Gregor Husi. Imperiale Lebensweise und Grüne Soziale Arbeit. soziales_kapital, Bd. 31 (2025). Rubrik: Sozialarbeitswissenschaſt. St.
31. Ausgabe, 2025
Geschlechtergerechtigkeit
Imperiale Lebensweise und Grüne Soziale Arbeit
Gregor Husi
Zusammenfassung
Der Artikel beendet die in soziales_kapital erschienene Trilogie des Autors zur Sozialen und Poli-
tischen Ökologie. Im Zentrum steht der Begriff der imperialen Lebensweise, der von Ulrich Brand
und Markus Wissen geprägt worden ist. Er hat viel Beachtung gefunden, freilich noch nicht in der
Sozialen Arbeit. Die imperiale Lebensweise reproduziert sich durch Externalisierung und Exklusivie-
rung. Ihre Ausbreitung ist eine Verallgemeinerung von etwas Nicht-Verallgemeinerbarem, denn sie
geht auf Kosten von anderem und anderen. Insofern mit ihr Subjektivierung verknüpft ist, so wird im
Beitrag argumentiert, lässt sich über Brand und Wissen hinaus auch von einer imperialen ErLebens-
weise sprechen. Im Rahmen dieser Überlegung werden begriffliche Ungenauigkeiten bei Brand
und Wissen kritisiert und wird das Konzept entsprechend geschärft. Davon ausgehend kann die
imperiale ErLebensweise als weiterer Grundbegriff der Grünen Sozialen Arbeit positioniert werden
– schließlich sind deren Anstrengungen darauf gerichtet, die imperiale Lebensweise zu verändern.
Schlagworte: Grüne Soziale Arbeit, Politische Ökologie, imperiale Lebensweise, gesellschaftliche
Naturverhältnisse, Externalisierung, Exklusivierung, imperiale ErLebensweise
Abstract
This article presents the conclusion of the author’s trilogy on social and political ecology, which
was published in soziales_kapital. The present contribution focusses on the concept of the imperial
mode of living, which was coined by Ulrich Brand and Markus Wissen in their eponymous book.
Brand’s and Wissen’s concept has attracted significant interest, albeit not yet in social work. The
imperial mode of living, as explained by Brand and Wissen, is characterised by its capacity for self-
reproduction through externalisation and exclusivity. Its dissemination is a generalisation of somet-
hing that cannot be generalised, because it is detrimental to nature and other people.. However, a
further development of Brand’s and Wissen’s concept is required. If the imperial mode of living is
linked to subjectification, then an imperial mode of experience can be posited. Finally, if the concept
of the imperial way of living is defined more precisely, it can serve as another basic concept of green
social work. Consequently, their efforts may also encompass a transformation of the imperial mode
of living.
Keywords: green social work, political ecology, imperial mode of living, social relations with nature,
externalisation, exclusivity, imperial mode of experiencing
1
Einleitung
Die Frankfurter Soziale Ökologie (vgl. Husi 2024) und die Soziale und Politische Ökologie
aus Wien (vgl. Husi 2025) haben den Begriff der ‚gesellschaftlichen Naturverhältnisse‘ fest im
umweltsozialwissenschaftlichen Diskurs verankert. Er bezieht sich auf die Berührungspunkte
von Natur und Gesellschaft bzw. Individuum und basiert auf der Erkenntnis, dass Soziales und
Ökologisches unauflösbar miteinander verwoben sind. Einerseits hält die (natürliche) Umwelt Mittel
(Ressourcen) wie auch Zwänge für die menschliche Praxis bereit, andererseits hat diese Praxis
Folgen für die Umwelt, die sich dann wiederum individuell und gesellschaftlich auswirken. Insofern
Natur „sowohl Medium wie Ergebnis der Praktiken“ ist, lässt sich im Anschluss an Giddens’ (1988:
77) Theorem der ‚Dualität von Struktur‘ von einer ‚Dualität von Natur‘ sprechen.
Abbildung 1: Dualität von Natur (eigene Darstellung)
Die besonders im Globalen Norden verbreitete Alltagspraxis, so eine weitere zentrale Einsicht
aus der Wiener Politischen Ökologie, lässt sich als ‚imperiale Lebensweise‘ begreifen, weil sie
auf Kosten von anderem und anderen, das heißt von Natur und (benachteiligten) Menschen geht
– wie ein Fatum, es ist eine fatale Lebensweise. In dieser Lebensweise reproduzieren sich die
gesellschaftlichenNaturverhältnissetrotzihresteilweisedestruktivenCharakters:„Wirerlebenaktuell
die sozial-ökologische Zerstörung der Welt.“ (Brand 2023b: 18) Beide Begriffe – gesellschaftliche
Naturverhältnisse und imperiale Lebensweise – sind für die Grüne Soziale Arbeit von zentraler
Bedeutung und lassen sich präzise verorten in deren basalem Erklärungsmodell naturbezogener
wie sozialer und kultureller Probleme (vgl. Husi 2022: 305). Die Kenntnis dieses überaus komplexen
Erklärungszusammenhangs befähigt zu gezieltem und erfolgversprechendem sozialberuflichem
Handeln, geht es doch nicht nur um Symptom-, sondern besser noch um Ursachenbekämpfung.
Das führt Soziale Arbeit auch ins politische Feld.
Während der Gehalt des Begriffs der gesellschaftlichen Naturverhältnisse und seine Eignung
für die Grüne Soziale Arbeit bereits geprüft wurden (vgl. Husi 2024; 2025), wird im Folgenden geklärt,
was es mit dem Begriff der imperialen Lebensweise auf sich hat. Nur wenige Fundstellen finden sich
dazu bislang in der ökologisch interessierten Fachliteratur der Sozialen Arbeit (vgl. z.B. Schmidt
2021: 50f.; Rau 2025: 145f.).
