Manuela Brandstetter, Andrea Rainer Cerovská, Stefan Leipold, Julia Rose, Lukas Spreitzer. Die App TELL! Vulnerabilität gestalten.
Participatory Design & Storytelling in der Offenen Jugendarbeit. soziales_kapital, Bd. 31 (2025). Rubrik: Sozialarbeitswissenschaſt.
31. Ausgabe, 2025
Geschlechtergerechtigkeit
Die App TELL!
Vulnerabilität gestalten. Participatory Design & Storytelling in
der Offenen Jugendarbeit
Manuela Brandstetter, Andrea Rainer Cerovská, Stefan Leipold,
Julia Rose, Lukas Spreitzer
Zusammenfassung
Im Beitrag geht es um den partizipativen Entwicklungsprozess der App TELL! – eines nachhaltigen,
nicht-kommerziellen und selbstreflexiven Tools für die digitale Biographiearbeit von Jugendlichen.
Das Forschungsprojekt TELL! zielte auf die Steigerung des Selbstwirksamkeitserlebens der
jugendlichen Nutzer*innen (14 bis 21 Jahre). Bei der Entwicklung wurde auf eine transdisziplinäre
Zusammenarbeit aller beteiligter Professionen (Entwickler*innen, Ethiker*innen, Sozial- bzw.
Jugendarbeiter*innen, Forscher*innen) geachtet. Die Ergebnisse zeigen: Jugendliche erweitern
durch digitale Reflexionsimpulse aktiv ihre realen und imaginären Mobilitätsräume; Privatsphäre ist
zentrale Voraussetzung digitaler Biografiearbeit und wird von Jugendlichen bewusst eingefordert;
die Offenheit der Interaktion und Ästhetik stellen wesentliche Bedingungen für die Nutzung dar;
Jugendliche nutzen TELL! als offenen Bildungs- und Selbstwirksamkeitsraum.
Schlagworte: Biographiearbeit, Digitalisierung, Offene Jugendarbeit, Technologieentwicklung,
Participatory Design, Storytelling
Abstract
This article discusses the participatory development process behind the application TELL!—a
sustainable,non-commercialandself-reflectivedigitaltooldesignedtohelpyoungpeoplereconstruct
their personal timelines in a secure and ethically sound context. The TELL! research project aimed
to increase self-efficacy among young users (aged 14–21), and, at the developer level, to promote
transdisciplinary collaboration between all professions involved (developers, ethical experts, social
workers, youth workers and researchers). The results show that young people actively expand their
real and imaginary mobility spaces through digital reflection stimuli. Furthermore, they indicate
that privacy is a central prerequisite for digital biography work and is consciously demanded by
young people. Finally, the study found that openness of interaction and aesthetics are essential for
participatory use. When these conditions are met, young people use TELL! as an open space for
education and fostering self-efficacy.
Keywords: biography work, digitalization, open youth work, technology development, participatory
design, storytelling
1
Einleitung
Jugendliche gelten seit der Pandemie, aber spätestens seit dem Werk Kinder – Minderheit ohne
Schutz (2025) von Paul El-Mafaalani, Nico Kurtenbach und Pauline Strohmeier als gefährdete Grup-
pe in einer alternden Gesellschaft. Der vorliegende Beitrag bietet einen Einblick in die interdisziplinä-
re Technologieforschung zwischen Informatik, Ethik und Sozialer Arbeit bzw. Offener Jugendarbeit
im Rahmen eines FFG-geförderten R&D Projekts.i In diesem wurde eine Raum- und Biografie-sen-
sible App namens TELL! für eine österreichische Modellregion entwickelt, die neue Möglichkeiten
der biografischen Reflexion sowie der sozialräumlichen (Mit-)Gestaltung für Jugendliche schaffen
soll. Die als Fallstudie angelegte Untersuchung wurde nach dem Technologie-Entwicklungsansatz
des Participatory Design (vgl. Simonsen/Robertson 2013) konzipiert. Erhoben wurden zum einen
die biografischen Erzählungen, lokalen Raumwahrnehmungen und konkreten Gestaltungsbedürf-
nisse von 14- bis 21-Jährigen aus dem Sozialraum; zum anderen konnten sie ihre Anliegen zur
Gestaltung der App äußern. Was ihnen hinsichtlich der Themen Erinnerung, Lebensgestaltung und
Sozialraum als relevant erschien, stand dabei im Fokus (vgl. Longley 2009: 80).
Entgegen dem dominanten Narrativ der sogenannten (Post-)Covid-Jugendlichen (vgl. Ra-
vens-Sieberer et al. 2021; Zartler/Dafert/Dirnberger 2021; Andresen et al. 2020) zeigten die Teil-
nehmenden eine hohe Bereitschaft zur aktiven Mitgestaltung. Sie hatten eine große Motivation,
ihre Biografien und Sozialräume visuell mitzudenken, Fragen zu formulieren, digitale Funktionen
zu reflektieren und rechtliche Rahmenbedingungen zu diskutieren. Für sie war Beteiligung keine
symbolische Geste, sondern die reale Einflussnahme auf Räume, die sonst als vorgegeben erlebt
werden. Dabei wurde Vulnerabilität sichtbar, trotzdem agierten die Jugendlichen primär als aktive
Gestalter*innen. Eine daraus folgende Erkenntnis ist, dass digitale Tools in der Sozialen Arbeit nicht
für, sondern mit Jugendlichen entwickelt werden müssen.
