Peter Peinhaupt. Männlichkeiten. Autoritäre Rück-schläge und emanzipatorische Perspektiven. soziales_kapital, Bd. 31 (2025). Rubrik:
31. Ausgabe, 2025
Geschlechtergerechtigkeit
Männlichkeiten
Autoritäre Rückschläge und emanzipatorische Perspektiven
Peter Peinhaupt
Zusammenfassung
Aktuelle autoritäre Entwicklungen zeigen eine soziale Remaskulinisierung und autoritäre Re-
Souveränisierung von Männlichkeiten. Dies führt zum Erstarken maskulinistischer Identitätspolitik,
die Gewalt, Homo- und Transfeindlichkeit sowie Sexismus normalisiert und Gleichstellung,
Pluralität und demokratische Werte ablehnt. Soziale Arbeit und Männer*arbeit müssen aktiv auf
diese Tendenzen einwirken. Der Beitrag verknüpft verschiedene theoretische Konzepte der
kritischen Männlichkeitsforschung mit empirischen Analysen zu Remaskulinisierung und anti-
emanzipatorischen Dynamiken. Rechte, autoritäre und ehrkulturelle Ideale werden beschrieben
und mit eigenen Erfahrungen aus der Anti-Gewalt-Beratung in Wien verbunden. Der Beitrag zeigt,
dass transformative Männer*arbeit individuelle, diskursive, politische und affektive Dimensionen
integrieren muss, um autoritären Tendenzen entgegenzuwirken und demokratische Kultur zu
stärken.
Schlagworte: autoritäre Männlichkeiten, kritische Männer*arbeit, Remaskulinisierung, Caring
Masculinities, Performativität, Geschlecht, Affekt und Macht
Abstract
Current authoritarian developments reveal a social remasculinization and an authoritarian re-
sovereignization of masculinities. These shifts fuel a resurgence of masculinist identity politics that
normalizes violence, homo- and transphobia, and sexism while rejecting gender equality, pluralism,
and democratic values. Social work and men’s work must respond proactively to these tendencies.
This article links theoretical concepts from critical masculinity studies with empirical analyses of
remasculinization and anti-emancipatory dynamics. It examines right-wing, authoritarian, and
honor-culture ideals and connects them with the author’s practice-based insights from anti-violence
counselling in Vienna. The article argues that transformative men’s work must integrate individual,
discursive, political, and affective dimensions in order to counter authoritarian trends and strengthen
democratic culture.
Keywords: authoritarian masculinities, critical men’s work, remasculinization, caring masculinities,
performativity, gender, affect and power
1
Einleitung
Autoritäre Männlichkeitsideale treiben autoritäre Entwicklungen entscheidend voran. Besonders
besorgniserregend ist derzeit die wachsende Kluft zwischen den Einstellungen von jungen Männern*
feministische Emanzipation sei die Ursache für männlichen Statusverlust. Rechte Politiker:innen
fordern im Einklang mit Akteur:innen der Manosphere eine soziale Remaskulinisierung durch die Re-
Souveränisierung autoritärer Männlichkeit. Sie kanalisieren Wut und Unsicherheit und setzen auf das
heterosexuelle Familienbild als Quelle von Geborgenheit und Sicherheit. Wie Birgit Sauer feststellt,
entstehthiereinemaskulinistischeIdentitätspolitikundesistvoneinerantidemokratischenKonjunktur
verschärft. Die Folgen sind gewaltaffine Männer*, die Normalisierung von Sexismus sowie Homo-
und Transfeindlichkeit. Die Verteidigung patriarchaler Ordnungen bedingt die Ablehnung von
Gleichstellung, Pluralität und Vielfalt – und führt damit direkt zu Demokratiefeindlichkeit.
Diese Entwicklung zeigt die Aktualität kritischer Männer*arbeit und die Notwendigkeit, dass
sich auch die Soziale Arbeit mit Männlichkeit auseinandersetzt. Angesichts autoritärer Bedrohungen
ist es zentral, anti-emanzipatorische Mechanismen zu verstehen und emanzipatorische
Widerstandspraxen zu entwickeln, um die demokratische Kultur zu stärken. Wer eine plurale
und vielfältige Gesellschaft sichern will, muss diesen Tendenzen entschieden entgegentreten.
