Alisa Storz. Auf die Plätze…! Raumaneignungsstra-tegien von sporttreibenden Mädchen und Frauen im öffentlichen Raum.
31. Ausgabe, 2025
Geschlechtergerechtigkeit
Auf die Plätze…!
Raumaneignungsstrategien von sporttreibenden Mädchen
und Frauen im öffentlichen Raum
Alisa Storz
Zusammenfassung
Gesellschaftliche Kämpfe um gerechte Geschlechterverhältnisse finden im öffentlichen Raum auch
in Sporträumen statt. Ballkäfige, Skateparks und Sportplätze in Parks sind trotz der sozialen Öff-
nung des Sports weiterhin männlich dominierte Räume. Mädchen, Frauen und TIN*-Personen sind
in Sporträumen mit symbolischer Gewalt und Aneignungshürden konfrontiert. Dieser Artikel prä-
sentiert ausgewählte Ergebnisse meiner Masterarbeit sowie praktische Implikationen in einem An-
gebotsfeld, das in der offenen Jugendarbeit vermehrt Aufmerksamkeit gewinnt. Die Analyse von
drei Angeboten der Offenen Jugendarbeit, die sich an Mädchen, Frauen und teilweise TIN*-Per-
sonen richten, zeigt das Potenzial von sportbezogenen Rauminterventionen als Methode in der so-
zialräumlichen und gendersensiblen Jugendarbeit. Eine qualitative Analyse des Raumerlebens stellt
Narrative über eine ‚weibliche Raumdefensivität‘ infrage und interpretiert Raumaneignungsstrate-
gien von Mädchen, Frauen und TIN*-Personen als widerständiges und raumkompetentes Handeln.
Schlagworte: Raumaneignung, Sport im öffentlichen Raum, genderspezifische Raumaneignung,
Offene Jugendarbeit, Mädchensozialarbeit, Sozialraum
Abstract
Conflicts for gender equality manifest in public spaces, including sports facilities. Notwithstanding
the historical evolution of sports to become inclusive, ball cages, skate parks and sports fields in
parks remain male-dominated spaces. Individuals identifying as female, trans*, inter*, and non-bina-
ry encounter symbolic violence and barriers to participation in sports spaces. This article expounds
upon the findings from the author’s 2024 master’s thesis and engages in a discourse surrounding
the ramifications for a field of practice that is garnering mounting interest within the realm of open
youth work. An analysis of three open youth work programs that are explicitly geared towards girls,
women, and, in some cases, trans*, inter* and non-binary individuals was conducted. It reveals the
potential of sports-related spatial interventions in the realm of socio-spatial and gender-sensitive
youth work. A qualitative analysis of their experiences with sports spaces challenges the persistent
narrative that women appropriate spaces more passively than men. The study interprets the identi-
fied strategies of space appropriation as acts of resistance and spatial competence.
Keywords: appropriation of space, sport in public spaces, gender-specific appropriation of space,
open youth work, social work with girls, social space
1
Einleitung
Gesellschaftliche Kämpfe um gerechte Geschlechterverhältnisse finden auch in urbanen
sportbezogenen Räumen statt. Genderspezifische Hürden bei der Aneignung von Sportplätzen
in Parks, Ballkäfigen und Skateparks hindern Mädchen, Frauen und TIN*-Personeni bei einer
gleichberechtigten Nutzung dieser Räume. Sie sehen sich in diesen Räumen unter anderem mit
Sexismus, Street Harassment (vgl. Allen-Collinson 2023: 386–387), hegemonialer Männlichkeit (vgl.
u.a. Sobiech/Hartung 2017: 212) und Queerfeindlichkeit (vgl. Braumüller/Schlunski/Hartmann-Tews
2023: 64; Caudwell 2020) konfrontiert. Patriarchale Machtstrukturen im Sport sowie in urbanen
Bewegungsräumen sind hartnäckig und manifestieren sich in männlich dominierten Raumordnungen
(vgl. Hartmann-Tews 2020: 1292–1293; Haß 2016: 70; Strüver/Wucherpfennig 2012: 66). Aktuelle
Studien bestätigen die Funktion von städtischen Sporträumen als männlichen Sozialisationsräumen
(vgl. Prinzjakowitsch/Zentner 2023: 20; vgl. Merten 2024: 303).
Aufgrund älterer Forschungsarbeiten und Studien zum Raumaneignungs- und
Bewegungsverhalten von Mädchen hält sich ein bestimmtes Narrativ über das genderspezifische
Raumaneignungsverhalten von Mädchen und Frauen hartnäckig (vgl. u.a. Benard/Schlaffer/Studer
1997; Nissen 1998; Diketmüller/Studer 2007). Diesem zufolge haben Mädchen im öffentlichen
Raum sowie beim Spiel und Sport ein zurückhaltenderes bzw. defensives Bewegungsverhalten –
das stets in defizitorientierten Vergleich zur ‚Norm‘ männlicher Peers gesetzt wird (vgl. Löw 2001:
247; Feltz 2009: 29–30; Strüver/Wucherpfennig 2012: 68). Wenn auch die jüngste Berücksichtigung
weiterer sozialstruktureller Merkmale wie sozialer Status, Wohnlage oder Migrationshintergrund
bei der Analyse von Raumnutzungsverhalten zu begrüßen ist (vgl. Merten 2024: 303–313), fehlen
aktuelle und qualitative Einblicke in das Raumerleben und Raumaneignungsverhalten aus Sicht
der ‚Betroffenen‘ (vgl. Strüver/Wucherpfennig 2012: 73): Die aktuelle Forschungslage hierzu ist
dünn.ii Vereinzelte Beiträge greifen sportive Raumaneignung und feministische Rauminterventionen
auf Skate- und Fußballplätzen auf (vgl. u.a. Sobiech/Hartung 2017; Haß 2016). Diese Arbeiten
kommen zum Schluss, dass Mädchen und Frauen durch wiederholte, im öffentlichen Raum sichtbare
sportive Praktiken die vorherrschende Geschlechter-Raum-Ordnung in Frage stellen und sich diese
Räume aneignen. An diese Erkenntnisse schließt die Frage an, ob bzw. inwiefern Fachkräfte in der
Offenen Jugendarbeit diesen Ansatz für sich nutzen können.