2
Wiener Politische Ökologie
Ulrich Brand ist neben Christoph Görg (vgl. Husi 2025) der zweite Hauptexponent der Wiener
Politischen Ökologie und trat im Jahr 2007 eine Professur am Institut für Politikwissenschaft der
Universität Wien an. Brand (geb. 1967) zählt wie Görg (geb. 1958) zu einem Diskussions- und
Publikationszusammenhang,demzudemMarkusWissen(geb.1965)undJoachimHirsch(geb.1938)
angehören und der sich an der sogenannten Regulationstheorie (vgl. z.B. Lipietz 1985) orientiert. In
wechselnden Autoren-Kombinationen veröffentlicht diese Gruppe seit Jahrzehnten, zuweilen sogar
zuviert(vgl.Brand/Görg/Hirsch/Wissen2008).EsistalsokeinZufall,wennGörgim2022erschienenen
Handbuch Politische Ökologie den Artikel „Gesellschaftliche Naturverhältnisse“ gemeinsam
mit Brand schreibt. Er endet mit der Forderung nach einer „Demokratisierung gesellschaftlicher
Naturverhältnisse“ (Brand/Görg 2022: 47). „Nicht die kapitalistische Produktionsweise als solche
ist der Grund für die enorme Zuspitzung sozial-ökologischer Krisen“ (ebd.: 43), merken die beiden
Autoren recht überraschend an, sondern der Fordismus zwischen den 1950er und 1970er Jahren
mit der einsetzenden Massenproduktion und entsprechendem Massenkonsum. Auf „fordistische
Naturverhältnisse“ folgten ab den 1980er Jahren „postfordistische Naturverhältnisse“ (ebd.) „vor
dem Hintergrund zunehmender Neoliberalisierung“ (Görg/Brand 2023: 2272), ohne dass sich
grundsätzlich etwas an der Reduktion der Natur auf ihre „Verwertbarkeit“ geändert hätte (vgl. auch
Brand/Görg 2003). „Naturbeherrschung meint dabei keineswegs unterschiedslos jede Form der
Aneignung der Natur (dann wäre gesellschaftliche Entwicklung ohne Naturbeherrschung gar nicht
denkbar), sondern eine solche, die Natur völlig ihren Zwecksetzungen unterwirft und jeglichen
Eigensinn, jede Nichtidentität der Natur ignoriert.“ (Ebd.: 18) Das bedeutet: „Die Erhaltung der Natur
kann also nicht abstrakt gegen ihre Nutzung ausgespielt werden.“ (Ebd.: 19) Das Engagement
und die Relevanz von Görg und Brand im sozial-ökologischen Diskurs werden auch gut sichtbar
in Sybille Bauriedls Wörterbuch Klimadebatte (2016). „Die Aufmerksamkeit des Konzepts der
gesellschaftlichen Naturverhältnisse richtet sich auf die soziale Praxis“, halten Köhler und Wissen
(2010: 221) richtig fest. Ein den ‚gesellschaftlichen Naturverhältnissen‘ korrespondierender Begriff
(vgl. Brand/Wissen 2017: 72) ist ‚imperiale Lebensweise‘.
3
Imperiale Lebensweise
Mit der Veröffentlichung ihres Buchs Imperiale Lebensweise, das schon mehrfach übersetzt worden
ist (vgl. Brand 2022: 83), sorgten Ulrich Brand und Markus Wissen für einiges Aufsehen. Als „echte
Pionierarbeit“ (Dörre 2019: 250) wird dieses Buch eingeschätzt. Auch hier wird – neben dem Kampf
gegen soziale Ungleichheit – „die Demokratisierung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse“ für
erforderlich gehalten, „um die imperiale Lebensweise und ihre grün-kapitalistische Modernisierung
in die Schranken zu weisen“ (Brand/Wissen 2017: 164). Imperiale Lebensweise ist in der Politischen
Ökologie inzwischen als ein Hauptbegriff etabliert. Die beiden Autoren ziehen ihn gegenüber den
konkurrierenden Begriffen Lebensführung und Lebensstil vor (vgl. ebd.: 46f.). Regulationstheoretisch
orientiert (vgl. Brand/Wissen 2011b: 81f.), beschreiben sie damit „herrschaftliche Produktions-,
Distributions- und Konsummuster, die tief in die Alltagspraktiken der Ober- und Mittelklassen im
globalen Norden und zunehmend auch in den Schwellenländern des globalen Südens eingelassen
sind“ (ebd.: 80; so schon Görg 2004: 100). Und sie ergänzen: „‚Imperial‘ ist die Lebensweise des
globalen Nordens insofern, als sie einen prinzipiell unbegrenzten – politisch, rechtlich und/oder
gewaltförmig abgesicherten – Zugriff auf Ressourcen, Raum, Arbeitsvermögen und [Treibhausgas-;
G.H.]Senken andernorts voraussetzt.“ (2011b: 83)
Nach dieser Verortung in den Praxismustern bzw. Praktiken ist die nachfolgende
Erörterung aus strukturierungstheoretischer Sicht, die zwischen Struktur und Praxis differenziert,
nicht nachvollziehbar: „‚Imperiale Lebensweise‘ ist ein hegemonietheoretisch zu verstehender
Strukturbegriff“ (ebd.: 85; Herv. G.H.), zumal nachher treffend „die alltägliche Reproduktion
von Strukturen, die zur Krise gesellschaftlicher Naturverhältnisse beitragen“ (ebd.: 90), durch
die imperiale Lebensweise angesprochen wird. Richtig und wichtig ist demgegenüber die
Beobachtung zur Krisenbearbeitung: „Die Normalität der imperialen Lebensweise wirkt als Filter
der Krisenwahrnehmung und Korridor der Krisenbearbeitung.“ (Ebd.: 88) Mit der Wahrnehmung ist
das Krisenerleben angesprochen, welches das Handeln begleitet.