Im Folgenden skizzieren wir den Entwicklungs-Weg vom Vorläufer KEOSITY zu TELL!, die
damit einhergehenden methodischen sozialwissenschaftlichen Fragen (Sampling der Fallstudie),
die ethischen & datenschutzrechtlichen Erfordernisse sowie zentrale Erkenntnisse aus dem partizi-
pativen Forschungs- und Entwicklungsprozess durch und mit den Jugendlichen.
2
Von KEOSITY zu TELL!: Entstehungsgeschichte und Anpassungen
Das Projekt TELL! basiert auf Ergebnissen der empirischen Forschung zur Vorgänger-Applikation
KEOSITY, welche die technologische Grundlage, das Konzept sowie die dahinterliegende Software
liefert. Diese wurde bereits mit älteren Menschen erprobt, die ihre Lebensgeschichte mittels akti-
vierender sogenannter ‚Triggerfragen‘ii spielerisch und nicht-linear dokumentieren konnten. TELL!
musste neue Kommunikations- und Kollaborationsaspekte integrieren, um der jüngeren Zielgruppe
gerecht zu werden, u.a. musste die Benutzeroberfläche mittels eines Nutzer*innen-zentrierten, ite-
rativen Designprozesses neu gestaltet werden.
Die Vorgänger-App KEOSITY musste für die Anpassung an die neue jugendliche Zielgruppe
völlig neu aufgesetzt werden. KEOSITY wurde für ältere Nutzer*innen konzipiert; sie unterstützte
vornehmlich die private und individualisierte Sammlung persönlicher Erinnerungen und beruhte auf
der gezielten Erinnerungsaktivierung durch systematisch eingesetzte Fragen zu unterschiedlichen
Lebensbereichen. Für die jüngeren Menschen musste eine dynamische Benutzer*innenführung im-
plementiert werden, da diese einerseits weniger Lebensjahre angesammelt hatten, andererseits
überstiegen die Anforderungen das reine Festhalten und Präsentieren von Erinnerungen für die
Nachwelt – schließlich befindet sich die jugendliche Biografie in permanenter Bewegung. Die Ver-
arbeitung von Ereignissen ist in vollem Gang, das Selbstbild oszilliert zwischen Vergangenheit und
Zukunft und definiert sich laufend neu (vgl. Hölzle/Jansen 2011; Lattschar/Wiemann 2018). Die In-
tegration von Reflexions-, Kommunikations- und Kollaborationsaspekten war eine der geforderten
neuen Komponenten. Die angedachten Impulsfragen wurden nach der Auswertung erster partizi-
pativer Workshops durch impulsgebende Bilder erweitert bzw. ersetzt, da das Konsortium und die
Jugendlichen zur Überzeugung gelangt waren, dass es hier anderer Stimuli bedarf.
3
Forschungsidee TELL! – Annahmen zu ‚sozialer Isolation‘ aufgrund von
Mediennutzung
Die grundlegende Idee für das Projekt entstand während der COVID-19-Krise, zu einer Zeit also,
zu der Jugendliche in ihrem Alltagshandeln massiv eingeschränkt worden waren. Während der
Pandemie stieg die Vulnerabilität von jungen Menschen, psychische Erkrankungen und Risikover-
halten stiegen stark an. Der Fachdiskurs wies in den ersten Untersuchungen zu den Pandemieaus-
wirkungen einen komplexen, dynamischen Zusammenhang zwischen sozialer Isolation, allgemei-
ner Verunsicherung, gesellschaftlicher Zuschreibung und intensiver Mediennutzung aus (vgl. dazu
Eisewicht/Steinmann/Kortmann 2021: 351ff; Ravens-Sieberer et al. 2021). Die Vorstellung, dass
Jugendliche nunmehr einer besonderen Aufmerksamkeit und gezielter Kriseninterventionen, bio-
grafischer Maßnahmen sowie betreuerischer Techniken und Verfahren bedürfen, erwies sich zeit-
gleich mit den ersten TELL!-Workshops als enggeführt.
Nach aktuellen Forschungen befinden sich moderne Gesellschaften in einem elementaren
Wandel, der oftmals auch als ‚digitale Transformation‘ (vgl. dazu Bär 2018: 6f.) oder als ‚zweites
Maschinenzeitalter‘ (ebd.) bezeichnet wird. Diese Veränderungen nehmen maßgeblichen Einfluss
auf die Entwicklung junger Menschen, auf ihre Umgebungiii und ihr soziales Verhalten. Soziale Netz-
werke, SmartPhone-Apps, ChatBots, KI und Sensorik bieten eine Vielzahl an Möglichkeiten, sich
und seine Lebensgeschichte mit anderen zu teilen, sich zu zeigen, zu vergleichen, zu erproben.