Die Offene Jugendarbeit hat den Auftrag, ihre Adressat:innen bei Raumaneignungskonflikten
zu unterstützen und Geschlechtergerechtigkeit zu fördern (vgl. bOJA 2021: 27; 54–55). Vereinzelte
Programme in der Angebotslandschaft der Wiener Jugendarbeit nutzen den Sport als Methode
zur Raumaneignung für weibliche Adressat:innen. Drei dieser genderspezifischen Sportangebote
habe ich im Rahmen meiner Masterarbeit Auf die Plätze,…! Genderspezifische Sportangebote der
Sozialen Arbeit als Strategie zur Raumaneignung im öffentlichen Raum (2024) untersucht. Bei dem
sozialräumlichen Forschungsprojekt sollte erhoben werden, wie die exklusiven Angebotsräume von
den Teilnehmenden erlebt und welche Raumaneignungsstrategien sichtbar werden. Ausgehend von
einem relationalen Raumbegriff lag der Fokus auf den von der Raumsoziologin Martina Löw (2001:
159–160; 227) beschriebenen raumkonstituierenden Prozessen, wie Spacing und Syntheseleistung,
und somit auf der Veränderbarkeit von Räumen. Aus den Forschungsergebnissen wurden
Handlungsempfehlungen für die Fachkräfte der Offenen Jugendarbeit abgeleitet.
Die untersuchten Angebote waren als Training, freies Spiel oder Turnier ausschließlich für
Mädchen und Frauen konzipiert und fanden zwischen März und Juni 2024 in folgenden Räumen
statt: auf einem Volleyball-Platz in einem zentralen Wiener Park, in einem Fußballkäfig auf einem
belebten Wiener Platz und auf einem Skatepark in einem Randbezirk von Wien. Diese öffentlichen
Räume wurden außerhalb der Angebotszeiten überwiegend von männlichen Nutzern besucht.
Diese wahrgenommene Problematik war Anlass für die jeweiligen Rauminterventionen, welche von
Jugendarbeiter:innen initiiert und moderiert wurden. Das Skatepark-Angebot verfolgte einen explizit
queer-feministischen Ansatz und definierte als Zielgruppe FLINTA*-Personen. Das Fußball-Projekt
sprach insbesondere Mädchen mit Fluchterfahrung an. Dementsprechend zeigte die erhobene
Stichprobe von 10 Teilnehmenden eine hohe Diversität hinsichtlich Alter, Migrationsbiografie,
Geschlechtsidentität, Bildungsniveau, sozioökonomischem Status, Religiosität und betriebener
Sportart.iii Für ein umfassendes Verständnis des sozialräumlichen Kontextes des Raumerlebens
wurden verschiedene qualitative Methoden trianguliert. Dadurch konnte einem dynamisch-reflexiven
Sozialraumverständnis entsprochen werden (vgl. Deinet/Krisch 2021: 1058).
Aus den teilnehmenden Beobachtungen der drei Angebote entstanden sieben
Beobachtungsprotokolle. Ergänzend bildeten die Interviewprotokolle mit zehn Teilnehmenden (im
Alter von 13 bis 29 Jahren) sowie drei Expert:inneninterviews mit den Jugendarbeiter:innen der
jeweiligen Angebote die Datengrundlage des Forschungsprojekts. Das Material wurde mithilfe einer
inhaltlich-strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2016) ausgewertet.
2
Präsentation der Ergebnisse
2.1 Raumerleben von sporttreibenden Mädchen und Frauen
Das Erleben der exklusiven Sportangebote wurde von den Teilnehmenden immer in Abgrenzung
zum bisherigen Erleben in öffentlichen Sporträumen beschrieben. Dieses „reguläre“ Raumerleben
ist davon geprägt, dass das Sporttreiben als konfliktreich, mühsam, stress- und druckbehaftet
wahrgenommen wird. Viele Teilnehmende sprachen von einer Hemmschwelle oder Überwindung,
in diesen allgemein stark genutzten Räumen Sport zu machen. Zentral für ihr Raumerleben war die
Wahrnehmung einer männlichen Dominanz. Das umfasste nicht nur die Überzahl an männlichen
Personen, sondern auch die Wahrnehmung von männlich konnotiertem, dominantem Verhalten.
Dieses wurde beschrieben als selbstverständlicher Raumanspruch, den die männlichen Sportler
bei der Aushandlung über die Nutzung der Sporträume haben würden. Das äußerte sich sowohl
durch explizites Verdrängen als auch insbesondere durch implizite und subtilere Formen, wie
‚gutgemeinte Ratschläge‘ oder die internalisierte Annahme, automatisch leistungsstärker zu sein.