Diese frühe Fassung variieren Brand und Wissen in den folgenden Jahren. So heißt es zur
imperialen Lebensweise, „gemeint ist: Produktions- und Lebensweise“ (Brand/Wissen 2018: 104)
bzw. „Re-/Produktions- und Lebensweise“ (Brand/Preiser 2024: 125). Demnach „beinhaltet der
Begriff der Lebensweise auch jenen der Produktionsweise, er nimmt die technischen Bedingungen
der Produktion sowie die Formen der Unternehmens- und Arbeitsorganisation in ihrem Verhältnis
zu den vorherrschenden Konsumnormen in den Blick“ (Brand/Wissen 2017: 46). Brand (2024:
47) führt auch einige „zentrale Merkmale der kapitalistischen Produktions- und Lebensweise“
auf und spricht „den hegemonialen Charakter der kapitalistischen bzw. imperialen Produktions-
und Lebensweise“ (ebd.: 51) an. Die bestehenden und voraussichtlichen Probleme verlangen
denn „einen grundlegenden Umbau der Produktions- und Lebensweise“ (ebd.). Diese beruhe auf
Voraussetzungen und ermögliche den „Alltag – das Produzieren und Konsumieren“ (Brand/Wissen
2017: 13). Diese Aussage mutet tautologisch an, denn die Voraussetzungen, d.h. die Strukturen
sind es, welche die Alltagspraxis ermöglichen (und beschränken).
Diese begrifflichen Bestimmungen enthalten einen logischen Widerspruch: Produktion,
Reproduktion und Distribution können nicht etwas anderes als Lebensweise und zugleich ein
Teil von ihr sein. Zudem sind damit nicht schon alle relevanten Aspekte in den Blick geraten,
denn die Praxis, die gesellschaftliche Arbeitsteilung umfasst noch andere zentrale Tätigkeiten.
Weitere Lebensbereiche kommen in Betracht. Das bedarf genauerer praxeologischer und
differenzierungstheoretischer Aufklärung, worauf gleich zurückzukommen ist.
Während Görg (2004) bereits früh von „ökologischem Imperialismus“ spricht, setzt
die Entwicklung des Konzepts der imperialen Lebensweise im Umfeld der Debatte über die
Vielfachkrise ein (vgl. Brand/Wissen 2011a; 2011b) und wird dort von Beginn an mit den
gesellschaftlichen Naturverhältnissen verknüpft (vgl. zusammenfassend Brand/Wissen 2017:
43–68; 2022; Brand 2023a). Brand (vgl. 2023a: 696) nennt vier Kernaussagen: 1.) Das Konzept
der imperialen Lebensweise ist zwar praxeologischen Ansätzen verbunden, grenzt sich aber vom
Begriff des Lebensstils ab; es fokussiert 2.) auf nationale wie globale Verhältnisse, die durch Klasse,
Geschlecht und race gekennzeichnet sind und sozial-ökologische Transformationen blockieren; die
sozioökonomischenundökologischenBedingungenderbesondersimGlobalenNordenverbreiteten
Lebensweise werden 3.) unsichtbar gemacht; und 4.) sind die gesellschaftlichen Voraussetzungen
des Produzierens und Konsumierens zu verändern, weniger individuelles Handeln. Auf Letzteres
zielt die Rede vom „Strukturproblem“ (vgl. Görg 1998).
Die imperiale Lebensweise ist hegemonial: „Sie ist breit akzeptiert, sozioökonomisch und
politisch-institutionell abgesichert und in den Alltagspraxen der Menschen tief verankert“ (Brand/
Wissen 2017: 56). Dabei ist mit Hegemonie „eine umfassende materielle und symbolische Praxis“
(ebd.:58)gemeint,diemitderSelbstunterwerfungderIndividuenunterdieverbreitetenGewohnheiten
und so mit der stillschweigenden Billigung der Herrschaft einhergeht. Sie ist zentrales Kennzeichen
„eine[r] Zeit, in der die sozial-ökologischen Widersprüche der imperialen Lebensweise zunehmend
manifest werden“ (Brand/Wissen 2017: 67). Was aber folgt aus den kritischen Anmerkungen zum
Begriffsverständnis?
4
Praxis und Struktur
Brand und Wissen beschweren den Begriff mit vielen Elementen. Insbesondere soll er sowohl die
Praxis als auch die Struktur umfassen. Gemeint sind mit dem Begriff „nicht nur die materiellen
Praxen, sondern insbesondere die sie ermöglichenden strukturellen Bedingungen und die damit
verbundenen gesellschaftlichen Leitbilder und Diskurse“ (ebd.: 44f.; Herv. G.H.). Brand und
Wissen haben an dieser Stelle „die Produktions-, Distributions- und Konsumnormen, die tief in
die politischen, ökonomischen und kulturellen Alltagsstrukturen und -praxen der Bevölkerung […]
eingelassen sind“ (ebd.: 44; Herv. G.H.), vor Augen. Demgemäß „nimmt der Begriff der imperialen
Lebensweise sowohl das Alltagshandeln von Menschen wie auch die dieses Handeln überhaupt erst
ermöglichenden Strukturen in den Blick“ (ebd.: 168). Struktur und Praxis werden hier im gleichen
Atemzugauseinandergehaltenundvermengt, beideBegriffewärenjedochpräzisezubestimmenund
aufeinander zu beziehen. Besonders Bourdieus Praxistheorie und Giddens’ Strukturierungstheorie
haben darüber aufgeklärt: Lebensweisen sind nicht, sondern fußen auf Strukturen – und bringen
solche hervor (vgl. zur Definition von Lebensweise Assmann/Hahn 1980: 19f.; Müller/Weihrich 1991:
122).