Das Konsortium von TELL! ging aus o.g. Gründen davon aus, dass die Digitalisierung neben
zahlreichen Risiken auch positive Gestaltungsimpulse freilegen kann, zumindest sofern Jugend-
liche nicht nur als ‚Betroffene‘ der Digitalisierung, der Pandemie oder sozialer Risiken gesehen
werden. Wenn Jugendlichen die Autonomie in (technologischen) Gestaltungsprozessen rücküber-
antwortet wird, so die leitende These, könnten andere Bilder von Jugendlichen sichtbar werden als
ausschließlich jenes einer vulnerablen Gruppe (vgl. dazu Eisewicht et al 2021: 360f.). Ein Ziel hinter
TELL! bestand darin, Jugendliche nicht nur als ‚gefährdete Gruppe‘ zu betrachten, sondern ihre
digitalen Gestaltungsansprüche zu erforschen und diesen durch die App-Entwicklung zur Durch-
setzung zu verhelfen. Die Jugendlichen wirkten von Beginn an am Entwicklungsprozess mit und
brachten ihre Bedürfnisse, Vorstellungen und Gestaltungsideen in die Technologieentwicklung ein.
Die Frage nach den lebensweltlichen Gestaltungsbedürfnissen erwies sich als richtungsweisend für
das Forschungsprojekt.
Am Beginn des Projekts standen Paper-Pencil-Arbeitspakete.iv Darin ging es um die Bedürf-
niserhebung der Jugendlichen aus deren Perspektive. Von Anfang an wurden zudem MEESTARv
Workshops abgehalten, die eine laufende Selbstreflexion der Technologieent-wickler*innen, Sozial-
wissenschaftler*innen und Sozialpädagog*innen bei der (digitalen) Biographiearbeit gewährleiste-
ten und die ethischen Mindeststandards sicherten. Ein informed consent, ein Datamanagementplan
und eine nachvollziehbare Publikationsstrategie wurden sowohl von der Fördergeber*in Österreichi-
sche Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) als auch von den Jugendlichen proaktiv eingefordert.
In weiterer Folge gehen wir auf die relevantesten Erkenntnisse ein, die über den Ansatz des
Participatory Designs sowie der Conversation Analysis (vgl. Whalen/Raymond 2000) zu Tage tra-
ten. Zentral war dabei die bereits am Beginn der Forschung stehende Einsicht, dass die genannten
Vorannahmen zu jugendlicher Selbstbestimmung überdacht werden müssen. Wie sich zeigte, über-
stiegen die Anforderungen, welche die Jugendlichen an die Entwickler*innen stellten, bei weitem
das, was gemeinhin als State of the Art jugendlicher Mediennutzung gilt bzw. was dem Konsortium
an Feldwissen zum Entwicklungszeitpunkt zugänglich war.
4
Ergebnisse aus Forschung & Entwicklung zu TELL! im Participatory
Design
Am Beginn der Forschung stand die Frage: Wie kann TELL! Jugendliche in biographischen so-
wie lebensweltlichen Gestaltungsprozessen unterstützen? Welche technologischen Anforderungen
müssen dafür erfüllt sein? Die Vorstellungen von gesamt 30 Jugendlichenvi im Hinblick auf Lebens-
verläufe und sozialräumlich verortete Lebenswelten wurden mit Hilfe der Participatory-Design-Me-
thode (vgl. Simonsen/Robertson 2013; Rosenstein 2002) erhoben. Wir Forscher*innen hatten im
Forschungsantrag angenommen, dass Themen wie self care und mental health zentrale jugendliche
Bedürfnisse sind. Diese Hypothese musste im Verlauf der Erhebungen revidiert werden. Viele An-
nahmen darüber, was Jugendliche in Anbetracht ihrer postpandemischen Belastung für den ver-
meintlichen Übergang von der analogen in die digitale Welt brauchen (vgl. dazu Ravens-Sieberer
et al 2021; Zartler et al 2021; Andresen et al 2020), erwiesen sich als nicht zutreffend bzw. mussten
neu gedacht werden.
4.1 Grenzüberschreitung anhand des Geographie-Machens
In den TELL!-Workshops entwickelten Jugendliche alternative geographische Aktionsradien, die
über das konkrete wohnräumliche bzw. kommunal-regionale Einzugsgebiet weit hinausgingen. Am
Beginn stand die Untersuchungsaufforderung, Mobilitätsdynamiken in Gruppen digital zu doku-
mentieren bzw. zu rekonstruieren, dabei erweiterten die Befragten ihre Aktivitäten über die Ge-
meinde-/Regionsgrenzen hinaus. So zeigte sich in den Befragungen, Workshops und Field Trials,
dass und wie sich Jugendliche im Alter von 14 bis 21 Jahren quer zu den politischen Bezirken und
Territorien bewegen bzw. dass Cliquen-Bildung und Peer-Group-Grenzen nicht durch kommunale
oder regionale Zugehörigkeit (vor)definiert sind.
Die Teilnehmenden zeichneten völlig unerwartete Geographien: Teilweise legten sie rund
80 km an nur einem Tag zurück, wobei die Entfernungen mithilfe von Peers, Geschwistern und
Freund*innen in öffentlichen und privaten Verkehrsmitteln überwunden wurden (vgl. Gruppendis-
kussion Workshop 3). Autonom wurden Orte wie Wien-Landstraße und Eisenstadt innerhalb weni-
ger Stunden erreicht, was in den TELL!-Erinnerungen durch das von den Jugendlichen angefertigte
Bildmaterial sichtbar wurde. Ob und inwieweit solche Ausflüge auch ohne den durch TELL! moti-
vierten Erhebungsimpuls stattgefunden hätten, bleibt offen (vgl. dazu auch Brandstetter/Schroll-
Decker/Townsend 2025). Interessant ist aber, dass die ungewöhnlich weitläufigen Bewegungsra-
dien als grundlegend möglich erscheinen und laut den Teilnehmer*innen „immer wieder auch ohne
der App“ (Workshop 2 Paper Pencil, September 2022) vorkommen.