Evidenzbasierte Männer*arbeit eröffnet hier einen vielversprechenden Weg – nicht nur zur
Gewaltprävention, sondern auch zur Förderung demokratischer Kultur.
Der vorliegende Beitrag diskutiert theoretische Konzepte aus dem Bereich der Gender
Studies mit Blick auf aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen in der Praxis. Die Reflexion soll
einen Beitrag zur Entwicklung einer emanzipatorischen sozialarbeiterischen Praxis leisten. Abschnitt
2 erhellt die historischen und theoretischen Grundlagen der kritischen Männlichkeitsforschung. Im
Zuge dessen werden zentrale Konzepte wie das der hegemonialen Männlichkeit nach Raewyn
aktuelle Entwicklungen und Analysen zur Remaskulinisierung auf. Rechte, autoritäre (vgl. Sauer/
Praxiserfahrungen aus der Anti-Gewalt-Beratung verknüpft. Abschnitt 4 erläutert praxisbezogene
Subversion und Dekonstruktion von Geschlechternormen. Abschnitt 5 beschreibt Praxisfallstricke,
wie die Individualisierung in der Bearbeitung, Probleme therapeutischer Logiken und das Fehlen
gesellschaftspolitischer Dimensionen. Das Fazit fasst die Befunde zusammen und zeigt das
methodische Potenzial eines Zusammenspiels von Sorge, Dekonstruktion und affektpolitischen
Verschiebungen auf. Der Beitrag versteht sich als Einladung zur Debatte, zum Ausprobieren und
zur weiteren kritischen Reflexion.
2
Historie und theoretischer Hintergrund
Die kritische Männlichkeitsforschung bildet die zentrale Grundlage der psychosozialen Arbeit
mit Männern*. Wie Elliot (2016: 243) darlegt, lassen sich drei historische Wellen unterscheiden:
In den 1950er Jahren standen hegemoniale Rollenanforderungen im Mittelpunkt, in den 1980er
Jahren rückten männliche Gewalt und Macht in den Fokus und seit den 1990er Jahren betrachten
postmoderne Ansätze männliche Identität als Produkt diskursiver Praktiken, Machtverhältnisse und
Widerstandsformen.
Das zentrale analytische Konzept der Männerforschung der 1980er ist das der hegemonialen
und wie diese soziale Machtstrukturen stabilisieren. Hegemoniale Männlichkeit dient dabei als
unerreichbares Ideal, an dem andere Formen gemessen, bewertet und oft in untergeordnete
Positionen gedrängt werden (subordinated, marginalized, complicit masculinities). Connell
verdeutlicht, dass Identität keine feste Eigenschaft, sondern eine soziale Praxis ist, die Zugehörigkeit
organisiert, Anerkennung schafft und Ausschlüsse bedingt – immer relational und in soziale Felder
eingebettet.
Judith Butler (2007: 25) erweiterte in den 1990ern diese Perspektive: „Männlich“ und
„weiblich“ sind ihr zufolge keine natürlichen Gegebenheiten, sondern werden performativ
hergestellt. Geschlecht entsteht durch die unablässige Wiederholung normierter Handlungen,
Gesten und Praktiken. Jede Performance stabilisiert Normen, schafft Zugehörigkeit und markiert
zugleich Grenzen. In Anlehnung an Foucault zeigt Butler, dass Macht nicht nur unterdrückt, sondern
Subjektivität formt. Anerkennung und Ausschluss sind zentrale Bestandteile der sozialen Ordnung;
Männlichkeit wird so ständig hergestellt, verhandelt und reguliert.