Mit Blick auf die institutionelle Differenzierung der Gesellschaft und die intersektional
geprägte Arbeitsteilung, welche die Lebensweise fundiert, wäre über Politik (bzw. Staat), Ökonomie
und Kultur hinaus unbedingt auch der Bereich der persönlichen Beziehungen einzubeziehen.
Dieser kann Gemeinschaft genannt werden und ist gekennzeichnet durch die primären Institutionen
Partnerschaft, Elternschaft bzw. Kindschaft, Haushaltsgemeinschaft sowie durch die sekundären
InstitutionenFreundschaft, Verwandtschaft, Nachbarschaft(vgl. Husi/MeierKressig2013:20f.). Auch
die Kultur, insbesondere die Kulturindustrie (vgl. Horkheimer/Adorno 1971: 108–150), verdiente eine
genauere Analyse. Was im Kampf um die kulturelle Hegemonie auf dem Spiel steht, wird besonders
durch den Kultursektor mit seinen sinnstiftenden (Wissenschaft, Religion, Kunst, Unterhaltung) und
sinnvermittelnden (Bildung, Medien) Systemen interpretiert.
Der Begriff der imperialen Lebensweise müsste die prägendsten und folgenreichsten
Handlungsmuster der genannten Gesellschaftssektoren – vor allem im Globalen Norden und
immer mehr auch im Globalen Süden – umfassen. D.h. der Begriff müsste Regulierungsmuster
(Staat), Interpretationsmuster (Kultur) sowie Sorgemuster (Gemeinschaft) einbeziehen, die
hinaus gehen über Lieferungsmuster entlang der supply chains – entsprechend die Bezeichnung
„Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“ (LkSG), das in Deutschland 2024 in Kraft trat und umwelt-
und menschenrechtlich fundiert ist – und dahinter liegende Finanzierungsmuster (Wirtschaft).
Diese fünf Handlungsmuster (vgl. zu diesem „Umweltpentagon“ Husi 2022: 303) bilden das
je Besondere der erwähnten Gesellschaftssektoren Wirtschaft, Staat, Gemeinschaft und
Kultur. In die Analyse der imperialen Lebensweise einzubeziehen wäre zudem der Hilfesektor –
besonders Soziale Arbeit und Gesundheit –, da er einerseits zur regulationstheoretisch relevanten
Stabilisierung der widersprüchlichen gesellschaftlichen Verfassung beiträgt, und ihm andererseits
ein Veränderungspotenzial bei der sozial-ökologischen Transformation innewohnt (vgl. Husi 2024:
103).
Brand und Wissen (2017: 45) blicken auch auf den kulturellen Horizont von Werten und
Normen:
„Zugespitzt formuliert: Die Standards des ‚guten‘ und ‚richtigen‘ Lebens, das ja
vielfach aus der imperialen Lebensweise besteht, werden im Alltag geprägt, auch
wenn sie dabei Teil umfassender gesellschaftlicher Verhältnisse und insbesondere
von materiellen und sozialen Infrastrukturen sind.“
Mit den Verhältnissen haben die beiden Autoren Klassen-, Geschlechter- sowie rassisierte Verhält-
nisse im Blick (vgl. ebd.: 46). Deren Zusammenhang lässt sich mit dem Begriff der intersektionalen
Klassenverhältnisse (vgl. z.B. Rau 2025: 155) begreifen. „Die imperiale Lebensweise […] basiert auf
Ungleichheit, Macht und Herrschaft, mitunter auf Gewalt“, so Brand und Wissen (2017: 45). Darauf
weisen Brand und Wissen (2019: 14) auch mit der Wahl des Adjektivs „imperial“ hin, dass nämlich
„die Gesellschaften des globalen Nordens systematisch und strukturell gewaltförmig auf ein Äuße-
res zurückgreifen“. Die grundlegende Intention der Verfasser (vgl. auch 2011a: 24) ist dabei: „Das,
was durch alltägliches Handeln normalisiert wird, soll in seiner Herrschaftsförmigkeit begreifbar
werden, ohne dass daraus moralische Schuldzuweisungen und Appelle an die Handelnden resul-
tieren.“ (Brand/Wissen 2019: 17)
In Anspielung auf das bekannte Diktum Horkheimers (1939: 115) – „Wer aber vom
Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“ –, kritisiert Altvater (1996:
84) die Gepflogenheit, „von ökologischer Nachhaltigkeit zu sprechen und vom Kapitalismus zu
schweigen“. Dessen wollen sich Brand und Wissen (2019: 18) ausdrücklich nicht schuldig machen.