Die Befragten bekamen so den Eindruck, in sportiven Freiräumen prinzipiell unterschätzt zu werden
und sich extra beweisen zu müssen. Dies zeigt sich auch an den Aussagen zum Raumerleben der
Teilnehmenden beim geschlechtergemischten Sporttreiben im öffentlichen Raum:iv
Kübra (22): „Einmal war es halt so, ich war in einem Park und habe gespielt und
dann sind irgendwelche Jungs gekommen. Und die haben einfach, ohne zu fragen,
begonnen zu spielen. Also das fand ich halt echt arg, weil die haben nicht mal
gefragt, ob sie spielen dürfen. Wir waren zuerst da. Und das sind dann so Sachen,
wo ich mir denke, ja dann will man einfach nicht mehr, oder?“ (PdF V22 K22: 50–53;
Volleyballerin, über die Nutzung von öffentlichen Volleyball-Plätzen)
Nesrin (19): „Ja, Jungs sehen halt, wenn wir nichts können, dann passen die
einfach nicht. Die spielen halt nicht mal mit uns. Wieso nicht? Die ziehen uns halt
raus. So, als wären wir nicht mal auf dem Feld dabei.“ (GC N19: 87; Fußballerin,
über das gemeinsame Fußballspielen mit Jungen)
Bella (13): „Meistens werde ich immer nur in ein Eck zurückgedrängt und
trickse dann dort, weil so viele Leute da sind. Das sind meistens Jungs, die
dann immer so schnell fahren und den Weg nicht frei machen.“ (TS B13: 60–66;
Skateboarderin über das Skaten in geschlechtergemischten Skateparks)
Das negativ wahrgenommene Dominanzverhalten drückt sich den Teilnehmenden zufolge in
Raumkonflikten hinsichtlich Alters- und Leistungsunterschieden sowie in abwertenden und
fremdrestriktiven Aussagen, Raumverweisen und sexistischen Aussagen aus. Weitere Ergebnisse
knüpfen an vorhergehende Studien an, wonach insbesondere queere und muslimische
Sportler:innen von Marginalisierung in Sporträumen betroffen sind (vgl. u.a. Braumüller et al.
2023; Caudwell 2020; Kleindienst-Cachay/Bahlke 2016). Die Teilnehmenden schilderten, sich auf
Basis negativer Vorerfahrungen zurückzuziehen oder das Sportmachen zeitlich oder räumlich zu
beschränken. „Die Aneignung dieser Körperstrategien […], Bewegungs- und Verhaltensweisen
sind […] ein Ergebnis der Aneignung von Raumverhältnissen ab frühester Kindheit.“ (Sobiech et
al. 2017: 208) Der männliche Raumanspruch wirkt diesbezüglich weniger durch Verbote, sondern
durch Ausschlussmechanismen in Form von symbolischer Gewalt (vgl. ebd.: 215; Hofer 2018: 9).
Im Gegensatz zu dem Erleben während der Angebote assoziierten die Befragten die
regulären, männlich konnotierten Sporträume mit Leistungsstärke, Schnelligkeit, Gewalt und
Lautstärke. Unterschiede bei der sportlichen Leistungsfähigkeit gelten in der Geschichte des
Sports seit jeher als „visuelle Empirie der ‚natürlichen‘ Unterschiede zwischen den Geschlechtern“
(Hartmann-Tews 2020: 1292) – und sie dienen als vermeintlicher Maßstab für das Recht auf Raum.
Die dabei reproduzierte Geschlechter-Raum-Dichotomie – die Vorstellung, dass die Sportplätze
‚männliche Räume‘ seien (vgl. Ruhne 2019: 209) – wird durch internalisierte Zuschreibungen,
SelbstrestriktionenundsprachlicheDifferenzierungauchseitensderTeilnehmendenaufrechterhalten.
Die Raumsoziologin Martina Löw (2001: 228–230) erklärt die Reproduktion von Raumkonstitutionen
durch die sich gegenseitig beeinflussenden Prozesse der Wahrnehmung und des Handelns so:
„Räume werden als historisch vorfindliche Gebilde erlebt“ (ebd.: 229), die sich im Alltag von
Menschen reproduzieren.
Die Komponenten Alter, Vertrautheit sowie eine gendersensible Haltung bei männlichen
Sportlern wurden von den Befragten als einflussreiche Faktoren für das positive Raumerleben in
geschlechtergemischten Sporträumen genannt. Insbesondere die Komponente Gendersensibilität
verweistausraumtheoretischerPerspektiveaufdieVeränderbarkeitvoninstitutionalisiertenRäumen.
Sie impliziert, dass Menschen in absichtsvollen Auseinandersetzungen kollektiv und regelmäßig auf
vorgefundene Strukturen einwirken (können) (vgl. Löw 2001: 227).
2.2 Potenzial von Rauminterventionen in männlich dominierten Sporträumen
Die Teilnehmenden beschrieben das Raumerleben in der exklusiven Angebotsform in Abgrenzung zu
ihren sonstigen Erfahrungen sehr positiv. Teilnehmende berichteten von angenehmen, entspannten,
stimmungsvollen und friedlichen Räumen, in denen weniger Druck herrsche und das Wohlbefinden
im Gegensatz zu geschlechtergemischten Sporträumen gesteigert würde. Die wahrgenommene
erhöhte Raumverfügbarkeit resultierte nicht nur aus dem Mehr an Platz zum Sportmachen, sondern
auch aus Raumqualitäten wie Freiheit, Selbstbestimmung und Entfaltungsmöglichkeit. Die exklusive
und genderspezifische Gruppenzusammensetzung wurde von den Befragten mit einem gesteigerten
Sicherheits- und Akzeptanzgefühl verbunden. Die erlebte Solidarität und die Gemeinschaftsbildung
waren zentrale Faktoren für das positive Raumerleben. Die Teilnehmenden konnten sehen, dass sie
mit ihren Erfahrungen und Empfindungen nicht allein sind und sich gegenseitig unterstützen und
anfeuern. Eine Skateboarderin berichtet über das Miteinander während der FLINTA*-Skate-Session:
Tamara (18): „Und auch wenn mal mehr los sein sollte, ist man irgendwie
empathischer, dass man zurücktritt und mal abwarten kann, weil man in dieser
Rolle schon mal war, dass man aussetzen musste. Und deshalb ist es irgendwie
so ein Verständnis-füreinander-Haben […]. Dass alle mal in dieser Situation waren,
wo man nichts kann. Man gibt dann allen die Möglichkeit, mal dranzukommen. Also
hier gibt es einen respektvollen Umgang.“ (TS T18: 270–272)
Die Angebote ermöglichten den Teilnehmenden oft den ersten Kontakt mit der Sportart und
wurden niederschwellig erlebt, da sie offen für Anfänger:innen und kostenlos seien. Des Weiteren
wurde von einzelnen muslimischen Sportler:innen insbesondere die Offenheit gegenüber ihrem
Kopftuch geschätzt. Die Angebotsräume wurden für den Großteil der Befragten durch die exklusive
Gruppenzusammensetzung als sichere und entspannte Rückzugsräume wahrgenommen. Für einige
Teilnehmende war es ein Safe Space, was in Kontrast zu dem konfliktbeladenen Raumerleben in
geschlechtergemischten Sporträumen stand. Insbesondere für eine non-binäre befragte Person
waren Akzeptanz, Sicherheit und die explizite Zielgruppenansprache wesentlich für das positive
Raumerleben:
Lio (28): „Es ist eben einfach so im Vergleich: Es ist ein Nicht-drüber-nachdenken-
Müssen hier zu sein und hier Sport zu machen, sondern halt einfach so eine
Selbstverständlichkeit. Und ich habe hier nie eine Hemmschwelle, die ich in
sonstigen öffentlichen Skateparks habe. Und das ist für mich der große Unterschied.
