lebens existenziell konkret, das Lebensende ist unvermeidlich und lässt sich weder
hinausschieben noch verdrängen (vgl. Spitzer 2010).
Trauerfälle in Folge eines Suizids bedeuten für die Hinterbliebenen ganz besondere
Bewältigungsherausforderungen. Zusätzlich zur Intensität der persönlichen Emotionen und
Gedanken zu Schuld und Verantwortung stellen auch gesellschaftliche Stigmatisierungsprozesse
oder unangemessene Reaktionen aus dem Umfeld Belastungen für die Betroffenen dar. Hier
bedarf es bei der Trauerbegleitung besonderer Sensibilität und fundierter Kenntnisse möglicher
Trauerreaktionen, aber auch einer kritischen Reflexion eigener Vorstellungen und Gefühle, um eine
unparteiische und offene Haltung gegenüber Verstorbenen und Suizidhinterbliebenen an den Tag
legen zu können (vgl. Schenk 2014).
Sozialarbeiter*innen müssen, unabhängig von ihrem jeweiligen Aufgabenbereich, jederzeit
damit rechnen, mit Verlust und Trauer konfrontiert zu werden. In der Praxis geht es dabei um
Situationen, in denen sie es unvermittelt – in der Sprache der multiperspektivischen Fallarbeit nach
Burkhard Müller – mit einem Fall von Verlusterfahrung oder Trauerbewältigung zu tun haben. In
seinem Methodenklassiker Sozialpädagogisches Können (2009) beschreibt Müller drei Dimensionen
sozialpädagogischer Fälle: „Fall von“, „Fall für“ und „Fall mit“. Auf Basis professionstheoretischer
Überlegungen und angesichts der vier Prozessschritte im professionellen Handeln – Anamnese,
Diagnose, Intervention und Evaluation – stellen diese drei Dimensionen, die in enger Wechselwirkung
zueinander stehen, ein praktikables Reflexions- und Diagnoseinstrumentarium für die Bearbeitung
komplexer Fälle in der Sozialen Arbeit dar. Der Aspekt Fall von bezieht sich auf die inhaltliche
Dimension: Ein Fall von was ist es denn? Es geht dabei um die (zunächst vorläufige) diagnostische
Einschätzung eines Falles vor dem Hintergrund der zur Verfügung stehenden anamnestischen
Informationen und in Bezug auf das jeweilige Fachwissen. In der Regel wird die Frage von Fall
von multipel beantwortet, wobei sowohl fachliche wie juristische Aspekte eine Rolle spielen.
Mit fortdauernder Fallbearbeitung, aufgrund sich permanent ändernder Informationslage und
ausgehend von der Evaluation gesetzter Interventionsschritte kann die Fall-von-Dimension immer
neu definiert werden. Sie führt automatisch zur nächsten Dimension, dem Fall für. Diese bezieht
sich auf die fachliche Zuständigkeit, wobei in der Regel ein multiprofessionelles Zusammenspiel
von Sozialer Arbeit mit anderen Berufsgruppen und Instanzen besteht.
Um das oben angeführte Beispiel der Schulsozialarbeit aufzugreifen: Zunächst und wohl
auch in weiterer Folge ist es ein Fall von Mobbing in der Schulklasse. Durch das spontane Aufgreifen
des Verlusts eines Schülers hat es der Sozialarbeiter nun aber auch mit einem multiplen Fall von
individueller Trauer sowie kollektiver Betroffenheit der gesamten Klasse und des Lehrkörpers
zu tun. Das Thema wird somit unvermittelt zu einem Fall für die Schulsozialarbeit. In der Folge
könnte es aber auch sein, dass es ein Fall für die Trauerbegleitung des betroffenen Schülers wird,
beispielsweise durch die Organisation Rainbows, die Begleitung für Kinder und Jugendliche nach
dem Tod eines nahestehenden Menschen anbietet. Zusätzlich könnte es zu einem Fall für die
Psychotherapie werden, sollte sich ein diesbezüglicher Bedarf im Trauerprozess herausstellen.