Sie sprechen von kennzeichnenden Spaltungslinien: „Auch wenn wir von der imperialen Lebens-
weise im Singular sprechen, reproduziert sich diese entlang vielfältiger gesellschaftlicher
Spaltungslinien – zwischen Ländern und Regionen, Stadt und Land, Klassen, Geschlechtern, race
sowie zwischen Gesellschaft und Natur.“ (Brand/Wissen 2017: 61)
Das legt nahe, die Eigenschaft ‚imperial‘ in Verbindung mit der Lebensweise als graduelle
zu verstehen, und zwar im doppelten Sinne: Einerseits ist es die bezeichnende Lebensweise einer
bestimmten Menge von Individuen; darauf bezieht sich die Aussage, sie breite sich aus, und
zwar nicht nur im Globalen Norden, sondern auch in den Schwellenländern. Andererseits hängt
die Realisierung dieser Lebensweise von der intersektional geprägten gesellschaftlichen Position
ab, insbesondere vom Besitz der für die Lebensweise nötigen Kapitalien, die im nationalen wie
internationalen Maßstab sehr ungleich verteilt sind. Demnach wäre von ‚imperial‘ und ‚imperialer‘
zu sprechen – und ‚am imperialsten‘ verhielten sich die reichen Eliten des Globalen Nordens, hier
im Besonderen der USA. Deren Lebensweise verursacht die größten Kosten für andere und anderes
in Raum und Zeit, entsprechend tragen sie am meisten Verantwortung (vgl. Chancel/Piketty/Saez/
Zucman2022:114–135;Khalfanetal.2023).BeruhtenfrüherdieungleichenTreibhausgasemissionen
in erster Linie auf internationalen Ungleichheiten, so seit 2007 vor allem auf nationalen (vgl. Chancel
et al. 2022: 126). Diese Tatsache spiegelt die Ausbreitung der Lebensweise wider. Insofern ist
durchaus eine national verfasste, an sozial-ökologischer Gerechtigkeit orientierte Soziale Arbeit
gefragt.
5
Imperiale ErLebensweise
Laut Brand und Wissen (2017) vollzieht sich Subjektivierung durch die imperiale Lebensweise:
„Sie ist den Subjekten nicht äußerlich. Vielmehr bringt sie die Subjekte in ihrem Alltagsverstand
hervor, normiert sie und macht sie gleichzeitig handlungsfähig.“ (Ebd.: 45) Es liegt nahe, diese
alltäglichen Gedanken und Gefühle mit ihrem selektiven Aufmerksamkeitsfokus als ‚imperiale
Erlebensweise‘ zu bezeichnen, die sich mit Hilfe von Abwehrmechanismen (vgl. Husi 2022: 303f.)
schützt. Die Orientierung an Hegemonie ist aus der Sicht von Brand und Wissen (2017: 46) nicht
erzwungen, sondern konsensuell und eine „Selbsttätigkeit“, die auch „alternative Wünsche“ nicht
ausschließt: „Insofern beinhaltet jede Lebensweise immer eine widersprüchliche Gleichzeitigkeit
von Unterwerfung und Aneignung.“ (Ebd.)
Der Alltag sei von Gewohnheiten und Routinen gekennzeichnet, ebenso durch Habitus,
das heißt durch „die von den Subjekten verinnerlichten sozialen Verhältnisse“ (ebd.: 49). Auch
Bewusstsein und Gefühle seien relevant: „Wichtig für die Übernahme oder Ablehnung von
Alltagspraxen sind zudem unmittelbare Wahrnehmungen, Affekte und Emotionen.“ (Ebd.: 48;
Herv.i.O.) Bewusstsein kann mehr oder weniger ausgeprägt sein. Dazu merken die beiden Autoren
an: „Nichtnachhaltigkeit ist ein ganz praktischer Sachverhalt, der in der Regel unbewusst gelebt
wird.“ (Ebd.: 48) „Bürgerliche Kälte“ nannten Horkheimer und Adorno (1971: 93) einst die verbreitete
Unaufmerksamkeit sowie Gedanken- und Gefühllosigkeit. Kohpeiß (2023) bringt sie mit „kolonialer
Subjektivität“ in Verbindung. So begann Brand einmal einen Vortrag mit folgenden Worten: „Armut
bekämpfen, Klima retten – und die Wetterprognose ist heiß und stürmisch. Gleichzeitig ist das
soziale Klima eher kalt und geprägt von hoher Unsicherheit.“ (2023b: 17)
Wenn allerdings undifferenziert behauptet wird, „dass es keine voluntaristische
Entscheidung ist, die imperiale Lebensweise zu leben oder nicht“ (Brand/Preiser 2024: 128),
und eine „unzulässige Individualisierung der Verantwortung“ (Brand 2022: 78) festgestellt wird,
depotenziert dies die tatsächlich bestehenden, aber sozial gewiss sehr ungleich verteilten
Entscheidungsmöglichkeiten und befreit vorschnell von lästiger Verantwortlichkeit. Zweifellos
wird der Korridor wesentlich durch die Angebotsseite vorstrukturiert. Jedoch empfiehlt sich in
der hyperkomplexen modernen Weltgesellschaft mit ihren unüberschaubaren Interdependenzen
eine eindimensionale Responsibilisierung nicht (vgl. Henkel/Lüdtke/Buschmann/Hochmann 2018).
Im Sinne des Umweltpentagon muss stattdessen von einer gemeinsamen Verantwortung der
Finanzierenden, Liefernden, Regulierenden, Sorgenden und Interpretierenden ausgegangen werden
– die bislang nicht nur von Markt- und Staats-, sondern auch Gemeinschafts- und Kulturversagen
gekennzeichnet ist (vgl. Husi 2022: 303).