Interessant sind diese Erkenntnisse vor allem vor dem Hintergrund der im Fachdiskurs de-
battierten Frage nach typisch jugendlichen Mobilitätsdynamiken (vgl. Sauter/Wyss 2013). Bekannt
und gut beforscht ist, dass Jugendliche mit ihren täglichen Bewegungsaktivitäten eine Art Wider-
stand gegen kleine und oft als einschränkend beschriebene Heimatkommunen zum Ausdruck brin-
gen (vgl. ebd.). Im vorliegenden Fall war es bspw. das „kleine Fischamend“ (Workshop 1, Paper-
Pencil, September 2022), das von den Untersuchungsteilnehmer*innen als „kontrollierend“ wahr-
genommen worden war, oder die ähnlich erlebten Nachbargemeinden sowie die Bezirkshauptstadt
Bruck an der Leitha, die durchgehend als „bäuerlich“ beschrieben worden waren. Die Teilnehmen-
den berichteten, stolz darauf zu sein (vgl. ebd.), die Grenzen der üblichen Bewegungsräume über-
winden zu können. Dies markiert jene subjektiv relevante, vermutlich sinnstiftende Erfahrung, die
der App-Entwicklungsprozess zu Tage beförderte und die als jugendlicher Ausdruck eines Gren-
zen-Überwinden-Könnens zu verallgemeinern ist (vgl. Sauter/Wyss 2013; Stewart/Duncan/Chaix/
Kestens 2015).
Im Hinblick auf die Forschungsfrage bedeutet dies, dass eine partizipativ gestaltete App
wie TELL! in der Lage ist, Jugendliche in ihrem Mobilitätshandeln zu unterstützen, da ihnen ein Tool
zur Reflexion der eigenen Bewegungen im Sozialraum an die Hand gegeben wird. Der Austausch
mit den Jugendarbeiter*innen im Anschluss an die Bewegungen, die Reflexion über Zielorte und
„Sehnsuchtsgeographien“ (Workshop 1, Paper-Pencil, September 2022) eröffnete zudem einen
entscheidenden Bildungsraum – sowohl für die Jugendlichen als auch für die App-Entwickler*innen
und Forscher*innen. Sichtbar wurde, dass digitale Tools offene Bildungsangebote bereitstellen kön-
nen, sofern Jugendliche diese selbstbestimmt und in unmittelbarer Anbindung an ihre Erfahrungen
nutzen können und sofern Aktivitäten in offenen (digitalen) Räumen besprechbar gemacht werden.
Bekannt ist, dass allein die Wahrnehmung von zur Verfügung stehenden Mobilitätsmitteln ein ent-
scheidender Faktor beim Mobilitätshandeln von Jugendlichen ist (vgl. Stewart 2015 et al.: 13), wes-
halb die App eine Bildungsgelegenheit darstellte.
Die Verwendung der App hat somit das Potenzial, jugendliche Nutzer*innen bei ihrem ge-
meinde- und grenzüberschreitenden Mobilitätshandeln und bei ihrem alltäglichen Erkunden zu be-
gleiten. Entsprechend forderten die Jugendlichen auch proaktiv die Option ein, bei App-Nutzung
ihre Erinnerungen mit Karten (oder Google Maps) zu verschränken (vgl. Abbildung 1). Die Möglich-
keit, ihre Bewegungsradien im TELL!-Erlebnispfad zu dokumentieren, motivierte die jugendlichen
Nutzer*innen, ihre subjektiven sowie gruppenbezogenen Räume zu erweitern, das eigene Probe-
handeln auszuweiten und darüber in der Gruppe und mit Sozial- und Jugendarbeiter*innen zu re-
flektieren.
Abb. 1: Geographie-Machen
4.2 Privacy als Forderung
Ein weiteres elementares Bedürfnis der Nutzer*innen trat in der Bedarfserhebung zutage: „Wie weiß
ich, dass das safe ist, was ich hier mache?“ (Workshop 2, Paper-Pencil, Mai 2022) Die Sicherheit
der persönlichen Integrität war von Beginn an eine Voraussetzung für die digitale Biografiearbeit
der Jugendlichen. In unterschiedlichen sprachlichen Schattierungen erkundigten sie sich bereits im
Vorfeld der digitalen Anwendung nach dem Schutz der Privatsphäre und brachten ihre Bedingungen
zum Ausdruck, beispielsweise mit Fragen wie: „Was tue ich, wenn jemand mein Handy findet und
sich meinen Erlebnispfad anschaut?“ „Wie kann ich meine persönlichen Fotos schützen?“ (Work-
shop 4, Bedarfsanalyse, Mai 2022) Ursprünglich war geplant, die Jugendlichen zu einem späteren
Zeitpunkt durch Ethik-Workshops (vgl. Manzeschke 2015) sowie ein Nutzer*innenhandbuch von
der Sicherheit der App-Nutzung zu überzeugen. Dieser Schritt musste jedoch vorgezogen werden,
weil erst die Vertrauensarbeit durch die Jugendarbeiter*innen die anfänglichen (noch nicht digitalen)
Arbeiten an der Bedürfniserhebung möglich gemacht hatten. Sichtbar wurde die hohe Reflexivi-
tät der Jugendlichen im Hinblick auf ihr Datenmanagement auch daran, wie sie ihren Umgang mit
digitalen Applikationen gestalten wollten bzw. was sie diesbezüglich einforderten. Unter den Nut-
zer*innen dominierte die Haltung, „nur dann bei der App mitzumachen, wenn meine Erinnerungen
wirklich geschützt sind“ (ebd.).