Ich denke gar nicht drüber nach, dass ich hier bin und dass ich existiere und was ich
mache, sondern ich mache es einfach.“ (TS L28: 58)
Der Sport an sich ist eine körperbezogene und raumbetonte Tätigkeit. Die Ergebnisse der
Forschungsarbeit konnten das Potenzial von Sport als Strategie zur Raumaneignung und
Selbstermächtigung verdeutlichen. Die Teilnehmenden erlebten das Sporttreiben im Kontext der
Angebote als eine leidenschaftliche, gesundheitsfördernde und entspannende Freizeitaktivität,
die als Ausgleich zum Alltag dient. Dabei kristallisierte sich heraus, dass sie durch den Sport ein
gesteigertes Körper- und Selbstbewusstsein sowie Leistungsfortschritte als Erfolgserlebnisse
erfahren. Zudem zeigte sich, dass die Teilnehmenden kultur-, religions- und genderbezogene
Grenzen und Verbote in der jeweiligen Lebenswelt im Rahmen der sportlichen Betätigung
selbstwirksam aushandelten. Mithilfe des Aneignungskonzepts von Ulrich Deinet (2014: 68–71)
lässt sich eine Vielzahl an Aneignungsdimensionen bei den Angeboten feststellen: So konnten die
Teilnehmenden vorgefundene Situationen verändern und ihre motorischen Fähigkeiten ebenso wie
ihre Handlungsräume erweitern. Im Sinne der an Löw angelehnten Aneignungsdimension Spacing,
d.h. mitBlickaufdaseigentätigeKonstituierenvonneuenRäumenalsAntwortaufDominanzkulturen,
schufen die Teilnehmenden gegenkulturelle Räume (vgl. Löw 2001:185–186; 231–246).
2.3 Zeitliche und räumliche Übergänge als informelle Bildungsanlässe
„Der Raum, in dem ein Angebot stattfindet, ist keine formale Voraussetzung, sondern Raum und
Angebot stehen in einer direkten Beziehung zueinander.“ (Deinet 2005: 131) Die beschriebenen
Angebote hatten den Charakter einer von Jugendarbeiter:innen initiierten Raumintervention mit
räumlichen und zeitlichen Übergängen. Zum einen gab es die physisch-räumlichen Übergänge wie
beispielsweise den Spielfeldrand oder das Tor zum Skatepark. Zum anderen gab es die zeitlichen
Übergänge von regulärer Nutzung zur Besetzung der Räume durch zunächst Jugendarbeiter:innen
und dann Teilnehmende. Während dieser temporalen Übergänge entstanden Spannungen
und Konflikte zwischen Teilnehmenden und Jugendarbeiter:innen einerseits und den als cis-
geschlechtlich gelesenen Jungen und Männern andererseits. Dabei wurde Geschlecht durch die
Exklusivität der Räume deutlich konstruiert und Geschlechterdifferenzen wurden reproduziert
– mithilfe von physischen Symbolen wie Fahnen und Projekt-Bannern wurden sie sogar deutlich
markiert und kontrolliert. Sowohl die Teilnehmenden als auch Zuschauer:innen, Vorbeigehende
sowie die Verwiesenen setzten sich durch die sichtbare Raumintervention mit der Legitimation
der Exklusivität auseinander und bewerteten diese. Die Teilnehmenden, die mit den Reaktionen
und dem teilweise erlebten Frust oder der Ungeduld der männlichen Sportler konfrontiert waren,
reagierten unterschiedlich. Bis es Geschlechtergerechtigkeit auf dem Sportplatz gebe, wünschen
sich einige mehr dieser Angebote. Eine Teilnehmende sah in der Idee eines „Mens Day“ eine faire
Lösung für alle (vgl. TS T18: 203–206).
Hinsichtlich des Umgangs mit der räumlichen Exklusivität zeigte sich bei den Teilnehmenden
eine Ambivalenz zwischen dem Bedürfnis nach Rückzugsräumen und dem gleichzeitigen Wunsch
nach Anerkennung in geschlechtergemischten Sporträumen. Die sozialräumliche Intervention
provoziert Raumkonflikte, da sie Machtverhältnisse in der Raumordnung und die Deutungshoheit
über Ein- und Ausschlüsse infragestellt (vgl. Haß 2016: 61). Der Konfliktcharakter verweist auf die
inneren Widerstände in einer von männlicher Hegemonie geprägten sportiven Raumordnung.