Ein Kritikpunkt am Konzept der hegemonialen Männlichkeit liegt in der starken Gewichtung
ökonomischer Macht und beruflichen Erfolgs als normativen Maßstäbe, während alltägliche
verteilt und politisch wirksam sind. Sie strukturieren soziale Räume, markieren Zugehörigkeit und
normative Grenzen und stabilisieren Machtverhältnisse. Auf Männlichkeit übertragen bedeutet dies,
dass Aggression, Härte oder Gefährlichkeit nicht nur Anerkennung verschaffen, sondern zugleich
als Zuschreibungen wirken, die gesellschaftliche Positionen stützen. Besonders deutlich wird dies
in Diskursen um sogenannte junge migrantische Intensivtäter, wo Geschlecht, Migration und Affekte
wie Angst und Stärke aufeinandertreffen.
Das Konzept der Remaskulinisierung ergänzt diese Analysen: Männer* behaupten sich
diesem zufolge durch die (Re-)Aneignung autoritärer Normen – Stärke, Härte, emotionale Kontrolle
– und sichern damit ihren sozialen Status. In Verbindung mit Butlers dekonstruktivem Geschlechter-
Konzept und Ahmeds affektiver Perspektive lässt sich sagen, dass Männlichkeit relational, normativ
und emotional durchwirkt ist. Sie entsteht in einem Feld von Praktiken, Zuschreibungen und
Gefühlen, das sowohl Handlungsspielräume eröffnet als auch zu Ausschlüssen führt.
IchselbstarbeiteinderMännerberatungWien. Diesewurde1984gegründetundistdieälteste
Einrichtung ihrer Art in Europa. Sie entstand im Kontext der feministischen Frauenhausbewegung
und ausgehend von der Frage, was mit gewalttätigen Männern* passiert. Die Gründung fällt in
eine Zeit, zu der männliche Gewalt und Macht zunehmend ins Zentrum wissenschaftlicher und
praktischer Aufmerksamkeit rückten. Die Einrichtung arbeitet der individuellen Verhaltensänderung
hinzueinemgewaltfreienLebenzu;inderPraxiswirdsichhäufigaufConnellsAnalysenhegemonialer
Männlichkeit bezogen.
Die Programme der Männerberatung reichen von niederschwelliger Beratung und
Telefonhotline bis zu forensisch-therapeutischen Interventionen im Strafvollzug. Es wird eng
mit Frauenschutzeinrichtungen im Rahmen opferzentrierter Täterarbeit zusammengearbeitet.
Theoretische Weiterentwicklungen finden nur punktuell Eingang in die Praxis, z. B. Ansätze wie
Caring Masculinities, die fürsorgliche Männlichkeitsideale etablieren, oder subversive Zugänge,
die cis-heteronormative Matrizen und binäre Geschlechterordnungen aufbrechen. Aktuelle
Erkenntnisse der Affektforschung eröffnen wichtige Perspektiven, sind in der Praxis jedoch bislang
kaum implementiert.
3
Autoritäre Rückschläge und anti-emanzipatorische Dynamiken
Wissenschaftler:innen beobachten derzeit ein globales Erstarken antifeministischer Diskurse
zivilgesellschaftliche Initiativen, Lobbygruppen sowie Online-Communities wie Incel-Foren
mobilisieren verstärkt gegen Feminismus und sexuelle Selbstbestimmung. Ihr Ziel ist die
Stabilisierung und der Ausbau patriarchaler und cis-heteronormativer Gesellschaftsordnungen.
Diese Dynamiken zeigen sich auch auf politischer Ebene: Gerade in den USA, aber auch in Europa
werden die Rechte von Frauen und LGBTQ+-Personen systematisch angegriffen – in Österreich
Besonders besorgniserregend ist, dass junge Männer zunehmend antifeministische
Positionen vertreten. Forschungen führen dies auf eine wahrgenommene Konkurrenz zwischen den
männlicher Opferstatus konstruiert und davon ausgegangen, Männer wären benachteiligt in einer
vermeintlich weiblich dominierten Gesellschaft, in der die Gleichstellung „zu weit“ gegangen sei.