Die Fragen, „Wer sieht das aller?“ (Workshop 2, Paper-Pencil, Oktober 2022) und „Wer ga-
rantiert mir, dass ich nicht getracked werde?“ (ebd.), bedurften in allen Erhebungsevents einer
grundlegenden Klarstellung. Erst durch die ausdrücklichen Verweise auf Datenschutz- und Privat-
sphäre-Management durch alle Partner*innen waren die Bedingungen für die autonome App-Nut-
zung erfüllt. Die in der Forschung häufig thematisierte Sorge um die vermeintliche Sorglosigkeit von
Jugendlichen im Umgang mit Privatsphäre-Risiken konnte im Zuge der TELL!-Entwicklung nicht
festgestellt werden (vgl. Sagygin/Gogus 2019; Maryani/Rahmawan/Garnesia/Ratmita 2020: 176).
4.3 Maximale Offenheit als Beweggrund für Online-Activity
Eine weitere Voraussetzung für die jugendliche App-Nutzung ist die technologische Gewährleistung,
dass Erinnerungen maximal autonom und frei von kategorialen Zwängen angelegt werden können
(und nicht an ein Event, einen Ort, eine Begebenheit, eine Bezugsperson etc. gebunden sein müs-
sen). Farben, Bilder, Logos, Rollen müssen von Nutzer*innen eigenständig und auf intuitivem Weg
variiert werden können; thematische Vorstrukturierungen sind nur insofern zulässig, als bspw. ein
bestimmter Wiedererkennungseffekt durch das Anzeigen des typischen Ausgangslogos beim Ein-
stieg vorliegt. Konventionelle Kategorisierungen, wie etwa strukturierende Fragen oder Stimuli im
Hinblick auf Geschlecht, soziale Rolle, Sozialstruktur oder Familienstand, schreckten Nutzer*innen
ab. Mit anderen Worten: Tatsächlich waren die Jugendlichen erst bereit, ihre Erinnerungen in der
App zu rekonstruieren bzw. ihren Content mit anderen Nutzer*innen und mit Jugendarbeiter*innen
zu teilen, als sie die maximale Gestaltungshoheit über die Anordnung ihrer Features hatten.
Die Bedarfserhebung zeigte zudem, dass Jugendliche sowohl individuell als auch im Peer-
Kontext klare Vorstellungen davon hatten, wann und auf welche Weise sie Unterstützung wollen.
Sie waren nicht nur skeptisch gegenüber jeder Form von technologisch motivierten Stimuli, sie
sahen sich auch nicht als Betroffene einer Krise einer vermeintlich peripheren (ländlichen) Lebens-
welt ausgeliefert. Stattdessen begriffen sie sich als aktive Akteur*innen ihrer Lebenswelt(en), die
klar in der Lage sind, offene Bildungsräume innerhalb und außerhalb der App einzufordern. Die
ästhetische Ausgestaltung des Interface von TELL! bildete hier das adäquate Ausdrucksmittel für
biographisch-offene Suchbewegungen der Nutzer*innen.
Abb. 2: Offenheit der Such-Bewegung
Aufgrund dieser Ergebnisse wurden die ursprünglich in KEOSITY vorgesehenen Triggerfragen er-
setzt durch künstlerische Impulse, sogenannte Cultural Probes (vgl. Rosenstein 2002). Deren Offen-
heit inspirierte die jugendlichen User*innen, eine eigene Narration aus ihren Lebensbezügen zu ent-
wickeln. Tatsächlich regten die angebotenen Visualisierungen (siehe Abb. 2) dazu an, sich über das
Erleben der eigenen Geschlechterrolle auszutauschen; so wurde eine „Erinnerung“ im Erlebnispfad
von TELL! erstellt und diese in Kleingruppen mit Peers und einer Jugendarbeiterin geteilt. Das von
‚Susi‘ genutzte Piktogramm in Abbildung 3 verdeutlicht idealtypisch, dass die Jugendlichen sich
selbst in der Kategorie „Mensch“ beschreiben, nicht über die Kategorien „Mann“ oder „Frau“; d.h.
sie selbst verweigerten in ihren Erinnerungen die Adaption binärer Geschlechterrollen.
Die Analysen der Nutzer*innen-Erhebungen verweisen auf sehr unterschiedliche Aspekte
der App und ihrer Nutzung. Während die einen jugendlichen Nutzer*innen das Schreiben heraus-
fordernd fanden und eigene Erfahrungen oder Erlebnisse schwer in Worte fassen konnten, weshalb
sie sich durch Fragen inspirieren ließen, war für die anderen eine Galerie mit Kunstbildkarten der
passende Ausgangspunkt, um Gefühlslagen auszudrücken. Die Möglichkeit der Erstellung von Er-
innerungen als Verbindung von Text, Ton, Bild und Video fand bei den Nutzer*innen großen Anklang.
