Abstract
Die Geschichte der österreichischen Bewährungshilfe ist bislang nur sehr rudimentär aufgearbeitet worden. Die wenigen einschlägigen Publikationen zu diesem Themengebiet bewegen sich zwischen zwei sich diametral gegenüberstehenden Polen. Einerseits wird die Schutzaufsichtspraxis als reine sozialdisziplinierende Kontrollfunktion beschrieben, andererseits wird dem Instrument der Schutzaufsicht lediglich eine formelle Funktion attestiert, da sie niemals zur Anwendung kam und somit bis in die Zweite Republik totes Recht blieb. In diesem Beitrag werden weitere Deutungsangebote zur Genese der modernen Bewährungshilfe skizziert, die in erster Linie auf Primärquellen, wie Jugendgerichtsakten, Praxishandbüchern und der einschlägigen Fachliteratur der damaligen Zeit, beruhen. Aus einem Abgleich zwischen damaliger theoretischer Selbstverortung und praktischer Handhabe wird ersichtlich, dass die Schutzaufsicht weder als reiner Kontrollmechanismus beschrieben werden kann, noch tote Rechtsmaterie war; vielmehr wird gezeigt, dass eine weitreichende Diskrepanz zwischen offizieller Programmatik bzw. fachlichen Standards und impliziter Zielsetzung bzw. einer weitgehend disziplinierenden Praxis bestand.