Dieses Narrativ ist Teil breiterer anti-liberaler Politiken in westlichen Gesellschaften, die Misogynie,
Homofeindlichkeit, Transfeindlichkeit und Anti-Gender-Fundamentalismus miteinander verknüpfen
der Manosphere genutzt – einem heterogenen Netzwerk antifeministischer Online-Communities, die
sich selbst als Männerrechts-Aktivist:innen (MRAs), Incels und Pick-up-Artist-Gruppen bezeichnen
–, um kollektive Wut und Ressentiment zu mobilisieren. Empirische Untersuchungen zeigen die
Rights“- oder gewaltorientierten Akteur der Manosphere zu vertrauen; unter jüngeren Männern liegt
dieser Anteil bei nahezu der Hälfte 50%. Gleichzeitig leiden viele Männer unter geringem Vertrauen in
die Zukunft, fehlender sozialer Unterstützung und Isolation: 65 % der 18- bis 23-Jährigen geben an,
niemanden wirklich gut zu kennen, 40 % zeigen depressive Symptome und 44 % hatten innerhalb
der zwei Wochen vor der Befragung Suizidgedanken.
In der Praxis der Anti-Gewalt-Beratung wird sichtbar, wie sich diese Strukturen in
alltäglichen Männlichkeitspraktiken niederschlagen. Zwei Modelle fallen besonders auf: Das erste
ist das Erstarken eines neuen rechten Ideals. Jugendliche orientieren sich an Figuren wie Andrew
Tate, sehen sich selbst als „Verlierer des Feminismus“ und fordern, teils gewalttätig, hierarchische
Geschlechterordnungen sowie die Unterordnung von Frauen*. Ihr Status ist an Inszenierungen von
Härte, Fitness und dominanter, rebellischer Haltung gebunden. Ähnliche Entwicklungen beschreibt
der Artikel „The Cruel Kids’ Table“: Dort wird Männlichkeit als unerschrocken, dominant und
rebellisch gegenüber politischer Korrektheit inszeniert – mit direktem Einfluss auf kulturelle Normen
Das zweite Modell verbindet rechte Männlichkeitsbilder, MMA-Videos und ehrkulturelle
enge, egalitäre und bruderschaftliche Bindungen unter Gleichaltrigen, in denen Status und Macht
über gemeinsame Gewalt und eine rigide Geschlechterordnung gesichert und radikale Homo-
Jugendlichen wird diese Mischung aus Manosphere-Orientierungen und bruderschaftlicher Logik
sichtbar: Weibliche Körper werden unter dem Verweis auf „Haram“ kontrolliert, gesellschaftliche
Exklusion wird dem vermeintlich „verweichlichten“ westlichen Feminismus zugeschrieben.
Konsumiert werden MMA-Videos, Inhalte der Manosphere und religiöse Echokammern. Ein Großteil
der Freizeit wird unter Brüdern verbracht, häufig in Parks oder auf öffentlichen Plätzen, wo Status,
Loyalität und die performative Inszenierung von Härte täglich geübt und überprüft werden.
In der Anti-Gewalt-Beratung begegne ich vor allem einer kleinen Gruppe junger Männer,
die sich stark an diesen Idealen orientiert. Gesellschaftlich stellen sie nur eine Minderheit dar, doch
in der Beratung sind sie besonders präsent – ihre Überrepräsentation prägt meinen Blick. Die
von ihnen vertretenen Ideale dienen häufig der Rechtfertigung der ausgeübten Gewalt: Es müsse
ein Bruder verteidigt werden, Frauen* hätten sowieso zu viele Rechte. Gleichzeitig wirken diese
Normen oft gegen sie selbst: Viele berichten von depressiver Stimmung, heimlichem Weinen oder
suizidalen Gedanken, andere zeigen mir ihre offenen Handknöchel oder Videos von Schlägereien.
Paradoxerweise liegt gerade darin die Anziehungskraft dieser Normen: Sie stiften Zugehörigkeit
und Anerkennung. Das Patriarchat und seine Ideale verändern sich – und das muss keineswegs
automatisch emanzipatorisch sein. Doch wie sehen emanzipatorische Praxen in der Männer*arbeit
aus?