Wichtig ist eine differenzierte multiple sozial-ökologische Responsibilisierung, bei der
Verantwortlichkeiten bestimmt und tätige Verantwortungsübernahmen eingefordert werden. Nicht
alle tragen unterschiedslos dieselbe Verantwortung, und zwar nicht nur für das – direkt oder indirekt –
schädigende Tun, sondern auch für das Unterlassen von Hilfe, Ausgleich und Vorbeugung. Klassen,
Milieus und Lebensbereiche sind differenziert zu adressieren und räumliche (internationale) wie
zeitliche (intergenerationelle) Unterschiede dabei einzubeziehen. Noch besser wäre natürlich, es gar
nicht so weit kommen zu lassen; anders gesagt: gar nichts zu verantworten zu haben. Umgekehrt
leistet De-Responsibilisierung der, so könnte man sagen, Sozio-Prokrastination Vorschub: Dringend
nötige sozial-ökologische Transformation lässt in der Folge auf sich warten – zum Nachteil von
allen und allem. Die sozio-prokrastinative Kumulation setzt sich fort, Aufgeschobenes kommt die
Aufschiebenden immer teurer zu stehen. Es liegt nahe, die auf unzählige Beteiligte aufgeteilte und
insofern zersplitterte sozial-ökologische Verantwortung als ‚Zerantwortung‘ zu bezeichnen.
Abbildung 2: Multiple sozial-ökologische Responsibilisierung (eigene Darstellung)
Das Besondere der Konzeption der imperialen Lebensweise fassen die beiden Urheber so
zusammen:
„Das Spezifische an der von uns vorgeschlagenen Perspektive liegt demnach
darin, dass sie die räumlich ausgreifende Reproduktion des Alltäglichen durch die
strukturellen – restringierenden und ermöglichenden – Rahmenbedingungen, die
wiederum alltäglich durch das Handeln der Menschen hergestellt werden, sichtbar
macht.“ (Brand/Wissen 2017: 56).
Das könnte ein Satz von Giddens sein, der im Literaturverzeichnis von Imperiale Lebensweise über-
raschenderweise nicht aufgeführt wird, denn es geht um (Alltags-)Praxis und Struktur und die „Dua-
lität von Struktur“ (vgl. Giddens 1988: 77–81) – mitsamt der eingangs erwähnten Dualität von Natur.
6
Externalisierung und Exklusivierung in der kapitalistischen Gesellschaft
Der Begriff der imperialen Lebensweise nach Brand und Wissen, so lässt sich bis dahin
zusammenfassen, vereint polit-ökonomisch Produktion, Distribution und Konsumtion,
strukturierungstheoretisch Struktur und Praxis, differenzierungstheoretisch Wirtschaft, Politik
und Kultur, praxistheoretisch Diskurs, Praxis, Alltag und Routinen, raumtheoretisch den Globalen
Norden und Süden, moraltheoretisch gutes und richtiges (bzw. „ökologisch und sozial gerechtes“;
vgl. Brand/Wissen 2017: 61) Leben, ungleichheitstheoretisch Klasse, Geschlecht und Ethnie
(bzw. race), machttheoretisch Macht, Herrschaft, Gewalt, Hegemonie, Unterwerfung sowie
subjekttheoretischAlltagsverstandundWunsch. Dasistviel–vermutlichzuviel. DerLebensstilbegriff
der Individualisierungstheorie, die ihn mit Wahlfreiheit verknüpfe, wird zurückgewiesen, nicht aber
jener von Bourdieu. Allerdings bezieht Bourdieu (vgl. 1998: 21) den Begriff auf Praktiken, und diese
sind durch Kapitalien und Habitus sowie Felder(regeln) strukturiert. Damit sind hierarchische,
institutionelle und kulturelle Differenzierungen, welche die Praktiken strukturieren, zugleich
einbezogen.
Es empfiehlt sich daher eine praxis- und strukturierungstheoretisch begründete Engführung
des Begriffs der imperialen Lebensweise, zu der sich dann prägende – hierarchische, institutionelle,
kulturelle – Strukturen präzise in Beziehung setzen lassen. Das heißt: Die vornehmlich kapitalistisch
strukturierte hegemoniale Praxis des Globalen Nordens (und zunehmend des Globalen Südens) in
verschiedenen Lebensbereichen gebärdet sich in der gegenwärtigen Form sozial wie ökologisch
imperial und nutzt, reproduziert und schafft entsprechende gesellschaftliche Strukturen. Strukturen
und Praxen spielen so zusammen in einer sozial-ökologisch imperialen kapitalistischen Gesellschaft,
deren Wirtschaftssystem andere Lebensbereiche und die Natur dominiert und kommodifiziert (vgl.
Brand/Wissen 2017: 52, 170, 172). Kapitalistische Normalität ist imperial. Aber diese Inwertsetzung
(vgl. Görg 2016) bzw. Landnahme (vgl. Dörre 2013) erobert nicht alles und alle restlos, es bestehen
durchaus Möglichkeiten dafür, „nicht dermaßen regiert zu werden“ (Foucault 1992: 12).
Zudem gilt es historisch zu differenzieren. Brand und Wissen (2017) unterscheiden vier
Phasen des Kapitalismus. Nach dem Frühkapitalismus des 16. bis 18. Jahrhunderts und dem
liberalen Kapitalismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts folgte erst im Fordismus zwischen den
1950er und 1970er Jahren die „Verallgemeinerung der imperialen Lebensweise in den Zentren“
(ebd.: 85) im „fordistischen Klassenkompromiss“ (ebd.: 86; 88) – das war gleichzeitig der Take-off
der Klimakrise. In diesen Jahren öffnete sich indessen auch „ein historisches Fenster, in dem […] die
imperiale Lebensweise hinterfragt wurde“ (ebd.: 95). Aber: „Dieses historische Fenster schloss sich
jedoch wieder mit der sich durchsetzenden neoliberalen Krisenbearbeitung“ (ebd.: 97) in der letzten
Phase. Diese ist gekennzeichnet von „einem neuen Kompromiss zwischen Eliten und Subalternen
– und hier insbesondere den Mittelklassen“ (ebd.: 99). Dieser Befund ist für die ganze theoretische
Konzeption sehr wichtig:
„Die imperiale Lebensweise – so unsere zentrale Überlegung – ist eine Art
Kompromiss zwischen den Interessen der Herrschenden und den Forderungen und
Wünschen der Subalternen, wobei wichtige Voraussetzungen der Herstellung der
Lebensbedingungen und die negativen Folgen teilweise externalisiert werden: Das
ist die imperiale Dimension der Lebensweise.“ (Ebd.: 70)
Die Grenze dieses Kompromisses markiert den Punkt des Abgehängt-Werdens und der Anfälligkeit
für autoritäre politische Verführung.