Die Jugendarbeiter:innen schaffen durch die Rauminterventionen Aneignungsmöglichkeiten
für Mädchen und Frauen, die über die Eroberung von Sporträumen hinausgeht. Die Einnahme
einer Teilnehmenden-Rolle erleichtert den Zugang zu den öffentlichen Sporträumen. Dabei nehmen
die Jugendarbeiter:innen die Rolle von „Raumwächter:innen“ ein, da sie gegenüber männlichen
SportlerndieBesetzungderRäumeundderenLegitimationmoderieren.Dieräumlichenundzeitlichen
Übergänge werden damit zu Diskursräumen, welche die Jugendarbeiter:innen im Forschungsprojekt
unterschiedlich bewusst und konzeptionell gestaltet haben. Für die Angebote der Jugendarbeit
können diese Übergänge eine Chance für Sensibilisierungs- und Aushandlungsprozesse mit Jungen
und Männern bedeuten. Denn Raumkonflikte sind nach Albert Scherr (2004: 172) eine Möglichkeit
für informelle Bildungsprozesse, in denen „Eigentums- und Verfügungsrechte über soziale Räume
zum Gegenstand diskursiver Auseinandersetzungen erhoben werden“.
3
Raumkompetentes Handeln verstehen: Aneignungsstrategien
Bei den Teilnehmenden des Projekts konnten insgesamt sieben implizite und explizite
Handlungsstrategien (vgl. Schön 2004: 239) identifiziert werden, die sie nutzten, um sich öffentliche
Sporträume anzueignen und die Geschlechterverhältnisse auch langfristig zu den eigenen Gunsten
zu verändern. Sie sind vorläufige analytische Kategorien und konzeptionelle Gebilde, die für das
Nachdenken über Raumaneignung und Gender aufschlussreich sind und sich auch abseits des
Sportkontextes anwenden lassen:
Abbildung 1: Raumaneignungsstrategien von sporttreibenden Mädchen und Frauen
im öffentlichen Raum (eigene Darstellung)
Die Raumaneignung durch Aushandlung von Geschlechterrollen kann als eine dem gesamten
Handeln zugrundeliegende Strategie verstanden werden, die durch informelle Bildungs- und
BewusstseinsprozesseinnerhalbderAngeboteangestoßenwird(vgl.Scherr2004:172).Derexklusive
und interventionistische Charakter der Angebote regt die Teilnehmenden an, sich mit der sozialen
KonstruktionvonGeschlecht,AusgrenzungsmechanismensowiestereotypenRollenzuschreibungen
auseinanderzusetzen. Sie haben die Möglichkeit, ihre bisherigen Erfahrungen zu reflektieren und
neu einzuordnen. Diese aktive Auseinandersetzung findet insbesondere im Rahmen der Vergleiche
zwischen dem Raumerleben in regulären und exklusiven Sporträumen statt sowie angesichts der
Ambivalenzen hinsichtlich der Legitimation der Angebote. Ein erhöhtes Problembewusstsein für
die eigene Verstrickung in die sozialräumlichen Zusammenhänge von Gender und Sport kann die
Teilnehmenden für weitere raumaneignende Tätigkeiten in anderen Lebensbereichen stärken.
Eine zentrale Strategie der Angebote besteht in der Raumaneignung der Teilnehmenden
durch Leistungssteigerung in der jeweiligen Sportart. Je besser die Sportler:innen werden, desto
mehr Recht auf Raum versprechen sie sich und desto mehr Zugang erhalten sie zum Teil auch.
Die Befragten formulierten das Ziel, im Rahmen der Angebote leistungsstärker zu werden, um sich
dann besser in geschlechtergemischten Sporträumen behaupten zu können.
Anka (29): „Also abgesehen von dem Geschlechtsthema ist es ein Anfänger- und
Fortgeschrittenen-Thema. […] Je fortgeschrittener man ist, desto mehr kann man
das auch managen, weil man sich dann besser positionieren kann. Aber das ist
auch schade. Warum muss ich erst in meinem eigenen Anspruch hoch sein, damit
ich mich da positionieren kann?“ (TS A29: 228–234)
Diese Strategie kann als konsequente Folge der dem Sport inhärenten Leistungslogik verstanden
werden (vgl. Günter 2009: 128). Zugleich konstituieren die Teilnehmenden eigene Räume mit
widerständigen Praxen und neuen Normen wie beispielsweise Solidarität und Akzeptanz (vgl. auch
Haß 2016: 71). Hier wird auch die Strategie der Raumaneignung durchKollektivierung in Peergroups
bedeutsam. Die Teilnehmenden profitieren bei den exklusiven Angeboten von der Möglichkeit,
dass sie ihr individuelles Problem beim Sport als ein kollektives und in der Geschlechterhierarchie
verankertes strukturelles Problem begreifen lernen (vgl. Schön 2004: 240; Sobiech/Hartung 2017:
217).
Die Raumaneignung durch Schaffung von Rückzugsräumen meint das strategische
Handeln der Befragten, um sich alternative Räume zum Sporttreiben zu suchen. Auch außerhalb
der Nutzung der Angebote berichteten die Teilnehmenden von einem strategischen Raum-Zeit-
Management. Diese Beobachtung deckt sich mit englischen Forschungsbefunden zum Thema Sport
und Gefahr im öffentlichen Raum (vgl. Allen-Collinson 2023: 387). Strategische Nutzung bedeutet,
dass die Sportler:innen nur zu bestimmten Zeiten in ausgewählte Sporträume gehen, um sicher
und ungestört trainieren zu können. Auch solche auf Rückzug basierenden Handlungsstrategien
sind in Anlehnung an Schön (2004: 240–241) als kreatives, aktives, widerständiges und damit
raumkompetentes Handeln zu verstehen. Ebenso die Strategie, sich durch Kooperation Sporträume
anzueignen. Kooperatives Handeln zeigt sich zum einen durch die Inanspruchnahme eines
Angebots der Jugendarbeit und zum anderen bei der Gemeinschaftsbildung in diesen Räumen.