4
Emanzipatorische Perspektiven
Caring Masculinities ist das zentrale Konzept in der Arbeit mit Männern* in Österreich (vgl. Elliott
Männlichkeitsforschung und auf Idealen einer feministischen Sorgeethik auf. Aus der kritischen
Männlichkeitsforschung übernimmt es die Idee der Multiplizität von Männlichkeiten – und damit
die Veränderbarkeit sowie die mögliche Bearbeitung von Männlichkeiten. Es greift Connells
Konzept der hegemonialen Männlichkeiten auf und betont deren Situierung sowie Hierarchie und
übernimmt es Werte und Haltungen wie Interdependenz, Empathie, Affektivität, Aufmerksamkeit und
gegenseitige Verantwortung. Diese sollen tradierte Werte wie Stärke, Gewalt und Selbständigkeit
ersetzen.
Das Konzept der Caring Masculinities ist politisch, weil es von der Veränderbarkeit von
Männlichkeitsbildern durch alltägliche Praxen ausgeht und den gesellschaftstransformativen
als zentrale gesellschaftliche Motoren, der Sorge wird als Notwendigkeit menschlicher Existenz der
entsprechende Stellenwert gegeben – im Unterschied zu patriarchal-kapitalistischen Werten wie
Caring Masculinities ist ein praktisches Konzept, das beim Verhalten ansetzt – nicht bei
Identität. Dadurch ist es greifbar, leicht anwendbar, gut verständlich und lebensnah, denn jede
Person hat schon einmal für andere gesorgt. Häufig dient Vaterschaft als naheliegende Vorlage.
Elliot zufolge muss die affektive Dimension von Sorge dabei nicht von Anfang an gegeben sein; sie
praktischen Arbeit kann dies über einfache, alltagsnahe Einstiege geschehen, zum Beispiel durch
Fragen wie:
-
-
Habt ihr schon einmal auf eure Kinder / Geschwister aufgepasst?
Habt ihr schon einmal einen Freund eingeladen, dem es nicht gut ging?
Solche Fragen lassen Fürsorge, Aufmerksamkeit und emotionale Verantwortung sichtbar werden –
Qualitäten, die oft im Widerspruch zu autoritären Männlichkeitsnormen stehen, aber im Alltag längst
vorhanden sind. Auf dieser Basis lassen sich Werte wie Affektivität, Empathie und Achtsamkeit
gezielt stärken. So entstehen idealtypische Zukunftsbilder, in denen Fürsorge, emotionale Offenheit
und Verantwortungsübernahme zentrale männliche Qualitäten sind. In der Beratung bedeutet das,
von Sitzung zu Sitzung am eigenen Sorgeverhalten zu arbeiten, es zu reflektieren und in kleinen
Schritten einzuüben. Die Anwendungsmöglichkeiten sind einfach, vielfältig und sie schließen
unmittelbar an den Alltag der Adressat:innen an.
Eine klare Ausrichtung auf Geschlechtergerechtigkeit nicht zwingend notwendig für Caring
Masculinities. Sorgeverhalten kann auch ohne das Bekenntnis zu einer geschlechtergerechten
Gesellschaft gelebt werden. Ebenso können sorgende Menschen zugleich gewalttätig sein
Geschlechterordnung, die Sally Haslanger (2021: 92) so pointiert herausfordert: „Teil des
feministischen Projekts ist [es], darauf hinzuarbeiten, dass es eines Tages keine Frauen (Männer) [...]
mehr gibt.“ Gemeint ist nicht die Abschaffung von Menschen, sondern die Auflösung der Kategorien
Mann und Frau. Beide bedingen sich wechselseitig und stabilisieren eine hierarchische Ordnung, in
der die Frau dem Mann untergeordnet ist. Diese Unterordnung wiederum erscheint als natürlich –
und verleiht Männern Privilegien. Echte Emanzipation hieße als: das Ende von „Mann“ und „Frau“.