Die „fossile Gesellschaft“ (Welzer 2023: 119) bedient sich der Externalisierung und
Exklusivierung (vgl. auch Brand/Wissen 2011b: 86):
„Die imperiale Lebensweise des globalen Nordens beruht also, sozial-ökologisch
gesehen, auf Exklusivität. Sie setzt voraus, dass nicht alle Menschen gleichermaßen
auf die Ressourcen und [Treibhausgas-; G.H.]Senken der Erde zugreifen. Nur dann
lassen sich ihre Kosten in Raum und Zeit externalisieren.“ (Brand/Wissen 2017: 122)
Anders gesagt: Die Fernen und Künftigen bleiben außen vor. Das ist die Scheinlösung der sozial-
ökologischen Widersprüche der gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaften. Die Ausbreitung
der Lösungsstrategie verschärft die Unlösbarkeit der Krise. Der „fossile Klassenkompromiss“ (vgl.
Schaupp 2021) fault. Eine „Krisenexternalisierung der imperialen Lebensweise“ (Brand/Wissen
2017: 167) wird im Alltag praktiziert.
Die imperiale Lebensweise lässt sich nicht verallgemeinern. Die schon weit fortgeschrittene
VerbreitungauchimGlobalenSüdenbedeuteteine„VerallgemeinerungdesNichtverallgemeinerbaren“
(ebd.: 19). Diese Zeitdiagnose ist jener von Stephan Lessenich in
Neben uns die Sintflut (2016)
verwandt. Die Externalisierungsgesellschaft ist „eine Gesellschaft, die permanent ihre negativen
Voraussetzungen und Folgen unsichtbar machen muss“, beschreibt Brand (2023b: 21). „Der Begriff
der imperialen Lebensweise (oder jener der ‚Externalisierungsgesellschaft‘ von Stephan Lessenich,
2016) weist auf das Dilemma hin, dass viele Lohnabhängige im globalen Norden materiell im Zuge
emanzipatorischer sozialökologischer Politik durchaus etwas zu verlieren haben“, räumen Brand
und Wissen (2018: 111) ein, aber, fahren sie ermutigend fort, sie haben „im Umbau der Produktions-
und Lebensweise hin zu einer solidarischen eben auch einiges zu gewinnen: mittelfristig bessere
und stabilere Lebensbedingungen, mehr Selbstbestimmung und ein erfülltes Leben statt Fixierung
auf Disziplin, Erwerbsarbeit und Konsumismus“ (ebd.). Die solidarische Lebensweise, so die
Bezeichnung der vorgeschlagenen Alternative, wäre eine, „die auf der demokratischen Gestaltung
der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Naturverhältnisse beruht“ (Brand/Wissen 2017: 185).
Das Vertrauen in diese Sichtweise ist allerdings in der Abstiegsgesellschaft (vgl.
Nachtwey 2016) erst noch zu schaffen. Fragt sich wie, denn der Zusammenbruch des fossilen
Klassenkompromisses treibt viele Lohnabhängige in die Arme des Rechtspopulismus, der sich
zunehmend autoritär gebärdet, gegen den Ökologismus antritt, sich nicht klar gegenüber dem
Rechtsextremismus abgrenzt und in Form des Trumpismus, insbesondere in Donald Trumps zweiter
Amtsperiode seit 2025, auf der ganzen Welt für große Verwirrung und Spaltung sorgt.
7
Nachspiel
Sieben Jahre nach Imperiale Lebensweise lassen Brand und Wissen gleichsam ein Update folgen
und nennen es Kapitalismus am Limit (2024) Dieses Buch ist ähnlich aufgebaut und wiederholt die
zentralen Inhalte mit neuen Bezügen. Der imperiale Charakter der Lebensweise ergibt sich auch
hier durch „die systemische Tendenz zur Externalisierung und Normalisierung sozial-ökologischer
Kosten“ (Brand/Wissen 2024: 43). „Der globale Norden befindet sich also in einer epochalen
und irreversiblen ‚Denormalisierung‘, die mit der großen Wirtschaftskrise Ende der Nuller-Jahre
einsetzte.“ (Ebd.: 33) Angesichts dieser Krise werde auf Resilienz gesetzt, wobei sich Brand und
Wissen von solchen Zugängen abgrenzen, die darauf abzielen „jene flexible Widerstandskraft zu
stärken, die es Individuen, Gesellschaften oder Ökosystemen erlaub[t], Störungen zu absorbieren,
ohne aus dem Takt zu geraten“ (ebd.). Einer solchen Sicht halten sie entgegen: „Aus einer kritischen,
transformativen Perspektive […] kommt es dagegen darauf an, das scheinbar Unvermeidliche in
seinen gesellschaftlichen Ursachen zu begreifen und damit in seiner Verbindung mit der Normalität.