Schließlich gibt es noch die Dimension Fall mit, die Müller (2009: 42) als die „vielleicht
wichtigste Dimension sozialpädagogischer Fallarbeit“ bezeichnet und bei der danach gefragt wird,
wer alles an dem Fall beteiligt ist bzw. daran beteiligt sein sollte. Man kann es so herunterbrechen: Es
sind immer mindestens zwei – mein Gegenüber und ich selbst in meiner professionellen Rolle, mit all
den mitschwingenden, zumeist unbewussten wechselseitigen Zuschreibungen und Übertragungen
in der Beziehungsdynamik sowie den emotionalen Befindlichkeiten, die oft unvermeidlich sind. In
Bezug auf unsere Thematik kann das bedeuten: Wenn es sich um einen Fall von Trauer und Verlust
handelt und dieser zu einem Fall für die Soziale Arbeit wird, kommt man dem Thema persönlich
nicht aus, weil jeder Fall unausweichlich auch ein Fall mit mir selbst als unmittelbar beteiligte Person
ist. Am Beispiel der Schulsozialarbeit: Der Todesfall wird im Klassenraum zu einem Fall mit den
anwesenden Schüler*innen, vielleicht auch mit dem Lehrer, in jedem Fall mit dem Sozialarbeiter
selbst, der die Situation unvorbereitet handhaben muss und womöglich emotional betroffen ist.
Um in solchen Momenten möglichst authentisch reagieren und professionell Unterstützung
anbieten zu können, sollten sozialberuflich tätige Menschen den eigenen Zugang zu Sterben,
Tod und Trauer kritisch reflektieren. Neben fachspezifischem Wissen und differenzierten
Handlungskompetenzen benötigen Sozialarbeiter*innen auch eine ethisch fundierte Grundhaltung,
die auf Akzeptanz, Empathie und einer selbstreflexiven Auseinandersetzung mit der Thematik
beruht. Dazu gehört auch die Beschäftigung mit eigenen Verlusterfahrungen, mit zurückliegenden
oder aktuellen Trauerprozessen sowie mit persönlichen Vorstellungen und – soweit vorhanden –
Verdrängungstendenzen und Ängsten in Hinblick auf die Endlichkeit der eigenen irdischen Existenz.
Hinzu kommt zuweilen eine religiöse, spirituelle oder metaphysische Dimension, die die Frage nach
einem Leben nach dem Tod und nach einer Entität, die manche Menschen Gott nennen, beinhaltet.
Diese fachliche und persönliche Auseinandersetzung sollte idealerweise bereits auf der
Ausbildungsebene stattfinden. Man kann getrost die Frage stellen: Wo sonst?
3
Death Education im Seminarraum
Nun verhält es sich im Studium der Sozialen Arbeit so, dass das Themenspektrum Sterben,
Tod und Trauer tendenziell unterrepräsentiert, ja geradezu vernachlässigt ist (vgl. Krüger 2015).
Dies zeigt auch die Studie von Johanna Hefel, die die Bachelor-Curricula österreichischer
Fachhochschulstudiengänge Soziale Arbeit diesbezüglich empirisch beforscht hat. Ihr Fazit:
„Es kann festgehalten werden, dass eine Vielzahl an Themen und Fragen zu Verlust,
Sterben und Tod im Kontext des Studiums Sozialer Arbeit noch ungeklärt sind
[sic!]. Der einseitig eingeschränkte Fokus auf Suizidalität und Suizid sowie die
medizinisch und psychologisch überformten Lehrinhalte entsprechen nicht der in
der Praxis vorgefundenen Realität und bereiten nicht auf sozialarbeitsspezifische
Aufgaben vor.“ (Hefel 2019: 174)
Die Autorin kritisiert zudem, dass es den Studierenden größtenteils an Reflexionsmöglichkeiten in
Hinblick auf individuelle Erfahrungen, Ängste und Haltungen bezüglich Sterben und Tod fehlt.
Nachstehend wird auf eine Lehrveranstaltung an der Fachhochschule Kärnten Bezug
genommen, in der die Studierenden sich ein Semester lang mit dieser Thematik beschäftigen.
Neben theoretischen und methodischen Aspekten geht es in der Lehrveranstaltung vor allem um die
persönliche Auseinandersetzung mit diesen Themen, mitunter auch um die Reflexion von eigenen
Verlust- und Trauererfahrungen in einem geschützten Rahmen. Somit wird der hochschulische
Seminarraum zu einem Ort der Death Education, der höchstpersönlichen Bildungsarbeit an
existenziellen Grundfragen zur Dialektik von Leben und Tod. Das aus dem US-amerikanischen
Raum stammende Konzept der Death Education eignet sich als anknüpfungsfähiges pädagogisches
Modell für die Integration dieser Thematik in das Studium der Sozialen Arbeit (vgl. Krüger 2015).