Die von der Jugendarbeit geschaffenen Kooperationsmöglichkeiten können als Sprungbrett für die
selbstbewusstere Nutzung von öffentlichen und geschlechtergemischten Sporträumen dienen. Auch
außerhalb der Angebote berichten die Teilnehmenden, dass die Aneignung öffentlicher Sporträume
leichter fällt, wenn sie von vertrauten männlichen Personen wie Brüdern, Klassenkameraden oder
Vätern begleitet werden.
Die Raumaneignung durch sichtbare Körperpraxen als Inszenierung des sporttreibenden
Körpers erfordert Mut. Für die befragten Teilnehmenden birgt es aufgrund der hohen Sichtbarkeit
zugleich ein großes Selbstermächtigungspotential. Zur Förderung von Raumaneignung eignen sich
Sportangebote in der Jugendarbeit, da der vergeschlechtlichte Körper als „wesentliches Element
der Raumaneignung“ (Deinet 2005: 130) inszeniert wird. Die Teilnehmenden verdeutlichen durch ihre
aktive Platzierung, dass sie sich den gegebenen Herrschaftsverhältnissen nicht anpassen wollen
(vgl. Haß 2016: 61). Geschlechternormen und Raumordnungen werden in diesen gegenkulturellen
Räumen performativ neu verhandelt (vgl. ebd.: 129–130; Löw 2001: 227).
Nesrin (19): „Und deswegen spielen wir auch im Käfig, weil jeder zuschaut. […] Da
spielen Mädchen. Ich kann also auch reinkommen.“ (GC N19: 16)
„Wir sind als ein Team im Käfig. Und da außerhalb vom Käfig sind Menschen.
Wir zeigen denen, dass wir auch was können im Käfig. Und bei der Halle, wo es
wenig Platz gibt, da kann ja keiner sehen, wie wir Fußball spielen.“ (Ebd.: 52)
Eine Betrachtung, die sich nur auf die Größe und Nutzung bestimmter Aktionsräume im öffentlichen
Raum konzentriert, vernachlässigt die unsichtbaren und kreativen Aneignungsstrategien, die
Mädchen und junge Frauen in Aushandlung mit den Elternv
unternehmen (vgl. Schön 2004: 240–
241). Die Raumaneignung durch Aushandlungsprozesse im privaten Raum meint entsprechend
die kommunikativen Aneignungsprozesse, welche im privaten Raum beginnen. Hier mussten einige
Befragte zunächst auf partnerschaftliche, familiäre oder religiöse Erwartungen und Restriktionen
reagieren, damit sie sich die Teilhabe an sportiven Freiräumen langfristig sichern konnten.
Die Interviews mit den davon betroffenen Teilnehmenden zeigen, dass dafür ein hohes Maß an
RessourcenwieSelbstbehauptung, GeduldundResilienznötigist. DieStrategiewurdeinsbesondere
bei Sportler:innen mit Migrationshintergrund und muslimischem Glauben beobachtet. Diese waren
neben genderbezogenen Fremdrestriktionen häufiger auch von kultur- und religionsbezogenen
Verboten hinsichtlich ihrer Sportausübung betroffen. Diese Beobachtung deckt sich mit anderen
Forschungsergebnissen (vgl. Kleindienst-Cachay 2009: 78–82; Kleindienst-Cachay/Bahlke 2016:
71). Einer Teilnehmenden wurde von ihrem Vater beispielsweise das Fußballspielen ein Jahr lang
verboten – ihren Brüdern nicht. Sie hat sich ihren Sport zurückerobert, indem sie mit ihren Eltern
über einen langen Zeitraum geduldig und strategisch kommunizierte. Dadurch hat sie ihnen „Zeit
gegeben“ und sie haben „Vertrauen gewonnen“ (GC D16: 292–293).
Es ist möglich, dass kommunikatives Aushandeln im Privaten als Raumaneignungsstrategie
für die Nutzung öffentlicher Räume auch von anderen Personengruppen anwendbar ist. Dabei
zeigt gerade dieser Befund, wie wichtig es ist, dass die Analyse von Aneignungsverhalten nicht
nur auf den sichtbaren öffentlichen Raum und auf räumlich-quantifizierbare Größen reduziert
wird. Die Raumaneignungsprozesse, die Mädchen, Frauen sowie TIN*-Personen durchlaufen,
stellen bedeutsame und komplexe Aneignungsstrategien dar. Sie lassen sich nicht erfassen, wenn
lediglich untersucht wird, welche Nutzer:innengruppen an welchen Orten präsent sind und wer
wie ‚raumgreifend‘ oder ‚raumdefensiv‘ agiert. Das Erleben und die subjektiven Sinndeutungen bei
der Konstitution von Raum müssen mehr Aufmerksamkeit erfahren, wenn das Raumverhalten von
Mädchen, Frauen sowie TIN*-Personen verstanden werden will. Die Handlungsstrategien lassen
sich entlang der analytischen Spannungsfelder Neuverhandlung und Reproduktion, Widerstand
und Anpassung, Rückzug und Sichtbarkeit sowie Doing Gender und Undoing Gender verorten.
Wie nachhaltig die Raumaneignungsstrategien für die Nutzung von sportiven Freiräumen abseits
der Angebote sind, wurde im Rahmen der Forschungsarbeit nicht untersucht. Die Ergebnisse zur
QualitätdesRaumerlebenszeigendennoch,dassdieseFormderInterventioneinevielversprechende
Methodik der Sozialen Arbeit sein kann, um an den gängigen Raumordnungen zu „kratzen“, wie es
Strüver und Wucherpfennig (2012: 73) postulieren.