[…] Das Problem liegt also in eben jener Normalität.“ (Ebd.: 34; Herv.i.O.) Die „Sicherung dieser
monströsen Normalität“ (ebd.: 36) verlängert bloß die Krise. So wird die dem Imperialismus
„innewohnende Gewalt in unzähligen Akten des Produzierens und Konsumierens zum Verschwinden
gebracht und gleichsam normalisiert“ (ebd.: 40). Die beiden Verfasser kommentieren am Beispiel
von Lützerath Deals von Politik und Wirtschaft, hier mit dem Energiekonzern RWE, sehr kritisch und
ziehen daraus Lehren (vgl. ebd.: 201–208): „Deshalb brauchen wir radikale soziale Bewegungen.“
(Ebd.:206)IndiesenstößtdasKonzeptderimperialenLebensweiseauchaufResonanz(exemplarisch
das I.L.A. Kollektiv).
Abbildung 3: Das Konzept der imperialen Lebensweise (I.L.A. Kollektiv 2019: 8)
Soziale Bewegungen leben Alternativen vor, stören die Normalität, erzeugen Legitimationsdruck,
responsibilisieren und stellen politische Forderungen. Grüne Soziale Arbeit orientiert sich
transdisziplinär wie interdisziplinär.
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Schlussfolgerungen für die Grüne Soziale Arbeit
Das richtige Verständnis der gesellschaftlichen Naturverhältnisse und der imperialen Lebensweise
ist für die Grüne Soziale Arbeit zentral, denn: ohne stimmige Theorie, ohne sorgfältig ausgewählte
und bestimmte – sowie aufeinander abgestimmte – Grundbegriffe keine stimmige Praxis. Theorie
klärt Sinn, auf den Praxis angewiesen ist. Die Grüne Soziale Arbeit lässt sich mit Hilfe der Wiener
Politischen Ökologie, mit der sie einen kritisch-reflexiven Geist teilt, weiterentwickeln, allerdings
scheinen, wie beschrieben, einige Korrekturen und Ergänzungen angezeigt. Von der beschränkten
Einflusskraft sozial-ökologischer Theorien auf die Nicht-Notwendigkeit genauer Begriffsbestimmung
zu schließen, so Brand (2021: 218) einmal beiläufig, ist ein Fehlschluss.
Die Grüne Soziale Arbeit wie die Konzeption der imperialen Lebensweise richten ihre
Aufmerksamkeit auf Praktiken, die für die Umwelt schädliche Folgen haben, die ihrerseits soziale
und kulturelle Folgeprobleme – besonders für benachteiligte Bevölkerungsgruppen – nach sich
ziehen, sowie auf Strukturen, die solche Praktiken wahrscheinlich machen. Dabei geht es um direkt
schädliche wie diese unterstützende Praktiken (vgl. Husi 2022: 305). Solche Praktiken umfassen das
Handeln und das Erleben (ErLebensweise). Ein klares Erklärungsmodell erleichtert Sozialer Arbeit
bei ihrer Handlungsplanung Ursachen- statt Symptombekämpfung und weckt die Aufmerksamkeit
für Prävention. Vor allem eine genaue Vorstellung davon, wie Struktur Praxis strukturiert und Praxis
Struktur (re)produziert, ist erforderlich. Dieser differenzierte Zusammenhang von Struktur und Praxis
ist als Totalität zu begreifen. Der Begriff der imperialen Lebensweise lässt dabei einen wichtigen
Ansatzpunkt sozialberuflicher Praxis erkennen. „Praktiken verändern!“ lautet der Imperativ –
imperiale Praktiken, in allen Lebensbereichen. Und infolgedessen: „Strukturen verändern!“ Eine
Veränderung der im Globalen Norden weit verbreiteten und auch im Globalen Süden in den oberen
und mittleren Schichten sich ausbreitenden Praktiken sowie der sie prägenden Strukturen muss ein
zentrales Ziel der Grünen Sozialen Arbeit sein. Zumindest wenn sie nicht in wenigen Jahrzehnten
von der von ihr erwarteten Problembearbeitung völlig überfordert sein will und infolgedessen ihren
kritisch-reflexiven Geist zu vergessen droht.
Abbildung 4: Die imperiale ErLebensweise und ihre Strukturierung (eigene Darstellung)
Mit einem Zitat des zweiten Hauptexponenten der Wiener Politischen Ökologie soll die vorliegende
Integration des Konzepts der imperialen Lebensweise in die theoretische Rahmung der Grünen
Sozialen Arbeit abgeschlossen werden. Als hätte Brand an die (Grüne) Soziale Arbeit gedacht,
formuliert er eine für diese wichtige Erkenntnis: „Eine solidarische Produktions- und Lebensweise
braucht nicht nur die Ermöglichung des guten Lebens für alle im Sinne von Mindeststandards.
Sie benötigt auch Obergrenzen“ (2023b: 26). Eben noch befand sich die „Erde jenseits von sechs
von neun planetaren Grenzen“ (Richardson et al. 2023; Übers. G.H.), in diesem Jahr wurde auch
eine siebte Grenze überschritten (vgl. Kitzmann/Caesar/Sakschewski/Rockström 2025), und
die Zukunftsszenarien lassen nichts Gutes erhoffen (vgl. Vuuren et al. 2025)! Das Elf-Punkte-
Programm der Grünen Sozialen Arbeit (vgl. Husi 2022: 307) geht nicht darin auf, mit konsistentem
Veränderungshandeln der imperialen ErLebensweise Einhalt zu gebieten, aber diese Aufgabe ist
angesichts der Klimakrise tatsächlich eine der dringlichsten. Zu zeigen ist: Es geht auch anders.
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Über den Autor
Prof. Dr. Gregor Husi
Ist Soziologe und kam 1999 nach einem dreivierteljährigen Forschungsaufenthalt bei Pierre Bourdieu
in Paris an die Hochschule Luzern. Seine gegenwärtigen Themenschwerpunkte sind Grüne Soziale
Arbeit, soziale Kohäsion, Sozialtheorien und Professionalisierung.