3.1 Zum Konzept der Death Education
Im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert vollzog sich in Westeuropa eine allmähliche Verlagerung
der Versorgung und Begleitung Sterbender vom alltäglichen und familiären Rahmen hin zum
medizinischen Kontext des Krankenhauses, es kam zu einer zunehmenden „Institutionalisierung des
Todes“ (vgl. Ariès 1982). Mit diesem Wandel wurden Sterben und Tod sukzessive der Öffentlichkeit
und dem Alltag entzogen. In Kombination mit dem Rückgang theologischer Deutungen zur
Sterbethematik setzte sich ein Prozess der gesamtgesellschaftlichen Tabuisierung sowie der
kollektiven wie individuellen Verdrängung in Gang. Gleichwohl blieb der Tod, das darf nicht außer
Acht gelassen werden, in grausamen Manifestationen allgegenwärtig, man denke nur an die beiden
schrecklichen Weltkriege und den Holocaust – die industrielle Vernichtung von Menschenleben
durch das NS-Regime.
Der Sterbeforscher Franco Rest (2006) konstatiert, dass die Todesleugnung und
Todesverdrängung in modernen industriekapitalistischen Gesellschaften bis in die 1970er Jahre
andauerte (vgl. dazu auch Elias 1982), bevor eine neuerliche Öffnung für die Brisanz dieser
Thematik stattfand. Letzteres ist vor allem auf die Hospizbewegung zurückzuführen, aber auch
auf die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema durch die Disziplin der Thanatologie. Vor
allem die Arbeit der Ärztin und Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross erreichte durch zahlreiche
populärwissenschaftliche Publikationen eine breitere Öffentlichkeit. Auch gesellschaftspolitisch und
rechtlich kann eine gewisse Öffnung für die Sterbethematik festgestellt werden. Symptomatisch
dafür sind in Österreich die Einführung der Patientenverfügung, der Vorsorgevollmacht und der
Hospizkarenz sowie der allmähliche Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung (vgl. Spitzer 2010).
Schließlich wurde mit der Verabschiedung des Sterbeverfügungsgesetzes 2022 die Möglichkeit des
assistierten Suizids juristisch geregelt. Allerdings sind in der Praxis diesbezüglich noch viele Fragen
offen (siehe dazu die Stellungnahme des Österreichischen Berufsverbandes der Sozialen Arbeit;
obds 2021).
Eine weitere Reaktion auf die gesellschaftliche Verdrängung der Sterbethematik ist das US-
amerikanische Konzept der Death Education, das auch in der deutschsprachigen Diskussion mit
dieser etwas sperrigen Bezeichnung aufgegriffen wurde. Ausgehend von der Death-Awareness-
Bewegung entwickelte sich ab den 1970er Jahren eine akademische Diskussion über die Wirkungen
der Thematisierung von Sterben, Tod und Trauer in der Ausbildung verschiedener Professionen
und Disziplinen wie Philosophie, Theologie, Psychiatrie, Psychologie, Beratung, Medizin und
Pflegewissenschaften (vgl. Krüger 2015; 2017: 67ff.). Inzwischen gilt Death Education als eigene
Wissenschaftsdisziplin und liefert auch Impulse für eine „konzeptionelle Grundhaltung“ (Krüger
2015: 26) von anderen Berufsgruppen und Disziplinen. Dem Bildungskonzept liegt die Überlegung
zugrunde, dass Studierende aller Fachrichtungen vom Wissen und von der Auseinandersetzung mit
Sterben und Tod profitieren können.