Abb. 3: Mensch im Bett
Mit anderen Worten: Die Erfahrung offener Bildung – im Sinne des sozialpädagogischen Konzepts
nach Stephan Sting (2016) – ist nur dann für jugendliche Nutzer*innen möglich, wenn die tech-
nologisch auffindbare Struktur funktional undefiniert auftritt (vgl. dazu auch Walther 2014). Das
bedeutet, dass visuelle Reize oder andere Nutzungsanregungen zwar gelegt werden können, die
Deutungsspektren und die von Nutzer*innen einnehmbaren Rollen und Positionierungen müssen je-
doch offen bleiben. Die Workshops zeigten, dass Räume, in denen soziale Kategorien (Geschlecht,
Status, Herkunft, Bildung etc.) vordefiniert sind, von den jugendlichen User*innen ungenutzt blie-
ben. Nur Minimalstrukturen (bspw. Eckpunkte zum Einschätzen von Details der angelegten Erinne-
rungen) werden von Jugendlichen akzeptiert (vgl. dazu auch Abb. 4).
Deutlich wurde zudem, dass Nutzer*innen, die sich an einem biographischen Übergangs-
stadium und mithin in einem sozialen Statuswechsel befanden, die App auch ad hoc nutzten, um
ihre Erfahrungen als „Erinnerungen“ anzulegen. So nutzten bspw. eine Jugendliche, deren Vater
eine neue Frau heiratete, ein Jugendlicher, der gerade die Schule wechselte, oder ein anderer, der
sich in einer prekären geschwisterlichen Situation befand, die App spontan und in der Betreuungs-
situation selbst, um eigene Erfahrungen auszudifferenzieren bzw. darzustellen (vgl. Workshop 7,
September 2024; Workshop 14, Jänner 2025).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Eintrag einer „Erinnerung“ im Erlebnispfad
der App offen für jedwedes Ausdrucksmittel und für jeden visuellen oder auditiv gefärbten Inhalt
sein muss, der das Erfahrene stützt oder untermalt. Jede formale oder strukturelle Einschränkung,
jede komplexe Norm der Wiedergabe führt zur Nicht-Nutzung, zum Weglegen, zum Nicht-Ausdruck
einer Erinnerung. Wenn diese Bedingungen technisch erfüllt werden und die App tatsächlich einen
offenen Bildungsraum bietet, um Erinnerungen festzuhalten bzw. zu teilen, werden tatsächlich au-
thentische Erfahrungen dokumentiert.
So erzählten Jugendliche beim Erstellen der Erinnerung davon, wie sie mit Freund*innen in
den Sommermonaten weite Strecken in die Donauauen hinein geradelt sind. Sie nahmen die Er-
zählung auf und untermalten die Bilder mit dieser Darstellung. Sie erzählten, dass sie im seichten
Wasser geschaut hätten, ‚ob wir irgendwelche coole Sachen finden‘ und dass sie dabei auch Höh-
len entdeckt hätten. An einem Tag hätten sie ‚eine Granate, Neun-Millimeter-Patronen und an einem
anderen Ort eine Landmine‘ gefunden. Man einigte sich darauf, die Polizei zu kontaktieren. Am
Telefon hätte es geheißen, ‚sie schauen sich‘s an‘. Gekommen wären sie nach zwanzig Minuten.
Offensichtlich hatten sich die Jugendlichen aber direkt mit dem Bombenkommando in Verbindung
gesetzt. Die Jugendlichen dokumentierten auch die zahlreichen Objekte, welche sie auf ihren Aus-
flügen gefunden hatten, auf ihren privaten Erlebnispfaden; diese thematisierten sie zwar, aber sie
teilten sie nicht visuell mit den Jugendarbeiter*innen.
Abb. 4 Minimalstruktur beim Filtern von Erinnerungen
Die Metapher des Abenteuers ist hier geeignet, um das Bedürfnis nach Erleben, Reflexion & dem
Teilen desselben interpretativ zu fassen. Wenn die App die vorhergehend genannten Bedingungen
nach Privatsphäre und Offenheit ernst nimmt, bedient TELL! ein elementares Anliegen von jugend-
lichen Nutzer*innen: Sie wollen ihre Erlebnisse festhalten, davon erzählen und sie reflektieren (evtl.
auch teilen). Die kleinste Irritation dieses Bedürfnisses, bspw. eine zu offensichtliche Aufforderung,
über etwas zu schreiben, zu sprechen oder ein Video anzulegen, führte zum Weglegen des Test-
geräts.
Insgesamt wird sichtbar, dass und wie die Teilnehmenden die eigene Biografie als Simula-
tion denken und wie sie ihr Leben als ein Probehandeln (vorläufig) konstruieren. Ausgehend vom
Participatory Design setzten sich die Jugendlichen proaktiv mit Geschlechterrollen, verschiedenen
Lebensstilen und mit eigenen Chancen und Möglichkeiten auseinander. Dabei stießen sie an Gren-
zen, beispielsweise Umwelten, in denen Jugendliche nicht immer erwünscht sind und ihre Art der
Nutzung nicht immer gefragt ist, wodurch sich auch Konfliktfelder eröffneten. Diese Räume digital
wie analog offen zu halten und auch in sozialpädagogischen Situationen das Prinzip der Offenheit
zuzulassen, ist eine zentrale Lernerfahrung aus dem Projekt TELL!.