4
Praktische Implikationen für die Offene Jugendarbeit und Fazit
Die Erfahrungen von Mädchen, Frauen und TIN*-Personen beim Ausüben einer sportlichen
Freizeitaktivität gilt es im Kontext von mobiler und standortbezogener Jugendarbeit zu kennen.
Entsprechend dem Arbeitsprinzip der Geschlechtergerechtigkeit sowie dem sozialräumlichen
Auftrag der mobilen Jugendarbeit sollen junge Menschen dabei unterstützt werden, individuelle
und kollektive Handlungsspielräume zu erweitern (vgl. bOJA 2021: 48; 54–55; Barde 2021: 1427).
Fachkräfte sollten Mädchen, Frauen und TIN*-Personen grundsätzlich ein Bewegungsbedürfnis
unterstellen, auch wenn Angebote erstmal nicht so gut angenommen werden wie von männlichen
Peers. Wie die Ergebnisse des Forschungsprojekts zeigen, müssten jedoch Möglichkeits-Räume in
und von der Jugendarbeit geschaffen werden. In diesen können Adressat:innen mit professioneller
Begleitung Bewegung und Sport, Geschlecht und Körperlichkeit ausprobieren und Sport als
selbstermächtigende Raumaneignungsstrategie nutzen.
Hierzu wie auch für die sportpädagogische Ausgestaltung der Angebote braucht es
kompetente Fachkräfte. Wenn Rauminterventionen von Sozialarbeiter:innen begleitet werden und
das Training von zertifizierten Trainer:innen übernommen wird, erhöht sich die Qualität des Angebots
und dadurch auch die Möglichkeit, dass die Adressat:innen entscheidende Leistungsfortschritte
machen. Die Professionalisierung der Sportsozialarbeit (vgl. Löwenstein/Steffens/Kunsmann/Bieker
2020: 16–17) sowie das Lobbyieren für die Partizipation der Adressat:innen bei der Planung von
Sporträumen sind ebenso begrüßenswert (vgl. Barde 2021: 1428). Sport- und Bewegungsangebote
sollten im Sinne der Niederschwelligkeit (vgl. bOJA 2021: 55) kostenlos, anfängerfreundlich
sowie barrierearm hinsichtlich Sprache, Ausstattung, Erreichbarkeit und Verbindlichkeit sein.
Im Gegensatz zum organisierten Sport erfordert dies ein hohes Maß an Flexibilität gegenüber
unregelmäßigen Teilnahmen, wie die Expert:inneninterviews zeigten. Insbesondere die Akzeptanz
von Körperverhüllung hat sich als besonders positiv hinsichtlich der Teilnahme von muslimischen
Adressat:innen gezeigt.
Mädchen und junge Frauen stellen keine homogene Gruppe dar, in der alle Personen die
gleichen Unterdrückungserfahrungen haben (vgl. Kagerbauer 2021: 310) – auch nicht in Bezug auf
ihre sportliche Teilhabe (Kleindienst-Cachay/Bahlke 2016; Merten 2024). Trotzdem kann aus der
präsentierten Forschungsarbeit abgeleitet werden, dass es die Genderexklusivität als „strategischen
Essenzialismus“ (Kagerbauer 2021: 310) braucht, um geschlechtsbezogener Unterdrückung im
Sportbereich entgegenzuwirken. Die Raumaneignungsstrategie Kollektivierung kann somit gegen
die Verschleierung patriarchaler Herrschaft wirken (vgl. ebd.: 314).
Darüber hinaus ist eine intersektionale Perspektive (vgl. Degele 2020: 341–342) in der Praxis
von Jugendarbeiter:innen unabdingbar. Angesichts der Aneignungshürden im privaten Raum, die
einige Teilnehmende hinsichtlich ihrer sportlichen Teilhabe erleben, ist eine lebensweltorientierte
und diversitätssensible Haltung bei Fachkräften erforderlich (vgl. bOJA 2021: 54; 59). Eine inklusive
Zielgruppenansprache, die keiner binären Geschlechterlogik folgt, ist insbesondere für die von
besonderer Marginalisierung im Sport betroffenen TIN*-Personen bedeutsam (vgl. u.a. Braumüller et
al. 2023; Caudwell 2020). Aus den exemplarischen Fallberichten des queer-feministischen Angebots
im Skatepark ist zu entnehmen, dass es neue Konzeptionen und genderkompetente Fachkräfte
braucht, damit Safe Spaces entstehen können (vgl. Palfrey 2017: 17–20). Dass gendersensibles
Verhalten männlicher Sportler entscheidend für ein gutes Miteinander in gemischtgeschlechtlichen
Sporträumen war, sollte im Sinne des Arbeitsprinzips der Geschlechtergerechtigkeit als Auftrag an
die Offene Jugendarbeit mit männlichen Personen verstanden werden (vgl. bOJA 2021: 54–55).
Das Bedürfnis, den Sport ‚unter sich‘ auszuüben, steht nicht notwendig in Widerspruch
zum Wunsch nach geschlechtergemischten Sportangeboten. Beide können mehrstufig oder auch
parallel zueinander konzeptioniert sein (vgl. Röggla/Tobolka/Wild 2017: 18). Josties (2013: 214)
empfiehlt hier den situationsbezogenen Wechsel zwischen Rückzugs- und Begegnungsräumen.
Dabei ist hervorzuheben, dass echte Aneignungschancen nur dann entstehen, wenn Fachkräfte
den Adressat:innen reale Gestaltungsspielräume und selbstorganisiertes Handeln während der
Angebote zugestehen (vgl. Deinet 2014: 57).