Das gilt auch für das Studium der Sozialen Arbeit. In den USA ist Death Education schon seit
Jahrzehnten als fixer Bestandteil im Curriculum verankert. Dabei werden Sterben, Tod und Trauer
als grundlegende Themen einer generalisierten Ausbildung für angehende Sozialarbeiter*innen
betrachtet (vgl. Krüger 2015). Krüger (ebd.: 30) bestimmt mit Bezug auf Hannelore Wass – eine
der wichtigsten Denkerinnen für die Entwicklung der Death Education – drei Kernthemen dieses
Bildungskonzepts: die Thematisierung von Meinungen und Haltungen gegenüber dem Tod, die
Erweiterung des Wissens um Prozesse des Sterbens und der Trauer sowie die Sorge für Menschen,
die vom Tod betroffen sind. Alle drei Bereiche sind für die Praxis der Sozialen Arbeit relevant. Ich
habe an anderer Stelle drei wesentliche Aufgabenbereiche für die Sozialarbeit dargestellt, die
mit diesen Kernthemen in engem Zusammenhang stehen: erstens die Arbeit mit schwerkranken
und sterbenden Menschen als „Lebensbegleitung im Prozess des Sterbens“ (siehe dazu auch
Mennemann 1998); zweitens die Begleitung und Unterstützung von An- und Zugehörigen beim
Abschiednehmen und bei der Trauerbewältigung; und drittens die Auseinandersetzung mit Sterben
und Tod als bildungspolitische Aufgabe, die im Grunde schon in der Kindheit ansetzen sollte und
über die Lebensphasen hinweg immer bedeutsamer wird (vgl. Spitzer 2010). Um diese Aufgaben
bewältigen zu können, muss die Thematik in der Ausbildung von Sozialarbeiter*innen curricular
verankert werden. Diese Überlegungen waren der Ausgangspunkt für die Konzeption des besagten
Seminars mit dem Titel „Sterben, Tod und Trauer – Soziale Arbeit als Verlustarbeit“.
3.2 Praktische Einblicke
Die Lehrveranstaltung wurde im Zuge einer Überarbeitung des Bachelor-Curriculums erstmals
im Sommersemester 2023 angeboten und ist im vierten Semester platziert. Sie umfasst zwei
Semesterwochenstunden und ist mit zwei ECTS-Punkten bewertet (nach dem „European Credit
Transfer System“ sind das maximal 50 Arbeitsstunden an Leistungsaufwand für die Studierenden).
DasSeminarwirdidealerweiseingeteiltenGruppeneinesJahrgangsabgehalten.Eineüberschaubare
Gruppengröße erleichtert den persönlichkeitsorientierten Zugang zu den Lehrinhalten. Auf Basis
aktiver Mitarbeit, der Teilnahme an Übungen sowie der Erledigung bestimmter Aufgaben bekommen
die Studierenden am Ende des Seminars die Bewertung „Mit Erfolg teilgenommen“. Dies begründet
sich damit, dass persönliche Reflexionsarbeit sich einer Bewertung in Form einer Note entzieht. Vor
Einführung dieses Seminars wurde das Thema Sterben und Tod über viele Jahre hinweg vorwiegend
in einer Lehrveranstaltung zu sozialer Altenarbeit verhandelt, mit einem Ausmaß von maximal vier
Unterrichtseinheiten. Die „Geburt“ des Seminars zu Sterben, Tod und Trauer ist letztlich auf das
wiederholte Feedback der Studierenden zurückzuführen, dass sie sich mehr Zeit für diese Thematik
gewünscht hätten.
Ausgehend von einer kritischen Reflexion eigener Zugänge zu den Themen Sterben und Tod
soll das Seminar theoretische und methodische Grundlagen aus den Bereichen Hospiz, Palliative
Care, Thanatologie, Sterbebegleitung und Trauerberatung vermitteln. Als zentrales Lernergebnis
wird in der Lehrveranstaltungsbeschreibung festgehalten, dass die Studierenden die Bedeutung
der Auseinandersetzung mit Sterben und Tod als Querschnittsthema der Sozialen Arbeit erkennen
sollen. Fokus der folgenden Ausführungen ist der selbstreflexive und praxisorientierte Anteil des
Seminars. Der inhaltliche und didaktische Zugang basiert auf der Annahme, dass Selbstreflexion –
unabhängig von dieser speziellen Thematik – ein bedeutsamer und notwendiger Bestandteil in der
Ausbildung der Sozialen Arbeit darstellt bzw. darstellen sollte. Neben theoretischem Fachwissen
und methodischen Kompetenzen stellt persönlichkeitsorientierte und biographische Selbstreflexion
einen wichtigen Pfeiler für die professionelle Identität und den professionellen Habitus von
angehenden Sozialarbeiter*innen dar (vgl. Spitzer 2011).