Butlers Idee der Subversion von Geschlecht als politischer Praxis bietet eine wichtige
Erweiterung zur Auflösung geschlechtlicher (heteronormativer) Binarität: Geschlecht ist Butler
zufolge ein Effekt wiederholter performativer Handlungen innerhalb sozialer Normen – und gerade
darin liegt ein subversives Potenzial. Sie warnt vor der Illusion eines easy fix, betont aber, dass
Geschlechternormen brüchig sind und herausgefordert werden können. Praktisch bedeutet
das, mit den Darstellungen von „männlich“ und „weiblich“ zu spielen, festgefahrene Kategorien
Die performative Natur von Gender eröffnet so den Raum, Normen durch wiederholte Abweichung
oder Parodie zu unterwandern. Butlers Ziel ist nicht die Abschaffung von Identität, sondern die
Destabilisierung der binären Geschlechterordnung. Ihre „Anstiftung zur Geschlechterverwirrung“
ist eine politische Strategie, um die cis-heterosexuell konstruierte Matrix zu erschüttern und
marginalisierten Identitäten Sichtbarkeit und Anerkennung zu verschaffen (vgl. ebd.).
Gerade in der Arbeit mit Jugendlichen gibt es eine Vielzahl von Ansätzen, die Butler aufgreifen
und zur Dekonstruktion und Subversion einladen. Ein Beispiel ist die Methode „Dennis“ des
Vereins Dissens: Dabei wird in Gruppensettings eine Puppe namens Dennis eingesetzt, die durch
ein intersektional verwirrendes Erscheinungsbild (z.B. Baggy Pants, BH, Davidstern, Kopftuch)
Irritationen erzeugen und Diskussionen anregen soll. Die Puppe wird über mehrere Sitzungen hinweg
genutzt. Mart Busche fordert zudem, in der Jugendarbeit postheteronormative Settings zu schaffen,
durch kontinuierliche kritische Reflexion sowie eine bewusste Raum- und Gesprächsgestaltung
gelingen. Herauszuheben ist hier die queer-feministische Mädchenarbeit, der Anwendung queerer
Ideen wie Safer Spaces oder Zielgruppenerweiterungen (FLINTA+, MINTA+). Ich selbst arbeite
mit Dekonstruktion vor allem in pädagogischen Workshops, weniger in Beratungen. Dort steht
konkretes gewalttätiges Verhalten im Vordergrund.
Subversive Interventionen in der Arbeit mit gewaltausübenden Männern* haben Potenzial.
Aktive Inszenierungen von Aggression und Männlichkeit bieten – in Beratungen – Raum zur
Intervention. Diese Inszenierungen stellen darauf ab, die Veränderbarkeit männlicher Performances
offenzulegen. Die Handlung lässt sich überspielen oder neu besetzen, möglicherweise in
Richtungen, die Gewalt und Status anders definieren. Mitgedacht werden muss jedoch immer, dass
die Dekonstruktion von Geschlecht komplex und schwer verständlich ist. Zudem kann das – auch
unabsichtliche – Infragestellen von Identitäten Widerstand auslösen.