4.4 Unterschiedliche Blickwinkel durch „Perspektiven“
Sichtbar wurde im Rahmen des Projekts auch das jugendliche Bedürfnis, Erlebnisse aus verschie-
denen Blickwinkeln zu betrachten bzw. bei der Nutzung der App in verschiedene Rollen zu schlüp-
fen. Sie wollten von TELL! die Möglichkeit, die Rollen zu variieren, aus denen heraus sie Erinne-
rungen anlegen bzw. (re)konstruieren. Diese in der App als „Perspektiven“ bezeichnete Anordnung
wurde mit dem Hauptaccount der jeweiligen Nutzer*in verknüpft und trug der Erfordernis Rech-
nung, dass Vergangenheit und Zukunft simultan und permanent auf Jugendliche einwirken. Erst
wenn sie autonom und in situ entscheiden, in welcher Rolle sie eine Erinnerung dokumentieren (als
Jugendclub-Besucherin, als Schwester, als beste*r Freund*in, als die, die ich sein will, etc.), gelingt
die bereits frühzeitig von der App gewünschte Simulation.
Die Unterscheidung von Rollen bzw. Perspektiven bot den jugendlichen Nutzer*innen die
Gelegenheit, die eigene Entwicklung reflexiv zu rekonstruieren, bewusst an sich selbst zu arbeiten
und zu vergegenwärtigen, wie weit man innerhalb einer bestimmten Rolle mit einem bestimmten
Vorhaben gekommen ist. Die TELL!-App diente so als eine Art Rollen- und Zeit-differenzierendes
Tagebuch, mit welchem im Rückblick auf vergangene Monate, das vergangene Jahr, die eigene Ent-
wicklung geblickt werden kann.
Fazit
KEOSITY wie auch TELL! machen deutlich, dass sich digitale Lösungen aus konkreten Lebenswel-
ten (bspw. denen von Jugendlichen in bestimmten Sozialräumen) sowie aus spezifischen Praxis-
feldern (bspw. der Offenen Jugendarbeit) und aus methodischen Fragen (bspw. nach biografischen
Rekonstruktionen) entwickeln lassen. Die Applikationen können gezielt auf reale Problemstellungen
eingehen und zur Reflexion anregen. Das Projektteam erfuhr durch die Entwicklung, welche Bedeu-
tung die Autonomie in den Lebensvollzügen von Nutzer*innen hat und wie ernst dieses elementare
Bedürfnis zu nehmen ist. Dies kann direkt auf Konzepte der Offenen Jugendarbeit übertragen wer-
den. Dabei ist es essenziell, die Nutzer*innen als vulnerable Gruppe zu sehen, die in den Innova-
tionsprozessen großer Technologiekonzerne oft kaum Gehör findet (vgl. Park/Humphry 2019: 940).
Digitale Biografiearbeit benötigt partizipative, ethisch fundierte und sozialraumorientierte
Ansätze. TELL! zeigt, dass Jugendliche als Co-Designer*innen digitale Autonomie- und Bildungs-
räume schaffen können. Voraussetzung dafür ist die konsequente Ausrichtung an ihren Bedürfnis-
sen: Nicht Belehrung oder technologische Vorgaben, sondern Entwicklungsarbeit, die im Alltag der
Nutzer*innen verankert ist und die gewährleistet bleiben muss, um jugendliche Teilhabe zu sichern.
Partizipation muss früh beginnen. Am besten sollte sie von Beginn an ins Forschungsdesign
einfließen und es sollten die Zielgruppen als zentrale Stakeholder bei der Anforderungsdefinition
eingebunden werden. Ein Umdenken im Entwicklungsprozess der App TELL! führte zu einer grund-
sätzlichen Infragestellung des Technologiebegriffs: Technologie zeigte sich nicht mehr als neutral,
sondern wurde im Laufe der Entwicklung von allen Beteiligten als sozial eingebettete Wirkmacht
verstanden (vgl. Baecker/Grottke/König 2021: 157f.). Jugendliche sind vulnerable und gleichzeitig
handlungsfähige Akteur*innen – Technologien müssen diese Ambivalenz anerkennen und ermög-
lichen.
Der für die Entwicklung von TELL! angewandte transdisziplinäre Technikbegriff ermöglichte
es, jugendliche Lebens-, Spiel- und Bildungsräume aus unterschiedlichen wissenschaftlichen, so-
zialen, kulturellen, psychologischen, geografischen sowie technisch-funktionalen Perspektiven zu
betrachten. Dadurch konnte die App so gestaltet werden, dass die hinter den Lebensäußerungen
der Jugendlichen stehenden Erwartungen und Vorstellungen sichtbar und gemeinsam mit ihnen
bearbeitbar wurden. Ethische Grundbedingungen, technische Machbarkeiten sowie soziale Must-
Haves und No-Gos konnten zusammen durchgedacht werden. Inklusion wurde nicht als Nice-to-
Have behandelt, sondern bekam denselben Stellenwert wie etwa die Gestaltung technologischer
Schnittstellen in den digitalen Entwürfen der App (vgl. Bosse 2021: 53f.).
Die Jugendlichen der Studie nutzten TELL! als Bildungsinstrument, um neue Räume zu er-
kunden und ihre Mobilität zu dokumentieren. Dadurch wurden auch gängige Fehlannahmen aus der
Forschung korrigiert, etwa die Vorstellung, Privatsphäre spiele für Jugendliche keine große Rolle.