In der Regel beginne ich die Lehrveranstaltung – neben einem detaillierten Seminarüberblick
und einem thematischen Aufriss – mit meinem persönlichen Zugang zu dem Thema. Dadurch
sollen auch die Studierenden motiviert werden, über sich selbst zu sprechen, allerdings nach dem
Prinzip der Freiwilligkeit und ohne Gruppenzwang. In diesem Seminar geschieht dies durch offene
GesprächsrundenimSitzkreis.DafürplaneichzumeistvierEinheitenein,damitgenügendZeitfüreine
vertiefte Kommunikation zur Verfügung steht. Die meisten dieser Sitzungen sind überaus intensiv,
zumeist fließen auch Tränen. Viele Studierende, auch jene, die noch recht jung sind, berichten von
zurückliegenden und manchmal auch aktuellen Verlusterfahrungen und Trauerprozessen. Vielfach
geht es dabei um existenzielle Grundfragen in Zusammenhang mit dem eigenen Lebensentwurf, der
Frage nach dem Sinn des Lebens und den Vorstellungen eines Weiterlebens nach dem physischen
Tod. Auch ethische Dilemmata im Umgang mit assistiertem Suizid sowie Fragen von Autonomie und
Menschenwürde am Ende des Lebens werden zum Teil sehr emotional diskutiert. Zum Abschluss
solcher Treffen erfolgt eine gemeinsame Reflexion über gewonnene Erkenntnisse, aufgetretene
Irritationen und weiterführende Fragen. Bis auf gelegentliche Ausnahmen ist die Resonanz der
Studierenden auf eine solcherart ausgelegte Lehrveranstaltung – trotz oder gerade wegen der
damit einhergehenden hohen emotionalen Beteiligung – tendenziell sehr positiv. Im Anschluss an
das Seminar biete ich jedes Mal die Möglichkeit von Einzelgesprächen in meinem Büro an, was
aber selten in Anspruch genommen wird.
In einem eher als Input angelegten Teil des Seminars werden den Studierenden anhand
eines vorbereiteten Skriptums zentrale historische, gesellschaftspolitische, juristische und fachliche
Aspekte der Thematik vermittelt. Dabei lernen die Student*innen auch zwei bedeutende Pionierinnen
in diesem Bereich kennen – Cicely Saunders, die (eher unbekannte) Begründerin der modernen
Hospizbewegung, und Elisabeth Kübler-Ross, die berühmte Sterbeforscherin. Darauf aufbauend
folgen mehr praxisorientierte Einheiten, zum Beispiel die Bearbeitung einer Fallvignette zum Thema
Verlust und Trauer in Form eines Rollenspiels. Dies ist für die Studierenden eine gute Möglichkeit,
sowohl eine beratende Rolle zu erproben als auch jene von trauernden Klient*innen zu erspüren.
Nach dem Rollenspiel, das in Echtzeit vom Gesprächsbeginn bis zum Abschluss durchgespielt
wird (mit Unterbrechungen durch ein reflektierendes Team), erfolgt die gemeinsame Reflexion und
Aufarbeitung. Dabei wird zumeist deutlich, dass so ziemlich alle Beteiligten, auch jene, die nur eine
Beobachterrolle inne hatten, nicht nur eine fachliche Meinung zur Fallbearbeitung haben, sondern
auch affektiv berührt sind. So werden Rollenspiele nicht nur als geeignetes didaktisches Mittel
sichtbar, um einen Theorie-Praxis-Transfer im Seminarraum herzustellen. Deutlich wird auch ihr
Potenzial, eine Reflexionsfolie zur Überprüfung eigener Persönlichkeitsanteile in einer konkreten
Fallbearbeitung zur Verfügung zu stellen (vgl. Spitzer 2011).