5
Spannungsfelder und Fallstricke in der Praxis
Trotz dieser Bemühungen gibt es Fallstricke in der Arbeit mit Männern*. Sie ist überwiegend
Einzelfallarbeit, wobei das dominante Instrument die Einzelberatung und Therapie ist. Gewalt
wird therapeutisch und individualisiert bearbeitet, eine historisch gewachsene Form, die den
Fokus auf persönliche Verhaltensänderungen legt, während strukturelle, soziale und institutionelle
Rahmenbedingungen weitgehend unberücksichtigt bleiben. Gewalttätige Umfelder sowie frauen*-
oder homo-/transfeindliche Normen bestehen fort und gesellschaftliche Entwicklungen wie Arbeits-
und Perspektivlosigkeit oder Sexismus unter jungen Männern werden verdeckt. Wenn Einzelne
VerantwortungfürsozialeMusterübernehmen,trägtdieszueinerResponsibilisierungbei,gleichzeitig
werden gesellschaftliche Probleme auf den Einzelnen zurückgeführt. Der klinisch-therapeutische
Fokus von Anti-Gewalt-Einrichtungen zeigt die Verzahnung von strafenden und therapeutischen
um individuelles Lernen, Reflexion und Prävention zu ermöglichen. Gleichzeitig bergen sie die
Gefahr, Geschlechternormen zu verfestigen: Allison McKim zeigt, dass von Männern erwartet
wird, „erwachsen zu werden“ und ihre Impulse zu kontrollieren, während bei Frauen die Arbeit am
Viele Interventionen in Anti-Gewalt-Programmen sind nur kurz angelegt. So können im
Rahmen der verpflichtenden sechs Stunden Beratung durch den Verein Neustart tief verankerte
misogyne, homo- oder transfeindliche sowie patriarchale Einstellungen kaum bearbeitet oder
bestehende Identitätskonstruktionen hinterfragt werden. Die Programme orientieren sich zudem
häufig an einem weißen, cis-heteronormativen Ideal und berücksichtigen queere, migrantische
Ansätze können gar nicht mit intersektionalen Perspektiven arbeiten. Remaskulinisierung erscheint
vor diesem Hintergrund ambivalent: Einerseits stabilisiert sie patriarchale Ordnungsmuster,
andererseits kann sie als widerständige Praxis gegenüber dominanten Repräsentationen verstanden
werden, die vornehmlich weiße, akademisch gebildete Männlichkeitsideale umfassen und andere
Männlichkeiten disziplinieren oder pathologisieren (vgl. ebd.: 570). Das Messner’sche Dreieck (vgl.
die Vielfalt von Männlichkeiten gemeinsam im Blick zu behalten. Messner unterscheidet balancierte
geschlechterpolitische Zugänge, die alle drei Perspektiven ausgewogen berücksichtigen, von
unbalancierten Zugängen. Letztere fokussieren nur eine Ecke des Dreiecks – etwa antifeministische
Männerrechtsbewegungen, die ausschließlich die „Kosten von Männlichkeit“ thematisieren.
Zu guter Letzt richten sich viele Angebote überwiegend an marginalisierte Männer, die
als „Agents of Change“ patriarchale Strukturen verändern sollen, während privilegierte Männer
mit Macht und Einfluss kaum adressiert werden. Schließlich birgt die Überbetonung männlicher
Handlungsfähigkeit bei gleichzeitiger Ausblendung queerer und weiblicher Beiträge das Risiko,
patriarchale Strukturen unbeabsichtigt zu stabilisieren. Sichtbare individuelle Veränderung wird
erneut männlich codiert und kann in Form von „woker Männlichkeit“ in soziales Kapital umgewandelt
werden, das seinerseits Status und Macht sichert.
6
Fazit
Die gegenwärtig (wieder) postulierte „Krise der Männlichkeit“ speist sich nach Sauer aus einer von
ist problematisch, weil er rechte Deutungen gesellschaftlicher Veränderungen, beispielsweise das
Bedrohungsszenario durch den sogenannten Genderismus, stärkt. Solche Narrative verhärten
Binaritäten, verschleiern Machtverhältnisse und machen die privilegierte Position mächtiger
um FLINTA+ gibt – niemand spricht von einer „Krise der Weiblichkeit“. Nur männliche Subjekte
beanspruchen diesen Opferstatus (vgl. Donegan 2025).
Sichtbar wird im Krisendiskurs eine Re-Konfiguration von Männlichkeiten – oder, in der
Sprache von Gramsci, Hall und Sauer, eine konjunkturelle Krise. Ein historischer Moment der
Aushandlung, in dem neue gesellschaftliche Formationen und ein neues Dispositiv entstehen. Diese
konjunkturelle Krise öffnet Räume für Verschiebungen von Macht. Die Gefährlichkeit einer affektiv
inszenierten moralischen Panik, die von rechten Akteur:innen zur autoritären Remaskulinisierung
genutzt wird, ist aktuell und real. Gleichzeitig zeigen sich positive Entwicklungen: vielfältige, queer-
offene, sorgende und gleichberechtigte Männlichkeitsideale, die es gezielt zu stärken gilt. Für die
aktuelle Männerarbeit ist es entscheidend, diesen konjunkturellen Moment zu nutzen und politische,
diskursive und affektive Dimensionen zugleich zu adressieren.