Das Potenzial der genannten Rauminterventionen hängt stark ab von der sozialarbeiterischen
BegleitungderRaumaneignungsowievonderNutzungphysisch-räumlicherundzeitlicherÜbergänge
als Ausgangspunkte für Sensibilisierungs- und Bildungsprozesse. Jugendarbeiter:innen kommt
dabei eine vermittelnde und moderierende Rolle zu, die es hinsichtlich der im Forschungsprojekt
beschriebenen „Raumwächter:innen“-Funktion kontinuierlich zu reflektieren gilt. Die Rolle der
Jugendarbeiter:innen sollte daher in Richtung der Sozialraumarbeit vor Ort gestärkt werden (vgl.
Kessl/Reutlinger 2022: 39). Das Initiieren der Angebote, das Raum-Management, die Begleitung der
Übergänge sowie die Verschiebung territorialer Grenzen setzen professionelles sozialräumliches
Handeln voraus. Entscheidend hierfür sind eine reflexiv-räumliche Haltung und das Hinterfragen
der eigenen Machtposition sowie des Handelns in Bezug auf die Reproduktion von Raum- und
Geschlechterordnungen. Darüber hinaus sollte die Legitimität von Interventionen in Hinblick auf die
Positionierungschancen aller Konfliktgruppen im Sozialraum kritisch reflektiert werden (vgl. ebd.).
Wie das dargestellte Forschungsprojekt zeigt, sollten die verschiedenen Interessensgruppen und
deren Lebenswelten gut gekannt, die Übergänge konzeptionell gestaltet und die Notwendigkeit der
InterventionamkonkretenOrtimmerwiederaufsNeuegeprüftwerden.NebenderKontextualisierung
der Angebote im konkreten Sozialraum erfordert diese professionelle Haltung eine Positionierung
der Jugendarbeiter:innen. Das meint das bewusste und begründete Agieren von Fachkräften, auch
und besonders angesichts der Verstrickung sozialarbeiterischer Angebote mit kommunalpolitischen
Interessen, beispielsweise die Kontrolle und Regulierung öffentlicher Räume (vgl. ebd.: 39–41).
Die Ergebnisse des Forschungsprojekts zeigen, dass es dem wissenschaftlichen und
praxisorientierten Diskurs gut tun würde, wenn qualitativen Aspekten des Raumerlebens und
Raumnutzungsverhaltens von Mädchen, Frauen und TIN*-Personen die nötige Relevanz zuerkannt
würde. Bei quantitativen, raumgrößenorientierten Analysen sowie defizitären und reduktionistischen
Vergleichen innerhalb einer binären Geschlechterordnung darf es nicht bleiben.
Verweise
i
Ausgehend von der sozialen Konstruiertheit von Geschlecht benenne und reproduziere ich in diesem Artikel sprachlich binäre
Geschlechterkategorien, um ihre fortbestehende gesellschaftliche Wirkmächtigkeit analytisch zu berücksichtigen; zugleich werden die
Perspektiven von TIN*-Personen (trans*, inter*, non-binär) miteinbezogen und Geschlechtervielfalt sprachlich sichtbar gemacht. In einem
Angebot galt die Zielgruppenansprache ausdrücklich FLINTA*-Personen (Frauen, Lesben, inter*, non-binäre, trans*, agender). Da sich
unter den befragten zehn Teilnehmenden neben neun cis-Frauen nur eine non-binäre Person befand und verallgemeinerte Aussagen
über TIN*-Personen mit dieser Stichprobe nicht angemessen wären, ist in der kurzen Darstellung der Ergebnisse von Mädchen und
Frauen die Rede. An relevanten Stellen wird auf das Erleben dieser Person, unterstrichen von einem Expert:inneninterview des queer-
feministischen Angebots, exemplarisch hingewiesen und mit der Forschungslage in Verbindung gebracht.
ii
Die repräsentative Wiener Frauenbefragung hebt den Wunsch nach mehr zugänglichen Bewegungsräumen entlang den eigenen
Bedürfnissen in ihrem Ergebnisbericht hervor (vgl. Zeglovits 2022: 140–141).
iii
Im Rahmen dieser Forschungsarbeit waren der explorative Charakter der Erhebung und die themenorientierte Auswertung des
vielfältigen Datenmaterials ein bedeutsamer Erkenntnisgewinn. Aufgrund der Vielzahl an unterschiedlichen sozialen Merkmalen und
Unterdrückungsmechanismen ist im Sinne der Intersektionalität anzunehmen, dass vergleichende Analysen oder Explorationen innerhalb
anderer spezifischer Personengruppen aufschlussreich wären.
iv Es werden exemplarisch pseudonymisierte und sprachbereinigte Aussagen aus den Interviewprotokollen angeführt und durch Belege
aus dem Forschungsmaterial mit den Angebots-Kürzeln PdF (Platz der Frauen), GC (Girls Cup) und TS (Tuesday Sesh) gestützt.
v In einer Studie zu Jugend im öffentlichen Raum Wiens (Prinzjakowitsch/Zentner 2023: 22) wird festgehalten, dass die Kontrollfunktion
von Familienangehörigen bei der Nutzung öffentlicher Räume insbesondere weibliche Jugendliche betrifft.
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Über die Autorin
Alisa Storz, BA BEd MA
Arbeitet als Beraterin in einer Beratungsstelle für Mädchen, junge Frauen und TIN*-Personen in
Wien. Sie hat Erziehungswissenschaft, Sport- und Politikwissenschaften im Bachelor sowie
Sozialraumorientierte Soziale Arbeit im Master studiert. In ihrer Masterarbeit konnte sie diese
Kenntnisse und Interessen erfreulicherweise miteinander verbinden.