Die Studierenden bekommen neben dem Lesen der Pflichtlektüre auch weitere Blended-
Learning-Aufgaben, die außerhalb der Lehrveranstaltung zu erledigen sind. Dazu gehören der
Besuch eines Friedhofs, die Auseinandersetzung mit der „letzten Liste“ sowie das Anschauen
von ausgewählten Filmen. Der Friedhofsbesuch soll gemeinsam mit einer Person des Vertrauens
durchgeführt werden, vorzugsweise schweigend. Ich lade die Studierenden dazu ein, ihre
Aufmerksamkeit frei schweben zu lassen, ein besonderer Fokus soll aber auf die Betrachtung
der Grabsteine in Hinblick auf die Geburts- und Sterbedaten gelegt werden. Anschließend soll
ein Austausch zu zweit stattfinden. In den schriftlichen Reflexionen der Student*innen und in den
Evaluationsergebnissen zu der Lehrveranstaltung lassen sich tendenziell einige Erkenntnismomente
ablesen, die durch den Friedhofsbesuch angeregt worden sind. Die Beschreibung reicht von einer
„spannenden Erfahrung“ über „Impulse zum Nachdenken über Leben und Tod“ bis hin zu einem
„geschärften Blick für das, was im Leben wichtig und wesentlich ist“. Manchmal wird auch das
Wiedererleben von zurückliegender Trauer oder die Angst vor dem Verlust geliebter Menschen
thematisiert. Hier ist ein Auszug aus der Reflexion einer Studentin:
„Der Friedhof ist für mich kein Ort der Angst, sondern ein Ort des Friedens und der
Reflexion. Er erinnert mich daran, dass das Leben kostbar ist und dass es in der
Erinnerung und in den Herzen der Menschen weiterlebt. Diese menschlichen Gefühle
– Trauer, Ehrfurcht, Frieden und Dankbarkeit – begleiten mich, während ich den
Friedhof verlasse und in die lebendige Welt zurückkehre.“i
In seltenen Fällen – zumeist im Zusammenhang mit akuten Verlusterlebnissen – ist es jemandem
nicht möglich, einen Friedhof aufzusuchen. Die Betroffenen erhalten dann von mir einen alternativen,
leichter auszuführenden Auftrag.
Eine weitere Herausforderung für die Studierenden stellt die Auseinandersetzung mit der
„letzten Liste“ dar. Dieser aus 100 Fragen bestehende Fragenkatalog am Ende des Buches Es
lebe der Tod (Likar/Pinter/Janig/Frühwald/Cernic 2021: 176ff.) fordert zum Nachdenken über das
eigene Leben und über Vorstellungen zu Sterben und Tod heraus. Bei einigen Fragen geht es um
eine retrospektive Sichtweise auf einzelne Aspekte der bisherigen Biographie, bei anderen um eine
gegenwärtige Standortbestimmung, eine dritte Kategorie beschäftigt sich mit Zukunftsperspektiven
und damit, was man angesichts der eigenen Endlichkeit gegebenenfalls am eigenen Leben
verändern möchte. Die Studierenden bekommen die Aufgabe, die gesamte Liste durchzugehen,
können aber individuelle Schwerpunkte der Reflexion treffen – je nachdem, wovon sie sich
besonders angesprochen fühlen oder was für sie gerade bedeutsam ist. Das Feedback zu dieser
Aufgabenstellung ist bis dato, bis auf wenige Ausnahmen, sehr positiv ausgefallen. Mitunter haben
sicheinzelneStudierendesogarfürdieAufgabebedankt–geradezueineSeltenheitimakademischen
Lehrbetrieb. Eine Studentin fasste ihre persönliche Auseinandersetzung so zusammen:
„Die meisten Fragen lösten bei mir besonders tiefgründige Gedanken und Gefühle
aus. Einige Fragen führten zu Erkenntnissen, da ich über viele Themen noch nie
nachgedacht habe. Ich fand diese Liste mit Fragen besonders spannend, da ich
auch einiges über mich erfahren konnte. Die Exkursion [zum Friedhof] sowie die Liste
der 100 Fragen waren definitiv eine Bereicherung!“
Zuletzt noch zu den beiden Filmen, die ich abwechselnd in die Lehrveranstaltung einbaue. Zum
einen handelt es ich dabei um den Spielfilm Halt auf freier Strecke (2011) des deutschen Regisseurs
Andreas Dresen, der immer wieder gesellschaftspolitisch brisante Themen aufgreift, die auch für
die Soziale Arbeit relevant sind. In diesem Film geht es um eine Familie, die sich plötzlich mit einer
Krebsdiagnose und dem bevorstehenden Tod eines Familienmitglieds auseinandersetzen muss.