Gerade im Kontext biografischer Arbeit erwies sich die Privatsphäre als grundlegende Vorausset-
zung für den Aufbau von Vertrauen und die schlussendliche Nutzung.
Der durch TELL! geschaffene Möglichkeitsraum eröffnete auch einen neuen Blick auf die
methodischen Ansätze der Sozialen Arbeit im Allgemeinen und der Biographiearbeit im Besonde-
ren und bot Nutzer*innen zugleich einen Schutzraum zur Stärkung ihrer Selbstwirksamkeit, ohne
dass pädagogische Zielsetzungen oder der Aufbau digitaler Kompetenzen ausgeblendet wurden.
Die gesellschaftliche Bedeutung des Projekts liegt in der engen Verzahnung von Technologieent-
wicklung und Sozialer Arbeit: Entwicklung und Bildung bedürfen eines transdisziplinären Technik-
Begriffs, der Fragen aus der Sozialen Arbeit ebenso betrifft wie solche von klassischen Ingenieurs-
wissenschaften. Autonomie-Bedürfnisse von Nutzer*innen ernst zu nehmen und Kollaboration auf
Augenhöhe zwischen Professionen, Disziplinen und Nutzer*innen zu bewahren und zu schützen, ist
ein, wenn nicht der zentrale Lernertrag aus dem Entwicklungsprozess zu TELL!
Verweise
i Förderzeitraum: März 2022 bis Oktober 2025. Projektpartner: TU Wien, ovos media GmbH, Loidl Consulting, Bertha von Suttner Privat-
universität, OTH Regensburg, Kolleg Sozialpädagogik, Römerland Carnuntum Jugend und Jugend:Info NÖ. Die jugendlichen Testperso-
nen (N=30) waren von Beginn an in die Forschungs- und Entwicklungsarbeit nach den Grundsätzen des Participatory Designs inkludiert
und wurden eng von Römerland Carnuntum Jugend begleitet. Die Auswahl erfolgte nach dem Zufallsprinzip und umfasste ausschließlich
die Besucher*innen der regionalen Jugendclub-Angebote. Ein Sampling im eigentlichen Sinne (bspw. entlang von soziostrukturellen
Parametern) kam nicht zur Anwendung, ging es doch in erster Linie um das Recruiting von Jugendlichen für diesen langen Zeitraum bzw.
darum, sie durchgehend zu motivieren und im Entwicklungsprozess zu halten.
ii
Dieser Begriff stammte aus dem KEOSITY Entwicklungsprozess. Er markiert die entscheidenden Stellen im Storytelling, an denen
biografische Fragen an Untersuchungspersonen herangetragen wurden. Mit diesem Begriff wurde im Rahmen von TELL! nicht mehr
hantiert, markiert er doch eine mit unangenehmen Gefühlen assoziierte Erfahrung (vgl. Ravens-Sieberer et al. 2021).
iii
Probleme, die sich aus dem Nutzungsverhalten dieser neuen Medien ergeben wie bspw. Cybermobbing, werden in der öffentlichen
Debatte vielfach noch und in erster Linie auf die Nutzer*innen selbst zurückgeführt und werden nur selten mit nationalstaatlichen und
supranationalen Regulierungsmaßnahmen bzw. breiteren Diskursen in Zusammenhang gebracht.
iv
Insgesamt gab es 40 Erhebungssituationen nach dem Participatory Design. Zum Teil fanden diese in Paper-and-Pencil-Workshops,
zum Teil in Form reiner Gruppendiskussionssettings mit digitaler Unterstützung statt. Alle Workshops sind aufgezeichnet und transkri-
biert worden. Mittels Conversation Analysis wurden die Sprachdaten ausgewertet und in die Programmanforderungen übersetzt.
v
MEESTAR ist ein standardisiertes Verfahren zur Erhebung aller offenen Fragen aus jeder Stakeholder- bzw. Interessensgruppe, die
ethisch von Relevanz bzw. die widersprüchlich erscheinen. Die MEESTAR-Methode bietet einen strukturierten Ansatz zur Betrachtung
aus individueller, organisatorischer und gesellschaftlicher Perspektive, wobei die Dimensionen unterschiedlich bewertet werden können
(vgl. Manzeschke 2015). Zum Beispiel zeigte sich, dass Privatheit für die Jugendlichen relevanter war als für die Jugendarbeiter*innen
oder Programmierer*innen. Die ethische Risikoabschätzung erfolgt in vier Stufen: von ‚unbedenklich‘ bis ‚abzulehnen‘.
vi Römerland Carnuntum Jugend rekrutierte die Untersuchungsgruppen in mehreren Jugendzentren des Bezirks und begleitete mit den
Forscher*innen und Entwickler*innen das App-Design den gesamten Forschungsprozess hindurch.
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Über die Autor_innen
Prof. Dr. habil. Manuela Brandstetter
Professorin für Methoden & Organisation an der OTH Regensburg.
Mag. (FH) Andrea Rainer Cerovská, MA
Project Management bei LOIDL Consulting & IT Services GmbH.
Stefan Leipold
Leiter Softwareentwicklung & Forschung bei LOIDL Consulting & IT Services GmbH.
Mag. Rer. Nat. Julia Rose
Content, Game Designer & Editor, Koordination UI/UX Design bei ovos media GmbH.
Lukas Spreitzer, MSc
Technischer Projektleiter.