Caring Masculinities und subversive Ansätze wirken dabei komplementär: Erstere setzen
praxisnah am Verhalten an und mindert Widerstände, zweitere machen Machtverhältnisse
sichtbar, fördern Reflexion und Handlungsfähigkeit. Gerade das kritische Hinterfragen der cis-
heteronormativen Matrix ist angesichts Anti-LGBTIQ+-Diskurse und restriktiver Politiken zentral.
Affekte spielen dabei eine wichtige Rolle. Ahmed (2014) zeigt, dass Gefühle im Sozialen zirkulieren
und Zugehörigkeit wie Ausschluss organisieren. Verlust, Angst, Scham, aber auch Stolz oder Hass
prägen Männlichkeitskonstruktionen und kollektive Identitäten. Problematisch ist, dass rechte
Akteur*innen Affekte besonders wirksam politisieren, während andere emotionslos wirken (vgl.
Sauer/Penz 2023). Für die politische Männerarbeit bedeutet dies, Emotionen nicht nur individuell
zu verarbeiten, sondern sie als treibende Kraft politischer Praxis zu nutzen. Ziel ist es, affektive
Regime zu verändern – Wut und Hass in Hoffnung, Solidarität und emanzipatorische Identitäten
zu transformieren. Dies geschieht durch gemeinsame Erfahrungen von Ungerechtigkeit, durch
Fürsorge und Solidarität, die folgend politisch wirksam werden können. Der feministische Imperativ
fordert, Sorge aktiv zu teilen, aufmerksam und solidarisch hinzuschauen und konkrete Bündnisse
mit marginalisierten Gruppen zu schmieden – als gelebte Praxis für gesellschaftliche Veränderung.
Anti-Gewalt-Arbeit mit Männern* darf sich nicht auf individuelles Verhalten beschränken,
denn das greift angesichts gesellschaftlicher Dynamiken zu kurz. Frei nach der großartigen
Abolitionistin und Feministin Mariame Kaba – „Hope is a discipline“ – gilt es, nicht aufzugeben,
das Feld nicht den Rechten zu überlassen und tagtäglich neue Wege zu suchen. Feministische
Analysen, affekttheoretische Perspektiven und aktivistische Praxen können dabei als Kompass
dienen – für die Arbeit an den gesellschaftlichen Rändern ebenso wie in deren Zentrum.
Verweise
i Seit 1. September 2023 sind Personen, gegen die ein Betretungs- und Annäherungsverbot gemäß § 38a SPG ausgesprochen wurde,
verpflichtet, an einer sechsstündigen Gewaltpräventionsberatung teilzunehmen. Diese Beratungen werden in Wien vom Verein Neustart
durchgeführt und müssen innerhalb von 14 Tagen nach Kontaktaufnahme beginnen.
Literatur
post-maga.html (28.08.2025).
Donegan, Moira. [@moiradonegan.bsky.social] (2025): „Male loneliness“ is kind of the perfect
feminismus/ (27.08.2025).
Haslanger, Sally (2021): Der Wirklichkeit widerstehen. Soziale Konstruktion und Sozialkritik. Berlin:
Suhrkamp.
New Brunswick, NJ: Rutgers University Press.
org/10.5204/ijcjsd.v5i2.301
org/10.1177/1097184X18769137
org/10.1007/s12286-019-00430-8
Scambor, Elli/Gärtner, Marc/Holter, Øystein Gullvåg/Snickare, Lotta/Warat, Marta (2023): Caring
Über den Autor
Peter Peinhaupt
Ich bin Sozialarbeiter und Sozialwissenschaftler und arbeite seit vielen Jahren in der Anti-Gewalt-
Arbeit mit Männern*, zuvor war ich in der Jugendarbeit mit Fokus auf geschlechtsspezifische
Ansätze tätig. Derzeit befasse ich mich in meiner Dissertation mit dem Wiener Gewaltschutz.