Zum anderen verwende ich den Dokumentarfilm Zeit zu gehen (2006) sehr gerne. In dem Film
beobachtet die österreichische Filmemacherin Anita Natmeßnig über mehrere Monate hinweg
den Alltag in einem stationären Hospiz. Didaktisch gehe ich so vor, dass sich die Studierenden
den jeweiligen Film außerhalb des Seminars ansehen, vorzugsweise zeitnah zum nächsten
Veranstaltungstermin, sodass wir die Eindrücke und Meinungen besprechen können, wenn sie
noch recht „frisch“ sind. Beide Filme lösen bei den Studierenden in der Regel heftige emotionale
Reaktionen aus und eignen sich gerade dadurch als Folie für fachliche und persönliche Reflexionen.
Dazu abschließend ein Auszug aus der schriftlichen Reflexion einer Studentin:
„Der Dokumentarfilm ‚Zeit zu gehen‘ ist von einer tiefen Menschlichkeit geprägt und
führte zu verschiedenen Gefühlen bei mir. Durch die intimen Einblicke in das Leben der
Patienten im Hospiz entstand eine starke Verbindung zu ihnen. Ich konnte die
Ängste, Hoffnungen und Freuden der Menschen nachempfinden. Angesichts der
Tatsache, dass die Hauptdarsteller unheilbar krank sind und ihre letzten Tage
verbringen, ist Trauer ein vorherrschendes Gefühl. Jedoch erinnerte mich der Film
daran, wie kostbar das Leben ist. Dadurch entstand eine Dankbarkeit für die eigene
Gesundheit und die Möglichkeit sowie den Wunsch, das Leben in vollen Zügen zu
genießen. Ebenso wurde mir wieder bewusst, wie wichtig es für mich ist, die
verbleibende Zeit mit meiner Mutter zu genießen.“
4
Abschließende Bemerkungen
Ich arbeite nun seit annähernd 20 Jahren mit Studierenden der Sozialen Arbeit zu den Themen
Sterben, Tod und Trauer. Zumeist sind das überaus intensive Arbeitsprozesse, die von großer
emotionaler Beteiligung geprägt sind, die aber auch von einem gegenseitigen Vertrauen zwischen
den Student*innen und mir als Lehrveranstaltungsleiter getragen werden – dem Vertrauen, dass
man sich auch im Hochschulkontext von einer persönlichen und verletzlichen Seite zeigen darf. Das
gilt auch für mich selbst. Immer wieder berühren mich die geteilten Erfahrungen und Meinungen der
Seminarteilnehmer*innen und regen mich zum Weiterdenken an. So verstanden ist Death Education
ein wechselseitiger Lehr-Lern-Prozess.
Aus meiner Sicht ist die fachliche und persönliche Auseinandersetzung der Studierenden
mit dieser Thematik ein wichtiger Meilenstein auf ihrem Weg zu professionellen Sozialarbeiter*innen.
Neben der Aneignung und Festigung spezifischer Kompetenzen und einer akzeptierenden,
empathischen und reflexiven Haltung, die für die spätere Berufspraxis erforderlich sind, erfahren die
Student*innen durch die Konfrontation mit Sterben und Trauer auch mehr über sich selbst, über ihre
Einstellung zum Leben und zur Unausweichlichkeit des Todes. Im Tibetischen Buch vom Leben und
vom Sterben heißt es dazu: „Der Tod ist ein Spiegel, in dem der ganze Sinn des Lebens reflektiert
wird.“ (Rinpoche 2010: 30) In dieser Lesart wird Bildung, abgesehen vom Kompetenzerwerb, im
besten Sinne zur Persönlichkeitsbildung.
Zuweilen kommt auch der Humor in solchen Seminaren nicht zu kurz. Abschließen möchte
ich mit einem Zitat einer Studentin, die – wenn auch unbewusst – die Dialektik von Leben und Tod
so zum Ausdruck gebracht hat: „Wenn ich heute sterben würde, könnte ich gut damit leben.“
Verweise
i Für sämtliche verwendete Zitate von Student*innen liegen dem Autor schriftliche Zustimmungserklärungen für die Veröffentlichung vor.
Literaturverzeichnis
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Über den Autor
FH-Prof. Mag. Dr. Helmut Spitzer
Professor für Soziale Arbeit mit den Schwerpunkten Internationale Soziale Arbeit und Soziale
Altenarbeit an der Fachhochschule Kärnten.